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Peter Stephan Jungk sinniert über einen weit verbreiteten Stehsatz der Kunstwelt: „Ohne Beziehungen geht gar nichts.“

Als ich zu schreiben begann, sechzehnjährig, saß ich im Schneidersitz auf der ausgeleierten Matratze eines schiefen Betts. Mein hässliches Schlafkämmerchen befand sich auf dem Dachboden eines alten Patrizierhauses in West-Berlin. Da hämmerte ich blind – im Ernst: mit geschlossenen Augen – auf die Tastatur einer alten Schreibmaschine, die ich meinem Vater abgeknöpft hatte. Meinem damals, 1969, berühmten Vater, dem Zukunftsforscher Robert Jungk, dessen Name heute kaum noch jemand kennt, der jünger als 40 Jahre alt ist. Ich hatte am Vorabend Peter Handkes Stück Kaspar in einem kleinen Theater am Kurfürstendamm gesehen, es inspirierte mich zu folgenden Sätzen: „Apes and grapes – Blumenkäfige bringen Affenkäfige immer dann zum Glühen, wenn Baumkronen Menschenhäuser bedrohen.“ Der Zufallsbuchstabe, den ich mit geschlossenen Augen traf, ergab das erste Wort. Wusste ich nicht weiter im Text, schloss ich erneut die Augen, wieder ein Zufallsbuchstabe, so fand ich zum nächsten Satz. Und immer so fort, monatelang, Text nach Text. Meine Ergüsse hießen „Kugelreisen“ oder „Wir“ oder „Thunfischjagd“. Die stolze Mutter meinte: Wer Schriftsteller werden will, braucht Kontakte, braucht Beziehungen. Wir haben Beziehungen. Wir werden dir helfen. Meine Fingerübungen wurden herumgereicht. Peter Handke, die Schriftstellerin und Essayistin Hilde Spiel, der Literaturkritiker Walter Höllerer und weitere zehn, zwölf Persönlichkeiten aus dem Kulturleben der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden mit meinen Texten beglückt. Sie mussten sie lesen, wurden von Mama aufgefordert, ihre ehrliche Meinung zu Protokoll zu geben. Mehr noch: Sie legte ihnen nahe, dabei behilflich zu sein, die Texte ihres Sohnes in Literaturzeitschriften unterzubringen. Ich bekam zu hören, zu lesen, dass ich ein blutiger Anfänger sei, der noch weite Wege vor sich habe. Boshaft, oder gar gehässig reagierte niemand, man nahm Rücksicht – sicher nicht auf mich. Peter Handke sollte sich 20 Jahre später an diese Zeit erinnern: „Ich kenne Peter Jungk fast schon seit seinen Kindes- oder wenigstens Halbwüchsigen-Beinen: Der damals etwa Sechzehnjährige, ironischer Schüler einer Rudolf-Steiner-Schule, gehätscheltes, freilich um so weniger umhegtes Einzelkind, schrieb bereits, jedoch nicht drauflos, sondern fühlbar aus sich heraus, blumig Unverständliches, das mir aber glaubhaft erschien durch seinen Rhythmus, auch das Abbrechen immer im richtigen Moment, Zeugnisse eines Zungenredens, eines einsamen …“ Hilde Spiel begleitete meine allerersten Schriftstellerschritte beratend, beruhigend, ermutigend. Und sollte mich noch jahrelang trösten, bugsieren, loben, sie glaubte an mich, bis zu ihrem Tod im Jahr 1990.

Bis zur ersten Publikation eines Textes von mir sollten noch fünf Jahre, bis zu meiner ersten Buchpublikation neun lange Jahre vergehen. Das erste Buch, Stechpalmenwald, in Hollywood angesiedelte Kurzgeschichten, fand den Weg zu einem Verlag, da mein Vater den damaligen Cheflektor des Hauses S. Fischer gut kannte. Herr E. stellte mich, nachdem er einige meiner Erzählungen gelesen hatte, der Besitzerin des renommierten Verlagshauses vor. Ich tröste mich allerdings mit der Überzeugung: die Text-Sammlung legte Zeugnis von einem jungen, gleichsam fulminanten Talent ab. Wer sich jedoch auf Intervention(en) anderer verlässt, wer seine Schritte nicht unbegleitet und nicht auf eigene Faust setzt, wird im Hinterkopf immer eine Spur der Scham, der Unsicherheit, des Zweifels behalten. Dagegen sind keine Kräuter gewachsen.

