Der berühmte Hörbiger-Clan stammt aus der Tiroler Wildschönau: Ihr Urahn war Alois Hörbiger, Jungbauer im abgelegenen Dorf Thierbach, der Haus und Hof verkaufte und als Orgelbauer in die Welt zog. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte: Alois hatte eine Tochter, Amalia, die mit dem für die Kunst zuständigen Gesellen des Vaters einen (unehelichen) Sohn hatte, Hanns; der wiederum war der Vater von Paul und Attila; letzterer hatte drei Töchter, Elisabeth, Christiane und Maresa … Wer den Überblick verloren hat: Krista Hauser hat den Stammbaum der Hörbigers durchforstet.
Es gab und gibt in der Hörbiger-Dynastie nicht nur Schauspieler, sondern auch Wissenschafter und Techniker, Unternehmer, Musiker und Orgelbauer. Was sie alle verbindet: die legendäre Herkunft aus Tirol. In der Wildschönau steht schließlich der uralte „Hörbighof“.
Im Bergbauernmuseum „z’Bach“, gelegen zwischen den Wildschönauer Orten Oberau und Niederau, wurde eine „Hörbiger-Stube“ eingerichtet. Hier begegnet man dem „Erfinder“ Hanns Hörbiger (1860–1931), Vater von Paul, Attila und zweier weiterer Söhne, Hans Robert und Alfred. Die Musik, speziell das Zitherspiel, hatten es ihm angetan, noch mehr aber die Technik. Er konstruierte ein nach ihm benanntes Plattenventil für Gebläse, Pumpen und Kompressoren, gründete eine eigene Firma und brachte es dank der Mithilfe des zweitgeborenen Sohnes Alfred zu beträchtlichem Wohlstand. Dieses Originalventil ist eines der Prunkstücke des Museums. Hanns Hörbigers Erfindung wurde weiter entwickelt und lebt weiter. Das „Hörbiger-Ventil“ wird heute weltweit vertrieben. Für Schlagzeilen hatte Hanns Hörbiger in den 20er Jahren und selbst noch nach seinem Tod allerdings nicht als Techniker, sondern als Verfasser, ja Guru der „Welteislehre“ gesorgt, einer krausen, längst überholten Theorie über die Entstehung der Welt.
Doch woher hatte der unehelich geborene Hanns Hörbiger seine Begabung, die Vielseitigkeit, die Musikalität? Vom Großvater mütterlicherseits wahrscheinlich. Einem kleinen Kreis von Orgelspezialisten und Historikern ist der Name Alois Hörbiger (1810–1876) vertraut, doch mit dem Image seines Enkels oder gar dessen Nachkommen konnte es der „Orgelbauer von Tirol“ bisher nicht aufnehmen. Das könnte sich nun ändern. Sixtus Lanner ist dem schillernden, weit gereisten Autodidakten, dessen Orgeln in vielen Kirchen der Monarchie standen, ja da und dort immer noch stehen, seit langem auf der Spur. Als Obmann des Museumsvereins sammelte Lanner Exponate zu Leben und Arbeit des Multitalents: Briefe, Urkunden, Literatur. Sein Stolz: die einzige Orgelpfeife, die es von Alois Hörbigers erstem Instrument aus der Kirche von Thierbach gibt, und eine Kopie des einzig erhaltenen Porträts.
