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Brenner-
Gespräch (5)
: „Yes und nice“

So viele Leute fahren über die Alpen. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch. Folge 5: Stefan Zweifel im Gespräch mit dem Galeristen Thaddaeus Ropac. Da die beiden Tirol nie zeitgleich kreuzten, beschlossen sie kurzerhand ein Zusammentreffen in Paris.

Im Café de Flore will mich Thaddaeus Ropac empfangen, da, wo einst Guillaume Apollinaire saß, von jungen Bewunderern umringt – den künftigen Surrealisten, deren Werk er mit seinem Zauberstab bereits angestoßen hatte. Da saß er und in seinem Kopf trug er eine Granatsplitter-Wunde des Wunderbaren, einen Spalt, durch den er in die Zukunft schauen konnte, der große Kunstkenner und Kunstbenenner – den Kubismus taufte er und den Sur-Realismus auch. Apollinaire.
Wer sitzt heute noch so da, in sich ruhend und nachdenkend? Wo doch alle von Messe zu Messe jagen, von Art zu Art über jene Kotkugel, auf der Damenstrümpfe und Gauguins verkauft werden, wie Walter Serner in „Letzte Lockerungen“ höhnt, wobei man Damenstrümpfe wenigsten begreifen könne, Gauguins dagegen nicht … Eine hysterische Hatz, um Managern auf Bankenfotos einen farbigen Fleck auf der Wand zu verkaufen … Ist Kunst nur noch Foto-Dekor?
Doch als ich Thaddaeus Ropac im Café de Flore gegenüber sitze, scheint er ganz in sich zu ruhen, sich zu freuen wie ein Kind auf eine Stunde des Gedanken-Spielens, wenn man Thesen aufbaut und zuschaut, wie sie mit der nächsten Wortwelle in sich zusammensinken – ganz Kind auch freut er sich auf den Atelierbesuch am nächsten Tag bei Anselm Kiefer, für dessen Haus A.E.I.O.U. in Salzburg er gerade kämpft. Er sitzt da, neben ihm die Presse, aufgeschlagen ein Artikel über Munch, ein anderer über Alex Katz, den er jetzt dann gleich in New York besucht, „für 2 Wochen“, sagt er und korrigiert sich: „für 2 Tage“ – also auch Hatz zu Katz?
Er besitzt die Kunst, Zeit zu dehnen –
(Das Gespräch, nur ein wenig länger als eine Stunde, erkundet viel, vieles auch, was hier nicht aufgezeichnet werden konnte, das Zusammenspiel der Künste in Salzburg etwa, wo er mit Roberto Longo und Gérard Mortier Projekte verwirklichte, seine „Ferndiagnose“ über den Wälzer von Jonathan Littell, den er aber für „spektakulär und vielleicht auch spekulativ“ hält, über Bruno Ganz bei den Proben am Burgtheater, als von Kiefers Bühnenbild der Staub rieselte, und ja, auch darüber, dass er noch viel über Arbeiten auf Papier lernen müsse, da er spontan eher von großen Werken angezogen werde.)
So entfaltet er eine Gedankenwelt, eine mental map wie von Franz Ackermann. Im Hintergrund und Hinterkopf die Karte von Paris mit seinen Fixpunkten, dem Restaurant Voltaire, der Buchhandlung Fischbach oder eben dem Flore, ein psychogeografisches Schweifen durch jene Stadt, die er bei der Gründung seines Außenpostens 1990 London vorgezogen hat – was damals viele für einen Fehler hielten, während des british art hypes. Aber gerade der Umstand, dass hier die Zeit von Apollinaire und der großen Kunst-Bewegungen vorbei ist, erlaubt es ihm, mit seiner Galerie Impulse zu setzen. Ich eröffne mit einer wirren Frage:

