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Picasso, Pils, Polenta

Eigentlich wollte Fritz Mang nur eine Auszeit nehmen und ein paar Tage in New York verbringen. Inzwischen sind 36 Jahre vergangen und der Tiroler ist zu einem der gefragtesten Kunst-Restauratoren der USA geworden. Ein Porträt vom Simon Schennach.

„Trinkst du auch ein Bier? Ich mache mir jetzt nämlich eines auf, und zwar ein tschechisches.“

So gern Fritz Amerika hat, so ungern hat er amerikanisches Bier. Manche Dinge ändern sich eben auch nach über 30 Jahren nicht. Er wischt sich die Hände an seiner hellgrauen Schürze sauber, befreit die viereckige Brille notdürftig vom Arbeitsstaub. Dann lässt er den Bierkorken knallen und beginnt zu erzählen:

„Heute habe ich an diesem Reiter aus der Tang-Dynastie gewerkt, China, 9. Jahrhundert. Bei der asiatischen Kunst ist derzeit das größte Volumen, Riesenausstellungen und Riesenverkäufe.“

Einige Kollegen, sagt er, seien zum Teil heftig gebeutelt von der Krise. Fritz hingegen plagen derzeit keine Sorgen dieser Art, eher im Gegenteil:

„Seit 1979 bin ich selbständig und ich habe noch nie – auch wenn sechs Leute bei mir gearbeitet haben – eine Minute daran verschwendet, darüber nachzudenken, wo die Arbeit herkommt. Ich hinke sogar immer etwas meinem Pensum hinterher.“

Inzwischen ist der Tiroler längst einer der etablierten Restauratoren der Vereinigten Staaten. Holz, Keramik oder Metall aller Art und jeder Epoche gehören zu seinen Spezialgebieten. Ein paar Minuten zu Fuß durch den Central Park braucht Fritz von der Wohnung in der 76. zum Atelier in der 51. Straße. Das Türschild ist abmontiert und im Telefonbuch ist er auch nicht zu finden. Um keine potentiellen Diebe anzulocken. Hierher findet nur, wer soll. In dem bescheidenen Kellerstudio sieht es aus, als hätte man versucht, sämtliche Antiquitäten der Stadt auf 70 m2 unterzubringen. Auf dem Weg zum WC sollte man sich jedenfalls vorsichtig bewegen, will man nicht versehentlich in die Scherben einer chinesischen Ching-Vase treten, oder den Deckel einer viktorianischen Schnupftabakdose vom Regal stoßen.

„Ob Kunstrichtung oder Herkunftsland, bei mir gibt es fast alles. An einem Tag arbeite ich manchmal parallel an einem Picasso-Teller, einer Rodin-Skulptur und einer Giacometti-Figur.“

Das renommierte und weltweit agierende Auktionshaus Christie’s ist mittlerweile Stammkunde des 64-Jährigen. Zu den teuersten Exponaten, die jemals durch seine Hände gegangen sind, gehört eine Serie von Fabergé-Eiern (Gesamtwert rund 50 Millionen Dollar) und eine Skulptur von Brâncuşi (Schätzwert 25 Millionen Dollar). Nicht zuletzt zählen ein paar Dutzend der vermögendsten Kunstsammler New Yorks zu seiner Klientel. Der Versuch, ihm ein paar klingende Namen zu entlocken, wird allerdings nur mit einem verschmitzten Lächeln quittiert:

„Diskretion ist in meiner Branche oberstes Gebot. Viele Kunden wollen auf keinen Fall, dass ihr Name in Zusammenhang mit diesem oder jenem Kunstwerk genannt wird.“ Nach einem kräftigen Schluck Bier fällt dann aber doch ein Name: „Mit Lauren Bacall hatte ich öfter zu tun. Ihre Wohnung in Dakota ist so groß, dass meine fünfmal hinein passt. Die ist voll mit Kleinskulpturen von Henry Moore und jeder Menge anderer Kunst.“

Der Weg zu Bacalls Wohnung war ein langer: Geboren wird Fritz Mang 1944 in Kitzbühel als zweitjüngstes von fünf Kindern. Die siebenköpfige Familie lebt in einer bescheidenen Innsbrucker Wohnung, die sie sich mit Tante, Großmutter und Schäferhund teilt.

