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„Kopf, Herz und Hand, ein jedes schwillt“

Eine kaum noch vorhandene Burg im westlichen Mittelgebirge und ein prominenter Gefangener, der dort in einem Loch gefangen gehalten wurde: „… an zwei Eisen, eng und schwer, hält man mich fest, ich sag kein Wort.“ – Gerhard Ruiss über Oswald von Wolkenstein und das Vellenberglied.

Sucht man nach Vellenberg, stößt man auf zwei gegen-
sätzlicher nicht mögliche Darstellungsweisen eines nur noch aus Vorstellungen bestehenden Ortes. Für das Tagestourismus- und Ausflugsportal „Sonntagsausflug.at“ präsentiert sich der ehemalige Gerichts- und Jagdsitz Vellenberg in der Nähe von Innsbruck bei Götzens als Ausflugsziel ins Grüne: „Besichtigung nur von außen möglich“, in der Bewertung durch die Tirol-Werbung eignet sich Vellenberg auch als Schlechtwetterbesuchsprogramm: „Also, lassen Sie sich in das Mittelalter verführen und ergründen Sie die Geheimnisse, die hinter den Mauern dieser Burg versteckt sind!“
Der folgende Beitrag erzählt ein Stück Tiroler Geschichte, wie sie in dieser Form und Zusammenstellung üblicherweise nicht erzählt wird, weil einerseits selten sowohl literarische als auch protokollarische Belege zu historischen Vorgängen und Ereignissen vorliegen und andererseits geschichtliches Erzählen zumeist fortlaufend aus nur einem Blickwinkel geschieht.

Vellenberg steht nicht mehr, in der Sprache der Ausflugsempfehlungen „grüßt“ die Burg aber dennoch weiter von ihrem „steilen Hügel zur Straße herüber“. Immerhin unterschlägt das Sonntagsausflugsportal nicht, dass Burg Vellenberg als Gefängnis für die Gegner des Tiroler Landesfürsten Friedrich IV. gedient hat. Tirol-Urlauber, die hingegen dem Tirol-Führer der Tirol-Werbung folgen wollen, erfahren nur noch, dass Vellenberg „um 1500 ein beliebter Jagdsitz Kaiser Maximilians I.“ war. Weder im einen noch im anderen Fall ist etwas über die Bedeutung von Vellenberg bei der Festigung der Macht der Habsburger durch Friedrich IV. in Tirol und über die Rolle, die Oswald
von Wolkenstein dabei gespielt hat, zu erfahren.

Wie die Gefangenschaften in Vellenberg ausgesehen haben, ist anhand der heute knapp über dem Boden endenden Reste der Burg schwer einzuschätzen. Vom zweiten Turm, dem Bergfried, der Mitte des 14. Jahrhunderts zum Gefängnisturm umgebaut wurde, ist heute nichts mehr vorhanden. Oswald von Wolkenstein, einer der drei bekannten Vellenberg-Gefangenen – neben Heinrich von Rottenburg und Aldriget Castelbarco – berichtet von einem „Loch“. Vielleicht in Anspielung auf die seit Mitte des 14. Jahrhunderts bestehenden „Lochgefängnisse“ Nürnbergs, jene Gefangenenzellen, in denen Untersuchungshäftlinge gefoltert wurden und Todesurteilskandidaten einsaßen. Vielleicht meint er aber auch nur ein solches „Loch“ wie das Gefängnis auf der elterlichen Trostburg, in das man mehrere Etagen bis zu einem mit Brettern abgedeckten untersten Keller hinunterstieg, wo niemand mehr aufrecht stehen konnte.

Die Voraussetzungen, unter denen Friedrich IV. sein Amt als Tiroler Landesfürst antrat, hätten nicht schlechter sein können. Im Zug der Habsburger Erbteilung fiel ihm das westliche Habsburger Herrschaftsgebiet, Vorarlberg und Tirol, zu, in dem er von 1405–1410 zunächst erfolglos mit den einfallenden Appenzellern und den aufständischen Tiroler und Trientiner Adeligen beschäftigt war.

