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Constantin Luser


Anfangs türmen sich Geschmeide wie gezeichnete Schnitzereien vor leeren Weißräumen. Später werden sie sich zu einem undurchsichtigen Netzwerk verdichten, ein Knäuel aus Bildern, ein verstricktes Dickicht aus sich verdunkelnden Linien, das keinen Freiblick auf einen Bildträger zulässt. Constantin Luser ist ein Künstler, der über Zeichnung weitertreibt, was waghalsige Vorläufer am Prager Hof Kaiser Rudolfs II. erstmals bravourös probierten. Kunstvoll gedrechselt winden sich Figurinen zu dichten Säulen. Köpfe, Leiber und Profile werden so eng und assoziativ verschränkt, dass daraus kunstvolle Gebilde von verwirrender Respektlosigkeit werden. Nichts darf auf Autonomie und Unantastbarkeit hoffen, weder Menschen noch Tiere, Zeichen, Schriften oder Maschinen. Es geht um eine Bildlichkeit als reine Eklektik. Was ehemals im Manierismus gelehrige Kombinatorik war, ist heute halluzinatorische Kopiertechnik. Luser verwendet Vorlagen aus einer historischen Enzyklopädie und dabei keine digitalen Tricks. Der Grundsatz dieser Ästhetik ist, das Wählerische zum alleinigen Prinzip zu erheben. Die Wirklichkeit verschwindet hinter der Wahlmöglichkeit ihrer Repräsentation. Und gerade diese steht infrage. Denn Bilder bilden weder ab noch nach. Alles was sie tun können, ist, sich selbst zu ersetzen. Das führt zur unausweichlichen Akkumulation, einer Vermehrung als ungebremste Sublimation. Diese Einsicht zeitigt tiefe erkenntnistheoretische Folgen. Denn Menschen, so wusste schon Aristoteles einzumahnen, sind unfähig der wirklichen Neuschöpfung. Was ihnen an kreativer Macht offen steht, ist nur die Kombination von bruchstückhaft Gegebenem. Beispiele dafür gibt es genug, nicht nur bei Luser. Aus der Zusammenstellung von Flügeln und Pferderumpf wird Pegasus, aus dem bekrönten Hahnenkopf mit Schlangenleib der gefürchtete Basilisk, aus Früchten und Blüten eine Jahrszeitenallegorie, aus Mensch und Gazelle der Avatar. Während in den ersten beiden Seiten von Lusers Zeichnung die Formen noch erkennbar sind und klettern, werden sie am Ende der Seitenfolge schließlich buchstäblich eskalieren, über die Auftürmung zur ungehemmten Wucherung drängen. Und es wird uns einsichtig, dass hier nicht eine äußere Welt Darstellung findet, sondern die Auswüchse unserer Kultur in internalisierter Intensität, die Gespinste eines Gehirns, das wir alle sind. (Thomas D. Trummer, Zürich / München, 6. Oktober 2010)

 

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