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Die Tonart der Würde

Christian Seiler über den Komponisten und Gestalter Bert Breit

Bert Breit hat das Fragen nicht verlernt. Das ist vielleicht eine profane Beobachtung, aber ernsthaft, welcher Herr in diesem Alter, der auf eine prallvolle Vita und ein geheimnisvolles, respektiertes Werk zurückblickt, hält sich schon lang mit Fragen auf?

Breit fragt. Er ist kein Dozent. Das Geplauder über sich selbst bewältigt er nicht mit der zu erwartenden Routine, eine Anekdote von hier, eine von dort, ein paar Grundsatzweisheiten, fertig das Bild, wie man’s selbst gern von sich sehen möchte. Breit fragt zum Beispiel nach einem guten Titel, fällt Ihnen einer ein? Denn da ist diese Komposition. Ein Jodler, im weitesten Sinn. Nicht so einer, wissen Sie, vom Schützenfest. Sondern ein kleines, für ein paar Streicher arrangiertes Werk, das hübsche Motive aus der Volksmusik aufnimmt, nicht ohne aber den Treibsand mitzuliefern, über den neue Volksmusik wandeln muss, um die nötige Trittsicherheit zu beweisen. Das kann Breit. Er komponiert souverän an allen Moden vorbei, ohne deshalb beliebig zu werden.

Aber jetzt wegen dem Titel. Denn Musik, sind wir uns ehrlich, sagt Breit, dient doch allen Herren, sie liefert den Spiegel für die Gefühle, die jemand in ein Musikstück hineinhört, um sie wieder herauszuhören. Es bedarf eines guten Titels, damit die eine oder andere Hörweise, die mir unmöglich erscheint, gar nicht erst möglich wird. Hab ich Recht? Wissen Sie einen guten Titel?

Bert Breit, 75 Jahre alt, so ziemlich ein ganzes Leben lang Tiroler, wenn auch zeitweise mit einem Jahresumsatz von 60.000 Kilometern auf der Autobahn, er wohnt in einem hübschen Haus in Absam, ein paar Wegminuten oberhalb von Hall in Tirol Richtung Nordkette. Wer ihn aufsucht, passiert in Absam die Breitgasse, aber die ist, wie Breit mit vor Heiterkeit hoher Stimme sagt, nicht nach mir benannt. Auf Fotos sieht er ziemlich grimmig aus. Auf dem Cover der Doppel-CD „Bert Breit. Eine Dokumentation“ steht er, die Hände in den Hosentaschen, am Ufer eines Flusses, der wohl der Inn sein mag, und lässt unter seiner großen Brille die Mundwinkel hängen. Dieser Schwung, den Breits Mund nimmt, ist eindrucksvoll. Er sieht aus wie das Signet der rastlosen E-mail-Schreiber, die ihre Verstimmung so ausdrücken :-(

Aber falsch. Weil hinter einer scheinbar misanthropischen Äußerlichkeit wartet Breits Lächeln. Es ist kein strahlendes Lächeln, wenigstens nicht nach außen. Es leuchtet den festen, stämmigen Mann eher von innen aus, und, doch, auch seine Mundwinkel können nach oben wandern. Die Heiterkeit aber stammt von tief drinnen, wie die Wärme, die einen Kachelofen aus dem dunklen Innen heizt.

Bert Breit ist ein politischer Künstler, was denn. Zwar beherrscht er mehr als ein Handwerk, aber das Ziel, das er auf seine jeweilige Weise verfolgt, ist stets dasselbe: er will ein bisschen was an Gerechtigkeit in die Welt hineinstellen.

