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Strom oder Strom?

Der Lech: 264 km lang, rechter Nebenfluss der Donau. 30 Kraftwerke, 24 Stauseen, Nettostromleistung: 335 MW. Der Chemiker und Philosoph Jens Soentgen erkundet vor seiner Haustüre in Augsburg einen Fluss, der aus Tirol kommt.

Was ist ein Fluss? „Ein natürliches, linienhaft fließendes Gewässer auf Landoberflächen“, sagt das Lexikon. Dies ist aber ein eher äußerliches, geometrisierendes Verständnis. Ich denke mir einen Fluss eher als Versammlung, als Kollektiv, wie Bruno Latour sagen würde. Zunächst ist er ein Kollektiv der Wasser-
tropfen. Das, was ein vom Himmel fallender Wassertropfen tun will, nämlich geschwind in Richtung Meer fließen, kann er am besten in einem möglichst großen Verein mit anderen Tropfen. Jeder Wassertropfen ist daher ein Magnet für andere Wassertropfen. Sie, die in der Luft Vereinzelten, werden am Boden Rinnsale, Bäche, Flüsse. Flüsse sind ganz große Tropfenkollektive.
Wasser will schnell nach unten. Auf diesem Weg haftet es aber an Sandkörnern, an Halmen, an Kieseln. Am schnellsten geht es bergab, wenn Wasser in und auf und durch anderes Wasser gleitet. Es ist gewissermaßen sein eigenes Schmiermittel und dann auch sein eigener Antrieb: Es schubst sich selbst an. Denn Wasser wird, wenn es sich bewegt, mit fast unwiderstehlicher Kraft von Wasser angezogen. Flüsse sind nicht nur Tropfen-
kollektive. Sie versammeln als Biomagneten auch Pflanzen, Tiere und Menschen. Durch sein Brausen ist der Fluss von weither schon hörbar, sein Klang lockt an. Vögel bevölkern seine Ufer, Tiere kommen und natürlich Menschen. Die meisten älteren Städte sind an Flussläufe gebaut oder dort, wo ein Fluss in einen See mündet. Länder werden entlang von Flüssen besiedelt. Der Fluss bringt immer Neues und Neue und Neuigkeiten heran und trägt Altes fort.
Er fließt und zerrt an allem in seiner Nähe, verlegt sich hierhin und dorthin, lockt dieses an und anderes mit, obenauf schwimmen Holz, Gras, Samen und auf Astflößen Lebewesen, unter ihm kullert und hoppelt das bunte Völkchen der Kiesel, mit ihm zieht eine Schwebewelt, in ihm schwimmen Wasservögel, Biber, Fische.
Fließend wie er selbst und fließend durch ihn sind die Ansammlungen an seinen Stränden, die er fortlaufend gestaltet, die er auflandet und wegspült. Deshalb findet man an Flussufern gesteigerte Vielfalt, sowohl menschlich wie auch ökologisch. Flüsse gestalten Mikrotope, kleine Buchten, Altarme, die Lebensräume für empfindliche Geschöpfe werden können, sie bauen Paratope, Nebenräume, die nicht fest sind und nicht flüssig, sie gestalten Sphären, die ihrerseits die Geschöpfe anlocken, zu Wiegen und Hochzeitssälen werden können. Aus eintönigen Flächen machen Flüsse Landschaften, die klingen und singen, die bis ins unendlich Kleine reich strukturiert sind.

