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„Wer hart arbeitet, hat durchhängende Betten nicht verdient.“

Das Prinzip Tupperware als Bestandsaufnahme regionaler Gegenwart. Oder: Wie eine Redakteurin losgeschickt wird, um auf einer Bettenparty verdeckt zu ermitteln. Von Ivona Jelcic

An meinem Schlüssel baumelt neuerdings eine winzig kleine Schüssel. Luft- und wasserdicht und groß genug, um darin zwei, drei Erbsen frisch zu halten. Man hat sie mir auf einer Party für Plastikware zugesteckt, außerdem ein Horoskop, das schmeichelhaft bescheinigt: Als Gastgeberin wäre ich eine Wucht. Verkaufsveranstaltungen gehen mit der Zeit und deshalb heutzutage auch mit Tierkreiszeichen hausieren. Ob das auch für den Haus-zu-Haus-Handel mit exklusivem Bettzeug gilt, ist nur durch auswärtiges Probeliegen auf einer so genannten Bettenparty ausfindig zu machen. Und das bringt mich zuallererst zu folgender Erkenntnis: Matratzen kommen, an einen Schlüsselbund gehängt, an den Charme von erbsengroßen Vorratsdosen nicht heran. Vermutlich hat es auf meiner ersten Bettenparty deshalb kein Werbegeschenk gegeben. Und schon gar keine Vorschusslorbeeren der astrologischen Art. Das wäre von einer, die sich zuerst selbst eingeladen und das Kaufen dann verweigert hat, aber wahrscheinlich auch zuviel verlangt.

Bleibt also nur die Hoffnung darauf, Einblicke in eine Partykultur zu erhaschen, die sich dem Hausverkauf verschrieben hat. Herauszufinden, warum Hausierer irgendwie von gestern scheinen und trotzdem auch in modernen Schlafzimmern regelmäßig Einlass finden. Denn eigentlich hatten wir uns doch mit Staubsaugern aus dem Elektrofachmarkt eingedeckt, damit Vertreter bei uns keinen Fuß mehr in die Tür kriegen. Und wir ihnen durch den Türspion hindurch schon auf der Fußmatte das Handwerk legen können. Das alles aber offensichtlich nur, um die Vorführ-Profis danach persönlich zu uns einzuladen – und die gesamte Nachbarschaft dazu.

Wem es wie mir an inniger Beziehung zu den Bewohnern angrenzender Quartiere mangelt, müsste, um auf solche Widersprüche Antwort zu bekommen, erst einmal auf Irrwegen zu einem Gastgeber kommen und dann noch bei ihm Einlass finden. In der Hinsicht bin ich durchaus optimistisch – weil ja heutzutage jeder jeden um sechs Ecken herum kennt. Ich also über reichlich Bettenparty-Bekanntschaften verfügen sollte. Nur: Vorgestellt wurden wir einander bisher eben nicht.

Ein paar Tage und entsprechend viele Telefongespräche später straft meine kleine Welt die ums Eck gedachte Global-Village-Theorie Lügen. An der Matratzenfront hat sich ein großes Fragezeichen breit gemacht – schlimmer noch: Die aufs Schlafzimmer gemünzte Party-Suche zieht ein paar unschön unanständige Bemerkungen nach sich. Und ich merke irgendwie beschämt: Wer nach Bettenpartys sucht, kann leicht in falsche Richtungen interpretiert werden. Tröstlich ist, dass am Ende auch ernsthafte Offerte vorliegen: Tupperpartys, Schmuck, Kosmetika, Dessous – bei Bedarf ließe sich fast alles arrangieren. Grundlagenforschung erscheint mir am Ende am vernünftigsten, weil da zumindest der Hauch einer Ahnung und ein grundlegendes Stück Marketing-Geschichte mitschwingt. Davon bin ich überzeugt, seit mich unlängst eine spätabendliche Bildungsbürger-Dokumentation im Fernsehen mit einer Dame namens Brownie Wise bekannt gemacht hat: Die Frau, die wie ein selbstgebackener US-Keks heißt, legte den Grundstein für den Homeshopping-Erfolg schon in den Fünfzigern, als sie hinter den Herd verbannte Hausfrauen zu adretten Tuppergirls ausbildete. Die Suchmaschine spuckt dazu noch einen zahlenmäßig anständig beeindruckenden Beitrag aus dem Netz: Alle 2,5 Sekunden findet irgendwo auf der Welt eine Tupperparty statt. Und nicht zuletzt packt meine Mutter mir die Reste von der Sonntagstorte gern in schicke Kunststoff-Kuchenformen ein.