Der eine, Friedrich IV., kann gar nicht genug in Tirol anwesend sein, der andere, Oswald von Wolkenstein, kann sich gar nicht oft und weit genug weg von Tirol entfernen.

Stand Lissabon in Septa bei,
half, es den Mauren wieder abzuringen,
mancher von ihnen war so frei,
den Weg hinaus zur Hintertür zu finden.
Granada hätt ich gern besucht,
da würd der rote König mich empfangen,
in meinem schönsten Ritterschmuck,
die Knappen wären hinter mir gegangen,
und nicht ich einem Stubenheizer
die Tischgesellschaft danken.*

Federführend im Widerstand gegen die Politik Friedrichs IV. waren die im „Elefantenbund“ von 1406 vereinigten Starkenberger, Wolkensteiner und zahlreiche andere und die im „Falkenbund“ von 1407 unter der Führung Heinrichs von Rottenburg zusammengeschlossenen Adeligen. Im Trentino kam es zu Aufständen aller Stände. Wirklich Fuß fassen konnte Friedrich IV. in Tirol erst nach dem Rückzug der Appenzeller 1408 und nach seinem Sieg über Heinrich von Rottenburg und die mit ihm verbündeten Bayern bzw. nach dessen Gefangennahme und Einkerkerung von 1410–1411 auf Burg Vellenberg. Kurz nach der Freilassung verstarb Heinrich von Rottenburg vermutlich an Gift und ein Großteil seiner Güter fiel an Friedrich IV.

In Nordtirol bleibt es nach den Friedensschlüssen mit den Appenzellern und den Bayern ruhig, in Südtirol bleibt die Lage unsicher.

Obwohl ich manchen harten Streit
geführt, erlitten hab und ausgefochten,
einen nicht, hat man mir gezeigt,
wie man die Fesseln schnürt bis auf die Knochen,
die Kunst, von der ich noch nichts sah,
habe ich ohne Schaden nicht gelernt,
klag’s Gott, wer was zu klagen hat,
was hat mich von Hauenstein1 nur je entfernt,
ich fürcht den Weg nach Wasserburg2,
bei Nacht, was man nicht sieht und hört.*

Die königlich-kaiserliche Zentralmacht funktionierte schlecht, die regionale Zentralmacht funktionierte auch nicht besser. Der König erhielt von den Kurfürsten nur wenig Unterstützung, der Landesfürst keine von den Tiroler Adeligen. Oswald von Wolkenstein war als Zweitältester durch die Einhaltung des Prinzips des Ältestenerbrechts und des ungeteilten Erbes bei den Wolkensteinern schon ein paar Jahre länger als sein Landesfürst und der 1410 neu eingesetzte römisch-deutsche König Sigmund von Luxemburg auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für eine standesgemäße Existenz. Friedrich IV. fiel durch seine Unterstützung des falschen Papstkandidaten (in der Folge in der Papstgeschichte nicht gereihten Johannes XXIII.) zur Beseitigung des Großen Schismas während des Konstanzer Konzils 1415 beim König in Ungnade, wurde gefangen genommen, konnte 1416 fliehen und wurde erst 1418 unter Entrichtung eines Bußgeldes, mit dem er sich freikaufte, und unter der Vorbedingung der Amnestierung der gegen ihn rebellierenden Tiroler Adeligen vom König wieder in seine Rechte eingesetzt.

Zugleich mit der Wiedereinsetzung Friedrichs IV. in seine landesfürstlichen Rechte bezieht Oswald von Wolkenstein, beim Konstanzer Konzil zum Gefolgsmann des Königs geworden, gemeinsam mit seiner schwäbischen Frau Margarethe die ihm nur zu einem Drittel gehörende Burg Hauenstein bei Seis am Schlern. Die ihm und seinen Miteigentümern zustehenden Erträge aus den zur Burg Hauenstein zählenden Gütern nimmt er allein für sich in Anspruch. Die Voraussetzungen für eine rund ein Jahrzehnt andauernde, erbitterte Auseinandersetzung um Hauenstein sind damit geschaffen.

