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Im Malerhimmel

Gottfried Bechtold hat den Umschlag dieser Ausgabe und fünf Doppelseiten im Heftinneren gestaltet: Er lässt dabei sieben bunte Malerstaffeleien sanft in den Himmel schweben. Merkwürdige Sache für einen Mann, der vor fast 40 Jahren mit dem „Betonporsche“ berühmt wurde. Ein Porträt des Künstlers von Sylvia Taraba.

Ich habe Gottfried Bechtold über seine Arbeit kennengelernt. Genau genommen habe ich ihn als Künstler, der intuitiv das Paradoxe sucht, wahrgenommen.
Heute weiß ich: die Paradoxie ist der wesentliche Aspekt der Erkenntnis. Sie wird durch die klassische Logik, deren oberstes Gesetz sie ist, antagonistisch bekämpft. Das ist vermutlich der Grund, warum Künstler von ihr angezogen sind. Sie blitzte in Bechtolds Arbeiten auf wie ein kryptisches Verkehrszeichen. Für mich wie ein Richtungspfeil: Hier entlang sei Forschung zu betreiben. Ich war damals Künstlerin, auf der Suche nach meiner Aufgabe in der Kunst. Das zeichenhaft und materiell dargestellte Paradoxon macht das gesamte Werk Bechtolds zu einem zwischen zwei Seiten changierenden brillanten Gedankenspiel. Ich erlebte es als eine Art vertrautes Glitzern aus der Ferne, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog, wie der Sternenhimmel. Die Person war für mich mit einem wahlverwandtschaftlichen Sehnsuchtspotential ausgestattet. Dass sie auch noch mit dieser heiter-lapidaren Grunddisposition durch die Welt ging, empfand ich als hinreißend. Lange bevor ich ihn persönlich gesehen hatte, hatte ich das Katalog-Foto gesehen. Da ist er von der Seite abgebildet. Ein kleines Schaf hingegen, das er im Arm hält, schaut unschuldig ins Bild.
Ich hörte, dass Gottfried Bechtold 1976 ein von ihm ausgestelltes Foto-Triptychon auf Beschluss der örtlichen Sittenkommission wieder entfernen musste. Zum Thema Akt hatte er im Feldkircher Palais Liechtenstein auf fünf Foto-Tafeln eine in variierenden Distanzen fotografierte Vulva auf Waldboden gezeigt. Letzterer drückte sich auf der Haut des zugehörigen Hinterns ab und erzeugte zusammen mit der dunklen, nadelig-vegetabilen Umgebung eine Atmosphäre verbotener Spiele und heimlicher Lust. Diese irritierende multiple Nahsicht war je hinter einem adretten Vorhang verborgen. Der Ausstellungsbesucher musste also die duftigen Textil-Teile zuerst zwischen zwei Finger nehmen und beiseite ziehen, um die Fotografien zu betrachten. Vermutlich wenige haben (bis heute!) den wirklichen Witz der Abhäng-Verordnung verstanden, viele den „Skandal“ darin gesehen, dass die „Freiheit der Kunst“ im Ländle nicht gegeben war. Die Mehrheit fand es skandalös, ein anstößiges Sujet auszustellen.

Schon Gustave Courbets L’origine du monde, entstanden um 1866, ein in Öl gemaltes weibliches Geschlechtsteil in frontaler Nahsicht (ursprünglich gemalt für den türkischen Diplomaten Khalil Bey), wurde als nicht salonfähige Zumutung über Jahrzehnte verborgen gehalten und fristete bis vor kurzem seine Existenz als Erotikon. Es blieb unter wechselnden Privat-Besitzern (zuletzt Jacques Lacan) stets hinter Tarnbildern verborgen und nur eingeweihte Liebhaber des Genres konnten einen Blick auf denn geheimnisumwitterten Ort werfen. Seit 1995 ist L’origine du monde im Pariser Musée d’Orsay erstmals öffentlich zu sehen.

