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Rede des Chirurgen

Über Transplantation – eine Transkription. Raimund Margreiter, als Chirurg bekannt geworden für seine Aufsehen erregenden Organtransplantationen an der Innsbrucker Universitätsklinik, zu Gast bei den Rauriser Literaturtagen: Auszüge aus seinen Redebeiträgen im Rahmen einer Diskussion.

„Ich glaube, über die Wertigkeit des Hirntodes sollten keine Zweifel im Raum bleiben. Er wird heute eigentlich von der gesamten wissenschaftlichen Welt mit dem Herztod gleichgesetzt. Nun, die Problematik ist einem auch nach 30 Jahren Transplantationschirurgie immer wieder präsent: Das Leben von zwei, drei, vier Menschen ist unweigerlich mit dem Tod eines anderen Menschen verbunden (abgesehen von der Lebend­spende, aber das wird ja viel seltener gemacht). Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Das ist, glaube ich, den meisten Organempfängern durchaus bewusst. Obwohl ich auch sagen muss, dass viele Empfänger gar nicht mehr an diese Problematik denken, da die Transplantationsmedizin heute schon so zur Normalität geworden ist. Manche gestehen mir, dass sie sogar gewartet haben, wenn es Frühjahr wird und wieder mehr Motorrad gefahren wird … das kommt vor und sie schämen sich für diese Gedanken, aber das ist eben die Tatsache. […]

Wir sind vom Gesetzgeber her gezwungen, die Anonymität des Organspenders zu bewahren. Nur ist das in vielen Fällen gar nicht möglich! Alle Verstorbenen stehen in der Zeitung und die Organe müssen ja innerhalb kürzester Zeit transplantiert werden: Beim Herz beträgt diese Zeitspanne, die ein Organ außerhalb des Körpers verbleiben kann, ohne dass es größeren Schaden nimmt, drei bis maximal vier Stunden. Bei der Lunge sechs bis sieben, bei der Leber zwölf Stunden. Also weiß man ja genau das Datum, an dem der Spender gestorben sein muss. Und wenn dann in den Todesanzeigen steht, gestorben mit 98 Jahren, gestorben mit 104 und einer mit 36 – dann weiß na­türlich jeder, wer der Organspender war. Es ist aber eigentlich ganz selten der Fall, dass der Organempfänger wissen will, wer sein Spender war. Interessanterweise passiert es öfter, dass Verwandte und Eltern von Organspendern großes Interesse haben zu erfahren, in welchen Personen die Organe weiterleben. Das passiert immer wieder. Aber wir dürfen nichts bekannt geben […]

Natürlich sollte man sich mehr mit dem Einzelschicksal beschäftigen. Aber irgendwo stößt jedes Gesundheitssystem an seine Grenzen. Auf der einen Seite haben wir Stundenbeschränkungen bei den Arbeitszeiten, auf der anderen Seite sollten wir in dieser Zeit mit jedem einzelnen Patienten stundenlang diskutieren. Wir bemühen uns schon, dem gerecht zu werden. Und ich für mich kann behaupten, dass mir heute, nach 40 Jahren Doktorspielen, diese Dinge immer noch sehr präsent sind. Aber ich darf schon bei dieser Gelegenheit auch sagen, dass wir oftmals an einem Tag zwei Lebertransplantationen und zwei Herzverpflanzungen durchführen, dann noch eine Lunge transplantieren und vier Nieren – das alles innerhalb von 24 Stunden und von einem relativ kleinen Team. Und da, das muss ich zugeben, kann es passieren, dass der operierende Chirurg unter Umständen gar nicht Zeit hat, dem einmal Grüß Gott zu sagen oder sich vorzustellen, weil die Leute sich eben so in der Routine verlieren. Allerdings wird, bevor der Patient überhaupt auf die Warteliste kommt, ein ausführliches Aufklärungsgespräch geführt. Und dann wird immer wieder im Laufe der Zeit Kontakt mit dem Patienten aufgenommen, je nachdem, wie lang die Leute auf das Organ warten […]

