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Frozen Movie

Schneehuhnküken, die sich am Kopf kratzen; ein Rotgesichtsmakake, dem der Atem gefriert; Eichhörnchen, die Zigaretten rauchen: Der Tierpräparator Peter Morass ist ein Meister seines Faches. Der Schriftsteller und Arzt Daniel Grohn hat ihn besucht.

Im Taxidermy, einer jener Szenebars Tel Avivs, in der junge Kreativmenschen und solche, die es gerne wären, unter präparierten Hirschköpfen Cocktails schlürfen und zu elektronischer Musik mit den Füßen wippen, sehe ich zum ersten Mal ein Tierpräparat des Innsbruckers Peter Morass. Eigentlich ist es eine Fotografie eines seiner Präparate, vorne auf einem Ausstellungskatalog, den André, einer der Barbetreiber, vor mich auf den Tresen gelegt hat. Ein Eisvogel, der knapp über der Wasserfläche schwebend, einen Fisch im Schnabel hält, den er kurz zuvor erbeutet haben muss. „Just incredible“, sagt André, der aus einer ungarischen Präparatorenfamilie stammt und die Ausstellung während einer Europareise gesehen hat. „Like a frozen movie.“ Den Katalog hat er mir gezeigt, nachdem er erfahren hat, dass ich aus München komme, „That’s not far from Innsbruck, is it?“ Als Taxidermie, griechisch für „Anordnung der Haut“, wird die Wissenschaft der Tierpräparation vornehmlich im angelsächsischen Sprachraum bezeichnet. Man könne auch Dermoplastiker sagen, erklärt mir Peter Morass, als ich den Tierpräparator einige Monate später am Bergisel in seiner Heimatstadt Innsbruck treffe. Obwohl ein starker Wind pfeift, hat sich zur Neueröffnung des Tirol-Panorama-Museums eine lange Schlange von Besuchern gebildet. Morass hat für die Ausstellung zahlreiche Präparate von Tieren des Tiroler Alpenraums angefertigt. Die Tierpräparation lässt sich als ein auf mehreren Ebenen paradoxer Vorgang beschreiben, der sich im Spannungsfeld von Leben und Tod, Natur und Kunst, Natürlichkeit und Künstlichkeit bewegt, und der wie kaum ein anderer das Grundparadoxon jedes abbildenden, naturalistischen Realismus veranschaulicht, welches sich nicht zuletzt darin widerspiegelt, dass wir ein besonders gelungenes Präparat eines toten Tieres als „lebendig“ oder „natürlich“ bezeichnen. „Aus Naturgeschöpfen“, schreibt Thomas Bernhard im Roman Korrektur, in welchem sich der Erzähler beim Tierpräparator Höller einquartiert, „machte der Höller Kunstgeschöpfe und diese Kunstgeschöpfe sind in jedem Fall rätselhafter als die reinen Naturgeschöpfe.“ Für Bernhard handelt es sich dabei um nichts weniger als eine Abbildung des künstlerischen Schaffensprozesses an sich. Der Bär, den Peter Morass für die Ausstellung im neu eröffneten Museum präpariert hat, sitzt auf dem Hinterteil, hat dabei ein Bein locker von sich gestreckt, wirkt auf eigenartige Weise entspannt. Morass hört das oft, dass seine Präparate entspannt aussehen würden. Woher kommt dieser Eindruck, frage ich ihn, sind das menschliche Eigenschaften, mit denen er seine Präparate versieht, ist das eine anthropomorphische Entspanntheit, die da zu uns spricht? Morass schüttelt den Kopf, jegliche Vermenschlichung des Tiers beim Präparieren lehnt er ab, meistens jedenfalls. Die Entspanntheit, sagt Morass, entstehe aus der Genauigkeit bei der Beobachtung des Tieres. Der Gesichtsausdruck sei dabei das Allerschwierigste, hier lauerten die Fallen der Vermenschlichung in besonderer Weise. Morass’ Präparate mögen entspannt wirken, ihr Präparator selbst ist ein Getriebener. Ein Fanatiker sei er, und das meine er im positiven Sinn. In den vergangenen acht Monaten bis zur Eröffnung des neuen Museums hat Morass wie ein Besessener gearbeitet, hat kein freies Wochenende gehabt, ist oftmals nach der Arbeit am