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Vor Ort oder nicht vor Ort

Dorit Margreiter hat für diese Ausgabe von Quart den Umschlag und fünf Doppelseiten gestaltet. Johanna Hofleitner hat die Arbeit zum Ausgangspunkt genommen, um mit Dorit Margreiter über Absichten, Möglichkeiten, Herangehensweisen, Querbezüge, Spuren und Schleifen dieser und einiger anderer ihrer Arbeiten zu sprechen.

Johanna Hofleitner: Diese Arbeit für Quart – trägt sie einen Titel?

Dorit Margreiter: Nein. Nichts.

H.: Nicht einmal „Ohne Titel“?

M.: Nein – es ist, was es ist.

H.: Wer deinen Beitrag im Österreichischen Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig 2009 gesehen hat, erkennt, dass diese Bildfolge in Zusammenhang damit steht. Was genau hast du in diesem aus insgesamt zwölf Seiten bestehenden Insert abgebildet?

M.: Die Überlegung war, einen künstlerischen Arbeitsprozess in eine gedruckte Form zu bringen. Konkret wollte ich im Heftinneren einen Kameraschwenk über mehrere Seiten abbilden. Dafür hab ich absichtlich ein Sujet gewählt, bei dem jeder Kader ähnlich scheint. Erst beim Blättern stellt man die Bewegung fest. Indem sich Füße durch den Raum bewegen, entsteht zugleich auch der Eindruck einer Tanzchoreographie. Damit wird in dem Insert etwas angesprochen, das mich in meiner Arbeit ganz allgemein interessiert: die Verknüpfung von filmischem und architektonischem Raum.

H.: Während die Doppelseiten im Heftinneren mit dem sich wiederholenden suggestiven Motiv der trippelnden Frauenfüße ziemlich homogen erscheinen, unterscheidet sich der Umschlag: Auf ihm ist – sowohl auf der Vorder-, als auch der Rückseite – nicht mehr als ein angeschnittener Kamerawagen zu sehen.

M.: Durch die Formatbegrenzung führt der Blick der Kamera über den Bildrand hinaus. Zugleich wird, indem sich das Sujet über den gesamten Quart-Umschlag zieht, von der Vorderseite aus auch die Rückseite abgefilmt. Über die Rückseite wiederum scheint die abgebildete Kamera ins Medium hineinzufilmen.

H.: Sie filmt aber auch in den „realen“ Raum außerhalb des Hefts. Indem das Foto angeschnitten ist, scheint die Kamera doch auch über den Heftrand hinaus gerichtet.

M.: Genau!

H.: Warum hast du dich im vorliegenden Fall entschieden, auf Bildmaterial der Biennale-Arbeit zurückzugreifen?

M.: Die Filmstills sind Anschauungsmaterial. In der eigentlichen Installation, 2009, war das filmische Erleben wichtig, was durch die Art der Präsentation – es gab damals ja einen speziellen Einbau für den Projektor – vermittelt wurde. So wie es damals um die Transformation der Architektur in das Medium Film ging, geht es nun um die Transformation von Film ins Printmedium.

H.: Was bedeutet und bewirkt diese Transformation?

M.: Die Sequenz im Film gibt an sich schon eine langsame Bewegung wieder. Die Szene, der die Stills entstammen, ist wenig performativ, sie umfasst eigentlich nur eine Raumdurchschreitung, bei der die Protagonistin einen Halbschritt zurück tritt. Das Printmedium seinerseits bedingt nun eine nochmalige Verlangsamung. Dadurch markieren die Schritte aber auch den Raum. Losgelöst von dem ursprünglichen Kontext, erinnert die Sequenz nun an Tanzschrittnotationen und wirkt wie eine Anleitung für eine Kurzchoreographie.

H.: Warum hast du ausgerechnet das inhaltlich stark konnotierte, klischeehafte Motiv der Frauenfüße ausgewählt?

M.: Es geht mir um den filmischen Blick. Ich wollte das Klischee brechen und anders konnotieren. Es geht auch darum festzuhalten, welche Fragen ein bestimmtes Bild aufwirft. Um was für einen Blick geht es? Wer schaut? Wer steht hinter der Kamera? Das kann ein beobachtender Blick sein, ein sexistischer oder ein begehrender. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau hinter der Kamera steht. Wenn es gelingt, so ein Set von Fragen in den Raum zu stellen, ist schon viel erreicht.

H.: Welche Rolle spielt die Arbeit mit Farbe oder Nichtfarbe? Sowohl für den Film als auch für die Quart-Arbeit hast du dich für eine Schwarz-Weiß-Präsentation entschieden, obwohl das Ausgangsmaterial in Farbe produziert wurde.