Soweit so schön – doch gehen wir einmal, von dieser Theorie erregt, an einen realen modernen Fluss. Begeben wir uns etwa an den Lech bei Augsburg.
Wo findet man ihn, den Lech? Mitten in der Stadt, am Augustusbrunnen vor dem Rathaus, einem Prachtbrunnen aus dem 16. Jahrhundert ist er zu sehen: als uralter, gut trainierter, nackter Mann lagert er da zu Füßen des gerüsteten und gepanzerten Kaisers Augustus, der die Hand zum römischen Gruß erhebt und dessen großes Augenpaar über die Flussgötter zu seinen Füßen hinwegblickt in die Ferne. In seiner Hand hält der Lech ein Flößerruder, bekränzt ist das bärtige, langhaarige Haupt mit Zapfen tragenden Fichtenzweigen. Ein Wolfsfell liegt über seinem Bein. Die Attribute zeigen seine Herkunft aus dem Gebirge. Dies ist der allegorische Lech, wo ist der Wirkliche?
In Augsburg und um Augsburg herum sieht man ihn höchstens von Brücken herab und immer nur in der Tiefe. Er ist umgeben von steilen, treppenlosen Dämmen wie einer, dem man besser nicht zu nahe kommt. Nur Trampfelpfade führen hier und da an ihn heran. Vorbei geht es an Verbotsschildern, die die Naturschutzbehörden aufgestellt haben und den Einzelnen mahnen, unbedingt das zu schonen, dessen Untergang die Allgemeinheit schon vor Jahrzehnten besiegelt hat. Einen niederschwelligen Zugang zum Lech über Strände, wie er eigentlich für Flüsse natürlich wäre, gibt es nicht.
Der Lech fließt einsam und allein durch Augsburg, ein verdrängtes Gewässer. Keine Flöße, keine Baumstämme, nicht einmal Kanus sieht man auf diesem Fluss; es empfiehlt sich nicht, ihn zu befahren, weil er allenthalben mit Wehren und Schwellen durchsetzt ist. Immer tiefer, hier und da an die zehn Meter, gräbt sich der enggeführte und eingedämmte Fluss ein, als wolle er verschwinden. Er, der alte, gastliche Versammler, scheint menschenscheu geworden. Er hat in seiner von Menschen gebauten künstlichen Schlucht den Kontakt zu denen, die durch ihn doch erst hierher gekommen sind, verloren. Es gibt keine Fischer mehr, nur noch einige Angler, die vor allem selbstausgesetzte Fische fangen. Es gibt keine Flößer mehr: Mit Ausnahme der Wasserbauingenieure und Kraftwerksbetreiber existiert überhaupt keine Berufsgruppe mehr, die direkt mit dem Fluss zu tun hat. Es gibt auch kaum mehr echte Flussfische in dem Fluss und sogar die Kiesel werden selten. Woran liegt das?

Der Lech ist, seit im Jahr 1984 die Staumauer bei Merching, nicht weit von Augsburg geschlossen wurde, kein Fluss mehr, er ist etwas Neues geworden, ein Mischwesen aus einem natürlichen Gewässer und einem kilometerlangen maschinellen System. Er ist zwischen Forggensee und Augsburg, also auf über 100 km Länge, kein „Fluss mit Wasserkraftwerken“, sondern ein einziges, spezialisiertes Wasserkraftwerk mit dem Ziel der Erzeugung von hochpreisigem Spitzenstrom. Er ist ein langgestrecktes Elektrizitätswerk, das überwiegend von den Betreibern Eon Energie AG (von Füssen bis Augsburg) und Lechwerke AG (von Augsburg bis zur Donau) betrieben wird. Er ist ein mit der Strombörse vernetzter Fluss, ein ferngesteuerter Cyborg.
Der Begriff Cyborg taucht normalerweise in der Science Fiction auf, meist bezeichnet er Mischwesen aus Mensch und Roboter. Von Seiten der Science Studies hat Donna Haraway in einflussreichen Publikationen darauf hingewiesen, dass solche Cyborgs längst real sind – etwa transgene Pflanzen, die technisch veränderte Gene enthalten, oder auch speziell gezüchtete Mäuse, wie die Oncomouse®. Auf Flüsse wurde der Begriff noch nicht angewandt; doch gerade hier wäre er besonders erhellend. Denn durch die systemische, nicht nur additiv-defensive Durchbauung des Lech ist auf deutscher Seite ein ganz neues technisch-ökologisches System entstanden, das nicht nur anders aussieht, sondern sich auch anders verhält als jener alte Fluss. Man versteht das Abflussverhalten des Lech, die Schwankungen seines Wasserstandes, aber auch seine Ökologie nicht mehr, wenn man ihn, wie es wackere Geographen bis heute tun, als Fluss zu begreifen versucht. Denn nur noch zur Hälfte wird sein Verhalten von natürlichen Ereignissen und Naturgesetzen bestimmt. Weil er ein langgezogenes Kraftwerk zur Produktion hochpreisigen Stroms ist, wird sein Abflussverhalten und seine Ökologie zu gleichen Teilen von der Strombörse EEX in Leipzig und anderen Organisationen und Institutionen bestimmt wie von den Niederschlägen in den Alpen, die sein Wasser liefern. Er wird heute sowohl von natürlichen wie auch von sozialen Gesetzen bestimmt und kann daher auch nicht mehr mit rein naturwissenschaftlichen Begriffen und Methoden beschrieben werden. Er entgleitet den naturwissenschaftlichen Disziplinen und kann umso sorgloser von denen behandelt werden, die aus seiner radikalen Transformation Profit ziehen.
Die neue Wirklichkeit des deutschen Lech wird geradezu verdeckt von den Naturwissenschaften, die sich mit ihm befassen. Auf den Karten, die die Physischen Geographen zeichnen, kann man höchstens mit der Lupe, wenn überhaupt, die Querverbauungen, die Dämme, die Längsbauten erkennen. Der Lech sei „anthropogen überprägt“, heißt es in den Fachveröffentlichungen. Doch diese Abbildungen und Beschreibungen verdecken die Wahrheit. Wissenschaft wird zur Ideologie, wenn sie das Ausmaß der Veränderung nicht aufdeckt.

