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Ohne Gewähr.Was geschrieben wird, wenn Musikkapellen verreisen.

„Daß wir ‚Rotjacken‘ mit unserer Musik ihnen ein Stück Heimat brachten, das sah man aus ihren Augen und dem andächtigen zuhören und sie konnten es gar nicht fassen, das eine Original-Tiroler-Musikkapelle die ihnen so vertrauten Weisen zu Gehör bringen. Man sah nur Tränen und wieder Tränen. Das dabei die durstigen Kehlen mit gutem Bier fleißig geschmiert wurden kann man sich denken.“1 Von Milena Meller

Derart Spektakuläres wie die Wiltener Musikkapelle, die auf ihrer Südamerikatournee deutschsprachigen Emigranten aufspielt, hatte man über „Auslandsfahrten“ wohl nicht immer zu berichten. Nach Kriegsende besuchen zunächst die Nord- und Osttiroler Kapellen ihre Südtiroler „Kameraden“ und umgekehrt, doch bald hält man in halb Europa Einzug „mit klingendem Spiel“. So marschieren Tiroler Kapellen beim deutschen „Laternenfest“ oder beim „Gausängerfest“ auf, beim französischen „Blumenkorso“ oder beim belgischen „Bierfest“, beim spanischen „Nationenkonzert“, bei der englischen „Neujahrsparade“, beim holländischen Blasmusikwettbewerb.

Ohne Ton

Was von all dem klingenden Spiel bleibt, ist Papier: Protokolle der jährlichen Generalversammlung, Tätigkeitsberichte mit Auflistung der Ausrückungen, Proben, Kassaberichte, Programmzettel, Fotos, ein wenig Schriftverkehr auf zartem Durchschlagpapier. Was sich an Zeitungsberichten findet, wird großteils vom Schriftführer verfasst, der Presse „zur freundlichen Aufnahme in ihr geschätztes Blatt“ übermittelt und wandert gedruckt wieder in seine Hände zurück. Ob und wie dann geordnet, aufbereitet wird, variiert. Wird eine Chronik erstellt, so kann diese zu einem kollektivem Tagebuch geraten, manchmal fast zu einem persönlichen.
Eine Handvoll formelhafter Wendungen beschwört eine scheinbar immer gleiche Szenerie, farbige Bilder einer unveränderlichen Welt: schmucke Trachten, schneidige, stramme Musikanten, schmissige, flotte, zackige Märsche, blitzsaubere Marketenderinnen, die Straßen säumende, zu Begeisterungsstürmen hingerissene Masse.
Auslandsfahrten: Innerhalb der Variantenvielfalt besticht die Einheitlichkeit. Gliederung durch Zeitangaben, die Reiseroute als formale Klammer. Konstanz durch festgelegten Themenkanon und stereotype Motivik: Säulen der Gastfreundschaft – Qualität von Verpflegung und Unterkunft, Empfang und Abschied. Resonanz auf das eigene Auftreten in akustischer und optischer Hinsicht.

Ohne Bier

So steht es geschrieben: „ohne Bier“, doppelt unterstrichen, im Protokollbuch des Schriftführers der Schwazer Stadtmusik betreffend die ersten Ausrückungen nach dem Zweiten Weltkrieg. 14 davon sind für 1945 verzeichnet, von denen mind. 8 eine „trockene Angelegenheit“ sind, wie der Schriftführer an anderer Stelle vermerkt. Man darf wieder Prozessionen begleiten (unter den Nazis waren Prozessionen verboten), bringt ein „Ständchen für die Militärregierung“ oder spielt bei der „Südtiroler Kundgebung in Innsbruck“. Aber selbst bei einem „Konzert im Saale des Hotel Post zu Gunsten der Kriegsopfer von Schwaz“ gibt es kein Bier. Auch 1946 geht es so weiter, bis am 7. Juni eine „Aussprache im Probelokal betreffs des schlechten Probenbesuches“ stattfindet. Der Obmann: „Wir leben in einer schweren Zeit, doch wird man darnach trachten für die Ausrückungen Verpflegung aufzutreiben. Für Fronleichnam haben wir vom Bürgermeister 20 Stück Fleischkonserven erhalten (…).“ Einer der Musiker, die sich für oftmaliges Fehlen bei den Proben rechtfertigen sollen, meint, dass „derart viele Ausrückungen mit den heutigen Kalorien nicht vereinbar“ seien. Der Chronist, der 1966 die Chronik schreibt, erklärt, dass es „damals überhaupt kein Bier oder nur sehr wenig gab (...) So weit geht die Liebe zur Musik und die Opferbereitschaft denn doch nicht, wenn man bei allen Ausrückungen für die Allgemeinheit auf jede Entschädigung verzichten soll. – Man kann oft genug hören, dass die Musikanten nur ‚fressen und saufen‘ und dieser bestimmt übertriebene Ausdruck wird nur von solchen Leuten angewendet, die entweder neidisch sind oder nicht verstehen, was ein Musiker leisten muss. (...) denn man kann nicht anders sagen, auch bei der Musik geht die Liebe durch den Magen.“2