Das ist altmodisch, gewiss. Der Zeitgeist hat den meisten Künstlern das Politische längst runtergeräumt oder dafür gesorgt, dass politische Überzeugungen zum Marketinginstrument für subalterne Kulturprodukte mutierten. Wenn politisch, dann laut. So fordert das die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Diese Gleichung hat für Bert Breit keine Gültigkeit. Die Politik, die er verfolgt, ist die einer leisen Gründlichkeit, die nicht spektakulär, aber dafür unbeirrbar ist. Im schönen Booklet, das zu Breits 75. Geburtstag erschien, formuliert der Wiener Schriftsteller Erich Hackl, selbst einer der Leisen, Gründlichen, mit entsprechendem Einfühlungsvermögen: „An Bert Breit rühme ich nicht die Innovation, diese billige Kuh im Stall der Kunstwirtschaft, sondern das Beständige, nicht die Schnelligkeit, sondern das Beharrungsvermögen.“*

Breits Handwerk: die Komposition. Seine Medien: die Musik; der Film; das Radiofeature. Wobei die Grenzen zwischen dem Komponisten Breit und dem Journalisten Breit nicht gezogen werden können. Er kann gar nicht anders als komponieren, ob er jetzt am Klavier sitzt und eine Schwebung für vier Streicher aufschreibt, ob er für eine Filmsequenz eine 37 Sekunden lange Aufregung erdichtet, oder ob er über den Tonbändern hockt, auf denen nach wochenlanger Arbeit die Resultate ewig langer Gespräche zu hören sind, die danach rufen, aneinandergehängt zu werden wie musikalische Figuren. Tatsächlich sind Breits Radiofeatures Motetten, die menschlichen Stimmen Melodie-Vorschläge, die einem strengen Regelwerk gehorchen müssen, dieses Handwerk hat Breit aus dem Effeff gelernt.

Sein Feature „Hedwig und Agnes“ zum Beispiel, das Porträt zweier Schwestern, die als letzte von acht Kindern einer großen Bauernfamilie zusammenleben und, doch, mit ihrem Leben ganz zufrieden sind, auch wenn da, von draußen gesehen, vielleicht einiges gefehlt hat, lässt sich auch vom Zimmer nebenan gut hören. Selbst wenn man nicht versteht, was Hedwig und Agnes sagen, hört man die Lieder, die Melodien, die Strophen, die Refrains, die hier erzählt werden, und man spürt sehr genau die Tonarten, in denen die Erzählungen wohnen.

Im konkreten Fall sprach Breit mehr als 33 Stunden mit Hedwig und Agnes, die meiste Zeit verbrachte er am Tisch in der Küche der beiden alten Frauen, alle tranken Tee und aßen Süßigkeiten, bis nicht mehr allein die Forschere der beiden den Ton angab, sondern auch die Scheuere es wagte, mit ihren Versionen der gemeinsamen Geschichten aus der Deckung zu kommen.

Was für eine Intimität. Die eine erzählt, warum ihre Schwester und sie als Jungfrauen alt geworden sind. „Unberührt“ beide, aber nur eine „ungeküsst“. Denn die andere hatte sich in der Besatzungszeit in einen marokkanischen Soldaten verliebt, es fehlte nicht viel, und man hätte Hochzeit gefeiert, aber dann kam es eben doch nicht dazu. Agnes und Hedwig reden über ihre Mutter, die dem Vater nach acht Kindern kein weiteres mehr gebären wollte und deshalb kategorisch ablehnte, ihm zu Willen zu sein, was die beiden Töchter mit unterschiedlich großem Verständnis erörtern.

Aus den Dur-Tonarten der Geschichte wechseln die Schwestern ins Moll, in ein heiteres Moll. Sie ziehen Bilanz. Sie bewerten ihre Leben. Ihre Leben seien gut gewesen, kein anderes hätten sie sich gewünscht. Sie ereifern sich, wenn es darum geht, wer von beiden zuerst sterben soll, jede mag sich ein längeres Leben als das der anderen nicht gönnen, das kommt heiter über das Radio, heiter in der Tonart der Würde, in der Bert Breit seine Protagonistinnen auftreten lässt. Eine Theorie für die Einlassungen Bert Breits lieferte Theodor Adorno in seinen „Minima Moralia“: „Einig sein soll man mit dem Leiden der Menschen: der kleinste Schritt zu ihren Freuden hin ist einer zur Verhärtung des Leidens.“