Stefan Zweifel: Wenn ich mich recht erinnere, hat Andy Warhol 1964 hier in Paris … (Doch noch bevor ich den Satz ausspreche, habe ich mich in zwei Erinnerungsschlaufen verfangen. Denn mit dem Satz: „Wenn ich mich recht erinnere“, beginnt Rimbaud seine „Zeit in der Hölle“. Wie kommen wir aus dieser Hölle heraus, dass immer schon alles gesagt ist?)
Nun, ich möchte dennoch mit dem Satz anfangen: Wenn ich mich recht erinnere …, hat Andy Warhol 1964 in Paris eine Pressekonferenz abgehalten und verkündet, er sei jetzt nicht mehr Künstler. Kommt man aus der Hölle heraus, wenn man heute das Künstler-Sein aufkündigt, weil Kunst gar nicht mehr möglich ist? Oder wäre das nur noch Zitat? Zierrat? Da frage ich mich: Gibt es uns überhaupt? Kann es Sie, sehr verehrter Herr Ropac, als Galeristen, der mit heutigen Künstlern zusammenarbeitet, überhaupt geben, oder sitzen wir hier nur als Traumsplitter von Warhol, also als Splitter eines Traums, den Warhol in jener Nacht von 1964 nach seiner Pressekonferenz in Paris hatte?

Thaddaeus Ropac: Es ist natürlich sehr gefährlich, irgendetwas, was Warhol über Kunst gesagt hat, a) auf die Kunstwelt als solche und b) auf Warhol selbst zu beziehen, der immer mit Sprachfunken umgegangen ist, die sich befeuert und dann selbst ausgelöscht haben. Er hat ja auch gesagt: Jeder Mensch werde in Zukunft für 15 Minuten berühmt sein und hat sich dabei ja nicht ausgenommen. Denn in jener Zeit war es ihm selbst ein Anliegen, wenigstens einmal für 15 Minuten berühmt zu sein. Doch dank seiner Radikalität hat er dann einen Einfluss ausgeübt, den er selbst nie erahnt hat. Die Bedeutung von Warhol kann man im Gesamtbild erst jetzt wirklich begreifen. Das ist auch der Grund, weshalb Warhol heute relevanter ist als beispielsweise 1964, als er diese Pressekonferenz gab, oder zur Zeit seines Todes, 1987.
Mit dieser Ankündigung wollte Warhol die Aufgabe des Künstlers andeuten, sich ständig neu erfinden zu müssen. Aufhören!, sich selbst abschaffen!, um sich dann wieder neu zu erfinden und dadurch die Repetition auszuschließen. Und so das erklärte Ende der Kunst dem Neuanfang der Kunst vorauszuschieben.

Z.: Warten Sie rasch: Ich habe gelesen, dass es bei Interviews mit Ihnen oft zu Ausfällen der Recorder komme … so, und ich schalte nun, voilà, das zweite Aufnahmegerät ein, obwohl Artaud einmal sagte: „Da wo die Maschine ist, ist der Tod.“ Hoffend, dass bei zwei Geräten der Tod den Tod aufhebt und wir durch die dialektische Nacht von Kunst und Kommerz ins Lebendige der Anschauung vorstoßen.
Freilich: Wo die Aufnahmemaschine ist, ist auch die Wiederholung schon programmiert. Wie will man im Reich der Re-Präsentation ins ganz Gegenwärtige gelangen, in die reine Präsenz?
Viele der von Ihnen vertretenen Künstler arbeiten genau damit: mit Wiederholungen, mit Allusionen, Anspielungen, Anverwandlungen. Dies auf der einen Seite, auf der andern: Künstler, die wie etwa Anselm Kiefer vehement einen neuen Anfang suchen, besessen von der Idee, dass man wieder an einen Anfang kommen kann.

R.: Das ist mir zu unklar, dieser „Anfang“. Das klingt mir zu schwärmerisch, weil alles immer ein Anfang ist. Ich weiß nicht, wie das jetzt präzise gemeint ist … ich kann jetzt mit dem Anfang nichts anfangen …

Z.: Es gibt seit Rousseau die Vorstellung, dass das Wissen, die Zivilisation, uns immer weiter vom Anfang oder vom Ursprünglichen wegzieht. Andererseits gibt es auch die Hoffnung, dass man über die Wieder-
aneignung von Wissen zurückfindet, zur vorsokratischen Philosophie, wo der Anfang noch greifbar ist: Eine seltsame Bewegung ...