M.: Ich habe die Farbwahrnehmung ausgeschlossen, um die Möglichkeiten, zwischen verschiedenen Zeitebenen zu springen, zu verstärken. So könnte das Bild der Performerin durchaus auch aus den 1930er Jahren stammen, die Sockelskulpturen aus den 1960ern, und der von Josef Hoffmann gebaute Biennale-Pavillon, der 1934 enstand, könnte ebenso aus den 1980ern sein. Auf das Printmedium bezogen, wird ein Tanz über die Seiten suggeriert.

H.: So wie du jetzt einen Teil deiner Arbeit „Pavilion“ ins Medium Zeitschrift verschoben hast, hast du dieselbe Arbeit im Frühjahr 2010 für ein halbes Jahr in Hoffmanns Geburtshaus in Brtnice reinstalliert. Was passiert bei so einem Transfer?

M.: Ich habe mich entschlossen, den Raum des Hoffmann-Pavillons mitzunehmen, indem ich das Arbeitsmodell des umgebauten linken Pavillon-Flügels im Museum in Brtnice aufstellte. Dazu habe ich aus dem Fundus des MAK zwölf Hoffmann-Zeichnungen gezeigt, darunter etwa den Entwurf eines Zahnstocherbehälters oder eines Handspiegels. Ich habe jene Zeichnungen ausgewählt, die – obwohl sie immer einen konkreten Gegenstand skizzierten – auch abstrakte oder minimalistische Arbeiten sein könnten.

H.: Der Pavillon ist ein wiederkehrendes Thema deiner Arbeiten. In Venedig war er überdies eine räumliche Gegebenheit. Doch auch in vielen anderen deiner Werke beschäftigst du dich mit Kulissen und temporären Bauten. Warum kommst du in deiner Arbeit immer wieder auf eine Architektur des Scheins zurück?

M.: Im Thema des Pavillons kulminieren für mich zwei Interessen: das Interesse an der Modellhaftigkeit und das Interesse an Architektur. Jede Pavillon-Architektur ist ein Hybrid zwischen gebautem Raum und Modell. Pavillons sind für Architekten Lieblingsprojekte, weil sie keinen anderen Zweck erfüllen müssen, als ein Statement zur Architektur zu sein. Das war bei Hoffmanns Venedig-Pavillon genauso wie zum Beispiel bei Mies van der Rohe. Darüber hinaus aber gibt es ein generelles Interesse meinerseits für experimentelle Architektur, speziell für gescheiterte moderne Architektur mit dem radikalen Anspruch, die Gesellschaft zu verändern. Ein Vorhaben, das, wie wir wissen, nicht geglückt ist – wobei sich die Frage stellt, ob das überhaupt möglich ist.
 
H.: Betrachtet man deine Arbeit im Gesamten, sind einige Konstanten ablesbar: Modellhaftigkeit, Kulissenhaftigkeit, Architektur, das Apparative. Ist es legitim, daraus eine bestimmte künstlerische Herangehensweise abzuleiten?

M.: Meine Arbeit wirkt wahrscheinlich nach außen hin kohärenter als für mich selbst. Aber meine konzeptionelle Herangehensweise ist je nach Fragestellung ganz unterschiedlich. Jeder Ort wirft mehrere Themen auf, fast jede Arbeit lässt Bereiche offen, die ich noch nicht gelöst habe. So habe ich zum Beispiel in Zusammenhang mit modernistischer amerikanischer Architektur vor Jahren begonnen, Inserate zu sammeln, in denen Immobilien berühmter Architekten zum Verkauf angeboten wurden: von Richard Neutra, Frank Lloyd Wright, Rudolph M. Schindler, John Lautner. Anfangs habe ich diese Inserate bloß gesammelt, weil sie mir gefallen haben und weil sich darin ein ganz anderer Umgang mit der Architektur spiegelte als in theoretischen Texten darüber. Es hat mich interessiert, wie ein Einfamilienhaus über die Dekaden zur Ikone wird. In der Serie „Original Condition“ (2006) habe ich dann verschiedene Themen verhandelt, die so ein Ort aufwirft. In diesem Zusammenhang sind aber auch noch andere Fragen übrig geblieben, für die ich bis jetzt keine Lösung gefunden habe, über die ich aber sicher noch einmal eine Arbeit machen möchte: Viele Häuser, die zur Zeit ihrer Entstehung bewusst aus billigsten Materialien gebaut wurden, erlebten, weil sie eben von berühmten Architekten errichtet wurden, im Lauf der Zeit eine Wertsteigerung. Vor diesem Hintergrund habe ich in Los Angeles vor einigen Jahren die Bau- und Renovierungsarbeiten einer Neutra-Villa aus den 1940er Jahren begleitet. Da die Teerpappe komplett ruiniert war, wäre das einzig Sinnvolle ein Abriss gewesen. Zugleich gab es das Dilemma, dass ein gewisser
Prozentsatz der originalen Materialien erhalten bleiben musste, um den Status eines Landmarks nicht zu verlieren … aber genau das macht modellhafte Architektur so spannend, dass man Dinge ausprobieren kann. Als Künstlerin befindet man sich ebenfalls in diesem modellhaften Raum.
 