Vielleicht müssen wir uns den Künstler Bert Breit aber auch nur wie einen Lawinenhund vorstellen, der nach dem allgegenwärtigen Erdbeben, das die Welt täglich in sich zusammenbrechen lässt, am Rand der Erschöpfung durch die Trümmer schnüffelt und hie und da jemanden, an dessen Überleben längst niemand mehr geglaubt hat, ans Freie zerrt.

Dann widmet er zum Beispiel sein Konzert für Violine und Kammerorchester mit dem Titel „Impulse“ der Zigeunerin Rosa Winter, „die wie die meisten ihrer Zigeunerschwestern und -brüder von Staat und Gesellschaft um ein menschenwürdiges Dasein betrogen wurde“. Nicht, dass Breit metaphysische Wiedergutmachungsfantasien hätte. Aber er versteht eben doch etwas von der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Wenn ich nach der Aufführung eines meiner Stücke dazu befragt werde, sagt er, kann ich die Widmung memorieren und eine Minute Sendezeit für Rosa Winter herausschlagen. Bei der Uraufführung eines anderen Stücks sprach ich über den Innsbrucker Obdachlosen Wolfgang Tschernutter, der von Jugendlichen zu Tode getreten worden war, ihm ist das Stück gewidmet. Mit diesen Widmungen versuche ich mich zu beruhigen. Sie dienen dazu, dass über Menschen geredet wird, über die sonst nie geredet würde.

1944, ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs, war Breit 17 Jahre alt. Er hatte die Volksschule und das Gymnasium in Innsbruck absolviert, dort traf er den Lehrer Franz Mayr. Mayr ließ seine Schüler über die Zeit, in der sie lebten, nicht im Unklaren. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde die „Widerstandsgruppe Franz Mayr“ ausgehoben und ins Konzentrationslager Reichenau verfrachtet, wo es, wie Breit anmerkt, keine ganz so schlimmen SS-ler mehr gab wie in den Jahren zuvor, die Übelsten befanden sich bereits auf der Flucht vor den Amerikanern.

Breit kam schnell frei, er studierte Musik in Innsbruck, schloss seine Studien am Salzburger Mozarteum ab, wurde von Wilhelm Keller in Komposition unterrichtet, nahm Privatunterricht bei Carl Orff. Sein musikalischer Horizont war weit: Breit interessierte sich nicht nur für die klassischen Disziplinen, sondern unternahm auch allerhand Klangexperimente, versuchte die Musik, die in Geräuschen wohnt, zu entdecken, gründete gleichzeitig den Kammerchor „Walther von der Vogelweide“. Er streckte die Nase in den Wind, interessierte sich für zeitgenössische Musik und Medien, entdeckte das Radio, nahm das Angebot an, die Abteilung „Ernste Musik“ bei Radio Tirol zu leiten, dieser Aufgabe widmete er sich von 1951 bis 1967.

Die Figur Franz Mayr aber kommt, wo eine noch so kursorische Biographie Bert Breits gedruckt wird, ursächlich vor. Mayr ist Breits Chiffre für Zivilcourage und Geradlinigkeit – diese politischen Fixsterne leuchten auch hell auf Breits Firmament. Sein Antifaschismus ist tief empfunden, seine Empörung über populistische Politik entbehrt jeder zynischen Geschäftigkeit: Breit sucht sich keine großen Gegner aus, um an ihnen zu wachsen; er kümmert sich bis zur Naivität darum, ja nicht in einen falschen Kontext zu geraten (über ein paar neue Stücke sagte er, er möchte auf dem Plattencover verbieten, dass sie zum Beispiel zu Werbezwecken der FPÖ gespielt werden dürfen); er kümmert sich um die, die auf der Strecke geblieben sind, weil sie, wenn er sie ihnen nicht gibt, keine Stimme mehr haben. So will Bert Breit nicht verstehen, wenn in den Debatten der Intellektuellen die Auschwitzkeule geschwungen wird, wenn Philosophen und Politikwissenschafter theoretische Spiegelfechtereien über Wert und Unwert des Erinnerns austragen. Kann denn niemand die Vergessenen hören?