Was den Verwandtschaftsgrad bei einer Lebendspende anbelangt, so habe ich persönlich immer am liebs­ten die Kombination Mutter – Tochter oder Mutter –  Sohn. Das ist die einzige Konstellation, bei der man wirklich davon ausgehen kann, dass die Spende aus rein altruistischen Gründen erfolgt. In allen anderen Situationen und Kombinationen bin ich mir da schon gar nicht mehr so sicher. Da kann es durchaus sein, dass auf der einen Seite die Niere, auf der anderen Seite irgendein Hausanteil oder so etwas steht! Seit einigen Jahren führen wir auch Verpflanzungen zwischen emotional Verwandten, also zwischen Ehe- oder Lebenspartnern durch. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Neben den sehr guten Ergebnissen hat uns vor allem beeindruckt, dass diese Organspende ausnahmslos in allen Fällen zu einer Intensivierung der Beziehung geführt hat. Wir haben uns schon die schlimmsten Szenarien ausgemalt: Da gibt’s eine Schei­­dung – und einer der Partner verlangt seine Niere zurück … Aber das ist nie der Fall gewesen! Der Empfänger ent­wickelt ein sehr großes Gefühl der Dankbarkeit und für den Spender ist es ein enormes Gefühl der Befriedigung. Mehr kann ich ja nicht tun, als jemandem an­deren ein lebendes Organ zu schenken. Früher habe ich das abgelehnt: Ich habe gesagt, man sollte auf das Organ eines Lebenden nur dann zurückgreifen, wenn man wirklich alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Davon bin ich abgewichen, weil ich draufgekommen bin, dass unser Berufsstand das aus eigener Kraft nicht zustande bringt. Per Dekret verordnen können Sie die Organspende nicht. Also können Sie nur die Lebendspende forcieren. Wir tun das vor allem gerne, wenn wir bei Kleinkindern die Leber transplantieren: Die sind oft ganz klein, ein halbes, dreiviertel Jahr alt und wiegen vier, fünf Kilogramm. Und da ist es sehr schwer – die Leber muss ja nicht nur blutgruppenverträglich sein, sondern auch größenverträglich. Meine Leber geht wahrscheinlich in so ein kleines Wutzele nicht hinein. Da müssen wir sowieso immer nur einen kleinen Teil transplantieren und da ist es das Beste, wir nehmen’s von der Mutter […]

Die Lebendspende muss auf Freiwilligkeit basieren! Die Freiwilligkeit ist eine absolute Voraussetzung. Wir lassen das immer von zwei unterschiedlichen Psychiatern oder Psychologen beurteilen, wobei auch darauf nicht immer hundertprozentiger Verlass ist. In meinen Augen sollte der behandelnde Arzt die wichtigste Rolle spielen! Im Falle einer Nierentransplantation – die sind ja am häufigsten – ist das der behandelnde Nephrologe, der Nierenarzt. Der sollte die Möglichkeit einer Lebendtransplantation ins Spiel bringen und auf die Vorteile aufmerksam machen, ohne Druck auf die Angehörigen auszuüben. Und sollte dann ein Angehöriger im Einzelgespräch irgendwelche Bedenken haben, kann man irgendein medizinisches Kriterium vorschieben und sagen, es geht gar nicht. Sodass der Betreffende in der Familie nicht als derjenige dasteht, der die Niere nicht spenden will […]“

Die Transplantationschirurgie in Österreich ist untrennbar mit dem Namen Raimund Margreiter verbunden. Er zählt zu den Pionieren der Organverpflanzungen. Unter Margreiter entwickelte sich die Universitätsklinik Innsbruck zum Zentrum der österreichischen Organtransplantation mit weltweiter Reputation. Seit 1999 ist Margreiter Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie an der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck. Margreiters internationale Karriere als Chirurg begann schon früh. Das Wissen, welches für Transplantationen wichtig ist, eignete er sich im Selbststudium an. Unter schwierigen Bedingungen begann er 1974 mit den Transplantationen. Erst im Jahre 1983 wurde in Innsbruck eine eigene Abteilung Transplantationschirurgie errichtet, 1995 erhielt die Abteilung dann eine eigene Krankenabteilung, 1998 zwei Operationssäle und eigenes Personal. Damit waren ideale Voraussetzungen für die Transplantationschirurgie geschaffen. Chronologie: 1974 erste Nierentransplantation, 1977 erste Lebertransplantation, 1979 führte Margreiter erstmals in Österreich die gleichzeitige Transplantation einer Bauchspeicheldrüse und einer Niere durch, 1983 verpflanzte er erstmalig in Österreich ein Herz, im selben Jahr eine Leber-Nieren-Transplantation, die er weltweit als erster durchgeführt hat. Die gleichzeitige Transplantation eines Herzens und einer Lunge im Jahre 1985 sowie die Doppellungentransplantation ein Jahr später erregte Aufsehen, 1990 gelang ihm die erste Darmtransplantation in Österreich, 1995 erstmalig in Österreich eine Inselzelltransplantation. Margreiters prominentester Patient ist Theo Kelz, der beim Entschärfen einer Briefbombe beide Hände verlor; Kelz kontaktierte Margreiter und bat ihn um eine Handtransplantation, was schließlich im März 2000 gelang.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des ORF Salzburg sowie der Rauriser Literaturtage, die im März 2007 unter dem Motto „Über-Leben. Literatur trifft Wissenschaft“ stattgefunden haben.

 

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