Ironisch hielt selbst Marcel Duchamp es noch der ganzen Mühe wert, Étant donnés … den Blicken zu entziehen. Die aufwändige Teil-Darstellung einer Leder-Puppe, daliegend in Zeigestellung mit entblößter Vulva war erst 1987 öffentlich – nach penibel notierter Anleitung und posthum – im Philadelphia Museum of Art aufgebaut worden. In den dafür konzipierten, hermetisch geschlossenen Raum kann man seither durch ein winziges Guckloch in einer verschlossenen Türe hineinschauen und den „gegebenen“ Ursprung der Welt betrachten – und – man wird dabei von anderen gesehen und beobachtet.
Dies macht dort die philosophische Hermetik, die Ironie, den Witz und das Anstößige zugleich aus.
Denselben Effekt haben die verbergenden Vorhänge, die Bechtold intuitiv vor seinem fünfteiligen „Triptychon“ der Wald-Vulva angebracht hatte. Man muss als Betrachter aktiv werden, um das Bild zu sehen, und man konnte dabei 1976 in Feldkirch beim Beobachten beobachtet werden. Letzteres scheint mir der tiefere Grund dafür zu sein, dass das hintergründige, vielschichtige Sujet damals entfernt werden musste.

Gottfried Bechtold besitzt Witterung für das Wesentliche. Er folgt fraglos, wie selbstverständlich seiner Intuition. So greift er auch das Paradoxe traumwandlerisch auf, wo er es findet, und ist immer gut für paradoxe Interventionen. Manch einer könnte von Gottfried Bechtolds Liebenswürdigkeit im Umgang mit Menschen, seiner Unbeirrbarkeit hinsichtlich des Kerns einer Sache erzählen sowie von verblüffenden Argumenten, die Einsicht in komplexe Zusammenhänge gewährten oder ein umwerfendes Aha-Erlebnis provozierten. Er ist privat wie öffentlich eine Herausforderung für die Menschen seiner Umgebung. Wer sich ihr stellt, macht erstaunliche Erfahrungen. Seiner Tochter Ulli blieb, laut eigenen Worten, einmal der Mund offen stehen, als er vor ihren Augen in einem Lokal die Geldbörse zog und einem jungen Burschen, der ihn mit seiner Jammerei behelligte, 1000 Schweizer Franken (von 3000 gerade verdienten) in die Hand drückte.
Das Thema „Ursprung der Welt“ auf der einen Seite sowie der „das Weibliche beobachtende Beobachter, der seinerseits beim Beobachten beobachtet wird“ auf der anderen Seite ist nun nicht nur wiederkehrendes Thema in Naturwissenschaft und Kunstgeschichte, sondern etwas, woran die Philosophie sich bisher nicht gerade erfolgreich abgearbeitet hat.
Von der Hegel’schen Annahme her betrachtet, dass die klassische Logik einen paradoxen Gesetzgeber hat, ist Realität paradoxen und logischen Ursprunges in einem. Ihre Wirklichkeit / ihr Pendant – das Nichts – ist, qua des blinden Flecks des Beobachters (nämlich selbst (das) Nichts zu sein) uneinsehbar. Dies wird nicht gern eingesehen, aber umgekehrt wird der Ort des Überganges gerne angesehen. Die weibliche Scheide kann so als Interface und Kipppunkt gedeutet werden, wo die Nicht-Unterscheidung übergeht in die Unterscheidung von Pornografie und Metaphysik und vice versa. Die Vulva – die Mandorla der Erscheinung – überrascht dann reell als banaler, empirischer Ort, an dem das Paradoxe sich notwendig vollzieht, wo es rätselhaft erscheint und verschwindet, und wo das je und jäh Unterschiedene wieder eintritt in seine Unterscheidung.
Mathematisch und logisch konsistent dargestellt wird der Kalkül der Ersten Unterscheidung, Bezeichnung und Erscheinung sowie seine re-entry in das Unterschiedene in dem 1969 erschienenen Buch Gesetze der Form (Laws of Form) von George Spencer Brown. Ich habe seit 1990 in diesem Sinn Archäologie betrieben. Die imaginären Implikationen und reellen Folgen der Ursprungsformel „Triff eine Unterscheidung“ sind zu meinem philosophischen Lebens-Thema geworden, der Mann und Künstler Gottfried Bechtold zu meinem Beobachter und Liebes-Schicksal – beides rekursiv und vice versa.
Er hat ein Selbstverständnis, das sich von nichts und niemandem ins Bockshorn jagen lässt. Bei einer Vernissage in Wasserburg hatte er einem Journalisten, der sich ihm gegenüber nicht korrekt benommen hatte, tatsächlich und regelrecht ans Bein, nein, besser noch, seitlich in den Hosensack hineingepinkelt. Ich war beeindruckt. Diese Art der unumwundenen Reaktion auf Zumutungen von außen bewunderte ich, mir mangelt es daran.
Bald lernte ich seine selbstverständliche Seite auch privat kennen. Bei einer euphorischen Fahrt in den Wald hing plötzlich ein Rad in der Luft. Flugs stützte ich den Jeep unter Einsatz meines Lebens. Er saß locker am Steuer und gab Gas, sodass die drei bodenständig verbliebenen Reifen durchdrehten und sich natürlich bald in den weichen Boden fraßen. Doch Rettung nahte, ehe ich mich noch ganz geopfert hatte. Ein professioneller Waldmann, anagitiert vom unentwegten Aufheulen des Motors und meiner Bitte um Hilfe, legte schließlich mit Hand an und schob. Doch Gottfried ließ der in meiner Not herbeigerufene Beistand ungerührt. Er fuhr lässig an und während ich mich vielmals bedankte und noch nachwinkte, gab er schon wieder Gas. Er hatte diese überflüssige Anrufung und waldmännische Einmischung für unnötig befunden.