1420 verlegt Friedrich IV. seinen Regierungssitz von Meran nach Innsbruck. 1421 nehmen die unmittelbaren Kontrahenten im Besitzstreit um Hauenstein Oswald von Wolkenstein gefangen und halten ihn auf der Fahlburg bei Prissian und in Schloss Forst fest. Es gibt Hinweise, dass Friedrich IV. von Anfang an in die Gefangennahme von Oswald von Wolkenstein involviert war, nachgewiesen ist seine Beteiligung aber erst ab Ende 1421 mit der Überstellung Oswalds von Wolkenstein in den fürstlichen Gewahrsam nach Innsbruck zur Beilegung des Streits.

In einem Winkel siech ich fort,
zu Vellenberg, an zwei Eisen, eng und schwer,
hält man mich fest, ich sag kein Wort,
in Gedanken daran, was wohl schlimmer wär.
Mich zu bitten, vorzutreten,
mit solchen Sporen, das möcht sicher reichen,
ausgelassen aufzujuchzen,
in einem schweren, tiefen, langen Ächzen.
Wie ich wen verwunschen hab,
will ich lieber nicht berichten.*

Oswald von Wolkenstein wird zur Regelung der Angelegenheit gegen eine Kaution von 6.000 Gulden entlassen, die einem Gegenwert von rund zehn Prozent der ergiebigen jährlichen Tiroler Erträge aus dem Kupfer-, Silber- und Salzabbau und den Zolleinnahmen entsprechen und für die seine Verwandten bürgen, an die er seine gesamten Mittel verpfändet. Er entzieht sich jedoch in weiterer Folge jedem Regelungsversuch. Als sich 1426 die Brüder von Spaur dem Fürsten unterwerfen, die mehrjährige Belagerung von Greifenstein durch die Kapitulation der Starkenberger zu Ende geht und Parzival von Weineck seine Burg Fragenstein bei Zirl und die dazugehörigen Besitztümer an Friedrich IV. verkaufen muss und er ihm Gefolgschaft schwört, ist es mit der Tiroler Adelsopposition und dem Bewegungsspielraum sowie den Stützpunkten für Oswald von Wolkenstein vorbei.

Meine Not an all den Tagen,
kein König könnte sie mir je vergolden,
mit der großen Angst im Nacken,
man muss selbst büßen ohne ein Verschulden.
Von oben, unten, hinten, vorn,
in Schach gehalten von um mich Postierten:
Achtung, sonst kommt er uns davon!
Und die Mühe war umsonst und alles Schinden.
Sperr die Ohren auf, sagt dein Fürst,
um sie dir vollzusingen.*

„Lieber Getreuer“, lautet die Anrede einer Ladung zum Landtag, die Friedrich IV. Oswald von Wolkenstein für den 16. März 1427 in Bozen zustellen lässt, an dem Friedrich IV. selbst teilnehmen oder einen bevollmächtigten Rat als seinen Stellvertreter schicken will. Als Grund für die Vorladung wird angegeben: „Es geht um allerlei Vorgänge und Missstände, die unsere Lande und Leute erheblich belasten. Wir legen dir auf das dringlichste nah, dich zum genannten Termin einzufinden und dabei mitzuhelfen, diesen Missständen ein Ende zu setzen, sowie eine Regelung zu treffen, mit der im Land wieder Friede und Ruhe hergestellt werden können. Unterlasse es nicht! Dies ist unser Wille!“**

Es wissen ohnehin alle Beteiligten, was geregelt werden soll, also müssen die Einzelheiten erst gar nicht angesprochen werden. Es wissen auch alle, die mit der Angelegenheit zu tun haben, dass ein anderes Ergebnis zur Beilegung des Besitzstreits um Hauenstein und der Konflikte zwischen Oswald von Wolkenstein und dem Landesfürsten sowie der Loyalitätskonflikte Oswalds von Wolkenstein gegenüber seinem König und dem Landesfürsten nicht möglich ist, als eines, das auf Kosten Oswalds von Wolkenstein geht und seine Unterwerfung unter den Willen des Landesfürsten zur Folge hat.