Sanft blickt er drein, der Mann im schwarzen Braten-rock. Rosige Wangen, dunkles, lockiges Haar, feine Züge, ein steifer Hemdkragen, als Zier ein oranges Mascherl unter dem Kinn. In der Hand hält er ein Stimmhorn. Ein braves, geschöntes Biedermeierbild. So stellte man sich eben einen von frommen Musen geküssten Orgelbauer vor, der die „Königin der Instrumente“ für den Herrn im Himmel und dessen Schäfchen schuf. Was kaum zum Naturell Alois Hörbigers passte. Ein genialer, besessener Handwerker war er, gewiss auch hochmusikalisch, doch ein Abenteurer, der finanziell immer wieder Schiffbruch erlitt und dennoch überregionale Anerkennung fand. Zum 200. Geburtstag am 17. Feber 2010 sollte dieser Lebensweg endlich gründlich erforscht werden. Also ein Buch mit kompetenten Autoren wie Gottfried Allmer, Josef Riedmann und Gerhard Tötschinger, der Lebensgefährte von Christiane Hörbiger, der Ur-Ur-Enkelin des Orgelbauers; Lanner selbst ließ im Haus-, Hof- und Staatsarchiv recherchieren und mobilisierte für die Spurensuche auch die Botschaften in London, Paris, Belgrad …
*
Unterwegs mit Lanner Richtung Thierbach, wo Alois Hörbiger geboren wurde: Das älteste erhaltene Foto des Hörbighofes in Thierbach stammt aus dem Jahr 1928. Fast so idyllisch wie damals wirkt das kleine Dorf über dem Hochtal der Wildschönau noch heute. Viel Landwirtschaft, wenige Häuser, Privatquartiere, Pensionen, eine Schule, der Hörbighof, dem die Tiroler Landesregierung 2003 den Ehrentitel „Erbhof“ verlieh, und die Kirche samt Friedhof. Im Kirchenraum kommt ein bisschen Pathos auf: „Hier hat alles begonnen, der hölzerne Weihwasserkessel, wo Alois Hörbiger 1810 getauft wurde, ist immer noch da. Und hier geschah das ‚Wunder‘, das den Lebensweg des Bauernsohnes bestimmte. Als 19-jähriger baute er in dieser Kirche seine erste Orgel und am Hl. Abend 1829 soll er sie zum Klingen gebracht haben“, erzählt Lanner. 1909 wurde die Orgel leider durch ein neues Instrument ersetzt.
Weniger feierlich geht es in der „Hörbig“, dem Stammhaus der Hörbiger zu, wo man einkehren kann. Sebastian und Andreia Kostenzer bewirtschaften heute den Hörbighof. Sebastian ist am Hörbighof aufgewachsen und immer noch Bauer, Andreia kümmert sich um die Gäste. (Ihr urtirolerischer Mädchenname Moser trügt.) Geboren wurde die dunkelhaarige Frau in Dreizehnlinden in Brasilien. Dorthin waren bekanntlich in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts etliche Wildschönauer Familien unter der Führung des ehemaligen Landwirtschaftsministers Andreas Thaler ausgewandert, einige kehrten zurück). Dass man mit dem Namen Hörbiger punkten kann, wissen die Hausleute, obwohl sie nun einmal Kostenzer heißen. Der Hofname ist geblieben. Bis zum Jahre 1416 lässt er sich zu rückverfolgen.
Josef Riedmann, Historiker mit Bodenhaftung, hat die Geschichte des Hofes und die Zeit, die Alois Hörbiger in Tirol verbrachte, gründlich erforscht. Weltgeschichte und Lokalgeschichte sind für den Historiker, ebenfalls einen gebürtigen Wildschönauer, keine Gegensätze. „Immer an die Quellen gehen, das macht die Arbeit spannend, da wird Geschichte lebendig“, sagt er bei unserem Treffen in Wien. Was nun den Hörbighof betrifft, so hießen bis 1832 alle Besitzer Hörbiger. In diesem Jahr verkaufte der 22-jährige Jungbauer und künftige „Orgelmeister“ Alois Hörbiger den schwer verschuldeten Hof samt Wald und Feldern seiner jüngeren Schwester Anna und deren Bräutigam Georg Kostenzer. Vom Verkauf blieben Alois nur 150 Gulden, denn er musste die Schulden tilgen, Stiefmutter und Geschwister abfinden.
