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Living in a box

Jörg Zielinski durchstreifte ein halbes Jahr lang Tirol mit einer Lochkamera im Gepäck. Zu den dabei entstandenen Fotografien schickte er der Redaktion die folgende Gebrauchsanweisung:

„Die Lochkamerafotografie ist die älteste bekannte Art des fotografischen Ausdrucks. Die Kameras arbeiten ohne Linse. Das Licht fällt durch ein nadelfeines Loch in einen lichtdichten Kasten und formt das Bild auf der Rückwand. Wird nun diese Bildebene mit lichtempfindlichem Material belegt, bildet sich die Fotografie darauf ab. Dabei dauert die Belichtung einige Sekunden oder Minuten.

Ich baue meine Lochkameras selber und benutze dabei Sperrholz, Pappe, Rasierklingen, Farbe, Klebstoff. Jede neue Kamera wird von mir ‚einfotografiert‘, um die Eigenarten der jeweiligen Kamera kennenzulernen. Dabei finde ich heraus, wie lange ich belichten muss, um ‚gute‘ Fotos zu erreichen. Allerdings ist das unvorhersehbare Spiel mit Licht, Beleuchtung, Belichtung der Reiz und die Herausforderung der Lochkamerafotografie.

Diese Art der Bildgestaltung braucht die Zeit als Element des künstlerischen Entstehungsprozesses: Nicht der Bruchteil einer Sekunde zählt, sondern die Zeiträume, in denen sich Leben bewegt. Stehende Objekte erscheinen fest, bewegte Objekte verflüchtigen sich im Raum. Es entstehen Bilder, in denen der
Augenblick gedehnt erscheint. Die Fotografie mit einer Lochkamera entzieht sich den Eindrücken der schnelllebigen Schnappschüsse.

Die Bilder auf den nachstehenden Seiten sind innerhalb eines halben Jahres an unterschiedlichsten Plätzen in Tirol enstanden. Augenblicklich eröffnen sich neue Sichtweisen auf bekannte, wiewohl noch nie geahnte Plätze. Jeder Hinterhof, jede Gasse, jede Straßenszene entsteht von Neuem. Gleichzeitig verändert sich die Erinnerung. Ersetzen die Bilder des Gesehenen die Bilder der Erinnerung? Was sehe ich? Ist das, was ich gesehen habe, auch das, was abgebildet wird? Der Glaube an die Tatsächlichkeit des fotografischen Abbildes gerät ins Wanken.

Die Bilder entstehen ohne Inszenierung und ohne manuelle Nachbearbeitung. Es ist einzig der Einfluss des Fotografen, der die Menge des Lichtes bestimmt, das den Film erreicht.“

 

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