Eine Lösung des Konfliktes schien angesichts der Zustände in Vellenberg nur ratsam:

Ein alter Schwabe namens Plank
war stets um mich, wohin ich mich auch drehte,
ach Gott, wie bitterlich er stank,
als ob ich nicht genügend Sorgen hätte.
Offen am Bein, das übel roch,
streng quoll ihm die Atemluft heraus zum Mund,
dazu stieg ihm von hinten hoch
ein Höchstausmaß an schlechtester Verdauung.
Wenn er im Rhein verloren ging,
dem Rhein hilft das nicht mehr als ihm.*

Oswald von Wolkenstein entschließt sich zur Flucht, entweder nach Wasserburg am Bodensee („denke ich an den Bodensee, sogleich tut’s mir im Beutel weh“) oder nach Wasserburg in Bayern, jedenfalls aus dem Macht- und Einflussbereich Friedrichs IV. Er wird auf der Flucht aufgegriffen, gefangen genommen und nach Vellenberg gebracht.

Den Peter Heizer und sein Weib,
den Plank und einen Schreiber, stets betrunken,
die hielt mir niemand mehr vom Leib,
hieß es, das Brot gemeinsam einzutunken.
Der eine spie’s, der andre hielt’s
bei sich, um’s laut und lang herauszuschießen,
ob’s ihn zerriss, blieb ungewiss
bei soviel Pulver in so schwachen Büchsen.
So viel, so weit zu guten Sitten,
die niemandem was nützen.*

Vom König, der sich mit Friedrich IV. ausgeglichen hat, nicht mehr unterstützt, unter den Tiroler Adeligen politisch auf sich allein gestellt, diktiert ihm Friedrich IV. die Bedingungen seiner Freilassung und Wiederaufnahme in seine Gunst als Landesfürst. Oswald von Wolkenstein muss sich zum Kriegseinsatz gegen die Hussiten verpflichten (an dem sich der Tiroler Adel nur schwach bis gar nicht beteiligte) und für seine widerrechtlichen Nutzungen von Hauenstein 500 Golddukaten Entschädigung leisten. Dafür verbleibt ihm von da an unbestritten Hauenstein.

Der wesentliche Inhalt der Unterwerfungserklärung Oswalds von Wolkenstein zum Abschluss seiner Gefangenschaft auf Burg Vellenberg lautet: „Ich soll und werde, solange ich lebe, keinen Kontakt zu anderen Fürsten, Herren und Gemeinden suchen, ihnen meine Dienste versprechen oder ein Bündnis mit ihnen schließen, ohne Willen und Wissen meines hier genannten gnädigen Herren von Österreich. Insbesondere soll und will ich seinen Angehörigen und Erben, die gleichfalls meine Herren sind, willig, gehorsam und getreulich dienen. (...) Falls ich, der hier genannte Wolkensteiner, oder jemand in meinem Dienst, dieses Versprechen in seiner Gesamtheit oder zum Teil brechen würde, falls ich den Eid, den ich geschworen habe vergessen, nicht beachten oder vernachlässigen sollte, so soll und werde ich allerorts und vor aller Welt, allen Gerichten, geistlich oder weltlich, als ehrloser und pflichtvergessener Mann gelten. In diesem Fall kann mein gnädiger Herr von Österreich oder derjenige, dem er es schriftlich aufträgt, mit mir als einem solchen wie oben bezeichneten Mann verfahren, mit oder ohne Anwendung des Rechts, allein nach seinem Willen, vor dem mich kein Einspruch in Schutz nehmen kann, den wer ersinnen oder vorbringen könnte, vielmehr verzichte ich hiermit ausdrücklich auf Beistand und Hilfe ausnahmslos aller Fürsten, Herren, Landschaften und sonstiger Personen.“**

