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Fließtext *
Von Barbara Frischmuth

Schnee, ich bin keine Freundin von Schnee, nicht unbedingt. Schneeweiß muss er sein, schön und schneidig, nicht dieser Tauschnee, der schon schrumpelig ist, weiß also, wie eine Schneegans und nicht gänsehäutig. Ich weiß, ich sitze am falschen Ort, denn hier schneit es, immer wieder, auch im März, auch im April. Im Grunde genommen, gibt es keinen Monat, in dem es nicht schon geschneit hätte. Sogar an meinem Geburtstag im Juli, flockenweiß, flokatiweiß, flurdeckend weiß. Auf dem Dach liegt er manchmal so polstrig ausladend mit nur von der Dachrinne gehaltenem Überhang, der geschwungen ist wie die Möbel von Ron Arad oder die Kirchen von Antonio Gaudi, dass man sich nicht mehr zu nießen traut, wenn man drunter steht. Am schönsten aber ist der Nebelschnee, den die Sonne überrascht, Ende Jänner oder so. Die Kälte hat alles im Griff, keine Schneeschwaden weit und breit, gleich wird der Himmel blitzblau und es kommt die Stunde der Laubbäume, der Büsche und Gestrüppe, deren Atemluft sich in die vielförmigsten Kristalle verwandelt hat, die an den nackten Ästen und Zweigen festsitzen und, wie vom Winter persönlich behustet, ihren glitzernden Pelz zur Schau stellen. Ein schüchternes Hauchen weht Flocken in die Luft, es schneiberlt bei wolkenlosem Himmel, tänzelnd trudeln die gefrorenen Sterne in Zeitlupe auf meine Schuh. Zauber um Zauber in diesem verschneiten Landschaftsgarten, der immer üppiger blüht, je näher am Fluss, in den der See abfließt. Dort stehen die Forellen im Schneewasser, schnappen nach den größeren Flocken, essen Schnee wie die Autistin in dem kanadischen Film, die den Besucher fragt, ob er schon einmal einen Orgasmus gehabt habe, worauf er: das ist vorgekommen. Darauf sie: Ihre Tochter hätte ihr davon erzählt. Und das habe geklungen wie eine abgeschwächte Version von dem, was sie empfinde, wenn sie Schnee esse. Und die Forellen? Jedenfalls schwänzeln sie unermüdlich, der Rest ist Schneewasser. Ich keuche den Hügel hinauf, verkutze mich an einer Flocke, die mir in den Mund geschwebt ist. Sie schmilzt und ich höre auf zu keuchen. Wenn ich keuche, kann ich den Gletscher nicht sehen, diesen Dachstein, dessen Dach immer löchriger wird, während es früher wie die Alm der Sennerinnen, die vor Übermut die Milch auf der Alm verschütteten, gleißte und glänzte und sich geschmeidig rundete wie Schlagobers, das die Saligen über dem Stein verstrichen hatten, eine Malakofftorte der besonderen Art, die sogar im Sommer nicht sauer wurde und flockte, sondern ihr Schlagobers täglich neu aufschäumte zur Augenlust ihrer Betrachter. Demnächst wird man auch den Dachstein künstlich beschneien und beeisen müssen, damit er nicht aus dem Tourismusprospekt genommen werden muss, der alte Tachinierer, den es einfach nicht mehr freut, sich weiterhin täglich abzuhärten. Der will eben auch einmal in den Süden, in die ewige Sonne statt ins ewige Eis, das war halt ein Jugendtraum, das Eis, meine ich, jetzt will er im Mittelmeer schwimmen lernen, mit der fadenscheinigen Begründung, dass die Wale kaltes Wasser brauchen, das wären also zwei Fliegen auf einen Schlag, da kann doch niemand was dagegen haben. Na ja, diese Eismänner, die waren noch nie ganz verlässlich, nicht einmal dort, wo man sie zu Heiligen gemacht hat. Wie die Männer halt so sind, kommen oder kommen nicht, nur die Sopherl hält das Ganze noch aufrecht, macht den Wauwau, Wasser gibt’s ja noch genug, nur das Eis wird immer weniger, das Natureis, meine ich und schaue auf die Zapfen, die meterlang von meinem Dach hängen. Schuld der Wintersonne, wenn man’s genau nimmt. Zapfen, die in den Schnee beißen, wenn sie ihn erwischen, wenn sie lang genug tagsüber rinnen und abends frieren. Schaut aus, als sei das ganze Haus ein riesiges Maul, das immer nur einatmet und irgendwann platzt. Dann gibt es Föhn, den luftigen Feind des wässrigen Schnees. Da bin ich dann oben auf. Der Föhn regt mich an und auf. Der lässt das Eis auf dem See krachen, dass es bis zu mir herauf ächzt und wimmert. Reißt es auf und fährt ihm unter die Kruste, dass es nur so splittert. Nachts kann man ihn heulen und das Eis stöhnen hören. Da gehen sogar die zwei Schwäne an Land, die im Schilf hausen, gehen an Land und bauen sich einen Iglu aus dem restlichen Schnee, aber der schmilzt dem Föhn hinterher, eine kranke Liebhaberin, die mehr geben will, als sie hat. Was den Föhn zum Röhren bringt, hat er doch wie alle Leidenschafter eine Vorliebe für Weiß, sprich: Unschuld, nach der ihm das letzte Maul lustet. Aber Schnee allein ist noch keine Geliebte, da will er schon höher hinaus, wenn schon, dann mindestens die Schneekönigin. Wo die zu Hause ist, dahin möchte er zumindest einmal im Leben. Ihre Fußsohlen lecken und sie klirren lassen, während sie sich an ihm wärmt und in ihm auflöst. So hätte er es halt gern, wie alle Eroberer, ein Dekonstruist, der in den Scherben badet. Ein Held der Attacke, der mit dem Sieg nichts anzufangen weiß. Aber ist die Schneekönigin nicht schlauer – Hoffnung der ewigen Optimierer – als dieser windige Kerl, der nur einen Wirbel macht, anstatt ins Geschehen einzugreifen oder sich selbst zurückzunehmen, um die Welt im Lot zu halten. Aber nein, er muss seine windigen Ansprüche auf Inuit-Sex verwirklichen und sein verblasenes Gesicht wahren. Dabei kann er nicht einmal dem Weihnachtsmann das Wasser reichen, der mit der Eiseskälte Schlitten fährt und bloß Herzen erwärmt und Geizkrägen zum Schmelzen bringt, die den Kreislauf der Geschenke blockieren. Die Schneekönigin ist einfach hinter den sieben Bergen verschwunden. Sie kennt den Föhn nur vom Hörensagen und ist so gar nicht neugierig auf ihn, da kann er sich noch so aufplustern, schon nach dem dritten Berg bleibt ihm die Puste weg, und wenn er nicht sogleich umdreht, wird der Schnee eines unfreundlichen Vergessens ihn begraben, und das grabsteinlos, unerkannt und unerbeten, ein Lüftchen, das den Polarfüchsen um den Schnurrbart geht und sie zum Gähnen bringt. Ein Zeichen von Frühjahrsmüdigkeit.


— * Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u.Ä. gesetzt wird.
— Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

 

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