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Wolfgang Wirth Verweisstrukturen

Auf den folgenden Doppelseiten ereignet sich Malerei, die sich wieder sehen lässt und nicht nur das ist, was sich sehen lässt. Von Kurt Kladler

Das, was die Malerei spezifisch auszeichnet, lässt sich, so die These der Bildstrecke, die Wolfgang Wirth für Quart entwickelt hat, in der malerischen Bezugnahme auf den jeweiligen Darstellungskontext sehen. Malerei tritt uns dabei als fotografierte Realität entgegen, die sich durch das Blättern, Doppelseite um Doppelseite, erschließt. Dabei kommen verschiedene Bestimmungsgrößen und Dimensionen ins Spiel, wie das Verhältnis von Malerei und Fotografie, die Konventionen der Lektüre eines Mediums, dessen Inhalt hauptsächlich durch Blättern und eine Leserichtung erfasst wird. Zudem bildet im konkreten Fall die gegenständliche Malerei einer Federkrone das verschobene Zentrum dieser Bilderabfolge, und dieses magische Auge scheint den Blick aus der Malerei zurück auf die Betrachter selbst zu richten: Was lässt sich sehen?

Wolfgang Wirth verwirklicht in seiner künstlerischen Arbeit einen Ansatz, der bewusst die Medialität von Malerei, Ort, Zeit und den Darstellungskontext als konstitutive Bestimmungsmomente mit einbezieht. In verallgemeinernder Weise lässt sich deshalb behaupten, dass sich seine Malerei ereignet.
Im konkreten Fall ist der konzeptuelle Grundriss einer Zeitschrift, deren Gestaltungskonventionen reflexiv das eigene Medium begleiten und thematisieren, sein Bezugsfeld. Auf einigen Doppelseiten ereignet sich seine Malerei, die zwei Narrationsweisen – die Geschichte des Bildes der Federkrone und das Ereignis der Malerei – aufeinander bezieht. Augenfällig ist dabei wohl zunächst die opulente Federkorne Montezumas, durch deren Spiegelung eine geweitete Pupille zu entstehen scheint, eingefasst vom hellen, bunten Wimpernschlag der Federn und deren dunkelnder Spiegelung. Die Geschichte, die sich mit diesem Objekt verbindet, macht dieses zu einem Bedeutungsfetisch und etabliert ein Verhältnis, das auch im Hinblick auf die Malerei selbst beispielhaft ist. Indem das Objekt Federkrone die ihm durch die Erzählung zukommende Bedeutung konkretisiert, verschafft sie, rückspiegelnd, der Wahrheit dieser Erzählung und den damit begründeten Ansprüchen Geltung.

Diese zirkuläre Erzähl- und Begründungsweise ist in der Bildstrecke in eine zunächst lineare, von der Abfolge des Blätterns bestimmte Erzählung darüber, wie Malerei sich ereignet, eingebunden. So sind am jeweiligen Seitenrand der ersten Doppelseite Streifen einer zerschnittenen Leinwand eng übereinander ausgelegt und von den Fotos einer Bodenfläche so überlagert, dass nur ein schmaler Streifen – wie ein durch den Druck eines Daumens leicht aufgefächerter Zeitschriftenrand – sichtbar bleibt, der auf den Möglichkeitsraum des Magazins verweist. Die verdeckten Seiten müssen aufgeblättert werden und verdecken dadurch andere. Folgt man dieser Logik, wird deutlich, dass in der Abfolge der Bildstrecke eine Art von Verweisstruktur vorhanden ist, die Farbe, Räume, Gegenstände, Fotografie und Malerei aufeinander bezieht. Ihre komplexen Verschränkungen erschließen sich jedoch erst durch mehrmaliges Hin- und Herblättern. Genau dem entspricht auch der Modus des Sehens von Malereien, wenn wir uns die wechselseitigen Bezugnahmen von Bildelementen erschließen.

Für diese zweite Erzählung, das Ereignen der Malerei vermittelnd, verwendet Wolfgang Wirth malerische Mittel und ihre Umsetzung durch Fotografien. Es sind eben nicht nur reproduzierte Bilder von Malereien, sondern Malerei ereignet sich unter den Bedingungen der medialen Verfasstheit eines Magazins. Durch die Bewegung des Lesens der Bilder wird dieses zum Ereignisraum von Malerei verräumlicht, wobei der Ort der Malerei nur transitorisch erfasst werden kann. Und in jenen Momenten der Selbstvergessenheit, fasziniert vom Wimpernschlag der sinnlichen Präsenz malerisch organisierter Farbe, ereignet sich Malerei in einer Weise, die wir mehr schauen als sehen.

 

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