„Wir haben viel Polenta und Kartoffeln gegessen, wir kannten es nicht anders. Durch Tante und Oma war alles entspannter, ansonsten war die Rollenverteilung daheim klassisch: liebende Mutter, strenger Vater.“

Der kleine Fritz, der laut Taufschein eigentlich Friedrich heißt, fühlt sich bald zum Schifahren und Fußballspielen weit stärker hingezogen als zu Goethe und Algebra. Ohne besondere Lust müht er sich von Schuljahr zu Schuljahr, meistens mit der einen oder anderen Nachprüfung. Eines Sommers zeigt sich sein handwerkliches Geschick, als ihn seine älteren Brüder mit zarten dreizehn das erste Mal zum Arbeiten auf den Bau mitnehmen. Mit vierzehn wechselte er schließlich an die Gewerbeschule für Dekorationsmalerei:

„Erst in der Gewerbeschule hab ich erlebt, wie man sich fühlt, wenn man in der Schule nicht schlecht ist. Die wichtigen Techniken hab ich nicht auf der Uni gelernt, sondern dort: Wie man einen Pinsel in die Hand nimmt, wie man Farbe mischt oder wie man eine Stuckatur macht.“

Anstatt im Sommer am Bau zu jobben, tingelt Fritz nun mit dem Maler-, Vergolder- und Restaurierbetrieb Dialer von einer Tiroler Kirche zur nächsten und sammelt erste Arbeitserfahrungen als Restaurator.

„Freskenwaschen, Vergolden oder Marmorierungen ausbessern, alles was mit Kircheninterieur zu tun hat, haben wir gemacht. Meistens hat man die ganze Woche beim Messner gewohnt, wurde am Freitag abgeholt und hat sein Lohnsackel gekriegt.“

Nach Schulabschluss und Bundesheer hat Fritz jedoch fürs erste genug von Tiroler Kirchen und geht nach Wien. Nach bestandener Aufnahmeprüfung beginnt er mit dem Studium der Malerei an der Angewandten.

„In Wien hat man sich als Künstler gefühlt. Das Leben hat sich vor allem beim Heurigen und im Kaffeehaus abgespielt, da haben wir diskutiert, wie wir die Welt verbessern können. Wirklich lernen musste man ohnehin nur für Darstellende Geometrie. Ansonsten war es an der Uni entspannt, es ging um Kontraste, Formen, die Philosophie der Kunst und dergleichen. Mein Lieblingsprofessor damals war der DDr. Hugo Ellenberger, der voll Stolz von sich behauptete, der meistbelesene Mann Mitteleuropas zu sein und seine Vorlesungen stets in perfektem Burgtheaterdeutsch hielt – sehr unterhaltsam!“

Nach vier Jahren schließt Fritz die Angewandte ab. Er verliebt sich, heiratet und baut sich ein ruhiges Leben in Wien auf, nimmt verschiedene Jobs an und geht der Malerei nach. Doch dann kommt plötzlich der entscheidende Sinneswandel:

„Wir hatten eine Wohnung in der Nagelegasse und ein Haus im Waldviertel. Ich hab mir gedacht, eigentlich ein kommodes Leben hier in Wien. Aber kommod allein ist eben auch nicht alles. Plötzlich habe ich mich zu jung für all das gefühlt, ich wollte noch etwas erleben.“

Fritz plant eine Ortsveränderung und fliegt 1973 in die USA. Mit 600 Dollar in der Tasche und dem Vorsatz, sich nur eine kurze Auszeit zu gönnen, landet er in New York. Vom neuen Umfeld inspiriert, vergeht die Zeit für den damals 29-Jährigen wie im Flug. Einige Wochen lang lebt er mit einer Österreicherin in Queens, einem Wohnviertel im Westen der Stadt, ergreift aber auch von dort bald die Flucht und beschließt, sein Glück in Manhattan zu versuchen. In einem Straßencafé lernt er einen jungen Polen kennen, der sich als Allroundhandwerker und Bastler vorstellt. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Das Angebot, sich in seinem Dachboden in der 24. Straße einzunisten, nimmt Fritz dankend an. Sanitäranlagen gibt es dort zwar keine, dafür eine ganze Legion von Kakerlaken. Sein polnischer Freund verschafft ihm Gelegenheitsjobs: Boden abschleifen, Fenster abkratzen, für drei oder vier Dollar die Stunde. Er inseriert in der jüdischen Immigrantenzeitung „Aufbau“, bekommt schon bald erste Aufträge als Dekorationsmaler für Volkskunstdesign und kann sich den Umzug in eine neue Wohnung leisten. Immer wieder verlängert er erfolgreich sein Visum. So werden aus dem geplanten Kurztrip schließlich anderthalb Jahre.