Hatten die „Kalorien“ nach dem Krieg besondere Bedeutung, so gewannen sie diese noch auf Reisen.
Fahrt der Musikkapelle Natters 1951 nach Naturns: „Endlich gehen die Wunschträume der Jugend in Erfüllung u. der köstliche Duft des Südtiroler Weines erfüllte schon die ‚Alten‘ mit stiller Freude“.3 Die Stadtmusik Schwaz 1953 in der Schweiz: In Albisrieden „kredenzen Festdamen Wein in Pokalen“. Am letzten Tag werden der Belegschaft des „Genossenschafts- Unternehmen ‚Migros‘ einige Märsche dargebracht“, worauf man in „den schönen Gefolgschaftsräumen am Küchenschalter ein tadelloses Mittagessen in Empfang nehmen konnte, (...) ein Gericht, das wohl den meisten von uns nicht bekannt war, nämlich eine Portion ‚Pasta asciutta‘.“4 Fahrten der Musikkapelle Wilten: 1946 mit „zwei LkW“ nach Meran: In Klausen gibt es „den ersten Wein“, in Säben „von den Weinbauern aufgehalten“ – „mußten wieder Wein trinken“ – nach Einzug „mit klingendem Spiel durch Meran (…) ein gutes Nachtmahl und sehr viel Wein. Am meisten trank unser Musikkamerad Borchert Franz, der sich gleich 8 große Gläser voll, zu seinen Teller hinschob und nach und nach austrank.“ 1949 in Chur: zum Abendessen „Suppe, Fleisch und Gemüse, sowie Wein. Man konnte sich reichlich satt essen und auch zum trinken war reichlich genug vorhanden, daß er gar nicht aller getrunken werden konnte. Einige Musikkameraden füllten den Wein in Flaschen ab und nahmen ihn einfach mit, was ich nicht für richtig fand.“ 1950 in Schaffhausen: „Als Jause erhielt jeder Musikkamerad Biermarten und Wurstbrot, sowie ein Paket Schweizerzigaretten. (...) Anschließend war Nachtmahl bei den Quartierleuten und man kam aus dem Essen und Trinken überhaupt nicht mehr heraus.“ 1951 in Holland: Bei privaten „Quartierleuten“ untergebracht gibt es wieder und „wieder Tee und Bäckerei (…) Mir ging der ewige Tee schon auf die Nerven“, schreibt der Chronist, doch zum Abendessen, „welches ganz ausgezeichnet war gab es etwas, auf welches ich mich am meisten freute ‚Bier‘“.5 1955/56 in Südamerika: „Nächtigung im Hotel bei guter Unterkunft und Verpflegung. Was braucht unser Körper und das Herz noch mehr. Während die Zeitungen in der Heimat die tollsten Schauermärchen über uns berichten, leben wir Alle wie im siebten Himmel. (…) Das Mittag und Abendessen erhielten wir im Restaurant ‚Vienna‘ der Name war das pompöseste daran. Die Wirtsleute waren drei Wiener Juden und dann ein langer schmaler Raum in dem einige Tische und Stühle standen (…) man wollte uns nicht mehr fortlassen. Ein kleiner Imbiß mit der nötigen Feuchtigkeit machte uns das Abschiednehmen leichter.“6 Protokoll zur Ausschusssitzung der Musikkapelle Hötting, 1957: „(…) wurde beschlossen, daß jeder Musiker als Wegzehrung 15 dkg Aufschnitt und zwei Semmel erhält. (...) Für ein angemessenes Quantum Getränk bei der Einnahme der Wegezehrung am Anreisetag kommt die Musikkasse auf. Jeder Musiker hat ein gewisses Quantum Schnaps als Wegzehrung mitzunehmen, welcher soweit als möglich in Reichenbach oder sonstigen Anhalteorten durch die Markentenderinnen verkauft wird.“ Fahrt der Musikkapelle Mayrhofen 1948 ins Engadin: „Nach vorsichtiger Versorgung mit Reiseproviant bestieg am Samstag (...) die große Gesellschaft im Trachtenkleid mit allen Musikinstrumenten und noch mehr Erwartungen ihre zwei großen Omnibusse (...). Um 8 Uhr fuhren wir in das sympathisch- saubere Bezirksstädtchen Landeck ein und gönnten uns eine Stunde Hax’nstrecken, manch einer bei einem Viertel Wein.“7 Musikkapelle Virgen 1969 am Niederrhein: „Tränen, Sekt, Cognak und Korn flossen in Strömen.“8