Die Herrn von Kreig und Greisenegg,
der Moll Truchsess, ein jeder tat das Beste,
der Salzmeier, der von Neidegg,
Freie, Grafen, der Seldhorn, Freunde, Gäste,
sie alle traten ein dafür,
ein Fürst, reich, mächtig, schon dazu geboren,
was will so jemand noch von mir,
als viel zu viel in seinem übereilten Zorn.
Das saß, das sah er ein, einer
wie ich wächst nicht auf dem Baum.*

Oswald von Wolkenstein ist durch seine Unterwerfungserklärung zwar jede andere Gefolgschaft und jedes Rechtsmittel bei durch den Landesfürsten festgestellten Verstößen untersagt, er wird aber dennoch 1431 beim Reichstag in Nürnberg in den Drachen-
orden erster Klasse der engsten königlichen bzw. kaiserlichen Räte von Sigmund aufgenommen und zudem 1434 durch die Übernahme des Anteils der Schwangauischen Reichslehen seiner Frau in den Stand eines Reichsritters erhoben. Er wird aber auch nach dem Tod Friedrichs IV. 1439 bis zu seinem eigenen Tod 1445 in Meran einer der Garanten der Tiroler Landschaft zur Wahrung der Rechte und Besitztümer des noch unmündigen Sigmund des Münzreichen, des Nachfolgers von Friedrich IV. Dessen Vormünder, die Habsburger Herzog Friedrich V. und der spätere römisch-deutsche Kaiser Friedrich III., entlassen Sigmund den Münzreichen nach sieben Jahren Vormundschaft 1446 in die Selbständigkeit zum Antritt seiner Regentschaft in Tirol.

Eigentlich gibt es nicht nur ein Vellenberglied Oswalds von Wolkenstein, sondern zwei Lieder, in denen Vellenberg namentlich genannt wird. Eines über die Ungewissheit seiner Situation als Gefangener, mit dem dieser Beitrag abschließt, und ein ausführliches zweites, mit dem er eine seiner Lebensbilanzen zieht und seine Situation in Vellenberg und den daraus folgenden Neubeginn behandelt, und das diesen Beitrag hindurch zitiert wird.

Wie sehr sich auch sein Treueeid durch zahlreiche Zeugen und Zusatzdokumente zur Staatsaffäre hochstilisiert darstellen mag, in seinem Lied über seine Gefangenschaft und Freilassung aus dem landesfürstlichen Gefängnis in Vellenberg ist von diesem – wohl auch für die Geschichtsbücher mitformulierten – staats-
tragenden Ernst nicht mehr viel übriggeblieben.

Nun, sagte der Fürst, was ist denn,
dunsten soll er, schwitzen, büßen, gut und schön,
soll er immer weiter liegen,
und sonst gibt es gar nichts mehr zu tun für ihn?
Was hilft er mir als Trauernder,
könnte ich mir die Zeit mit ihm vertreiben,
wir beide sängen fa so la,
die schönsten Liebeslieder kann man schreiben.
Es genügt, wenn er Gefolgschaft schwört,
der Rest kann unterbleiben.*

Oswald von Wolkenstein verschafft sich mit seiner Unterwerfung als letzter der aufständischen Tiroler Adeligen nicht nur selbst die Freiheit, sondern darf auch noch einen weiteren Gefangenen von Burg Vellenberg, für den er bürgt, mit sich nach Hause nehmen, Aldriget Castelbarco, entfernter Verwandter der von Wolkenstein, Adeliger aus einer der bedeutendsten Familien des Trentino und laut Oswald von Wolkenstein bis dahin bereits seit achteinhalb Jahren in der Gefangenschaft des Fürsten.