1940, auf dem Höhepunkt des 3. Reiches, wurde in München die BAWAG gegründet, die Bayerische Wasserkraft AG, deren Ziel insbesondere der Ausbau des Lech mit Kraftwerken war. Die Umsetzung begann sofort. Die Wildflussstrecken zwischen Füssen und Augsburg, auf denen der Fluss sich hier und da in zahlreiche kleine Flüsschen und Bäche aufspaltet, was auf den Luftbildern wie ein geflochtenes Band aussieht, wurden eliminiert. Es folgte die Errichtung erster Kraftwerke in dem Fluss. Nach dem 2. Weltkrieg wurden dann, inmitten der Wirtschaftswunderzeit, die ganz großen Pläne wieder hervorgeholt und realisiert. In Eberhard Pfeuffers 2010 erschienenem, großartigem Buch „Der Lech“ kann man anhand von Bildvergleichen die Veränderungen eindrucksvoll erkennen. Strom musste her im „strukturschwachen“ Bayern. Zunächst wurde der Lech bei Füssen zum „Forggensee“ aufgestaut. Flussab baute man dann eine „Kraftwerkstreppe“ von insgesamt 20 Staustufen. Die letzte dieses Systems findet man kurz vor Augsburg, es ist die Staustufe bei Merching. Zwischen Merching und der Mündung des Lech in die Donau gibt es dann noch weitere neun, allerdings nicht systematisch gekoppelte Kraftwerke.
Rivalis nannten die Römer einen Genossen, der neben einem selbst an einem Kanal oder Bach seinem Gewerbe nachgeht. Daraus ist, mit einer kleinen Bedeutungsverschiebung, unser Wort „Rivale“ geworden. Ein einziger mächtiger Rivale, die Elektrizitätswirtschaft, hat am Flussrand von Füssen bis Augsburg die Macht am Lech ergriffen und alle anderen verdrängt. Die Flößer, die Fischer, die Bootsfahrer, die Kinder am Flussufer und schließlich sogar die Fische selbst und die Kiesel. Die Elektrizitätswirtschaft hat den Umgang anderer mit ihm zwar nicht verboten, aber durch allerlei Bauwerke und Schilder erschwert und de facto gelähmt. Vielseitige Nutzung eines Naturwesens, sei es ein Wald, sei es ein Fluss, sichert innere Vielfalt. Doch mit der Verdrängung früherer Nutzungsformen des Lech erlischt auch seine innere Vielfalt.

Fast alle großen Bauwerke am deutschen Lech hängen zusammen; die Kraftwerke, die Uferverbauungen, die Staumauern bilden ein System, ein Element fordert das andere. Wann in diesem System wie viel Wasser fließt, das bestimmen nicht mehr die Wolken über den Alpen. Diese sorgen nur noch dafür, dass überhaupt etwas fließt, und sind weiterhin verantwortlich für die großen Abflussmuster. Aber diese werden überlagert durch neue, feinere Muster, die andernorts diktiert werden. Wenn im deutschen Stromnetz viel Strom angeboten, aber relativ wenig nachgefragt wird, dann schließt der Kraftwerksmeister am Forggensee die Schleusen; der See schwillt an. Geht aber der Strompreis an der Strombörse in die Höhe, dann lässt der Kraftwerksmeister das Wasser durch die Turbinen laufen. Durch zwanzig Turbinen läuft dann jeder Schwall Lechwasser, bis er in der vorerst letzten Staustufe, in Merching ankommt. Überall wird ihm lebendige Kraft abgezogen, in Hochspannungsleitungen eingespeist und an der Strombörse verkauft. Überall zweigen endlose Reihen von Hochspannungsmasten von ihm ab, dicke Drähte ziehen zu ihm hin wie die Fäden einer Marionette. Die Reihen der Masten verlieren sich in der Ferne der Landschaft.