Ohne Bett

Stadtmusik Schwaz, 1953: „Übernachtung in einer Schule, auf Stroh am Boden mit einer Decke! Es blieb den Straubingern vorbehalten, uns erstmals eine derart primitive Nächtigung zu bieten.“9 Die Wiltener fahren 1955 auch zum „Gäubodenfest“ nach Straubing: „(…) ganz enttäuscht, als sie vom Schulwart in das Klassenzimmer geführt wurden, wo nur Stroh auf dem Boden ausgebreitet war und für jeden Musikkamerad eine Decke erhielt. (Man fing über diese Zumutung zum schimpfen an, sie riefen da kommt man nach Straubing und hat nicht einmal ein ordentliches Bett zum schlafen …)“10 Stadtmusik Schwaz, 1954: „Und da hatten wir wieder das Empfinden, in einer armen Gegend zu sein, denn vieles und besonders die Wohnstätten muteten uns geradezu primitiv an.“11 Die Eisenbahner 1960 in Orleans: „Die Musikanten waren außerhalb der Stadt in einem, die übrige Zeit unbewohnten, Objekt untergebracht. Das schloßähnliche Gebäude lag in einer riesengroßen, jedoch ungepflegten, Grünlunge und wird schon bessere Zeiten gekannt haben. (...) Als Wasserspender dienten zwei, einige Meter lange, waagrecht montierte und mit Bohrlöchern versehene Eisenrohre. (...)“12 Musikkapelle Algund, 1968: „Um 7.30 Uhr nehmen wir Abschied von den Etzenrichtern, die uns den fehlenden Komfort durch Gastfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit mehrfach ersetzten.“13 Musikkapelle Virgen 1969 in Dülken: „Wir kamen zunächst in einen Raum, ähnlich wie Schafe in einen Pforf und mußten sehr ruhig sein. Bei der Verteilung der Privatquartiere sah man verzagte Gesichter, als die Musikanten von den unbekannten Gastgebern abgeholt wurden. Manche dachten wohl, es wäre ein Abschied für immer.“14

Ohne Zwischenfall

Stadtmusik Schwaz, 1952: „Grossartiger Empfang am Bahnhof und Einmarsch in Töging (...) Am Bahnhofe gab es dann allseits geradezu rührende Abschiedsszenen und es wurde allgemein bedauert, dass man sich schon trennen musste, weil uns der Zug um 23 Uhr in die Heimat entführte, die wir um 3 Uhr früh wohlbehalten erreichten.“15 1953: „Die auf halb 4 Uhr früh angesetzte Abfahrt mit 2 Omnibussen verzögerte sich um eine Stunde, da noch drei Musiker geweckt werden mussten. (...) Abends 19.30 Uhr war Abfahrt, nachdem man noch ein paar junge Musiker hatte suchen müssen. Die Fahrt ging ohne Zwischenfall vonstatten, Ankunft in Schwaz um 23.30 Uhr.“16 1954: „Man strebte natürlich auf dem kürzesten Wege zur Autobahn, doch in der Dunkelheit verirrte sich der Fahrer und wir fuhren bei der Autobahn auf der falschen Seite ein. Wir mussten also bis zur nächsten Abzweigung in entgegengesetzter Richtung fahren, wo wir dann auf die andere Seite hinüberwechseln konnten. Dann gings aber dahin, wie der Blitz (...). Auf der kurvenreichen Strasse bis zur Staatsgrenze fuhr der Chauffeur in einem Höllentempo, das er mehr oder weniger bis Schwaz beibehielt, zu diesen frühen Morgenstunden konnte er sichs ja leisten. (...) Bei diesem Tempo am See entlang konnte man sich eines Gefühls der Unsicherheit nicht erwehren. Doch es ging alles gut und wir landeten wohlbehalten um 6 Uhr früh in der Heimatstadt.“17 Musikkapelle Natters, 1963: „Abfahrt zur großen Auslandsfahrt nach Gourney in Frankreich. Gut vorbereitet fuhren wir am Freitag um 6h früh vom Dorfplatz weg und kamen (...) wohlbehalten und vziehmlich zusammengestoßen an. (...) Die Heimfahrt verlief dann ohne jeden Zwischenfall und landeten gesund und wohlbehalten in unserem Heimatdorf.“18