Präparat abends noch auf den Berg, in die Natur gegangen, denn das sei bei der Präparation nun mal das Wichtigste: Tierbeobachtung, Tierbeobachtung, Tierbeobachtung, im Laufe unseres Gesprächs wird er das oftmals wiederholen, das Morass’sche Mantra. Peter Morass wurde 1955 in Innsbruck geboren, hier hat ihn sein Großvater mit in den Wald genommen, zum Pilze sammeln und zur Tierbeobachtung. Seitdem er als junges Kind einen präparierten Vogel zum Geburtstag geschenkt bekam, wuchs in ihm die Faszination für diesen geheimnisvollen Umwandlungsprozess. In der örtlichen Bibliothek entdeckte er ein Buch über die Präparation von Vögeln und Säugetieren. Nachmittage habe er in der Bibliothek verbracht, sich Seite für Seite einzuprägen versucht, auch wenn es schwierig sei, die Präparation aus Büchern zu erlernen. Früh habe er deswegen auch schon den Kontakt zu Präparatoren aufgenommen, in der Absicht aus erster Hand Informationen zu Präpariertechniken zu bekommen, aber wann immer er einen Blick in eine Präparatorwerkstatt habe werfen können, sei wie zufällig eine Zeitung über das gegenwärtige Projekt gebreitet worden, die Präparatoren hüteten ihre Geheimnisse, ein bisschen sei das noch immer so. Im Alter von 17 Jahren fertigte er sein erstes Präparat, einen Grünfinken. Vögel sind eines seiner Spezialgebiete geblieben, erklärt Morass, der inzwischen auch Ornithologe ist, neben den Katzen und seinen persönlichen Lieblingen, den Affen. Nach dem Abitur studierte er zunächst Humanmedizin, nebenher arbeitete er als Krankenpfleger. Eigentlich wollte er Unfallchirurg werden, somit den ärztlichen Beruf ergreifen, in dem das ärztliche Heilen, der Erfolg der Behandlung, am unmittelbarsten greifbar wird. Man kann sich diesen Mann mit den wachen Augen und seinem „positiven Fanatismus“ gut als Chirurgen vorstellen, aber die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitssystems, das immer stärkere Eindringen finanzieller Überlegungen und Zwänge in die Medizin hinein, wie er es im Krankenhaus miterlebt hat, habe ihn letztendlich abgeschreckt. Stattdessen machte Morass sein Hobby zum Beruf, arbeitete zunächst als Präparator am Anatomischen Institut der Universität, legte währenddessen die Meisterprüfung zum Präparator ab. Vom erworbenen medizinischen und anatomischen Wissen profitiert er dabei bis heute. Mit der landläufigen Vorstellung des „Ausstopfens“ hat der Prozess der modernen Tierpräparation nichts mehr gemein. Den Schulklassen, die Morass, der aus einer Lehrerfamilie stammt, mit Begeisterung unterrichtet, erklärt er den Vorgang meist folgendermaßen: Die Haut des toten Tieres wird zunächst aufgeschnitten und abgezogen, so, als würde man die Kleidung ablegen. Anschließend wird die Tierhaut gegerbt und dann anhand des verbliebenen Fleischkörpers ein Modell des Tierkörpers hergestellt, wofür inzwischen vornehmlich Kunststoffe wie Polyurethan zum Einsatz kommen, für kleinere Präparate wird noch Holzwolle verwendet. Auf das Modell wird die Tierhaut wieder aufgebracht – als würde man eine Schaufensterpuppe ankleiden –, bis schließlich die Haut wieder zusammengenäht wird, was je nach Größe des Präparats beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen kann. Ende der 80er Jahre kehrte Peter Morass seiner Heimat Tirol den Rücken und zog nach Japan. Obgleich er das Land zuvor schon mehrfach besucht hatte und Bekannte vor Ort ihm versicherten, dass er als Tierpräparator dort gute Berufsaussichten haben würde, seien die ersten Jahre sehr schwierig gewesen. In Japan sei der Beruf des Tierpräparators kaum angesehen, Morass führt das auf die starke hierarchische Tradition in der Gesellschaft zurück, in welcher der Umgang