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Ganz grundlegend

Im Gasthaus „Gemsle“ zwischen Blons und Sonntag traf Maria Rennhofer im vergangenen Spätsommer das Künstlerkollektiv AO&. Das Gespräch fand mit Philipp Furtenbach und Thomas A. Wisser statt, Philipp Riccabona und Rainer Fehlinger waren noch bei der Baustelle des „Lutzschwefelbrunnens“. Die beiden aktuellen Projekte im Walsertal, die temporäre Bewirtschaftung des Gasthauses und die Errichtung der Badestelle, sind symptomatisch für die vielfältigen Aktivitäten der zwischen Kunst und Kulinarik, Architektur und Stadtforschung, Soziologie und Regionalentwicklung nicht festzulegenden Nomaden.

Maria Rennhofer: Wenn man sich auf die Spuren von AO& und euren vielseitigen Aktivitäten begibt, hat man das Gefühl, absichtlich auf Nebengeleise oder in Seitengassen gelenkt zu werden. Erst auf der letzten von 72 Seiten der Homepage findet man eine kompakte Zusammenfassung, was AO& eigentlich ist …

Thomas A. Wisser: … zumindest, was es einmal war, denn der Text ist schon älter, und inzwischen haben wir uns wieder weiterentwickelt.

Philipp Furtenbach: Die spartanische Information hat damit zu tun, dass es eben so schwer ist, uns mit Worten zu beschreiben. Wenn man wirklich wissen will, was wir machen, muss man einmal dabei gewesen sein.

R.: Zum Beispiel hier im Großen Walsertal, wo ihr mehrere Projekte realisiert.

F.: „Wassertal“ nennen wir das eine, und es ist eine Fortführung unserer seit vier Jahren laufenden Beschäftigung mit der Region. Die Idee ist, die Verantwortlichen im Walsertal dabei zu unterstützen, neben Bergen und Käse ein vielfältigeres Profil zu entwickeln. Da dachten wir, dass Wasser ein gutes Thema sein könnte, und es gibt durchaus historische Anknüpfungspunkte: Wie in vielen anderen Vorarlberger Gemeinden gab es früher auch hier in jedem Dorf ein Bad. Auch weil solche Bäder aufgrund christlicher Vorstellungen oft in Verruf geraten sind, ist diese Tradition abgerissen. Wir greifen das mit dem Konzept „Wassertal“ wieder auf und versuchen über die nächsten Jahre, an mehreren Standorten kleine Eingriffe zu entwickeln.

W.: Für das erste Objekt fassen wir die viertstärkste Schwefelquelle Österreichs, die bisher nicht gewürdigt und kaum genutzt wurde. Der „Lutzschwefelbrunnen“, den wir gemeinsam mit dem Architekten Martin Mackowitz errichtet haben, befindet sich in einer Flussbiegung, und gerade dieser Kontrast zwischen der Unwirtlichkeit der Landschaft mit dem starken Rauschen des Lutzbachs und der exponierten Behaglichkeit des Bades ist sehr reizvoll. Dieser Gegensatz hat uns ja auch schon bei anderen Projekten interessiert.

R.: Das Projekt ist sehr typisch für eure Arbeit: Veränderung von Orten durch Eingriffe in gegebene Situationen, Schaffung von Schutz und Verpflegung.

F.: Eigentlich geht es eher um eine Kommunikationssituation, wo wir über die Jahre draufgekommen sind, dass das gute Mittel sind, wie man Kommunikation fördern kann. Die Leute erleben eine gewisse Schutzlosigkeit, in der sie aber aufgefangen werden.

R.: Ihr versteht euch als Nomaden, und eure „Principal Concerns Tour“ hat euch heuer durch verschiedene Orte und Regionen geführt.