Helmut Qualtinger, den ich gut kannte und verehrte, brachte es in einem seiner bösen Liedtexte auf den Punkt: Der Papa wird’s schon richten! Das g’hört zu seinen Pflichten! Mit dieser Überzeugung wuchs ich auf – zumindest unterbewusst. Vater kannte beinahe jeden Verleger, jeden einflussreichen Redakteur, jeden Fernsehproduzenten im deutschsprachigen Raum, bei uns zu Hause gingen Philosophen, Dichter, Schauspieler, Regisseure ein und aus. Und jeder Gast entzückte sich: Wie reizend dieser Sohn doch sei! Und was wird aus dir, eines Tages, fragten die Gäste, die Freunde, die Bekannten meiner Eltern, sie stellten mir diese Frage auch dann noch, als ich, mit fast 26 Jahren, mein erstes Buch bereits publiziert hatte, im Herbst 1978. Es gibt Verleger, an die ich mich bis heute nicht wende, denn sie sehen, vermute ich, in mir bis heute den Sohn von Robert Jungk, das Sohndilein, wie Vater mich auch im Beisein anderer gerne nannte. Ich hätte mir natürlich ein Pseudonym zulegen können: die Namen Friedrich Villanders und Peter Stephan Tarasp schwebten mir vor, als ich 20 Jahre alt war. Ich hatte nicht den Mut, die Nabelschnur des Vaternamens zu durchtrennen. Blicke ich heute auf das zurück, was man Karriere nennt, bin ich keineswegs unzufrieden; ich habe bisher acht Bücher publiziert, die Mehrzahl ist in Übersetzungen erschienen, in Frankreich, in Holland, in England und den USA. Philip Glass plant für das Jahr 2013 eine Oper, die auf meinem Walt-Disney-Roman Der König von Amerika basiert. Und dennoch: vergleiche ich die Erwartungen und Ansprüche meiner Jugend, als meine Eltern mir ihr Wort gaben: dank unserer Beziehungen wirst du im Leben sehr weit kommen, so stöhne ich, erschrecke mitunter sogar ein wenig. Die Wirklichkeit – vor allem der Stand meines Bankkontos – stimmen mit jenen frühen Hoffnungen nicht überein. Haben mir die Beziehungen meiner Eltern im Endeffekt eher geschadet als genützt? Male ich mir aber aus, was geschehen wäre, hätte ich von diesen Beziehungen nicht im mindesten profitiert, sähe das Ergebnis womöglich noch weit bedenklicher aus.

Ich erinnere mich an Gespräche, die ich vor 30 Jahren mit meiner späteren Frau führte, L. war damals eine entschiedene Gegnerin jeglicher Inanspruchnahme von Beziehungen. Sie empfand es als weit unter ihrer Würde, jemanden um Hilfe, um Intervention, um Weiterempfehlung zu bitten. Ich hielt lange Monologe, versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen: Ihr künftiger Erfolg als Fotografin hänge mit Sicherheit von der Protektion arrivierter Kolleginnen und Kollegen ab. Sie hörte nicht auf mich. Und schaffte den hürdenreichen Weg auf ihre Weise – ganz allein. Als meine Mutter L. vor Jahren telefonisch wissen ließ, es sei für sie absolut kein Problem, Karten zu ausverkauften Opern-, Konzert- oder Theateraufführungen der Salzburger Festspiele zu besorgen, denn „wir haben Beziehungen!“, legte meine Angehimmelte nicht nur den Hörer grußlos auf, sondern drohte mir, sich augenblicklich von mir trennen zu wollen. Mit „solchen Leuten“ möchte sie in Zukunft nichts zu tun haben, ließ sie mich wissen.

Wer Talent hat, wer ehrgeizig und imstande ist, etwas Besonderes in die Welt zu setzen, das sich vom Althergebrachten, vom Alltäglichen, vom Mittelmaß deutlich unterscheidet, wird mit Sicherheit auch ohne Vitamin B Erfolg und Anerkennung ernten. Sowohl als Künstler wie im Geschäftsleben. Als Schiffskapitän ebenso wie als Filmproduzentin. Als Kameramann, Facharzt oder Architekt ebenso wie als Journalistin, Blumengroßhändlerin oder Kurhoteldirektorin.