mit Blut und toten Tierkörpern traditionell den untersten Schichten vorbehalten gewesen sei. Nach einigen Jahren gelang ihm dann aber doch der Durchbruch, mit Präparaten von Schneehuhnküken im Morass-Stil, die kleinen Vögel allesamt in Bewegung begriffen, umherlaufend, sich am Kopf kratzend. In Japan, wo traditionell sehr statisch präpariert werde, habe diese Arbeit ziemliches Aufsehen erregt, die kaiserliche Gesellschaft für Vogelkunde wurde auf ihn aufmerksam, Morass erhielt zahlreiche Aufträge und Anstellungen an verschiedenen Museen. Die Bewegung ist sein Markenzeichen geblieben. Man könnte sagen, dass er durch sie seine Präparate mit einer weiteren Ebene der Paradoxie anreichert, über die Bewegung die Dimension der Zeit, das Koordinatensystem des lebenden Tiers, ins Präparat zurück bringt, und so den Eindruck des eingefrorenen Films erzeugt, der André aus Tel Aviv so fasziniert hat und der jeden Betrachter eines Morass-Präparats in seinen Bann zieht. Statische Dinge seien noch niemals seine Sache gewesen, erklärt Morass lachend, ein Satz, der aus dem Munde eines Tierpräparators paradox klingt. Für die Bewegung in seinen Präparaten gelte aber erst recht: Tierbeobachtung … Hierfür ist Morass von Japan aus viel gereist, in jeder Stadt, die er besucht habe, hätten ihn zunächst zwei Fragen interessiert, wo ist der Zoo, wo das naturhistorische Museum? Insgesamt hat er 16 Jahre in Japan verbracht, aber mit manchen Dingen sei er dort nie wirklich gut zurechtgekommen. An die indirekte Kommunikation habe er sich nur sehr schwer gewöhnen können, „an den Unterschied zwischen einem Tiroler Ja und einem Japanischen Jein.“ Als dann um die Jahrtausendwende auf Grund der Konjunkturverschlechterung auch die Aufträge zurückgegangen seien, kehrte Peter Morass nach Tirol zurück. Er sei bei seiner Rückkehr ungeheuer neugierig gewesen, denn während seiner Zeit in Japan war er von den Entwicklungen der europäischen Präparatorenwelt weitgehend abgeschnitten. Als er hörte, dass kurz darauf in Dortmund die Europameisterschaft der Tierpräparation ausgerichtet werden würde, reichte er dort 14 seiner Präparate ein. Er sei regelrecht hungrig auf eine Medaille gewesen, sagt Morass. Tatsächlich wurde jedes einzelne seiner Präparate mit einer Medaille ausgezeichnet, und mit dem schneebedeckten Gesicht eines Rotgesichtsmakaken, dem in der Kälte der Atem gefriert, wurde Morass im Jahre 2004 Europameister. Die menschliche Sehnsucht nach der Überwindung des Realismus macht auch vor der Tierpräparation nicht Halt. Im Anklang an die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock mit ihren Kuriositäten entstanden im Viktorianischen Zeitalter zunehmend Präparate von aus mehreren Tieren zusammengesetzten Fabelwesen, sodass sogar die ersten nach Europa gelangten Felle des in Australien entdeckten Schnabeltiers zunächst für das Werk eines geschickten Präparators gehalten wurden. Auch in der zeitgenössischen Kunstszene haben kuriose Tierpräparate wieder Einzug gehalten und erzielen teilweise Rekordsummen, in den Werken Damien Hirsts etwa, oder den Arbeiten Polly Morgans, die beispielsweise präparierte Küken aus einem Sarkophag schlüpfen lässt. Peter Morass zuckt angesichts dieser Entwicklungen mit den Schultern. Wenn jemand damit viel Geld verdiene, sei das wunderbar. Er selbst sei aber kein Präparator, der die Natur verfälschen wolle, ein bisschen klingt es so, als sei das für ihn auch eine moralische Frage. Dennoch leuchten kurz darauf seine Augen, als er von den eigenen Ausflügen in die Welt jenseits des Naturalismus berichtet. Für eine Ausstellung hat er einmal ein Igelpaar beim Liebesspiel präpariert. Der weibliche Igel