F.: Sie fasst unsere Projekte dieses Sommers und Herbstes zusammen und hat mit Orten, aber auch mit Materialien zu tun. In Kärnten haben wir zum Beispiel Holzkohle produziert, haben ein Objekt aus 30 Raummetern dicht geschlichtetem Holz in die Landschaft gebaut, mit Reisig und Tonnen von Erde abgedeckt, von innen entzündet und einen Verglosungsprozess in Gang gesetzt. Wir mussten dann drei Wochen lang Tag und Nacht dieses „Lebewesen“ begleiten – wenn man das in der Nacht verschläft, fängt es zu brennen an, und nach einer halben Stunde wäre alles heillos verloren. Man ist also ständig mit so einem schlummernden Vulkan beschäftigt. Aber es hat gut funktioniert, wir haben im Vorfeld auch bei einer Köhlerfamilie mitgearbeitet, die uns das beigebracht hat, und haben eine recht stattliche Ausbeute herausbekommen. Das Projekt war auch als Performance zu sehen, und das Aufbrechen und Löschen dieses Haufens ist dann in eine Ausstellung im Schloss Damtschach gemündet, wo wir neben Franz West und gelitin beteiligt waren. Dann sind wir weiter nach Altaussee, wo wir mit Bergleuten zusammen, nicht als Touristen, sondern als Arbeiter, in den Berg fahren und selbst Salz abbauen durften. Dann sind wir hierher ins Walsertal gekommen, wo wir uns mit dem Wasser und mit Fett beschäftigen – wir erzeugen hunderte Kilo Butterschmalz. Im Herbst sind wir dann im Marchfeld, wo wir Zuckerrüben ernten, auskochen und versuchen, große Mengen an Zuckerkristallen herzustellen. Es sind also grundlegende Sachen, die wir umständlich in Handarbeit herstellen. Im Spätherbst wird das dann alles in Wien verkauft, allerdings geht es uns da nicht ums Verkaufen, sondern darum, was diese Stoffe für eine Atmosphäre erzeugen in dem Raum, den wir uns dann dafür aussuchen. Wo das genau sein wird, kann man dann auf der Website finden. Verbunden ist das ganze mit einer Interviewtätigkeit, die wir in Kärnten begonnen haben und hier fortsetzen, Interviews mit Volksschuldirektoren und -direktorinnen – also „Principals“ –, weil die mit Kindern zu tun haben und die Verbindung zwischen den Kindern und dem System herstellen. Daraus und aus diesen grundlegenden Dingen, die wir gesammelt haben, erklärt sich der Name der Tour.

R.: Wie ist AO& überhaupt entstanden? Ihr kommt ja aus verschiedenen Bereichen, gibt es eine gemeinsame Basis?

F.: Ich komme von der Kunst und Architektur, die zwei noch Abwesenden, die gerade auf der Baustelle arbeiten – Philipp Riccabona und Rainer Fehlinger –, kommen aus dem Musik-Kontext, der Philipp auch aus der Medizin …

W.: … auch ein Interesse für die bäuerliche Kultur und für die Güte von „natürlichen“ Substanzen verbindet uns. Ich hab Philosophie studiert und bin auch Musiker.

R.: Der Name AO& wurde ja eher zufällig gewählt …

F.: … das ist an einem Nachmittag in einem Dorf am Schneeberg passiert, wo bei der Renovierung eines Hauses die Tafel des schon seit Jahren geschlossenen A&O-Marktes abmontiert wurde. Wir sind gerade vorbeigekommen, haben gefragt, ob wir die Tafeln haben können, und dann haben wir die Reihenfolge so verdreht, weil wir wollten, dass eine Frage offen bleibt.

R.: Das Konzept eurer Arbeit beruht darauf, Kategorien zu sprengen, sich nicht einengen zu lassen. Von außen wird aber natürlich immer wieder versucht, einen in eine Schublade zu stecken. Die Schubladen, die sich im Zusammenhang mit eurer Arbeit anbieten, sind Kunst, Architektur, Soziologie, Raumplanung, aber etwa auch Lifestyle, denn die Beschäftigung mit Kochen und Essen ist ja zur Zeit sehr en vogue. Wie grenzt man sich gegen Einordnungsversuche ab?

F.: Das Essen spielt einerseits eine Rolle, um Orte länger erlebbar zu machen – das ist anders, als wenn man kurz in eine Ausstellung geht. Kochen gab uns außerdem die Möglichkeit, unsere selbst gewählten Projekte zum Teil oder überhaupt zu finanzieren und unabhängiger von Förderungen zu sein, weil für das Essen bezahlt wird. Anfangs konnten die Behörden, bei denen man um Förderungen einreicht, gar nicht einordnen, was das sein soll, auch wenn es die Szene als Kunst wahrgenommen hat. Aber obwohl inzwischen die meisten verstanden haben, was wir tun, bekommen wir immer noch Angebote, für irgendwelche Firmenvorstände zu kochen oder Catering für Events zu machen, was wir prinzipiell ablehnen. Kokettiert haben wir natürlich schon auch damit, weil man mit Essen ein breiteres Publikum erreichen kann.