Der Lech durchströmt nicht einfach die Kraftwerke, die in ihm stehen, sondern wird in den Speichern so lange zurückgehalten, bis sich seine Kraft zum höchstmöglichen Preis verkaufen lässt. Dieses ökonomisch höchst sinnvolle Verfahren nennt man Schwellbetrieb. Dem Wurzelspeicher Forggensee entspricht ein Endspeicher, der in Merching bei Augsburg liegt. Hier kann das Auf und Ab des Wasserstandes, die durch den Schwellbetrieb entstehen, etwas ausgeglichen werden, damit in Augsburg der Lech nicht etwa plötzlich Hochwasser hat und dann wieder trockenfällt.

Die äußere Umwandlung veränderte den Lech auch innen. Die Abschnürung verarmte ihn. Fast alle von Fischern und Anglern geschätzten Flussfische verschwanden nach und nach – aus dem Lech und aus den Speisekarten der anliegenden Städte. „Steckerlfisch“ gibt es auf dem Plärrer-Volksfest in Augsburg auch heute noch. Doch längst sind es Makrelen, die da aufgesteckt und gegrillt werden.
Die Nasen, die Huchen und die Äschen, einst in großen Schwärmen im Lech unterwegs, sind selten geworden. Ihre Namen kennt kaum noch jemand. Sie finden für ihre Brut keine sauberen Kieselbänke mehr, sie können in dem von Staustufen unterbrochenen Fluss auch nicht mehr wandern. Die Kraftwerksbetreiber haben zwar sogenannte Fischtreppen eingebaut, diese funktionieren jedoch in der Regel nicht. Der Schwellbetrieb, der je nach Strompreis an der Strombörse den Wasserstand erhöht oder erniedrigt, legt schon mal ganze Kiesbänke innerhalb weniger Stunden trocken, so dass vor allem junge Flussfische verenden. Das Ausbaggern des Kieses in den Staustufen wirbelt Schmutz auf, der das Wasser trübt und das Flussbett verschlammt.
Heute schwimmen in den zahlreichen Stauseen kaum noch Flussfische, dafür mehr und mehr Seefische wie die Hechte und Karpfen, was manche Angler gar nicht schlecht finden. Um mit den Angelvereinen auf gutem Fuß zu stehen, setzt der Kraftwerksbetreiber Eon Energie AG immer mal wieder Forellen in den Lech, ausgewachsene Tiere aus der Zucht, die dank ihrer behüteten Kinderstube gutgläubig sind und sich leicht fangen lassen. Ältere Angler, die noch die „richtigen“ Flussfische kennen, finden, dass die eingesetzten Fische nicht schmecken.
Kiesel, also Geschiebe, gehören zum Leben eines Gebirgsflusses dazu. Sie sind das klickernde, lustige Volk, das auf seinem Grund mitwandert. Zu bestimmten Zeiten des Flussjahres, bei Niedrigwasser, machen die Kiesel Rast, bei Hochwasser setzen sie sich wieder in Bewegung. Bisweilen in großen Pulks, in Haufen, bisweilen in langgestreckten Prozessionen. Dazwischen, in den von ihnen geschaffenen kleinen Ritzen und Höhlen, leben die Jungfische, die Krebschen und die Käfer. Doch die Wallfahrer am Flussgrund sind heute fast schon Geschichte, sie werden gleich beim Austritt des Lech aus den Alpen, noch vor seinem Eintritt ins bayerische Alpenvorland aufgehalten. Viele werden bereits in den Kieswerken von Vils in Österreich abgefangen, der Rest bleibt in den mächtigen Kiesrechen des Forggensees hängen. Wie die Flussfische auch, werden die Kiesel durch künstlichen Besatz weiter flussabwärts ergänzt.
Die Wasserwirtschaftsämter kippen Flussbausteine in den Lech. Der Sammler findet sie hier und da am Flussrand, es sind Bruchstücke von Jurakalk, hellweiß mit gelblichen Streifen; sie fallen auf, weil sie farblich kaum zu den anderen Kieseln passen und weil sie noch nicht gerundet, sondern durch und durch eckig sind. Was sind das für seltsame Steine? Flussbausteine sind keine Reste der Flussbefestigung, sondern Schotter, die gezielt in den Fluss geworfen werden, um Ersatz zu schaffen für die Alpenkiesel, die man am Forggensee zurückhält. Sie werden dem auf Diät gesetzten Fluss zugeführt, damit er in seinem neurotischen Heißhunger nicht sein eigenes Bett auffrisst. Es sind Pillen, die man dem Fluss verabreicht, die ihn aber nicht heilen können.