Am 17. Feber 1810, drei Tage vor der Exekution Andreas Hofers in Mantua, wurde Alois Hörbiger geboren. Seine Eltern: Alois Hörbiger, Besitzer des Hörbighofes, und Maria Hörbiger, geborene Sandbichler, Bauerntochter aus Oberau. Zwölf Hörbigers brachte sie zur Welt, fünf davon starben im Kindesalter. Marias Bruder, Sebastian Sandbichler, hatte es immerhin zum Hilfspriester im benachbarten Alpbach, später zum Vikar in Jochberg bei Kitzbühel gebracht. In seinem Widum stand eine Hausorgel und da musste der 17-jährige Neffe doch sein „Aha-Erlebnis“ gehabt haben. Vielleicht war sogar ein Wunder geschehen? Rund 35 Jahre später war in der in Innsbruck erscheinen-
den „Inn-Zeitung“ jedenfalls Folgendes zu lesen: „Wie Blitz und Schlag folgten sich bei dem rauen Natursohn Begegnung und Verständniß der Mechanik. Ohne irgendwelche Vorkenntniß, ohne Beihülfe anderer gieng er an einen Orgelbau …“. Man war sichtlich stolz auf den bekannten Orgelbauer aus Thierbach. Hier hatte er schließlich Kindheit und Jugend verbracht und in einer zweiwöchigen „Lehrzeit“ beim Orgelbauer Joseph Mitterer im nahen St. Gertraudi sein handwerkliches Rüstzeug für den künftigen Beruf erworben. Gemeinsam mit Mitterer baute er 1829 die erwähnte kleine Orgel für die Kirche, worüber es im Pfarrarchiv genaue Angaben gibt. Die Mär, dass das Junggenie allein werkte, stimmt nicht. Von Hörbiger stammten das Gehäuse, die technische Einrichtung (Klaviatur, Windlade usw.) und drei Holzregister. Mitterer steuerte drei weitere Metallregister bei und stimmte das Instrument.
Nach dem „Gesellenstück“ in der Heimatgemeinde ging es bald talauswärts. Der Weg führte nach Itali-
en, wo seit der Renaissance und vor allem im Barock prächtige Orgeln zum Statussymbol der hohen Geistlichkeit und des Adels wurden. Welche Tonhöhe, welches Material, welche Registrierung ergeben die gewünschte Klangfarbe? Wie groß, wie schön sollte das Gehäuse sein? Das alles konnte Alois Hörbiger an Ort und Stelle studieren. Experten sind sich einig, dass der italienische Einfluss an seinen Orgeln deutlich ablesbar ist. Sie klingen anders als die typisch süddeutsch-österreichischen oder gar die nördlichen Instrumente aus der Gegend der Bach-Dynastie.
Gut belegen lassen sich bei Josef Riedmanns Forschungen die Jahre, die der Wildschönauer Bauernsohn in Osttirol verbrachte. Noch von Thierbach aus knüpfte er Kontakte, reparierte bereits im Herbst 1831 die Orgel in der Franziskanerkirche in Lienz, ein Jahr später erklang in Virgen seine neue, mechanische Schleif-
ladenorgel mit einem Manual und acht Registern. Um 1832 ließ sich der Orgelbauer in Lienz nieder, er bekam Anschluss, wurde in den kleinen Kreis von Kaufleuten und Beamten aufgenommen. Aufträge stellten sich ein und bald auch eine Braut. Laut Familienmär haben sich Alois Hörbiger und die Kärntnerin Maria Victoria Wassin(n) „stilgerecht“ beim Reparieren einer Orgel kennengelernt. Im März 1834 wurde ein Ehevertrag abgeschlossen, im April in der Pfarrkirche St. Daniel bei Dellach geheiratet, im Mai brachte die 21-jährige ihr erstes Kind, einen Alois, zur Welt, der aber im Kindesalter starb. Zwei Mädchen, Anna und Amalia Victoria, folgten, 1839 wieder ein Sohn, Wilhelm Georg. Der nächste Bub, Gottfried, wurde dann nicht mehr in Lienz, sondern 1840 in Cilli, im Süden des damaligen Herzogtums Steiermark geboren. Dorthin zog die Familie, denn in Osttirol hatte Alois Hörbiger Pleite gemacht. Trotz kontinuierlicher Arbeit. Sogar die Orgel in der weithin bekannten Stiftskirche von Innichen wurde ihm 1836/37 zur umfangreichen „Überholung“ anvertraut. Zu seinem wachsenden Renommee hatten vor allem die neuen Orgeln in Kartitsch und Oberlienz beigetragen, die später aber mehrmals umgebaut wurden. Nur das Gehäuse hat sich jeweils erhalten.