Dann bat ich ihn noch dies und das,
für meinen Freund, dass er ihn auch befreie,
den man im Kerker fast vergaß,
dort zog er viele Jahre seine Kreise.
Er sagte, führ ihn halt mit heim,
er soll bei seinen Freunden Beistand suchen,
ich kam zurück nach Hauenstein,
nie wieder will ich auf den Fürsten fluchen.

Ach, großer, unsichtbarer Gott,
du hast so wunderbar viel auserkoren,
man ist nicht frei ganz ohne Not
und ist gefangen auch nie ganz verloren.
Sei’s Überheblichkeit, sei’s mehr,
er braucht kein Wasser, um die Gier zu löschen,
zieht es mich hin, so zieht er her,
trumpfe ich auf, wird er mich übertrumpfen.
Um den Verstand brachte die Liebe mich
und gleich auch noch um jeden Groschen.

Leider ist das letzte nur zu wahr.
Der Wolkensteiner hat gesprochen.*

Die Absiedlung wichtiger Einrichtungen von Süd- nach Nordtirol war mit der Verlegung des Regierungssitzes 1420 nach Innsbruck noch nicht abgeschlossen. Meran blieb zwar bis 1848, dem Jahr der Flucht Kaiser Ferdinands I. vor der bürgerlichen Revolution in Wien und der Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Innsbruck, die Hauptstadt Tirols, und Sigmund der Münzreiche errichtete 1475 die Landesfürstliche Burg, den etwas kleingeratenen städtischen Wohnsitz der Tiroler Landesfürsten in Meran, siedelte aber zwei Jahre später auch die seit 1274 in Meran beheimatete Münzstätte nach Hall in Nordtirol ab und begann die Innsbrucker Hofburg auszubauen. Der Etschtaler Stammsitz Schloss Tirol verfiel und rückte erst wieder im 19. Jahrhundert, in der Folge der Tiroler Freiheitskämpfe, als „Wiege des Landes“ ins Blickfeld der Aufmerksamkeit.

Vom landesfürstlichen Gefängnis Burg Vellenberg sind im Wesentlichen nur noch die beiden Lieder Oswalds von Wolkenstein über seine dortige Haft erhalten geblieben:

Der Schmerz, der bleibt,
hält meinen Leib zusammen, fest gebunden,
Kopf, Herz und Hand, ein jedes schwillt,
Furcht, Angst in mir, tief unten
haben sie ihren festen Sitz.
Mit Grauen ist mir Nacht für Nacht beschwert.

Mich überzeugt,
hinter vier dicken Mauern weggeschlossen,
lang wie die Nacht, elend der Tag,
kein Sehnen mehr und Hoffen.
Nur manchmal schreck ich auf und hab
von keiner Seite Hilfe, die mich hört.

Vor dieser Welt habe ich Angst,
woran ich schuld soll sein,
und nicht vor Gott, der mich schon lang
erschuf als Wolkenstein.
Der mich tröstet, mir mein Rückhalt,
macht Vellenberg mir jede Freude kalt.***

1   Hauenstein: späterer Wohnsitz Oswalds von Wolkenstein, s. weiter unten im Text
2   Wasserburg: entweder am Bodensee oder in Bayern, s. weiter unten im Text

* Quelle: Gerhard Ruiss / Oswald von Wolkenstein, „Herz, dein Verlangen“, Lieder, Nachdichtungen, Band 2, Folio Verlag, Wien-Bozen, 2008, „Was ich erlebte, Berg und Tal“.
** Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen durch den
Autor.
*** Quelle: Gerhard Ruiss / Oswald von Wolkenstein, „Herz, dein Verlangen“, Lieder, Nachdichtungen, Band 2, Folio Verlag, Wien-Bozen, 2008, „Gelobter Gott“.

 

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