Der Lech war ein Fluss und ist ein Fluss – hier und da auf der Tiroler Seite. Auch dort sollte er vernetzt werden; Pläne für Wasserkraftwerke gelangten in den 1990er Jahren an die Öffentlichkeit. Bürgerinnen und Bürger kamen zusammen und haben sich dagegen gewehrt. Die Pläne für das Wasserwerk wurden auf Eis gelegt, stattdessen reifte die Idee, Teile des Lechtals zum Nationalpark zu erklären, um ihn vor Eingriffen sicherzustellen. Dieses Vorhaben scheiterte zwar. Stattdessen wurde ein großer Naturpark Lechtal errichtet. Immerhin.
In Deutschland gab es in den 1950er Jahren ebenfalls Proteste, als der Forggensee aufgestaut werden sollte. Sie blieben damals – es war Wirtschaftswunderzeit – erfolglos. Deshalb ist der Lech heute auf der deutschen Seite kein Fluss mehr, der gastfreundlich einlädt, sondern ein Cyborg, ein Mischwesen aus Maschine und lebendigem Wasserorganismus, ein beschlagnahmter Fluss, der nur noch einem Herren dient, ein vernetzter Fluss, gesteuert von einer weit entfernten Zentrale, die ihrerseits mit den Zentralen des globalen Kapitalismus direkt verknüpft ist. Der Lech ist eingemauert zwischen Längsdämmen und aufgebockt in Stauseen: aus der bayerischen Landschaft ist er, von einigen kleinen Ausnahmen abgesehen, als Fluss verschwunden. Er ist Anökumene, unbewohnter Ort. Augsburg und der Lech – das wirkt wie eine geschiedene Ehe.

Schaut man vom Lech zur Isar nach München, so sieht man, dass ein Fluss gerettet und sogar wiederbelebt werden kann, wenn einflussreiche Anrainer den Kontakt zu ihm suchen und gegen die, die ihn beschlagnahmen wollen, kämpfen. Um das natürliche, vorüber-ziehende Kollektiv zu retten, bildete sich in München, 1902 bereits, als erste Kraftwerke den Fluss zu verschandeln drohten, ein menschliches Kollektiv, der „Isartalverein“, der die Total-Verbauung der Isar mit Kraftwerken verhinderte. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kämpfte der Verein dann, gemeinsam mit anderen Kollektiven wie „Rettet die Isar jetzt“ oder der „Isarallianz“ für die Revitalisierung großer, einstmals verbauter Bereiche. Mit Erfolg: Vor München wurde die Isar renaturiert, die Dämme wurden eingerissen, Flusswasser wurde den Kraftwerksbetreibern abgehandelt, das nunmehr wieder im alten Flussbett fließen darf, neues Leben kehrte an die vereinsamten Flusskilometer zurück. Heute ist die renaturierte Isar ein weltweit bekanntes Modellprojekt.
Auch der Lech könnte, wenn die Lechanrainer auf der bayerischen Seite es wollten, zumindest hier und da aus seiner Internierung befreit werden, wieder Kontakt bekommen zur Landschaft, die er durchfließt und von der er heute isoliert ist. Die Flussfreunde müssten dazu vom Lech selbst lernen, der zeigt, dass das, was die einzelnen Elemente wollen, schneller und leichter geht, wenn aus allen ein Kollektiv wird. Eine „Lechallianz“ und eine „Schutzgemeinschaft Lech“ gibt es bereits. Auch der Lech könnte, zumindest hier und da, aus seiner Isolation befreit werden und wieder ein Versammler werden.

 

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