Was Alois Hörbigers Auftraggeber wohl auch später verblüffte, waren sein technisches Knowhow, sein sicherer formaler Geschmack, die Musikalität und sein handwerkliches Können. Ein Autodidakt, ein Tausendsassa, „ein geschmackvoller Architekt“ und „richtiger Zeichner“, der mit selbst verfertigtem Werkzeug auch Tischler-, Schlosser- und Bildhauerarbeiten ausführte. Davon wird jedenfalls in der Lokalpresse, später auch in Grazer und Wiener Zeitungen berichtet. Ein bisschen Geniekult der Romantik à la Tyrol dürfte da wohl auch mitgespielt haben. So ganz allein konnte er in seiner Werkstätte gewiss nicht arbeiten. Zur Seite standen ihm Handwerker, vor allem sein Bruder Bartholomäus, der sich später selbständig machte und eine Reihe von Orgeln in Kärnten baute.
Natürlich gab es auch berufliche Rückschläge. Obwohl seine Arbeit an einer neuen Orgel für die Franziskanerkirche in Lienz im „Kaiserlich Königlich privilegierten Bothen von und für Tirol und Vorarlberg“ vom 7. Dezember 1837 erwähnt wurde, kam er nicht zum Zug. Vermutlich war Hörbiger bei den Franziskanern in Ungnade gefallen. Ausgerechnet in einer Zeit, da man Zillertaler Protestanten zum Auszug aus dem Tal zwang, hatte Hörbiger einen Arbeitsvertrag mit Kärntner „Ketzern“ aus dem Gailtal abgeschlossen. Für das
Bethaus der alteingesessenen evangelischen Gemeinde in Watschig, einer der ersten Bauten, die nach dem Toleranzpatent Kaiser Josef II. für Protestanten in Kärnten errichtet wurden, schuf der katholische Wildschönauer eine heute noch erhaltene Orgel mit 12 Registern.
Finanziell war der junge Familienvater ein Hasardeur. Schon sein 1835 erworbenes Haus, etwas später auch das dazu gehörende Futterhaus samt Garten leistete er sich auf Raten. Josef Riedmann hat die einschlägigen Akten des Landgerichtes Lienz durchforstet. Sie geben Aufschluss über das finanzielle Chaos. Im „Intelligenzblatt“ des „Bothen von Tirol“ wird am 20. April „die öffentliche Versteigerung der Konkursrealitäten Hörbiger, Orgelmacher zu Lienz“ angekündigt. Weitgehend mittellos zog der 30-jährige mit Frau und drei Kindern in die Untersteiermark (heute Slowenien). Ein neuer, spannender Lebensabschnitt begann.
*
Der Steirer Gottfried Allmer hat diesen neuen Lebensabschnitt des Orgelbauers von Tirol dokumentiert, auch dessen schwierige Zeit in Wien und Hörbigers Lebensabend im fernen Banat. Erforscht hat der Orgelexperte und Heimatforscher zudem rund 60 nachweisbare Hörbiger-Orgeln, die in den Nachfolgestaaten der Monarchie standen, in Österreich, Italien, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und Serbien. Manche erklingen immer noch. Seit 30 Jahren beschäftigt sich Allmer damit und seither ist ihm der Name Alois Hörbiger vertraut. Die Hörbiger-Orgeln in Österreich und im heutigen Slowenien kennt er fast alle selbst.