R.: Nun, bei Kiefer hat der Anfang eine ganz eigene Bedeutung, weil er das Wort selbst, das Wort „Anfang“, zum Thema gemacht hat. Wir haben 2003 in Salzburg eine Ausstellung gemacht, die hieß: „Am Anfang“. Er hat einfach diesen Anfang zuerst in Frage gestellt und dann neu zu definieren versucht. Und zwar nicht durch eigene Einsichten, sondern durch Zitate eines Wissens, das er in sich aufgenommen, erinnernd verinnerlicht hat. Es war ihm wichtig, die Frage des Anfangs nicht selbst zu definieren, sondern nur zu interpretieren. Insofern spielt der Anfang bei ihm eine ganz spezifische Rolle. Bei den anderen Künstlern, mit denen wir arbeiten, kann ich das jetzt nicht so sehen, da ist eher das Im-Fluss-Sein wichtig …

Z.: Wir sitzen im Café de Flore, und bei Ihnen in der Galerie hängt das Bild eines polnischen Künstlers, auf dem Sartre im Café de Flore sitzt: Wie sehen Sie diesen Rück-Bezug, wenn man eine Geste von früher – also Brassaïs Foto von Sartre – übernimmt, wie reagieren Sie auf die Geste des Wiederaufnehmens?

R.: Kunst kann nicht anders funktionieren. Man kann Landschaftsbilder malen und selbst diese sind Zitate von bereits vorhandenen. Oder man kann Porträts malen, und da wiederum kann man sich auf die Gegenwart oder die unmittelbare Umgebung beziehen wie Alex Katz, wo kein historischer Bezug besteht, doch selbst bei ihm heißt ein Werk „Utamaro“ nach diesem japanischen Künstler aus dem 18. Jahrhundert. Solche Rückbezüge sind unvermeidbar und auch erwünscht. Man ist Teil eines Zusammenhangs. Ohne den kann Kunst gar nicht existieren. Überwältigend bei Kiefer ist, wenn er etwa ganz bestimmte und gewaltige Themen der Geschichte aufnimmt und im Werk „Wege der Weltweisheit“ große Denker in Szene setzt oder sich auf die Spuren von Leuten wie Chlebnikow macht, dem russischen Denker, Mathematiker und Philosophen. Künstlern geht es oft darum, bestimmten Figuren der Vergangenheit eine neue Bühne zu geben. Das war immer Teil jeder Generation, das ist sicher nicht neu …

Z.: Sie bemerkten, dass Warhol in den 80er Jahren, als Sie ihn vertreten haben, nicht so einflussreich war wie jetzt?

R.: Ja, absolut. Als ich Warhol anfangs der 80er Jahre kennenlernte, hatte er – vor allem was seine Bedeutung, seinen Einfluss auf die jüngeren Künstlern anging – fast seine gesamte Relevanz eingebüßt. Er wurde von den Kunstkritikern, aber auch von den Kuratoren und einer ganzen Generation jüngerer Künstler kaum mehr beachtet. Hat er sich doch den Porträts von Berühmten, Halb-Berühmten, Reichen und Sehr-Reichen zugewandt und dadurch die Bedeutung, die er davor hatte – gerade durch solche radikalen Gesten wie damals bei der Pressekonferenz in Paris –, verloren. Die Künstler haben ihm dieses Flirten mit dem Glamour, der ursprünglich radikal gewirkt hatte, nicht mehr abgenommen.
Meine Bekanntschaft mit Warhol begann aber viel früher: Ich war etwa 17 Jahre alt und wir sind mit der Schule nach Wien gefahren, weil die Republik Österreich damals eine Sammlung angekauft hatte, die sogenannte Sammlung Hahn. Dieser Ankauf war umstritten, es ging um viel Geld, und die Zeitungen haben darüber sehr polemisch geschrieben. All das habe ich als sehr junger Mensch natürlich nur am Rande mitbekommen. Wir sind also in dieses neu gegründete Museum des 20. Jahrhunderts getrieben worden, als Klasse. Ich war fasziniert. Und das hat sich dann später vertieft: etwa als ich die große Installation „Nasse Wäsche“ von Beuys sah, die die Republik gekauft hat. Oder beim ersten Blick auf Warhols Brillo-Boxen. Das hat mich irritiert, verärgert. Ich war unglaublich in den Bann gezogen. Und so war es Warhol, der in meiner Jugend diese unglaubliche Neugier auf Kunst der Gegenwart ausgelöst hat.

