Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte). Derzeit befinden wir uns auf einer Geraden, die von Obermauern im Osttiroler Virgental nach Garmisch-Partenkirchen führt. In der abschließenden Sequenz dieser Folge lässt Xaver Bayer seinen Blick länger über die Berglandschaft schweifen und hört unter anderem einen Specht lachen.
Die Zeit ist buchstabengenau und allbarmherzig.
(Hölderlin)
(In die Kälte oder Wärme unseres Nestes sind wir mitverwoben)
&
das Gehen der Beine beim Gehen
(Der vielsagende Körper)
der Schatten des Stiftes
mit dem ich schreibe
(Aber das ist schon außerhalb des Schreibens)
&
als ich in Innsbruck ankam
(So möchte ich das gelesen wissen?)
war es wie zuletzt
als ich in Innsbruck ankam
ich ging wie geduckt
mit gesenktem Kopf
(Das Leben scheint das Heitere zu bevorzugen
um zu bestehen
aber den Nebensatz beschließt der Tod)
durch die Gassen der Innenstadt
und später über die Brücke und in Richtung Außenbezirke
dort
verdorrte Pflanzen hinter den staubigen Schaufenstern leerstehender Geschäfte und Lokale
von den einstigen Besitzern im Stich gelassen
(Wieso muss ich an so etwas denken?)
und als ich dann auf dem Balkon des Hotelzimmers stand und rauchte
(Über mir ein Flugzeuggrollen
ein rostiges Messer
das über den Himmel schrammt)
fragte ich mich
warum eben ich hier immer dieses Gefühl des Geducktseins habe
und die Luft
war mit Souvenirs gespickt
(Schnee und Hausbrand)
&
die Rauchgirlande
die ins Freie zog
immer noch ein Bild der Friedfertigkeit
(Alle-Menschen-werden-Brüder)
und wie um meine weltumarmenden Gedanken zurechtzustutzen
brach einer auf der Straße unten einen Streit vom Zaun
(Was habe ich dort zu suchen?)
und für einen Moment hatte ich den Eindruck
als würde sich die Fassade der Häuser gegenüber in Bewegung setzen
und ich trat zurück ins Zimmer und schloss die Balkontür
und öffnete eine Flasche Wein
und dachte mir
dass mir alles Vorgeschriebene widerstrebt
&
hier mein Körper auf dem Hotelbett
dort der Weltempfänger auf dem Tisch
irgendwo dazwischen die Musik
hinter Tür und Fenster Lebenszeichen anderer Menschen
(Mein Schreiben
das ich beobachte)
und in die Gegend gestreut
was ich mir zugute halten kann
(Die leeren Häuser in der Vorstellung
wie die Tage sie durchleuchten)
&
so lag ich da eine Weile und trank
und suhlte mich in der Unlust
hier zu sein
bis ich mir selbst damit auf die Nerven fiel
also zog ich mir die Schuhe an und ging hinaus
Hütten mit Weihnachtsplunder
als Touristen kostümierte Touristen
dann ein Blick auf einen Mauervorsprung
auf dem eine zusammengekauerte Taube saß
ein zweiter Blick
und es war eine taubengraue Überwachungskamera
&
auf einem Schild in einem Schaufenster las ich die Aufforderung
(Schenken Sie Ihren Liebsten Zigarren)
und sofort hatte ich Lust
das Geschäft zu betreten und Zigarren zu kaufen
um sie jemandem zu schenken
und an einem Lokal vorbeigehend
sah ich auf einem Kühlschrank die Aufschrift
Rauch
(Der Name einer Fruchtgetränkemarke)
und automatisch spürte ich das Verlangen
mir eine Zigarette anzuzünden
&
ich gehe
(Nur den Platzhalter spielend
wie ein Double für die Szenen ohne Stunts)
&
ein Kind
an der Hand seiner Mutter
sagt zu ihr
(Die Welt ist heute ganz unsichtbar)
und ich
dazwischen
bewege mich weiter
damit die Bewegungslosigkeit in mir nicht zu sehen ist