„Das Orgelwissen ist nicht nur für den Laien kompliziert. Um zu erkennen, wann und wo ein Instrument gebaut wurde, welcher nationalen Schule oder lokalen Werkstätte es zuzuordnen ist, wie es im Laufe der Zeit verändert wurde und wie man die ursprüngliche Klangfarbe einigermaßen rekonstruieren könnte, dazu braucht man viel Erfahrung“, erzählt mir Allmer im Gemeindeamt von Pinggau in der Oststeiermark, wo der emsige Publizist sich gerade beruflich aufhält. Wie erwähnt, hat er auch die Lebensumstände des Orgelbauers dokumentiert: Was sich in Osttirol angekündigt hatte, zog sich wie ein roter Faden durch sein weiteres abenteuerliches Leben. Erfolg und Niederlagen, finanzielle Katastrophen, ein hartnäckiger Kampf um künstlerische Qualität und die nötige Butter aufs tägliche Brot. Schuld an der finanziellen Misere waren Hörbigers mangelnder Geschäftssinn und vor allem der Preisdruck der Konkurrenten. Zum Zug kam er oft nur, weil er das billigste Angebot machte, das er dann nicht einhalten konnte. Immer wieder hieß es, von Neuem zu beginnen.
Nach Lienz also Cilli im damaligen Kronland Steiermark, wo viele deutschsprachige Bürger wohnten. Ein guter Ort zu leben, arbeiten und fürs Geschäft. Eine freie Werkstätte, in der auch der Bruder Bartholomäus und bald auch Gesellen aus Tirol eintreten konnten, bot sich an. Privat stellte sich im Herbst 1840 noch einmal Nachwuchs ein, Gottfried Bartholomäus, der genau wie der ein Jahr später zur Welt gekommene Wilhelm schon früh das Kunsthandwerk des Vaters erlernen sollte. Rund 15 Jahre lang blieb Cilli Hauptwohnsitz und Arbeitsplatz, von hier aus kamen jährlich drei bis vier Hörbiger-Orgeln in die Kirchen der Krain und der Untersteiermark (heute Slowenien), nach Graz und sogar nach Wien. Für Prestige sorgte schon der erste Auftrag, die 1842 gebaute Großorgel für die Abtei von Cilli mit 26 Registern, klanglich immer noch „italienisch“ geprägt. Ein Jahr später vollendete er die Orgel für die Welsche Kirche in Graz mit ihren eindrucksvollen Neorenaissance-Gehäusen und seltenen Registern. Von einem „schalmeiähnlichen Zungenregister mit Glasbechern“ schwärmt der sonst recht sachliche Gottfried Allmer. Optisch hat sich das Instrument kaum verändert, doch unsachgemäße Sanierungen, bei denen die alten Register durch Fremdpfeifen ersetzt wurden, haben dem Klang schwer geschadet.
Bis Ende der 1840er Jahre florierte das Unternehmen, doch dann kriselte es, neue Absatzmärkte mussten ge-
sucht werden. 1849 machte Alois Hörbiger einen ersten Schritt nach Wien. 80 Jahre lang stand ein Instrument aus der Werkstätte in Cilli in der Pfarrkirche von Meidling. In der Umgebung von Cilli wurden die Aufträge rar, hier eine Reparatur, dort eine kleine Orgel, immerhin Aufträge für die Steiermark, Kärnten und Krain, wo die Brüder Hörbiger samt Gesellen einen guten Ruf hatten. 1853 wieder eine Chance in Wien, eine Großorgel für die Pfarrkirche zum Hl. Johann Nepomuk in der Leopoldstadt. Zwei Jahre später wurde die Werkstätte in Slowenien geschlossen.
