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Vergeblichkeit der Meisterschaft

Daniel Buren hat das Cover für dieses Heft gemacht. Walter Grond über das flüchtige Werk des großen französischen Künstlers.

Hervorstechend ist Daniel Burens künstlerisches Werk durch eine besondere Signatur, die er verwendet, nämlich 8.7 cm breite vertikale Streifen. Er bezeichnet sie als visuelle Werkzeuge, von ihrer Form her invariabel, und doch jedes Mal verschieden, mit denen er den Raum vermisst, und die es dem Betrachter ermöglichen sollen, alle anderen Elemente einer Ausstellung, einer Installation oder Intervention im öffentlichen Raum zu sehen.

Dass Buren von der Farbe als dem eigentlich lebendigen Denken in der Kunst spricht, ja die Farbe als das benennt, was nicht gesagt (mit Worten festgemacht) werden kann, erinnert mich an eine Äußerung des Schweizer Künstlers Jörg Niederberger, der meinte, für ihn sei Farbe weder Ersatz noch Ergänzung von Sprache, er wolle nichts erzählen, sondern trage die Farbe ungebrochen und unverhüllt auf die Leinwand auf. Dabei ist Niederberger – wie auch Buren – durchaus kein Purist, was die Wahl seiner künstlerischen Mittel betrifft. Niederberger vermischt malerische und bildhauerische Mittel, spielt mit Kontexten.

Auch Buren, der große französische Konzeptkünstler, der heuer siebzig Jahre alt wurde, bezeichnet sich gern als Bildhauer (seine Farbkompositionen und Installationen also als Skulpturen), und führt uns Farben in ihren Dimensionen und Formen vor, über die außerhalb der Sprache des visuellen Objektes nicht mehr gesprochen werden kann. Zugleich verlagert er die Farbe in den dreidimensionalen Raum und wertet den Betrachter radikal auf, indem er beispielsweise mittels durchsichtiger Folien auf Glasplatten, die mit jeder Standortveränderung Farben erscheinen und verschwinden lassen, Farbe allein im Auge des Betrachters entstehen und zerstören lässt.

Burens Farben sind also rein und zugleich persönlich. Wenn er sich selbst als einen Bildhauer bezeichnet, stört er sich aber auch nicht daran, wenn man ihn als Maler sehen will, lässt letztlich jede Definition, welchem Bereich der Skulptur, der Malerei oder der Architektur sein Werk hinzuzurechnen ist, mit überzeugender Gelassenheit offen. Und wenn er sich vor Jahren von Duchamp distanzierte, erstattet er doch seit ebenso vielen Jahren der Moderne die Subtilität des Dekorativen und der Schönheit, der sie sich versagte, ohne sie jemals hinter sich zu lassen, zurück.

Daniel Buren ist ein künstlerischer Nomade. Er arbeitet vor allem in situ, dort, wo seine Arbeit zu sehen sein wird, sei es im öffentlichen Raum (im Palais Royal in Paris etwa, wo 1986 das begehbare Kunstwerk Les Deux Plateaux entstand; oder jüngst 2006 die Haltestellen der Linie 2 der Straßenbahn in Mülhausen im Elsass) oder in Museen, wo er – die Architektur und Umgebung des Gebäudes bemessend – Ausstellungen baut, die am Ende wieder zerstört werden.

Buren konzipiert also sein Werk so sichtbar wie flüchtig und dokumentiert (wenn auch unmöglich, weil undokumentierbar) all die Stationen mit Photo-Souvenirs in Katalogen und auf seiner Website. Er schafft Paradoxien, weil sein Denken von Paradoxien angezogen und geprägt ist, vom Anfang seiner Staffelmalerei über sein grafisches Werk bis zu seiner Malerei als Skulptur.