„Da dachte ich mir, dass es höchste Zeit ist, wieder nach Wien zurückzugehen. Ich hab mir aber nur ein One-Way-Ticket besorgt und während des gesamten Fluges Für und Wider abgewogen: Wien oder New York. Als mich dann mein Freund Armin und meine Frau abgeholt haben und wir über die Simmeringer Hauptstraße gefahren sind, da wusste ich plötzlich, dass ich nicht hier bleiben will.“

Nach der Scheidung von seiner Frau kehrt Fritz ein Monat später nach New York zurück, ohne Rückflugticket. Der Gelegenheitsjobs und des Pfuschens überdrüssig, begibt er sich auf die Suche nach einer fixen Anstellung und wird fündig. Eine Bekannte vermittelt ihm einen Job als Möbeldesigner in einem Stahlwerk in der Bronx.

„Der Chef sagte, ich könne sofort anfangen. Geregelte Arbeitszeiten, gute Bezahlung. ‚Ein echter Glücksfall!‘, dachte ich mir. Ich bin dann am nächsten Tag zeitig rausgefahren; so früh war ich überhaupt noch nie in einer Subway. Als die Bahn wieder aus dem Untergrund nach oben kam, hab ich mir die Gegend und die griesgrämigen Gesichter der Leute angeschaut und mir gesagt: ‚Fritz, du spinnst! Da willst du jetzt immer hin- und herfahren, jeden Tag in einer hässlichen Bude arbeiten und dafür bist du in New York? Da gehst du lieber auf die Alm Schafe hüten!‘ Bei der nächsten Station bin ich ausgestiegen, habe den Chef angerufen und gesagt: ‚Ich kann nicht.‘“

Anstatt sich auf ein abgesichertes Leben einzulassen, bleibt Fritz also lieber unabhängig und sucht erneut über Inserate in deutschsprachigen Zeitungen Jobs in der Baumalerei. Schon bald bekommt er lukrative Aufträge. Meist sind es wohlhabende Witwen mit einer Schwäche für alpenländische Volkskunst, die ihn engagieren. Türen, Fenster, Schatullen, Schränke – alles wird von Fritz mit folkloristischen Blumendesigns bemalt. Das Geschäft beginnt zu florieren, der geschickte Tiroler wird in den New Yorker Nobelbezirken weitergereicht und knüpft zahlreiche Kontakte. Immer häufiger wird er damit betraut, Wohnungen komplett zu sanieren und einzurichten. Ob Fliesenlegen, Möbelbauen, Ausmalen – Fritz traut sich viel zu und macht alles.

„Ich war naiv, voller Selbstvertrauen. Vieles konnte ich von meiner Zeit am Bau, anderes von der Gewerbeschule. Auf einer Party habe ich mir dann eine Amateurcrew zusammengesucht. Da war alles dabei, vom ungarischen Alkoholiker bis zum Yale-Studenten, der mal was mit seinen Händen machen wollte. Natürlich haben wir auch immer wieder dumme Fehler gemacht, z. B. haben wir bei einem Jacuzzi-Einbau einmal den Motor vergessen. Aber die meisten Kunden hatten zum Glück erstaunlich viel Humor.“

Eines Tages lernt Fritz einen anderen Fritz aus Tirol kennen. Fritz Pohl, österreichische Eishockey-Legende und Geschäftsführer eines Restaurationsateliers in Manhattan. Der Ex-Sportler hat vom Handwerk selbst zwar wenig Ahnung, dafür aber sehr gute Verbindungen. Fritz wird Teil des Teams. Er gibt das Wohnungsumbauen auf und konzentriert sich ganz aufs Restaurieren. Er macht sich mit den verschiedensten Materialien vertraut, verfeinert seine Arbeitstechnik und knüpft immer mehr Kontakte in der Kunstszene. Doch nach zwei Jahren zieht es ihn erneut weg und er beschließt, sich selbstständig zu machen.