*
Nach 15 Jahren Slowenien also wieder ein neuer Lebensabschnitt. Aufbruch ins Zentrum der Monarchie, zumindest in die Nähe der Reichshauptstadt, obwohl es noch keine fixe Arbeit gab. Ein gewagter Schritt, denn die Konkurrenz in Wien war groß, das finanzielle Scheitern vorprogrammiert. Der Wandertrieb vieler Tiroler, ein bisschen Selbstüberschätzung, ja Phantasterei dürften den Ausschlag für den Ortswechsel gegeben haben. Alois Hörbiger war ja nicht nur Orgelbauer. Er wollte als Erfinder neuer Instrumente reüssieren, wenn möglich gleich auf der Weltausstellung in Paris. Daraus wurde zwar nichts, aber präsentiert hat er das sogenannte „Harmonikon“, eine Verbindung von Orgel und Harmonium, im eleganten Ambiente des Redoutensaals. Das Wiener „Conversationblatt“ lobte das „Harmonikon“ am 21. Feber 1855 in höchsten Tönen: „Wenn auf diesem Musikwerke ein kriegerischer Marsch gespielt wird, so ist die Wirkung dieselbe, welche eine reichbesetzte Militär-Bande hervorbringt. Aber auch jede Gattung von Tonstücken lässt sich darauf vortragen; die sanftesten, weichsten, elegischsten Passagen.“
Für Erfindungen dieser Art gab es damals viel Interesse und Hörbiger wusste das zu nutzen, knüpfte Kontakte, wurde weiter empfohlen. So wurde auch Eduard van der Nüll, einer der beiden Architekten der Staatsoper, auf ihn aufmerksam. Er hatte bis 1849 die Bauleitung der Altlerchenfelder Pfarrkirche inne, des bedeutendsten Werkes des romantischen Historismus in Österreich. Von ihm stammen auch ein Gesamtentwurf der dekorativen Malerei im Kirchenraum und Entwürfe für die Einrichtung. Große Künstler wie Josef Führich, Karl Blaas und Leopold Kupelwieser schufen Fresken. In dieser Kirche dabei zu sein, war ehrenvoll. Hörbiger bewarb sich, legte Zeugnisse vor und machte bei der Auslobung für die Orgel im Jahre 1856 mit 11.900 Gulden das kostengünstigste Angebot. Vom Kultusministerium bekam er den Auftrag für eine große Orgel mit 48 Registern. Das finanzielle Risiko war allerdings enorm, Holz und Metall wurden teurer, die Lohnkosten stiegen, die Arbeit verzögerte sich bedenklich. Vielleicht waren es der Wildschönauer Charme und der in Wien obligate Tyrol-Mythos, die Hörbiger zu Gute kamen? Seine Bittbriefe um Geldvorschüsse an die Behörden und selbst an den Kaiser hatten Erfolg. Schulden hatte er trotzdem. Doch als ihn Gläubiger 1860 arg bedrängten, organisierte er zu Jahresbeginn eine Art Benefizkonzert, obwohl in der Kirche noch die Malergerüste standen. Vom Weihbischof über den Kultusminister bis zum Bürgermeister kamen die Promis. Eine hübsche Summe ging ein, das Orgelspiel aber gefiel nicht jedermann. Das änderte sich auch nicht, nachdem die k. k. Landesbaudirektion im Februar das Instrument als „Meisterwerk“ abgesegnet hatte. Alois Hörbiger bekam das restliche Honorar, den Kostenvoranschlag hatte er um 8.500 Gulden überschritten! Verständlich, dass sich Kritiker formierten, ein „Glaubenskrieg“ über den Wert der Orgel wurde in diversen Zeitungen, auch in der Fachpresse ausgetragen, wobei die abgeblitzten Wiener Konkurrenten sicher ihr Scherflein dazu beitrugen. Bemängelt wurden vor allem die schwere Spielbarkeit, die schlechte Windversorgung und die allzu „sanften und zarten“ Stimmen. Der Pressekampagne antwortete Alois Hörbiger mit einer geharnischten Entgegnung am 8. Juni 1860 in der „Wiener Zeitung“, aber sein Ruf in der Wiener Musikerbranche blieb angekratzt, vielleicht rümpfte die feine Gesellschaft auch die Nase über die Moral im Haus Hörbiger. Amalia, die 23-jährige Tochter, bekam ein lediges Kind, Hanns Hörbiger, der es einmal, wie erwähnt, als Erfinder und Verfasser der „Welteislehre“ zu Ansehen bringen sollte. Sein Vater, laut Familienüberlieferung ein Holzschnitzer namens Leeb, hatte sich „rechtzeitig aus dem Staub gemacht“. 1863 zog Amalia mit Hanns in die Heimat der Mutter, nach Dellach, denn die finanzielle Situation in Atzgersdorf war nicht rosig. Trotz einer Reihe von Aufträgen in Niederösterreich, die zumindest ein gewisses Einkommen sicherten. Die vereinbarten Termine wurden meist überzogen, über die Qualität der Instrumente gab es keine Klagen. Der Pfarrer von Höflein bei Bruck an der Leitha vermerkte allerdings, dass sich Alois Hörbiger „während seines Hierseins wohl als geschickter, aber auch dem Trunke sehr ergebener Mann“ gezeigt habe.