Im Jahr 2002 etwa verwirklichte Buren die Ausstellung Les Couleurs Traversées im Kunsthaus Bregenz. Seine Arbeit erfasste alle drei Geschosse des Hauses und bezog sich auf die komplexe Gebäudearchitektur von Peter Zumthor, auf dessen Kunstgriff, Tageslicht in sämtliche Obergeschosse zu leiten, und nun dem Haus, wie Buren schreibt, einerseits das Aussehen eines Eisblocks zu verleihen, dessen Farbe sich im wechselnden Sonnenstand ändert, andererseits mittels transparenter Glasschindeln eine Art Innenleben der Ausstellungsräume erahnbar zu machen. Zugleich hatte Zumthor sämtliche Wände in jedem Geschoss für die Kunst nutzbar gemacht, er konzentrierte also alle Blicke auf die ausgestellten Arbeiten und nicht auf die Architektur. Buren bezog seine Ausstellung auf die Leistung dieser Architektur als einer Art idealen Raum für die Kunst. Als Raster verwendete er die Glastafeln an der Decke, mittels derer Zumthor Tageslicht ins Innere der Ausstellungsräume lenkt, und variierte nun seine Durchdringung von Farben in den 3 Stockwerken, organisierte die transparenten und transluziden verschiedenfarbigen Plexiglaswürfel im 1. Obergeschoss vertikal als Pfeiler, die er im Rhythmus der Deckenrasterung anordnete und von innen heraus beleuchtete. Im 2. Obergeschoss vervielfältigte er die Farben zu einem unermesslichen Raum, indem er in derselben Anordnung der Pfeiler im 1. Obergeschoss die Glastafeln an der Decke mit Folien in verschiedenen Farben überzog und die Wände des Saales mit Spiegeln verkleidete. Der Vertikalen Ausrichtung im 1. Obergeschoss stellte er also im 2. Obergeschoss die Vorstellung gegenüber, dass „wir uns vollständig im Inneren einer geschlossenen Kiste befinden“, während er schließlich im 3. Obergeschoss Cabanes éclatées (gesprengte Hütten) aufbaute, gleichsam das Ergebnis von Konstruktion und Dekonstruktion, die Mischung der Farben, eine Installation aus ineinander verschachtelten Wänden, die zugleich Außen- wie Innenwände sind, ein Labyrinth, das man durchschreitet, und das immer im Fokus der Deckenwand steht.

Burens Spiel mit Paradoxien, das sich den Themen Licht, Raum, Farbe, Bewegung und Konstruktion widmet, führt das Museum als sakralen Raum vor und thematisiert die Notwendigkeit und zugleich Fragwürdigkeit des Raumes für zeitgenössische Kunst. Womöglich ist über die Welt nicht mehr zu sagen als die Formen, Farben und Strukturen ausdrücken, und wenn dieser formale Aspekt künstlerischer Aktivität das Zentrum der Betrachtung ist, schwingt eben die Vergeblichkeit der Meisterschaft stets mit: im Kunstraum, den Buren wie ein Renaissancemeister bespielt, wird nicht mehr das unverrückbare Fresko an die Wand gemalt, sondern am Ende des Konzentrationsaktes die Ausstellung wieder abgebaut, und der Raum einem weiteren Künstler übergeben. Und: es sind anthropozentrische Regeln, die diesen Raum durchdringen, das Vertikale und das Horizontale durchmischen sich im dritten Auge zur menschlichen Behausung.

Wie sähe also der ideale Raum für Kunst aus? Burens Antwort (die er wiederholt künstlerisch gestaltet): Es ist unmöglich, einen idealen Raum für eine noch unbekannte Kunst zu imaginieren. In ihre Autonomie entlassen, verwehrt sich die Kunst der Vereinnahmung, ein intelligenter Raum für Kunst kann nur einer sein, der es der Kunst gestattet, ihn in Zweifel zu setzen. Modernistische Kunst bleibt ein Projekt der Aufklärung. Oder wie es Eckard Schneider, der ihn 2001 in Bregenz befragte und den Katalog zur Ausstellung herausgab, formulierte (da er sich bei den gesprengten Hütten an Bilder von Ucello und an Darstellungen des Mont Sainte-Victoire bei Cézanne erinnert fühlte): in Daniel Burens Werk passiert ein eminentes Zusammentreffen von Empirismus und Konstruktion. Er ist ein virtueller Künstler, der mit seinen Photo-Souvenirs, die er als Stütze und Irreführung für das Gedächtnis zugleich beschreibt, das Ortspezifische seiner künstlerischen Arbeit im virtuellen Raum konterkariert. Und Buren bleibt schließlich ein Konzeptkünstler, der uns vorführt, dass die zeitgenössische Kunst weniger in ihren Werken, als in ihren Institutionen das Bleibende schafft.

Insofern kennzeichnet seine Signatur der Streifen bereits sein Werk, mit dem er den öffentlichen Raum kennzeichnet: Streifen mit denen er interveniert, auf dass der Blick sich öffne für den Ort und seinen Kontext: Affichage sauvage, work in situ, Paris, 1968; 25 Porticos: the color and its reflections, permanent work in situ, Odaiba, Tokyo, 1996; Prière de toucher, permanent work in situ, Marseille, 2000; D’un cercle à l’autre: le paysage emprunté, permanent work in situ, Luxembourg, 2005; tappeto volante, situated work, Turin, 2005; La ligne rouge, work in situ, Tianjin, China, 2005 …

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