(Diese Starre ist wie die Beschäftigung derer
die in allen Fußgängerzonen der Welt als lebende Statuen ihr Einkommen finden
von der Gefahr begleitet
eines Tages zu gefrieren
zu einer Statue aus Porzellan zu werden
umgeben von hohen Mauern
auf denen Tafeln mit unverständlichen Hinweisen montiert sind
ohne Leben
nur hin und wieder das Widerklingen einer über die Mauer geworfenen Münze am Porzellan)
&
ich sehe unscharf
fühle mich taumelig
(Wie ich gestern noch ins Kino ging
und mir Lars von Triers
Melancholia
ansah und dabei betrunken einschlief)
&
(Verlangen nach Vorfieber)
und
(Wenn der Schlaf einem beim Aufwachen noch schnell Traumkassiber ins Bewusstsein schmuggelt)
&
dann stehe ich also endlich am Fuß des Berges
an einem neuen Tag
und
es gelingt mir nur
das Allernaheliegendste zu erkennen
auch die Wörter haben keine Klettfunktion
rutschen durch das Angeschaute
wie ein Filmgespenst durch Wände geht
(Die schwarze Logik)
die Spinnweben zwischen den Zaunlatten
vom Morgenfrost umwachsen
sie hängen da wie Miniaturblumenketten
&
die fast schon ganz entlaubten Bäume
nicht zu entscheiden aus der Ferne
was Vögel sind und was vertrocknete Blätter
(Ob wir
wenn wir gegen die Natur revoltieren
nicht längst Diener der Natur sind?)
&
ich gehe weiter
&
im Gehen frisst der Schatten der sich bewegenden Hand
immer wieder eintauchend und sich wieder losreißend
in die Körperkontur hinein
und das Bewusstsein lässt
zwischen jedem meiner Schritte auf dem knirschenden Schnee
und dem Lärm der durch das Tal brausenden Autos
wie panisch seine Spitzen hochschießen
und verkriecht sich dann wieder in ein sonores Abtun vom Geschehen
das Mittun tätschelnd als unaufhaltbarer Vertröster
so schlüpft es in die Haut
so will es verschluckt und verschwiegen werden
der Schwerpunkt jedes Blicks
der Druck jeder Ansicht
oder
Betrachtung als Annahmestelle
als zufälliger Magnet mit Bewusstsein
&
die Lust
sich zu blähen und nie mehr auszuatmen
es schafft sich Weile
(So wie man eine Hautschicht in einer Nährlösung züchtet
sie wird perforiert und gespannt und wächst wieder zusammen)
aber mehr als das
das Zusammenprägen mit einem Ort
einer wiederholbaren Bewegung
(Täler mit Mühlen)
&
mit mir trage ich den alten Feldstecher
das Fernglas
ich tue so
als würde ich die Gipfel absuchen
doch so ist jeder Blick Naturspionage
und erst allmählich komme ich dahinter
der Moment der Unschärfe ist es
(oder besser gesagt)
der Moment
in dem das Unerkenntliche erkennbar wird
der mich einnimmt
(Ein Schemen in der Ferne und der Zeitschleier
unterdessen er zum Menschen wird)
apropos
(Überhaupt ein Schlüsselwort des Zu-Sagenden)
sprich von der Notwendigkeit des bloßen Schauens
und schon wird dein Blick befangen
&
(Es wird schwieriger
nichts zu wollen)
&
länger meinen Blick über die Berglandschaft schweifen lassend
versuche ich bei den Wegen und Straßen zu verweilen
deren Verlauf mit dem meiner mouches volantes deckungsgleich ist
und die Wolken am Himmel
wie ein künstliches Gespinst aus Gruselfilmen
und der leere Parkplatz
und der Weg
(Gedanken auf ansteigenden Wegen
Gedanken auf abschüssigen Wegen)
&
plötzlich lacht von hinten ein Specht
(handschriftlich)
und landet auf dem Stamm eines Baums
ich sah hin
(Es wird zu schwierig
Ich breche ab)
(&)
und immer wieder muss man sich der Asche entledigen
(Die Tage sind Kürzel für die Ewigkeit.)