hat sich das Stachelkleid ausgezogen und über einen kleinen Kleiderbügel gehängt. Auch Präparate eines übergewichtigen Schwans, der im Liegestuhl einen Hamburger verspeist, und eines Bibers, der auf Grund der Klimaerwärmung eine Sonnenbrille trägt, hat Morass angefertigt. Mit Eichhörnchen, die Zigaretten rauchen, habe er den Naturalismus nicht einmal verlassen, sagt Morass grinsend, tatsächlich seien Eichhörnchen bekannt, die an Autobahnraststätten Zigarettenstummel einsammelten. Gegenwärtig arbeitet Morass an einem Auftragswerk für den Innsbrucker Alpenzoo, einem Wolpertinger, dem bayerischen Fabelwesen, das oftmals als gehörnter Hase dargestellt wird (und einer Theorie zufolge auf mit Papilloma-Viren infizierte Hasen zurückgehen soll, denen erkrankungsbedingt hörnerartige Tumoren am Kopf wachsen). Der Wolpertinger von Morass ist ein Potpourri der Tiroler Fauna, zusammengesetzt aus Steinbock, Reh, Wildschwein, Wildkatze, Fuchs, Luchs, Gämse, Biber und Steinadler. Nach einem Zoobesuch sollen Kinder die einzelnen Körperteile den soeben im Zoo gesehenen Tieren zuordnen. Das Viech, das da entstehe, sei ziemlich unheimlich, sagt Morass, und trotzdem gebe es so etwas wie eine innere Logik, mit der die einzelnen Körperteile der verschiedenen Tiere zueinander passten und sich gleichzeitig widersprächen. Außerdem diene das Ganze letztendlich ja einem didaktischen Zweck. Wieder klingt es ein bisschen so, als habe er den Eindruck, sich rechtfertigen zu müssen, und vielleicht klingt hier das Ethos des Wissenschaftlers durch. Denn das sei der Tierpräparator am Museum ja in erster Linie, betont Morass, der schon seit vielen Jahren bei den Tiroler Landesmuseen angestellt ist. Bei der wissenschaftlichen Präparation ist die Arbeit am Präparat immer begleitet von analytischen Fragen, es geht um die Erhebung der Todesursache und die Identifizierung von Nahrungsketten genauso wie um das Entnehmen von Knochen und Gewebeproben für DNA-Analysen. Es ist dieses Sammeln und Zuordnen von Belegen, durch das der Präparator vom Anatomen zum Naturhistoriker wird, und nicht ohne Stolz verweist Morass darauf, eine gefundene Feder dem zugehörigen Vogel zuordnen zu können, und begeistert sich für die Möglichkeit, das Verbreitungsgebiet jenes Vogels mit Hilfe von Computerprogrammen dokumentieren zu können.   Am Ende der Ausstellung kommen wir an einem weiteren ungewöhnlichen Präparat vorbei, dem eines Bibers, welcher im Autotunnel, der unter dem Museum hindurch führt, überfahren wurde. Ein untypisches Morass-Präparat insofern, als es weder besonders entspannt aussieht noch in Bewegung begriffen scheint, sondern, nun ja, in erster Linie einen ziemlich toten Eindruck macht, somit gewissermaßen die paradoxen Gesetze des präparatorischen Umwandlungsprozesses überraschend durchbricht. Viele der Tiere, aus denen seine Präparate entstehen, sind solche sogenannten „roadkills“, dazu kommen Tiere, die in Zoos versterben. Eigens für die Präparation erlegte Tiere nehme er nicht an, betont Morass und berichtet, dass immer wieder Menschen an ihn heranträten mit der Bitte, ihr Haustier zu präparieren (was er entschieden ablehnt). Oft werde ihm von denselben Leuten die Frage gestellt, ob er denn keine lebenden Tiere möge, was eine absurde Frage sei, denn wer sich als Tierpräparator nicht für Tiere begeistern könne, solle sich einen anderen Beruf suchen. Aber was hätte er mit einem Hund machen sollen, in den letzten acht Monaten, in denen es für ihn kein freies Wochenende gab? Für einen „positiven Fanatiker“ der Tierpräparation wie Peter Morass bleibt für ein Haustier schlichtweg keine Zeit.   

 

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