Als Bechtold für den Vorplatz des Vienna International Center monatelang in der Weltgeschichte herumreiste und nach Megalithen suchte und wir (offiziell) noch kein Paar waren, überbrückte er die Trennung mit nachhaltigen Metaphern. Einmal schob er mir ein Kuvert mit einem Caspar David Friedrich-Dia durch den Postschlitz. Das Bild mit den zwei einsamen Gestalten mit Hut, die in einigem Abstand voneinander am Meer stehen, und hinausschauen auf den Horizont.
Eine Liebe ist eine Liebe ist eine Liebe.
Viele fragen sich, was Gertrude Stein wohl gedacht hatte bei ihrem berühmt gewordenen Nicht-Satz „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose …“
Das fehlende Prädikat bewirkt die momentane Aufhebung des Bedeutungstransfers des Satz-Subjekts. Quasi ein Schnappobjektiv, das die Rose aus jeglicher Konnotation herausnimmt: Poetik und Auto-Poiesis liegen im Ding selbst. Es ist, was es ist, – das heißt, als was es unterschieden ist und als was es sich unterscheidet. Es ist immer selbst schon Dichtung. Es gibt tautologisch sich selbst. Jedes Ding ist Abbild des Identitätssatzes. Die Tautologie entspricht dem Gesetz des Nennens, sie ist die ontologische Behauptung und konstruktive Bezeichnung, ohne einen Bedeutungszusammenhang zu berücksichtigen. Eine Rose ist nicht taufrisch, die schönste, prächtigste Blume des Gartens, Gärtnerglück, begehrte Liebesgabe oder Metapher für das Brechen der Unschuld, die Vergänglichkeit aller Schönheit, sondern als „Rose“ ein unerklärtes Rätsel. Hermetisches Geheimnis und banales Faktum.
Duchamps Readymades spielen auf dieser Klaviatur zwischen Paradoxie und Tautologie. Sie sind, was sie sind, „gegebenes“ Ding und Kunst-Ding in einem.
Das Spiel mit der Tautologie und ihrem Gegenspieler – der Paradoxie – besitzt bei Gottfried Bechtold mehr Selbstverständlichkeit. Er ist witziger – und natürlich freier als Duchamp. Er spielt mit größerer Virtuosität, mit enormer Kreativität und, wenn es sein muss, mit heroischer Gigantomanie. Die riesige, von Bechtold plastisch-skulptural signierte Silvretta-Staumauer von 2002 ist die eine Seite der Klammer, das 1:1 konzipierte Multiple, der elffach gegossene Neun-Elfer-Beton-Porsche von 2006, die andere Seite – einmal abgesehen von den diversen unausgeführten Mega-Projekten zwischen den Klammern.
Unausgeführt aber höchst aktuell: Bechtold fährt seit fünf Monaten hin und wieder mit einem Panamera Vorserienmodell – einem „Erlkönig“ – herum, einem riesigen schwarzen 600 PS Boliden von Porsche, jenem Modell mit den vier Sitzen und vier Türen für herrliche Spritztouren durch die Anden, den ihm die Firma überlassen hatte, lange bevor der Panamera nun im September 2009 auf dem Markt kam. Mit ein paar Eingriffen wird er dieses Readymade seinem ursprünglichen Nutzen entfremden. Ähnlich, aber doch ganz anders, als er es schon mit dessen Vorgänger, einem Carrera S 997 Vorserienmodell, machte, der ihm 2004 von Porsche überlassen wurde. Er ließ damals das nagelneue, glänzende Kultauto zu einem für viele schmerzhaft empfundenen Würfel pressen. Eingebaute Kameras zeigten, wie sich der Innen-Raum – der Sinn des Autos schlechthin – knirschend einfaltet und der Porsche in einem nachvollziehbaren Zeitraum verdichtet wird, und so quasi zur inversed sculpture wurde.
Gottfried Bechtolds Paraphrasen über Duchamp und über Readymades sind zahlreich und überall in seiner Arbeit gegenwärtig. Auch kleinste, wie selbstverständliche Eingriffe führen seit Jahr und Tag zu paradoxen Gedankenspielen und Denkergebnissen, die intellektuell und sinnlich große Freude bereiten.