&
die Zeit steckt in den Räumen zwischen der Unterteilung
man kann mit ihr spielen
in sie pflanzen
sie schmücken
wenn man sich ihr
präziser werdend
nähert
(Harlekin ist verrückt geworden)
&
(Der Moment der bewussten Selbstbezüglichkeit
da beginnt die Übervorteilung)
&
und weder das Bild ein Trost
noch die künstliche Beleuchtung
noch der Verlust des Lebens
(It was the time of my life)
oder der Verlust des Augenlichts
der Gegenwart
(Amboss)
keinem gehört etwas
(Adieu Fischvergiftung
adieu Raumkapsel
adieu Mittelfinger
adieu Grußformel
adieu Explosionsmotor
adieu Herzschrittmacher
adieu Politclown
adieu Sklavenhaut)
jede Form der Illusionierung scheitert bald an sich selbst
(Zum Beispiel
Stille Post
mit sich selber zu spielen)
&
(Wo ist der andere?
Ich bin der andere!)
&
als ich zum Himmel aufschaue
kreuzen sich eine Sternschnuppe und eine Fledermaus
(Aber das ist schon später
als ich wieder auf dem Balkon stehe
und die Musik aus dem Zimmer hinter mir)
&
(Das In-Klammern-Setzen ist wie das Betten von Preziosen oder auch Nicht-Preziosen in ein weiches Etui
auch die implizite Bitte um Schonung)
&
(Das Geheimnis ist in den Dingen selbst)
es ist kein Ort
kein Einwand
(Als sei die Welt ein Puzzle
und wenn man es zusammengesetzt glaubt
wer schaut einem da entgegen außer man selbst)
und auf der Rückfahrt durch die Täler
das Gefühl
gar keine eigenen Gedanken zu haben
alles Gedachte könnte Zitat sein
eine Art Stellprobe ohne Zweck
ohne Wirkung
und zurück in Innsbruck
(Keine Karwendelhütte
kein Hoher Fricken
kein Klettersteig
kein Felsgrat
kein Anfang
kein Ziel
nur)
eine Amsel
die neben mir gegen die Glasscheibe eines Hauses geflogen ist
wie sie mit gebrochenem Genick am Asphalt liegt und einige Sekunden lang noch atmet
und wie weich und warm ihr Körper ist
ihre Augen
zu schön
um nicht wahr zu sein
(Das System läuft in sich
man kann es nicht zu Fall bringen
man vermag nur außer sich sein)
&
als ich dann in einem kleinen Lokal sitze
die anderen Gäste vier alte Frauen und ein Sandler
(Seine kretinhaften und verschorften Hände
das vom Alkohol hochrote Gesicht
seine tierhaften Augen
boshaft und unendlich sanft und arglos zugleich
ich denke
diese Augen
sie wickeln den ganzen Himmel voller Sterne ganz einfach und zärtlich in Zeitungspapier)
Musik aus dem Radio
(Etwas Nichtgegenständliches)
und draußen die lichte Innstraße
der beständige Autoverkehr und die Passanten
die ihre langen Schatten hinter sich herziehen wie die Schleppe eines Mantels
&
mir gegenüber an der Wand ein Gemälde
ein Frauenakt
darunter ein länglicher Spiegel
der den gleichen Spiegel in meinem Rücken reflektiert
und so blicke ich in diese künstliche Endlosigkeit wie in einen Bergwerksschacht
der sich unbekümmert und sachlich in die Tiefe krümmt
die Wehmut
die Schönheit
das Leben
die Sonne auf dem Papier
auf dem ich schreibe
(Angeschmiegt an die Phantasmagorie
eine Passform der Sehnsucht)
&
in der späten Nacht
fast schon früher Morgen
minutenlang ein Wolkenfenster am grauschwarzen Himmel
und da habe ich einen Morgenstern gesehen
noch ganz schwach leuchtend
aber unzweifelhaft da
(Oder war es ein Traum?)
und zwei Gänse zogen
schweigend und stark
in der Nacht über die Stadt
sie wissen von unserer Prachtlosigkeit
dachte ich
ihr Gefieder strahlt
und darüber vergessen wir uns
&
und anstatt wieder einzuschlafen
warte ich auf den Frühlingsmorgen
(Das stets ungebrochene Siegel der Sehnsucht)
und solange
(...)
baue ich
mein Nest
an den Wänden der offenen Schlucht