Z.: Warhol hat, wenn wir schon hier vor diesen zwei Aufnahme-Geräten sitzen, davon geträumt, selber eine Maschine zu sein. Haben Sie ihn selbst als Maschine erlebt? Als Kunstmaschine oder Konzeptmaschine?

R.: Für mich als 20-Jährigen Warhol zu begegnen – das bedeutete: jemanden mit einer unglaublichen Distanz zu erleben. Man konnte Warhol überhaupt nicht nähertreten. Da wurde so viel dazwischen geschaltet. Da gab’s in der Factory einen Empfang mit einem Pult, hinter dem Frauen saßen, die teilweise gestrickt und sich mit irgendwelchen obskuren Dingen beschäftigt haben. Dann wurde man in den nächs-
ten Raum geführt, wo der damalige Manager Fred Hughes die Besucher einteilte wie ein Arzt im Vorzimmer. Man saß auf einer Bank und hat sozusagen eine Nummer erhalten, wer wann und in welcher Reihenfolge vom großen Meister seine 15 Minuten bekommt – die meistens nur 5 Minuten lang dauerten ...
Er hat eigentlich immer nur Ja gesagt, Jaaa, Yes … Yes, that’s interesting. Viel mehr kam da nicht raus. Es stand sein Werk da, doch er als Figur blieb völlig abgeschottet. Da war kein Kontakt möglich, über dieses Yes, it’s nice hinaus. Und er hat ganz leise gesprochen, man konnte ihn kaum hören und ich, sehr aufgeregt bei dieser Begegnung, die unglaublich lang erwartet und kostbar war, hatte nie verstanden, was er gesagt hatte. Dabei hat er nur gesagt: Yes und nice. Dann habe ich diese kleine Ausstellung gemacht von den Jewish Portraits, 1984 in Salzburg: Da kam er selber vorbei – für ihn war dieser Salzburg-Aufenthalt überhaupt kein Erfolg. Für mich schon. Für mich war es ein unglaublicher Erfolg, ihn dazu gebracht zu haben, diese Werke zu zeigen, in meiner ersten Ausstellung, obwohl ich keine einzige Zeichnung verkauft habe. Ich war damals wahnsinnig jung und unerfahren. So war es für mich natürlich ein wichtiger Schritt, Beuys und Warhol zu zeigen … und zu sehen, wie das Werk dieser beiden die letzten dreißig Jahre wesentlich geprägt hat und heute – nach dem späten posthumen Triumph von Warhol – ganze Generationen von Künstlern nicht einfach nur beeinflusst, sondern die Kunstszene geradezu definiert ...

Z.: Wie ist das Verhältnis zu einem einzelnen Bild, wenn man es aus dem Zusammenhang einer Werkgruppe, einer Künstlerbewegung herausnimmt und davor steht? Allein? Sicher stehen Sie oft so allein vor einem einzelnen Werk – was passiert da?