Die letzten Jahre in Österreich waren für die Hörbigers bitter. Trotz der Goldmedaille, die Kaiser Franz Joseph dem Orgelbauer verliehen hatte. Das Haus in Atzgersdorf musste versteigert werden, in Wien zog man von einer Wohnung zur nächsten. Maria Hilf, Hetzendorf, Meidling … Bescheidene Aufträge, eine kleine Orgel für
die Filialkirche St. Amadeus in Admont und die Kirche San Pasquale Baylon in Triest. Vergeblicher Kampf um den Bau der Stiftsorgel in Admont. Also wieder einmal Suche nach einem neuen Arbeitsfeld, weiter Richtung Osten.
*
Nach Siebenbürgen hatte man bereits 1863 von Wien aus eine erste Orgel geliefert, vier Jahre später folgte ein Werk in Groß Betschkerek im Banat (heute Serbien). Neben der Orgel baute Alois Hörbiger auch die Altäre und die Kanzel im „byzanthinischen Style“. In Setschan schwärmte der Pfarrer von den „Fachleuten“, Wilhelm und Godefried Hörbiger. „Es sind schöne, anständige und in moralischer Hinsicht gut aufgewachsene junge Leute, sehr gute Sänger und ausgezeichnete Orgelspieler“. Die Söhne hatten im Banat wohl den Großteil der Arbeit geleistet. 1870 übersiedelte die Familie endgültig von Wien in das Banat. Tochter Amalia, inzwischen verheiratet, verkaufte das mütterliche Erbe und zog mit Ehemann und dem heranwachsenden Sohn Hanns (wieder) zu Eltern und Geschwistern. Ein finanzielles Fiasko zeichnete sich auch hier ab. Nach dem Tod seiner Frau, dem Mittelpunkt der Familie, machte sich der 62-jährige Alois Hörbiger noch einmal auf den Weg, vermutlich allein. In Semlin (Zemun), heute ein Stadtteil von Belgrad, fand der Orgelbauer von Tirol noch einmal Arbeit. 1876 starb er dort.
*
Was mir bei all den Treffen mit Fachleuten nicht gelungen war, ermöglichte mir der Orgelbauer Peter Maria Kraus an einem Sonntag in der kleinen gotischen Pfarrkirche in Grinzing: das „Innere“ einer alten Orgel kennenzulernen, die Alois Hörbiger 1858 erneuert hatte. Kraus hat das lange vernachlässigte Instrument, an der Schubert spielten, 1996 repariert und dabei versucht, den möglichen Hörbiger-Klang zu rekonstruieren. Ob es tatsächlich dieser Klang ist, den ich jetzt höre? (Beweisen kann es Kraus natürlich nicht, denn die Orgel hat eine lange Geschichte und diese ist immer noch nicht ganz erforscht. Gesichert ist, dass Hörbiger die seit 1829 sogenannte Erler-Orgel von 12 auf 15 Register erweiterte. Kraus schwärmt auch von vorhandenen barocken Pfeifen, von Streichern und Flöten. Orgelwissen ist schwierig. Kraus spielt Frescobaldi.)
Alois Hörbiger, 1810–1876. Der Orgelbauer von Tirol, Herausgeber: Bergbauernmuseum z’Bach, Wildschönau, 80 Seiten, 1010. Zu beziehen über Bergbauernmuseum z’Bach, 6311 Wildschönau