Trotz dieses soliden Rüstzeugs für aushäusige Tupperware-Erfahrungen sitzt vor der fremden Tür im unbekannten vierten Stock die Ahnungslosigkeit ein wenig ungut im Nacken. Sagt man jetzt Tupperware oder Tapperwär? Ein Umweg über Freundesfreunde und deren Bekanntschaft mit der patenten Gebietsleiterin Angelika hat mir die ersehnte Einladung verschafft – und jetzt bin ich zu früh, der erste Gast, ein Vorratsdosen-Streber von der ganz aufdringlichen Sorte. Die ausgesprochen gut gelaunte Hausherrin nimmt mein über drei Ecken angekündigtes Erscheinen aber mit Humor und Herzlichkeit: „Nach der Präsentation gibt’s Piña Colada“, stellt Marianne augenzwinkernd in Aussicht. Der Cocktail werde selbstverständlich im nagelneuen Shaker Marke Tupperware hergestellt. Und überhaupt: „Im Haushalt meiner Schwiegermutter hat es Tupperware schon gegeben, da war noch nicht einmal die Straße zu ihrem Hof hinauf asphaltiert.“ Die Gastgeberin sagt’s, entschwindet in die Küche und lässt mich samt Präsentatorin und ihrer fein säuberlich aufs Bügelbrett gestapelten Produktpalette im Wohnzimmer dem Aufkommen von Partystimmung entgegenharren. Ich wer­de später merken: Auf gute Laune kann man in Kunststoff-Kreisen bauen. Aber auch darauf, dass die Erdbeeren tiefgekühlt bis in den Winter hinein erdbeerig schmecken, der mittägliche Küchendienst nur wenig Zeit in Anspruch nimmt und die Jause für den Nachwuchs gleich gesund wie gut verpackt mit in die Schule kommt.

Weil das in dieser fröhlichen Frauenrunde ohnehin längst alle wissen, egal ob Ende zwanzig oder in den späten Fünfzigern, werden zuerst die Witze-Erzählerinnen laut – kennt ihr den? „Treffen sich zwei Pfarrer. Sagt der eine: ‚Wir werden das wohl nicht mehr erleben, dass wir einmal heiraten dürfen.‘ Sagt der andere: ‚Nein, aber vielleicht ja unsere Kinder.‘“
Das ist mein Stichwort für den Zugriff auf die Knabbereien und für die Runde der Startschuss für eifrigen Erfahrungsaustausch über Küchenhelfer x bis y. Und während ich noch staunend lausche, wird mir klar: Wer Wert auf Qualität und Ordnung in der Tiefkühltruhe und im Küchenkast’l legt, hat sein Begehr nach Iso Duo, Eleganza, Micro-, Ultra- oder Easyplus schon längst auf den Bestellzettel geschrieben. Ist das in all seiner einträchtigen und einträglichen Häuslichkeit bedenklich?

Nur wenn man sich über das Zeitgeist-Barometer und die darauf angezeigte Renaissance des Biedermeier nachzudenken vorgenommen hat. Weil die zum Einkaufen im Eigenheim ja ganz hervorragend zu passen scheint. Immerhin ist überall vom Rückzug ins Privatidyll die Rede, widmet sich der Ausstellungsbetrieb intensiv der Kunst, Kultur und Qualität des Biedermeier und bekennen sich einst bemühte Bohemiens neuerdings freimütig zum modernen Spießertum. Man wird ja wohl noch seine Werte nachjus­tieren dürfen. Da beschleicht mich das Gefühl, dass sich die neue Bürgerlichkeit nicht ausgerechnet in der Welt der Tupperpartys am wohlsten fühlt. Auf lange Sicht erscheint der Haus-zu-Haus-Verkauf viel zu konstant, um sich an Spießbürger-Moden zu orientieren. Anpassung ist höchstens bei einstigen Verkaufsparty-Verweigerern auszumachen: Weil die neuerdings auf ihren Geranien-geschmückten Stadtbalkonen sitzen und überlegen, ob auf die eigene Haltung überhaupt noch Verlass ist. Das vom Idyll verzückte Biedermeier-Klientel, dämmert es mir, ist Mitte dreißig, fühlt sich aber weitaus jünger, hat seine Szene-Zugehörigkeit ausgiebig auf angesagten Feten zur Schau gestellt – und liebäugelt nun, von der eigenen Coolness schon etwas ermattet, mit dem Gedanken, abgefeierte Erfahrungswerte jetzt auch auf Verkaufsveranstaltungen einzubringen. Vielleicht sogar im schmucken Eigenheim, denn wer das eigene Wohnzimmer zum Umschlagplatz für Qualitätsprodukte macht, kann die Privat-Oase gleich vor Ort perfektionieren. Man gönnt sich ja sonst nichts. Mir selbst gedeihen die Balkon-Tomaten apropos ganz prächtig, sie sind schon über einen Zentimenter hoch. Mit der Ernte rechne ich im August, dann können mir die Bio-oder-nicht-Produkte aus dem Supermarkt endgültig gestohlen bleiben. Hätte ich außerdem mehr Zeit zum Herumzupfen an Rosmarin und Majoran, wäre meine kleine Welt perfekt.

