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Wolken ziehen vorüber

Lois Weinbergers Garten für die sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck wird im Volksmund „Käfig“ genannt. Das kam so: Studentenvertreter organisierten Kundgebungen, weil ihnen ein Parkplatz für dasselbe Geld lieber gewesen wäre. Ein Arzt bezog vorübergehend in dem Kunstobjekt Quartier, um die Verfehlungen der Konsumgesellschaft zu geißeln. Vitus H. Weh schrieb die längst fällige Würdigung der Weinberger-Arbeit.

Sie ist rau geblieben. Rau und brüsk. Die „Einfriedung“, ein Gebilde aus Armierungseisen, das Lois Weinberger 1998/99 vor die sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck (SOWI) setzen ließ, haben auch die wachsenden Pflanzen und die Gewöhnung nicht in die gepflegte Moderne der Umgebung integrieren können. Sie ist zu groß, als dass man sie übersehen, und zu luftig, als dass man sie festmachen könnte. Ihr Äußeres ist so rostig wie manches Spekulationsobjekt in mediterranen Tourismuszentren, und ihr Inneres oszilliert störend zwischen Brachland und Assoziationsfeld.

Faktisch ist die Kunst-am-Bau-Arbeit schnell beschrieben: Vor dem von Dieter Henke und Marta Schreieck entworfenen neuen Institutsgebäude hat Lois Weinberger einen Exklusionskäfig errichten lassen, das heißt: Der Käfig sperrt nicht ein, sondern aus. Und dies recht martialisch mittels 3 cm starkem, rohem Armierungseisen, ein Volumen von 548 Kubikmeter (37 m lang, 4 m breit und 3,7 m hoch), vor Passanten, Gärtner und Rasenmäher schützend. Wege führen an diesem Eisernen Vorhang vorbei, kein Tor hinein. Und gleichzeitig ist der Käfig total durchlässig. Es keimt darin, was – vom Wind oder von Vögeln getragen – zufällig hier landet. Mittlerweile ist hinter den Gitterstäben ein Garten entstanden, einer, der sich selbst angelegt hat, ein hortus conclusus im buchstäblichen Sinne. Aber das Treiben in der Einfriedung ist alles andere als friedlich: Die ersten Pionierpflanzen sind bereits wieder verdrängt, mehrjähriges Kraut macht sich breit, Birken und Weiden schießen in die Höhe und ziehen den anderen Bewohnern des Areals die Nährstoffe ab.

Die Pflanzenwelt ist nicht so beschaulich, wie es unsere gehegten Parks und Vorgärten meistens suggerieren. Um zu sehen, mit welcher Zähigkeit manche Pflanzensorten selbst widrigsten Bedingungen standhalten, muss man beispielsweise nur ein wenig abseits der Rabatten schauen. Lois Weinbergers Arbeiten im öffentlichen Raum haben den Blick schon auf trockene Baustellen, Ruderalgebiete, Müllkippen oder gar blanke Betontische gelenkt. Und überall gedeiht etwas. Im St. Pöltener Kulturbezirk hat er aktuell einen 10 x 20 Meter großen Betonsockel mit 2000 verschiedenfarbigen, mit Erde gefüllten Plastikeimern bestückt. Auf diesem anfangs künstlich bunten Feld wird es ebenfalls bald sprießen. Und keine Hacke wird dem „Unkraut“ Einhalt bieten können. Das Plastik wird über die Jahre spröde werden und brechen. Aber auch wenn von den Eimern nur mehr Stückwerk übrig sein wird, werden dort beständig neue Keimlinge aufgehen.

Ohne erst die vielen Assoziationsketten zu diesem Werk auszubreiten – von künstlicher Struktur und Entropie bis Plastikblumen und dem Charme der Vergänglichkeit –, fällt auf, wie schnell in den Gärten von Lois Weinberger die Gedanken über die Pflanzenwelt hinausführen. Wer will, kann zwar jeden Garten und Park als eine gesellschaftliche Metapher lesen – z.B. als unbewusste Manifestation sozialer Ordnungswut –, selten ist solch eine Lesart aber derart erwünscht und führt zu so ungewohnt libertären Ideen wie bei Weinberger. Beim Innsbrucker Garten drängt sich zum Beispiel das Thema „Migration“ auf. Schon die äußere Form der „Einfriedung“ gleicht einem langen Überseecontainer. Solche Stahlcontainer gehören heute zu den gängigsten Austauschformaten der Welt. Sie sind das uniformierte Treibgut des globalen Handels. Gestapelt oder einzeln stehen sie in den Häfen und Logistiklagern, kommen sie auf Schiffen und Zügen von hier nach dort. Äußerlich ist ihnen nicht anzusehen, was sie enthalten. Sie selbst sind ort- und ziellos. Und wie Aki Kaurismäki in seinem neuesten Film „Der Mann ohne Vergangenheit“ vorgeführt hat, eignen sie sich symbolisch auch gut als Wohnungen für ähnlich entwurzelte oder nomadische Personen.

Lois Weinbergers Käfig funktioniert analog: Er ist Zwischenquartier für vagabundierende Samenfracht, Kampfarena rivalisierender Pflanzen-Migranten, die auf der Suche nach neuen Arealen sind, nach Orten mit günstigem Klima und geeigneter Bodenbeschaffenheit. Alle paar Monate kartografiert Weinberger die aktuelle Besiedlungsstruktur, macht gleichsam Volkszählung. Wahrscheinlich agiert er dabei nicht viel anders als die Wissenschaftler im benachbarten Institutsgebäude, wenn diese über Saisonarbeit im Tourismusgewerbe forschen. Oder über Binnenmigration, Landflucht oder Gentrifizierung. Da erscheint es dann fast paradox, dass es gegen Weinbergers „Paralleluniversum“ vor der SOWI gerade von Seiten der Universität anfangs massive Widerstände und Kampagnen gab. So drastisch anschaulich wollte man die eigenen Themen offensichtlich doch nicht an sich heran lassen. Mittlerweile haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Und die Wolken zogen ohnehin immer schon ungerührt vorüber.

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