Ohne Frauen

„1958 Bad Reichenhall – 2 Tage ohne Frauen mit Konzert (...) 1961 Salzkammergut 2 Tage mit Frauen (...) 1962 Europabrücke 1 Tag ohne Frauen – schlechtes Wetter aber gute Laune; (...) 1967 Frankfurt (...) Übernachtung in Glashütten ohne Frauen; Oktoberfest (...) Frühschoppen am Starnbergersee mit Frauen; (...) 1970 Dorf Tirol (...) Feier im Schwimmbad ohne Frauen; 1971 Besuch in Jesingen auf Gegenseitigkeit ohne Frauen.“19

Ohne Freude

Die Musikkapelle Wilten 1951 in Holland: „Das in großer Anzahl versammelte Publikum, spendeten für die Darbietungen stürmischen Beifall, während sich der Bürgermeister mit seiner Halskette überhaupt nicht rührte. (...) brachten im Amtszimmer ein schönes Tirolerlied mit Jodler zum Vortrag. (Auch hier versteckte sich der Bürgermeister immer hinter den Stadt und Gemeinderäten und hatte keinen Dank für unsere Darbietungen. Vielleicht hatte er bei der deutschen Invasion 1940 viel Leid erfahren und haßte alles was ‚Deutsch‘ ist.)“20 Die Musikkapelle Natters 1966 in Frankreich: „Wie das doch eigentlich komisch ist, / Als vor nunmehr 20 Jahren, die Franzosen bei uns waren / da hatte doch kein Mensch a Freud, / Ganz im Gegensatz zu heut’. / Denn wenn wir heut nach Frankreich fahren/ freu’n sich alle wie die Narren / Es kommt, und das weiß ich bestimmt, / eben stets drauf an, / als was man kimmt.“21 Die Eisenbahner Musikkapelle 1958 in Holland: „Solche Erfolge gereichen nicht nur den österreichischen Eisenbahnern unseres Landes, sondern dem ganzen Volk zur Ehre und tragen dazu bei, für unser schönes Österreich und damit auch für die Österreichischen Bundesbahnen zu werben.“22 – „Bald herrschte frohe Stimmung, so manche Freundschaft wurde geschlossen und so mancher Zuhörer versprach, bei Gelegenheit Mayrhofen zu besuchen.“23

Ohne Angst

„Der Aufenthalt (...) stellt sich jedem Teilnehmer hinsichtlich Fahrt, Quartier, Verpflegung und süffiger Labung völlig kostenlos. Als Gegenleistung vermitteln die oben genannten Träger unserer Volkskunst in ihrem schönsten Trachtenschmuck der Engadiner Bevölkerung (...) echten Zillertaler Frohsinn.“24 – „Die besonderen Eindrücke, die ich in Holland gewann waren: 1. Die große Gastlichkeit 2. Den Wohlstand der Bevölkerung 3. Die große Teilnahme der Welt und Ordensgeistlichkeit bei unseren Veranstaltungen, 4. Die reinen Straßen und 5. Daß man auf den Gehsteigen und Bahnhöfen alles stehen lassen konnte, ohne Angst zu haben daß etwas gestohlen wird. 6. Das wachsame Auge der Verkehrspolizei, wegen Überschreitung des Tempo-Limits.“25

Ohne Ende

„Die österreichische Marschmusik mit ihrem weltbekannten Melodienreichtum und ihrem Wohlklang eroberte sich im Sturm die Herzen der Tausenden, welche die Straßen säumten, sodaß sich der Marsch unserer Kapelle zu einem wahren Triumpfzug gestaltete. (...) das exakte Spiel unserer Musikkapelle wurde mit dankbarem und nicht endenwollendem Beifall belohnt.“26 – „Das präzise und exakte Spiel unserer Märsche ließ sie nicht mehr auf den Sesseln und Bänken sitzen, sondern verwandelte sie in einen wahren Freudentaumel und alles sprang auf die Sesseln und Bänke.“27 – „Eine unübersehbare Menschenmenge hatte sich auf dem großen Platz versammelt und lauschten begeistert den Klängen unserer österr. Musik. Über den Beifall zu schreiben hieße einen Tropfen Wasser auf einen heißen Stein schütten, einfach vehement.“28

 

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