Mit der Penetranz von Party-Einladungen muss man aber leider immer rechnen. Und meistens dienen die­se Ausgeh-Angebote ja leider nicht unbedingt der Schlaf­optimierung. Die Ausnahme heißt Bettenparty und der Weg zu ihr war kürzer als gedacht. Er begann an einem Tresen: Bierwirt Klaus kennt Betten-Franz – der wiederum den Handel mit modernen Schlafsyste­m­en in- und auswendig. Nur hat er gerade keine Tour und auf die Schnelle keine Zeit. Höchstens für ein Telefongespräch, bei dem ich Interesse am Matratzen-Hausverkauf bekunde. Auf diesbezügliche Fragen hin würde mich der Franz am liebsten gleich ins nächste Möbelhaus und dort auf die Suche nach fachlicher und außerdem noch zwischenmenschlich enga­gierter Schlafberatung schicken – nur: „Wirst sehen, da nimmt sich niemand Zeit für dich.“ Jemand muss dieses Manko schon vor langer Zeit erkannt haben. Denn Franz erklärt mir kurz und bündig: „Bettenpartys gibt es hierzulande seit gut zwanzig Jahren, auf dem Land wird mehr verkauft als in der Stadt, vermutlich, weil sich die Leute dort mehr wert und einen gesunden Schlaf ganz einfach schuldig sind.“ Rabatte winken bei einer Eigenveranstaltung und dem Einladen von potenzieller Kundschaft aber da wie dort. Die Kaufentscheidung trifft zu neunundneunzigkommaneun Prozent die Frau im Haus. Verkaufen tun aber mehr die Männer.
Sagt Franz.

Ich informiere ihn, dass ich zu warten auf jeden Fall bereit bin – der Mann erscheint mir in Bezug auf Bettenpartys ein ganz besonders Kompetenter. Zwischenzeitlich gehe ich aber auf anderen Festivitäten fremd. Einer Freundin und ihrer knappen Mitteilung an mein Telefon sei Dank. Die Bettenfrau, steht da, heißt soundso und erwartet meinen Anruf. Auf Nachfrage entpuppt sie sich als die Nachbarin von einer Freundin einer Nachbarin und wieder einer Freundin undsoweiter – und ist als solche äußerst gastfreundlich. Einen gesunden Schlaf gönnt man schließlich jedem. Und je mehr Gäste, desto zufriedener der Herr Verkäufer, weil ja auch er stetig nach neuer Kundschaft suchen muss. Bei meiner Ankunft erwartet mich ein junges Ehepaar samt Nachwuchs: In Kürze werde umgezogen und wenn schon einrichten, dann gescheit und richtig, vor allem, was das Schlafzimmer anbelangt. Ich bin nicht nur der erste, sondern am Ende auch noch der einzige Gast. Die Nachbarinnen hätten kurzfristig allesamt absagt, heißt es entschuldigend in Richtung Peter, der samt Vorführ-Matratze und Lattenrost extra werweißwoher gekommen ist. Der Mann nimmt den Kundenschwund gelassen und die Aufklärung über menschliche Geruhsamkeiten nicht minder motiviert in Angriff. Denn seien wird uns ehrlich: „Wer hart arbeitet, hat durchhängende Betten nicht verdient.“ Und die größte Freude kann einer einem Bettenberater machen, wenn er sich neunzigjährig oder älter noch zur Investition in die eigene Gesundheit entschließt: Weil das dann heißt, dass derjenige auf sich selbst noch einen gewissen Wert legt. Und das sei schön zu wissen, weil wir ja alle irgenwann ins Alter kommen.

Mir wird spätestens beim einstündigen Vortrag über das ungesunde Bauchschlafen, das Bandscheibenproblem, den Nachtschweiß und das endlose Herumgewälze klar: Partystimmung wird hier und heute wohl eher nicht mehr aufkommen. Peter spricht anstatt von Partys aber ohnehin viel lieber von Beratung. Das passt besser zum Nachmittags-Termin und zum öffentlichen Ausbreiten nächtlicher Gewohnheiten. Dass statt des Cocktails diesmal Kaffee kredenzt wird, ist ebenfalls verständlich: Dann kann der Gast bei der Probe aufs Exempel dann auch irgendwie noch Haltung bewahren. Auf dem zur Ansicht ausgepackten Bettzeug liegt es sich tatsächlich gar nicht unbequem, befremdlich ist nur, dass sich mein Hohlkreuz laut Peter doch eigentlich als Rundrücken entpuppt. Und ich das alles gar nicht wissen oder gar mit Fremden teilen wollte. Der Wohlfühlfaktor hängt aber im Grunde vom Berater ab.
Sagt Franz.
Und meint, dass es auf seinen Partys ganz schön witzig zugehe und er sich mit manchen Späßen in bestimmten Wohnzimmern dann doch etwas zurücknehmen müsse. Übermorgen sei er außerdem auch wieder unterwegs. Und wenn ich hartnäckig genug bin, nimmt er mich ganz sicher mit. Vielleicht kaufe ich mir ja auch ein Bett.

 

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