„Dass in Amerika alles schnellstens machbar ist, hat sich in diesem Fall bewahrheitet. Ich bin in der Früh zu einem Makler gegangen, hab am nächsten Tag den Mietvertrag unterschrieben, den Boden lackiert, ausgemalt, ein paar billige Möbel reingestellt und hab drei Tage später eine Party veranstaltet, zu der alle Händler und wichtigen Leute, von denen ich geglaubt habe, Arbeit zu bekommen, eingeladen waren. Und so war ich innerhalb von einer Woche im Restaurations-Business.“

Fritz ist Mitte dreißig und in New York angekommen, endgültig. Mit Hilfe seiner Freunde bekommt er eine Greencard und somit uneingeschränktes Bleiberecht in den Staaten. In dieser Zeit lernt er auch seine jetzige Frau, die Wiener Stewardess Katja kennen. Die Geschäfte laufen bestens, er bekommt erste Aufträge von Christie’s und großen Majolika-Händlern. In seinem Atelier beginnen sich zerbrochene Ming-Vasen und Wucai-Schalen zu stapeln, deshalb beschließt Fritz, Assistenten einzustellen.

„Die erste war Angela Hans, eine Salzburgerin. Sie hat mir geschrieben, dass sie restaurieren könne und Arbeit suche. Vorgestellt hat sie sich dann mit Punkhaarschnitt, einem zu großen Männerhemd und zwei verschiedenen Socken. Ich hab mir gedacht: ‚Warum nicht? Wegen der Optik – ich hatte früher lange Haare und Bart – hat mich auch nie jemand eingestellt.‘ Angela hat dann gut gearbeitet, meistens zu Punkmusik.“

Viele Studenten, etwa aus Finnland, Russland und den USA, folgten. Viele ließ Fritz in einem kleinen Nebenzimmer des Ateliers wohnen, da eine Wohnung in Manhattan für die meisten unleistbar war. Auch in der Restaurationsklasse der Wiener Angewandten sprach es sich schnell herum, dass es einen Tiroler in New York gebe, bei dem man ein Praxissemester absolvieren könne. Die Nachfrage war groß. Unter den Studenten, die sich der Mang’schen Schule unterzogen haben, war auch Peter Berzobohaty, heute einer der bekanntesten Restauratoren Österreichs und unter anderem zuständig für die Übersiedlung der berühmten Weiler-Fresken am Innsbrucker Hauptbahnhof. Einige der ehemaligen Praktikanten sind in New York geblieben. Angst davor, sich Konkurrenz im eigenen Revier zu züchten, hatte Fritz aber nie.

„Ich hab mich immer auf meine Stärken verlassen, wie etwa meine Routine oder das Talent zu improvisieren. Wenn dir eine bestimmte Farbe oder ein Werkzeug fehlt, musst du flexibel sein und einen anderen Weg finden. Außerdem: It’s about confidence! Wenn ich, wie manche junge Kollegen, dauernd die Zuständigen bei Christie’s fragen würde, wie sie es gerne hätten, würde sie das nur verunsichern. Ich sag meistens: ‚Ich weiß, wie’s geht!‘ Dann sind sie befriedigt. Wenn’s dann auch stimmt und sich das Objekt gut verkauft, hat man das Vertrauen gewonnen.“

Was seine Aufträge anbelangt, kann Fritz es sich inzwischen leisten, wählerisch zu sein. Nächte und Wochenenden durcharbeiten wie früher – so etwas passiert nur mehr in Ausnahmefällen. Und auch von Kunden-Deadlines lässt er sich nicht mehr so leicht beeindrucken.

„Bei manchen lästigen Anfragen sag ich, ich muss auswärts für diesen oder jenen arbeiten, in Wirklichkeit bin ich aber am Golfplatz. Das Spiel macht süchtig! Aber wenn ich Leute sagen höre, dass sie in Rente gehen und nur mehr Golf spielen – das könnte ich nicht. Denn die Arbeit macht mir noch immer Spaß, wahrscheinlich werde ich immer arbeiten.“

Auf die Frage, ob eine Rückkehr in die alte Heimat für ihn irgendwann denkbar sei, nimmt Fritz noch einmal einen ordentlichen Schluck.

„Ich hab das schon einmal mit Katja besprochen. Sie hat mit einem wissenden Lächeln gesagt: ‚Wenn, dann gehen wir nach Tirol, da machst du Schitouren und gehst wandern. In Wien sitzt du nur mit deinen Freunden im Beisl und ihr redet und trinkt.‘“

Wahrscheinlich tschechisches Bier.

 

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