R.: Das ist sehr unterschiedlich: Es gibt die Welt der Künstler, die man gut kennt und regelmäßig im Atelier besucht – ein gutes Beispiel ist Kiefer, der eine halbe Stunde vor Paris sein Atelier hat. So oft ich da auch hinkomme, er ist immer wieder in der Lage, mich völlig zu überraschen, mich vor ein völlig neues Werk zu setzen. Und doch ist es Teil einer vertrauten Sprache, die man erlernt hat. Man geht mit dem Künstler weiter, man lernt, wie sich das Werk entwickelt – dadurch entsteht eine Vertrautheit. Und trotzdem, vor jedem Werk wird man irgendwie allein gelassen, man hat dann nur noch das Werk und die eigene Reaktion darauf, die übrigbleibt – und diese könnte nicht unterschiedlicher sein.
Ich denke überhaupt wenig in Schulen. Das wird auch mein Galerieprogramm widerspiegeln – wir haben uns nie auf eine bestimmte Richtung festgelegt. Minimal Art, Conceptual Art oder figurative Malerei ... natürlich muss ich eingestehen, dass es diese verschiedenen Richtungen gibt. Aber vieles wird einfach zusammengefasst, um das Begreifen leichter zu machen. Und da widerfährt vielen Künstlern Unrecht. Ein gutes Beispiel ist Alex Katz, der immer fälschlicherweise der Pop Art zugerechnet wird. Wirklich fälschlicherweise. Das ist der Kunstwelt auch nicht auszureden: Wir brauchen offenbar solche Schulen, dieses Denken in Schulen. Pop Art, sagt man dann, bedient sich vorhandener images, ob das eine Suppendose ist oder ein Porträt von Marilyn Monroe: Das image wird auf die Leinwand übertragen – und dadurch wird das ursprüngliche Bild-Ereignis hinterfragt und hintangestellt. Katz aber nimmt einfach ein Modell aus seinem Umfeld, also nicht jemanden Berühmten, den man wiedererkennt. Deshalb spielt das Wiedererkennen in der Reibung mit dem neuen Bild-Ereignis bei ihm überhaupt keine Rolle. Er malt ganz klassische Porträts in Öl, und doch gilt er als Pop Artist. Auch wir konnten dieses Vorurteil nicht ausräumen, weil einfach zu gern in Schulen, Richtungen gedacht wird. Ich habe immer versucht, mich dem zu entziehen. Dafür wurden wir auch öffentlich angefeindet. Dass wir keinen klaren Stil hätten ... dabei ist dieses Schul-Denken nicht nur für die Betrachter eine Falle, sondern auch für die Künstler. Nehmen wir einmal die Leipziger Schule, die dabei ist, wieder out zu werden. Viele distanzieren sich nun von ihr. Mit Recht, denn es wurden zu viele offensichtliche Fehlgriffe gemacht. In dieser Absetzbewegung wird jetzt auch vieles weggekehrt, was weiterhin beachtet werden sollte. Das passiert halt immer wieder. Ich wollte nie eine Galerie haben, die einer Schule verpflichtet ist. Ich wurde dafür kritisiert, dass ich mich nicht an ein Programm hielt, sondern sozusagen „richtungslos“ ein paar der sogenannten Neuen Wilden auswählte, aber zur gleichen Zeit Minimal Art zeigte, Carl Andre und andere Künstler, die das Gegenteil verkörperten. Mich selbst hat eben immer die Vielfalt interessiert. Und aus der Vielfalt heraus wiederum die Einzelfigur. Nicht die Strömung.

Z.: Wenn Sie jetzt von der singulären Erfahrung vor einem Bild sprechen – was heißt das als Kunsthändler? Wenn man mit einem Käufer vor einem Bild steht, stellt sich die Frage: Wie wird das Inkommensurable, das Unvergleichbare der eigenen Erfahrung vergleichbar? Und dabei muss man als Händler den Künstler vor dem falschen Käufer und den Käufer vor dem falschen Kaufentscheid schützen.

R.: Nun, da möchte ich mich zunächst wehren: Es gibt einen Unterschied zwischen Kunsthändler und Galeristen. Uns geht es darum, einen Künstler in seinem Universum fassen zu können und ihn dann vermittelnd in den sogenannten Markt einzuführen. Der Käufer ist erst das letzte Glied. Der Kunsthändler hingegen ist jemand, der zuerst den Käufer hat, als erstes Glied, und der dann das passende Werk sucht und anbietet. Bei uns ist die Kette völlig anders. Erst der Künstler, das Werk, dann der Käufer.