Haben Thomas Bernhard oder Peter Handke in ihren Anfängen je von Beziehungen profitiert? Sicher nicht. Franz Kafka? Sicher nicht! Ernest Hemingways erster Roman hätte allerdings ohne F. Scott Fitzgeralds Intervention keinen Verlag gefunden.
Ohne Beziehungen geht es auch. Ohne Beziehungen ist man verloren. Beide Lebenseinstellungen führen zum Ziel. Wer aber auf Beziehungen bewusst verzichtet, ist entweder ein Genie oder ein sehr mutiger Einzelgänger. Im Falle einer beträchtlichen Erbschaft, die die kriminellen Testamentsvollstrecker meines Onkels in Caracas, Venezuela, mir streitig machten, gelang es mir, mit einer der einflussreichsten Familien des Staates Panama Kontakt aufzunehmen. Nach Panama war die gesamte Erbschaftssumme verschoben worden, dort musste ich für mein Recht kämpfen. Familie H. brachte mich mit einem jungen Anwaltzusammen, der später Minister der panamesischen Regierung werden sollte. Dr. S. ließ mich wissen: Dank seiner Beziehungen sei mein Fall bereits so gut wie gewonnen. Ich müsse mir nicht die geringsten Sorgen machen, innerhalb eines Jahres werde alles über die Bühne gegangen sein. Es gelang ihm, dank seiner Beziehungen, das gesamte Vermögen meines Kontrahenten, inklusive der mir gestohlenen Summen, die allesamt auf geheimen Nummernkonten lagen, einzufrieren. Mein Jubel kannte keine Grenzen. Nach vier Jahren gelang es meinem Gegner, sein gesamtes Vermögen freizueisen; er hatte den Höchstrichter der Republik Panama mit einer großen Geldsumme bestochen. Ich ging leer aus.

Mein Vater brachte mir bei: Die Begegnung mit jemandem, von dem man meint, er sei für das künftige Privat- oder Berufsleben von großer Wichtigkeit, ist in Wirklichkeit oft nur aus einem ganz anderen, durchaus überraschenden Grund von Bedeutung. Weil dieser Mensch dir das Tor zu jemand anderem öffnet, zu jemandem, der dein Leben tatsächlich auf eine neue Bahn wirft.
Oft sind es Ketten von Begegnungen, die zu einem Resultat führen, von dem man zu Beginn eines Zusammentreffens nichts ahnen konnte. Überlege ich mir, wie es dazu kommt, dass mir die Ehre zuteil wird, auf diesen Seiten zu publizieren, fällt mir eine Begegnungskette von mindestens sieben Männern und Frauen ein, mit denen ich im Verlauf von 35 Jahren in Verbindung stand, bevor ich die Aufforderung erhielt, für Quart einen Beitrag zu verfassen. Die Kette nimmt ihren Anfang in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts – durch die Bekanntschaft mit dem ehemaligen Wiener Burgtheaterdirektor Ernst Haeusserman. Dank Haeusserman lernte ich den Theaterregisseur D. kennen, durch D. dessen in New York lebende Verwandte T., eine Literaturagentin … und so weiter, und so fort …

Mein Freund Jonathan Bates hätte ohne Beziehungen nicht überlebt – oder säße womöglich bis heute in einem Gefängnis von Damaskus. Nach einer Israelreise, Anfang der siebziger Jahre, trampte er durch Syrien, wurde von Soldaten aufgegriffen und als angeblicher Spion vor Gericht gestellt. Er erhielt lebenslang. Zwei Mal schleppte man ihn vor ein Erschießungs-Peloton: zur Scheinexekution. Seine Eltern, seit Monaten ohne Neuigkeiten, wandten sich an einen Rechtsanwalt, den sie gut kannten, der wiederum den damaligen Außenminister der USA, William Rogers einen Freund nannte. Rogers unternahm gar nichts. Seinem Nachfolger, Henry Kissinger, fiel die Akte B. gleich zu Beginn seiner Amtszeit in die Hände. Wenig später brach der Jom-Kippur-Krieg aus. Kissinger gelang es, die Kriegsparteien nach zwei Wochen zu einem Waffenstillstand zu überreden. In der Folge pendelte er zwischen Tel Aviv und Damaskus hin und her. Bei einem seiner Treffen mit Syriens Präsident Assad ließ er den Namen meines Freundes fallen – einen Tag später war Jon auf freiem Fuß.

Anderseits: ein Freund in New York, dessen Reichtum und politische Einflussnahme grenzenlos sind, vermittelte mich – meiner konstanten Herzrhythmus-Probleme wegen – zu seinem persönlichen Kardiologen, Professor F., dem Präsidenten der American Heart Association. F. empfahl mir den besten Herzchirurgen der Welt, seinen engen Freund Professor C., in Paris. Unmittelbar vor dem Operationstermin erfuhr ich, dass Professor C., damals 73 Jahre alt, seit Jahren von seinen Kollegen gedrängt werde, keine Operationen mehr durchzuführen, mehr noch, von ihm operiert zu werden, sei gleichsam lebensgefährlich. Ich sagte den Eingriff kurzfristig ab – suchte und fand einen relativ unbekannten Herzchirurgen, der meine Mitralklappe, ich klopfe auf Holz, hervorragend repariert hat.

Beziehungen können hilfreich sein, keine Frage. Aber sie sind nur für einen Bruchteil der Entscheidung verantwortlich, ob eine Lebensgeschichte in die positive oder negative Richtung ausschlägt. Es ist wie beim Tippen meiner ersten Texte, mit geschlossenen Augen.

 

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