Vor kurzem ist er konzeptuell zum Maler mutiert. Das Maler-Atelier stand schon bereit, als er sich entschied zu erproben, was es bedeutet, ein Maler zu sein. Für die Ausstellung „Schnee“ des Vorarlberger Landesmuseums im Juli 2009 nahm er sich Caspar David Friedrichs Watzmann vor. Er spachtelte subtil – mit kleinen verfremdenden Eingriffen – das kapitulierende alpine Numinose 2009. Seither arbeitet er sich surreal und expressiv an dem Sujet Flugzeug- und Hubschrauberabstürze in den Alpen ab, – ein Thema, zu dem Bechtold größte Affinität besitzt. Da tauchte auch der „Malerhimmel“ wieder auf, ein von ihm bemaltes Readymade-Objekt: eine Daler & Rowney-Ölmalkassette, auf die er voriges Jahr einen Himmel in Öl gemalt hatte. Die stand Pate für eine Serie von „Malerstaffeleien“ für Quart. Doch eine Staffelei ist eine Staffelei ist eine Staffelei. Bechtolds Einsicht und Forscherlust sprengt den Rahmen und geht über die Leinwand hinaus. Warum nicht wieder das Thema der „Befreiung der Malerei“ aufwerfen und es neu interpretieren? Staffeleien als Malgrund verwenden, sie post factum zu Skulpturen erklären, sie vom Utilitarismus befreien, ihnen ihr rätselhaftes Dasein gönnen? Das ist sowieso die Art, wie Bechtold mit „Material“ und „Ding“ umgeht – es hat für ihn Eigen-Leben –, nicht nur wenn er sich damit beschäftigt.
Wenn ich sie da stehen sehe, als ätherische Kompanie von Bauchläden, oder aber in ihrer anthropomorphen Anmutung – einerseits à la folies bergère, in ihrem graziösen Pathos und exaltierter Pose, ihrer sich selbst karikierenden Dreistheit, andererseits in ihrer grundsätzlichen Ähnlichkeit und doch kaprizierten Unterschiedenheit –, möchte ich einem spontanen Lachanfall nachgeben, mich schieflachen, wie meistens bei Gottfrieds „kleinen“ Arbeiten, wenn ich ihrer unvermittelt ansichtig werde.
Seine lapidare Art der Befragung und Hinterfragung der Dinge ist fachlich intelligent und am Puls des jeweils behandelten Objekts – oft umwerfend witzig und zauberhaft poetisch. Er folgt keinen Gesetzen und Moden, aber Impulsen, intuitiven Eingebungen, einem untergründigen Humor und seiner experimentellen Mutwilligkeit. Unter Missachtung der Gebote und der Gesetzmäßigkeiten des Marktes entfaltet er frei und widerständig, intellektuell und handwerklich gediegen seine Kunst.
Die Staffeleien werden ab 5. November 2009 auch in Rom in der Complesso Monumentale di San Michele a Ripa Grande / Ex Carcere Minorile im Rahmen der Ausstellung Cella gezeigt.

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