Z.: Ich habe gerade bei vielen Leuten einen Balthus hängen sehen und mir gesagt: Das ist aber traurig, dass dieser Balthus ausgerechnet hier hängt, bei diesem Menschen, der doch so offensichtlich keinen Zugang hat.

R.: Das reine Verschwinden in Privatsammlungen wird von uns nicht angestrebt. Und ich werde sogar von meinen Künstlern zum Teil heftig kritisiert, weil ich das ganz offen und transparent benenne. Manchmal bestimme ich, wenn wir eine Ausstellung eröffnen, dass ein Teil der Bilder nur für Museen verfügbar ist. Und da gebärden sich private Käufer zum Teil überaus unerfreulich, weil sie nicht verstehen, dass es solche Restriktionen gibt. Aber zum Glück können wir uns das leisten, solche Vorgaben zu machen – eben um zu vermeiden, dass wichtige Werke in Privatsammlungen enden, wo sie nicht das entsprechende Umfeld genießen und der Öffentlichkeit entzogen bleiben. Wir fühlen uns dem Künstler verpflichtet – weniger dem Sammler. Das ist keine Kritik am Sammler. Denn gerade über die Arbeit mit Museen kamen wir mit Sammlern in Kontakt, die wissen, dass Sammeln nicht nur eine Dekoration von leeren Wänden ist oder das Präsentationsfeld von individuellem Geschmack, sondern dass Sammeln mit Vermittlung zu tun hat – und nicht mit der Demonstration eines finanziellen Vermögens.

Z.: Wenn Sie nun von Kiefer auf verschiedene Denker geführt werden, sagen wir Celan, beginnen Sie sich dann, mit deren Werken zu beschäftigen?

R.: Also ich muss sagen: Mit Kiefer und von Kiefer habe ich am meisten gelernt. Es gibt kaum einen Künstler, der mich gezwungen hat, mich mit so vielen Dingen zu beschäftigen, der mir so viele Welten eröffnet hat. Den erwähnten Chlebnikow etwa, der ist mir vorher nie untergekommen und mittlerweile habe ich viel über ihn gelernt. Celan ist mir als Österreicher natürlich schon vertraut gewesen, schließlich haben wir schon in der Schule die „Todesfuge“ auswendig gelernt. Und auch Ingeborg Bachmann war mir vertraut, das ist ja Standardliteratur. Doch die jüdische Kabbala war mir nicht vertraut, ich wusste nicht, was die „Merkaba“ ist … Ich muss sagen: Ich habe überhaupt so vieles oder das meiste über und von meinen Künstlern gelernt, aber von keinem so viel wie von Kiefer.

Z.: Sich dem Alten zuwenden, den Anfang wiederholen, fremde Anfänge wiederholen: Anselm Kiefer hat ja auch Bühnenbilder gemacht – „Ödipus auf Kolonos“ am Burgtheater. Ein Stück, in dem es um Ödipus geht, der vertrieben ist und heimkommt in den heiligen Bezirk der Gastfreundschaft und sich dem Tod gegenübersieht – sind nicht die Ateliers auch eine Art heiliger Bezirk, wo das Eintreten mit heiligem Schauer einhergeht?

R.: Das ist sicher so, man muss nur aufpassen und darf das nicht zu sehr mystifizieren. Das wird automatisch getan. Auch von mir. Ich erlebe Atelierbesuche ja so intensiv, dass ich damit sofort eine Mystik verbinde. Aber es kann auch eine Gefahr sein, wenn man die präzise Reaktion verliert. Denn den Künstlern geht es mehr um die präzise Reaktion, als um die schwärmerische Bewunderung. Sie wollen schon beides haben, aber wenn man sie vor die Entscheidung stellen würde, was ihnen letztendlich wichtiger wäre, dann wäre ihnen die präzise Reaktion des Betrachters wichtiger als die reine Bewunderung.