Noch einmal Adorno: „Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt; noch das unschuldige Wie schön wird zur Ausrede für die Schmach des Daseins, das anders ist, und es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewußtsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält.“

Es gibt eine Passage in Bert Breits Feature über den „Todesmarsch 1945 über die Eisenstraße nach Mauthausen“, in der eine Frau, die damals ein Mädchen war, erzählt, wie sie einen jungen, geschundenen Mann auf der Weide ihres Elternhofes sterben sah. Der Frau bricht, als sie sich erinnert, wie sie der Mann, dem sie Milch brachte, ansah, die Stimme, und ihr unhörbares Weinen beschwört beim Hörer einen so heftigen Schmerz herauf, eine Ahnung der Verzweiflung von damals. Das sind die Momente, die Bert Breit ansteuert. Er muss sie hören, damit wir sie hören können.

Besagtes Feature, das eines der vielen dunklen Kapitel in der Geschichte Österreichs neu beleuchtet, hatte übrigens politische Konsequenzen. Der Gemeinderat von Eisenerz beschloss, auf dem Präbichl, über den im Jahr 1945 tausende Juden Richtung Mauthausen getrieben worden waren, einen Gedenkstein für die hunderten Opfer, viele von der Hand Eisenerzer Volkssturm-Männer ermordet, zu errichten.

1967 kündigte Bert Breit seinen Posten beim ORF und arbeitete fortan frei für Radio, Fernsehen und verschiedene Orchester. Er schrieb Radiophonien, experimentelle Stücke, die im Radio zur Aufführung gelangten, sampelte Geräusche, vertonte Filme, kam über Vermittlung von Claus Gatterer in Traudl Brandstallers „Prisma“-Redaktion beim Fernsehen, vertonte Norbert C. Kaser-Gedichte für die grandiosen Vokalisten des Hillard Ensembles, kümmerte sich im Radio um Alltagsgeschichten auf der Schattenseite des öffentlichen Lebens. Dienstboten. Nachtarbeiter. Prostituierte. Zigeuner. Menschen am Existenzminimum. Sie waren Bert Breits Gesellschaft. In seiner Freizeit arbeitete er ehrenamtlich für die Tiroler Bewährungshilfe. Zuhören. Gestalten. Das beherrschte Breit in allen denkbaren Tonarten.

Weil er außerdem einen unverkennbaren Schädel besaß, trabte Bert Breit auch als geheimnisvoller Pfarrer durch einige „Tatort“-Folgen. Das war sein sympathischer Beitrag zur Stärkung der katholischen Kirche.

Ich bin kein Glaubenshasser, sagt Breit, aber die Geschichte der katholischen Kirche ist nun doch zu schlimm und blutig. Zwar lobt er den Tiroler Bischof Reinhold Stecher, weil er den Kult um das „Anderl von Rinn“, das angebliche Opfer eines jüdischen Ritualmords, offiziell verurteilt hat.

Aber vielleicht trete ich trotzdem noch aus. Es wäre an der Zeit, meinen Sie nicht?

Wieder einmal stellt Bert Breit eine große Frage, und wieder einmal ist der Zeitpunkt, wann er sie stellt, viel richtiger als jede zu schnelle Antwort.

* Bert Breit. Dokumentation und Hommage für Bert Breit zum 75er, hrsg. von Othmar Costa und Bernhard Triendl, Bestellungen bei M. Breit, Samerweg 18, A-6067 Absam, info@breit.biz, www.breit.biz

 

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