H.: Das Modellhafte also als künstlerisches Programm?
 
M.: Das Modellhafte ist vergleichbar mit der Inszenierung. Es geht um die Machbarkeit des Temporären – darum, Anschauungsmaterial für einen bestimmten Denkansatz zu haben, das man dann wieder wegräumen kann. Dabei stellen sich immer zwei Fragen. Zum einen: Wie sieht die künstlerische Herangehensweise per se aus? Zum anderen: Was heißt es, diese Fragen dann auch im Alltag realisiert zu sehen? Ein Modell ist immer ein Raum, der gebaut wurde, um den Alltag zu simulieren.
 
H.: Für die MAK-Galerie hast du 2008 zusammen mit der Filmemacherin Rebecca Baron die Arbeit „Poverty Housing. Americus, Georgia“ realisiert. Der ungefähr 14 Minuten dauernde Film wurde zur Gänze vor den Kulissen einer Slum-Replik in einem Themenpark in Georgia gedreht. Auch das also eine Art Modellarchitektur …
 
M.: Es handelte sich dabei um einen pädagogischen Themenpark in den USA, der die Brisanz des Lebens in den südafrikanischen Slums sozusagen anhand von gebautem Anschauungsmaterial demonstrieren sollte. Dazu muss man wissen, dass die Leute, die diesen Themenpark gebaut haben, nie vor Ort waren, sondern nur nach Vorlagen gearbeitet haben. (In einem Begleitfolder wurde argumentiert, dass es zu gefährlich sei, vor Ort zu sein – ein absurdes Statement, wenn man man bedenkt, dass gerade Georgia zu den ärmsten Staaten der USA gehört.) Unser Hauptinteresse war es, das gebaute Bild durch unsere Arbeit zu dechiffrieren. Wir thematisierten mit unserem in diesem gebauten Szenario gedrehten Film die Frage, was es bedeutet, vor Ort zu sein oder nicht vor Ort zu sein. Diese zweifache Transformation – vom Foto zum Gebauten und vom Gebauten zum Bild – hat uns fasziniert. Dem trägt auch der an die Sozialreportagen von Walker Evans angelehnte Titel „Poverty Housing. Americus, Georgia“ Rechnung, der 1936 auf seiner Reise durch Louisiana, South Carolina, Georgia, Mississippi und Alabama im Auftrag der staatlichen „Security Administration“ das Leben in dieser Region dokumentierte. Wie in den Titeln von Evans wird zuerst angeführt, was zu sehen ist, danach, wo die Aufnahme entstanden ist.
Doch um auf die Frage nach der Herangehensweise zurückzukommen: Man fängt irgendwo an und geht entlang der auftauchenden Fragen weiter. Bei „Poverty Housing. Americus, Georgia“ war am Anfang gar nicht klar, ob daraus am Ende ein Film, eine Fotoarbeit oder ein Text entstehen würde.
 
H.: Video spielt in deiner Arbeit als Medium der Aufzeichnung eine zentrale Rolle. Bei der installativen Umsetzung im Raum schaltest du allerdings häufig noch eine weitere Ebene dazwischen, indem die Filme auf 35 mm übertragen mittels Kinoprojektoren vorgeführt werden. Bei der Venedig-Biennale etwa hast du für die Dauer der Ausstellung im linken Seitenflügel durch Einbauten eine temporäre Kinosituation geschaffen. Bei „Poverty Housing. Americus, Georgia“ wiederum sahen sich die Betrachter mit einem im Verhältnis zum Ausstellungsraum viel zu großen Filmprojektor aus dem Kinobedarf konfrontiert. Und das Insert für diese Quart-Ausgabe schließlich wird eröffnet durch die Abbildung eines Kamerawagens am Umschlag, von der wir schon gesprochen haben. Welche Stellenwert und welche Funktion nimmt die Apparatur in deiner Arbeit ein?
 
M.: Eine Funktion der Apparate ist, das Verhältnis zwischen dem physischen Ort und dem projizierten Ort zu verdeutlichen. Ich verwende sie, um das Publikum am Ort der Betrachtung zu verorten.
 
H.: Womit auch die Frage des Ausstellungsraumes wieder ins Spiel kommt …
 
M.: Indem der Ausstellungsraum durch die Installation zu einem Ort der Inszenierung wird, wird diese ein weiteres Mal thematisiert. Damit ergibt sich eine Schleife, in die auch das Quart-Heft als Display eingebunden ist. Durch das Insert der zehn Seiten im Heftinneren und den beiden Umschlagseiten wird das Heft wie ein realer Ausstellungsraum zu einem Ort der Inszenierung und Aufführung.

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