Z.: In der Geschichte der Kunst spielt der Tabubruch und Widerstand gegen äußere Zwänge seit je eine große Rolle. Georges Bataille meinte, 1930 seien alle äußeren, gesellschaftlichen Tabus gebrochen worden. Danach aber bleiben innere Tabus, die „innere Erfahrung“, die dem Werk eine irritierende Vibration verleiht. Von außen betrachtet hat man das Gefühl, heute würden immer wieder die gleichen Tabus gebrochen. Wie sehen Sie das bei Gilbert & George mit ihren Shit-Kreuzen – bleibt das voll innerer Kraft oder ist es nur noch äußere Pose?

R.: Ich kenne die beiden seit 25 Jahren und habe gesehen, wie ihre Haltung immer extremer, wie die Künstlichkeit ihrer erfundenen Figur „Gilbert & George“ immer intensiver wurde und dieses Brechen der Tabus zu einer eigenen Sprache geworden ist, zu einer Sprachfindung. Manchmal fragt man sich, ob das wirklich notwendig ist, ob sie gewisse Tabus überhaupt noch erfolgreich ansprechen können. Sie wurden zunächst von der englischen Gesellschaft abgelehnt, wegen gewisser Tabubrüche. Bis das drastisch gewechselt hat: Dann hat man sie bewundert. Auf einmal hat ihre Ausstellung in der Tate alle Besucherrekorde gebrochen. Darauf mussten sie reagieren, wobei in diesem Künstler-Kollektiv, das sie geschaffen haben, der Tabubruch Grundlage der Kreation blieb. Entstanden sind dann diese Shit- und Pissbilder, um diesen erhofften neuen Tabubruch zu erzeugen, der ihnen auch irgendwie gelungen ist.

Z.: Kiefer sagte einmal: Wer heute auf Dada macht, ist ein Spießer.

R.: Ja.

Z.: Dada kann man nicht wiederholen. Und Courbets „L’Origine du monde“? Kommt ja immer wieder als Zitat vor, aber dann bleibt auch der Tabubruch Zitat …

R.: Das kommt ganz darauf an, wie der Künstler es einsetzt. Sie sprechen wohl den englischen Künstler Philippe Bradshaw an, der „L’Origine du monde“ umsetzt in einen Wand-Vorhang aus kleinen farbigen Kettenteilen und darauf ein Video projiziert, wo er Trampolin springt, in diese Vagina hinein- und herausspringt. Fast ironisch, aber trotzdem mit viel Respekt vor dem Original. Natürlich hat das neue Werk bei Weitem nicht mehr die gleiche Wirkung – es kommt eine Verspieltheit dazu und man kann die
Gewaltsamkeit der ursprünglichen Problematik kaum mehr nachvollziehen. Diese Wucht des Tabubruchs erlebten wir mit unserer Ausstellung mit iranischen Künstlern im Frühling 2009, die dann auf die Watchlist des Regimes kamen – doch anstatt ihre Arbeit zu glätten, haben sie nun beschlossen, in ihrer Kritik an den Mullahs noch radikaler zu werden, wohl wissend, damit hinter sich die letzten Brücken abzubrennen – und das brennt sich auch dem Werk ein.

Z.: Kürzlich sah ich einen Film mit Philippe Soupault, der aufgefordert wurde, die Hände vor die Augen zu legen und zu beschreiben, welches Bild ihm vor den Augen erscheint. Das war ein Gemälde des Zöllners Rousseau. Wenn Sie nun – das müssen Sie hier im Café natürlich nicht machen, weil es blöd ausschaut – die Hände vor die Augen legen würden, welches Bild würde dann erscheinen?

R.: Die Frage nach dem favorite artist – das habe ich immer abgelehnt. Aber ein solches Bild wie Soupault zu benennen, ist ja eine Spielerei – und ich kann mich auf die Spielerei einlassen … und um einigermaßen originell zu sein sage ich jetzt: Brâncusis „Bird in Space“, weil wir ja in Kürze in Salzburg unsere neuen Räume eröffnen, spaces … Brâncușis Werk berührt mich besonders, weil er mit space immer auch die Unendlichkeit beschreibt. Die Geburt der Unendlichkeit.

 

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