R.: Essen, wie ihr es versteht, ist, was die Zutaten betrifft, etwas sehr Spezielles: es geht um Lebensmittel, die man entweder selbst produziert oder deren Herkunft man genau kennt – wie konsequent kann man das durchziehen?

F.: Wir haben immer den Begriff „orthodox“ für unseren Zugang verwendet, und das ist oft politisch interpretiert worden, was nie so gemeint war. Konkret hat es 2006 begonnen: Ich bin nach Berlin gegangen, habe in einem Restaurant kochen gelernt und bin richtig aufgeblüht, weil ich auf einmal konkrete Dinge in die Hand bekommen habe, das hat mir davor total gefehlt. Dann habe ich in Claudio Andreatta meinen Koch-Meister gefunden und dort in sehr kurzer Zeit sehr viel gelernt – aber immer wissend, nie in einem Restaurant Karriere machen zu wollen. Genauso wie ich drei Jahre intensiv Architektur studiert habe, obwohl für mich immer klar war, dass ich weder das Studium beenden noch Architekt werden will. Und aus dieser Erfahrung aus der Gourmet-Welt, wo man sich das Zeug zusammenbestellt, und das kommt dann mit dem Auto daher, ist der Gedanke entstanden, wie man wirklich luxuriös arbeitet, wenn man zu allem Bezüge hat, was man verwendet. Als wir dann öffentlich gearbeitet haben, war uns klar, dass man das als Dogma proklamieren muss. Inzwischen schreibt ja sowieso jedes Dorfgasthaus, dass es regionale, saisonale Produkte verwendet, und geht trotzdem zum Metro einkaufen.

R.: Auf welchem politischen Hintergrund basiert eure Arbeit? Gibt es eine Ideologie dahinter?

W.: Was ist politisch? Was wir auf jeden Fall nicht wollen, ist, Leute zu bekehren, aber natürlich spricht unsere Arbeit für sich. Und die Projekte, wo es dezidiert um Regionalentwicklung oder Nachhaltigkeit geht: Das ist politische Tätigkeit im weitesten Sinn, aber es ist nicht unser explizites Ansinnen.

F.: Natürlich ist alles, was wir tun, politisch, weil es in bestehende Vorgänge eingreift. Aber man muss sehr aufpassen, weil man sehr schnell vereinnahmt wird.

R.: Arbeitet ihr gegen den Mainstream oder parallel dazu?

F.: Wer ist nicht im Mainstream? Diese konzeptuelle Klarheit ist in der Arbeitssituation sehr wichtig, ganz ohne Esoterik, aber privat leben wir auch so wie alle anderen.

R.: Also weder Öko-Naivität noch Birkenstock-Romantik?

F.: Wir sind froh, wenn man wahrnimmt, dass das nicht so ist!!!

W.: Wenn wir in Städten arbeiten, ist das weniger Thema, aber bei Projekten im Freien, zum Beispiel bei unserem ersten Projekt im Walsertal, wo wir ein Loch im Wald gegraben, einen Ort geschaffen haben mit Ofen und Schaffellen, muss man dahingehend sehr präzise agieren. Würde man dann an solchen Orten noch trommeln oder Gitarre spielen, würde alles kippen.

F.: Ein Hintergedanke einer solchen Gratwanderung ist, ungewohnte, fast abwegige Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. Das ist eine Qualität in all unseren sozial angelegten Arbeiten, dass wir versuchen, das größtmögliche Spektrum von Menschen an einem Ort zu versammeln.

R.: Viele eurer Projekte sind vergänglich, speziell das Essen – tut euch das manchmal leid?

F.: Was bleibt, sind die Erinnerung, die Dokumentation, gewisse Artefakte und Objekte. Im Hintergrund baut sich also immer eine Ebene auf, die man als bildende Kunst bezeichnen kann, mit der wir nur bis jetzt noch nicht aktiv sind, um damit Geld zu verdienen. Man sieht ja unserer Website und unseren Dokumentationen an, dass wir eine bestimmte Sprache haben, die sich in Form von Bildern, Fotos, Objekten und Überbleibseln äußert und die man relativ problemlos auch dem Kunstmarkt eingliedern könnte. Das könnte einem wirtschaftlichen Interesse dienen – nicht, um sich ein Haus zu bauen oder ein Auto zu kaufen, sondern um für uns alle die Möglichkeit zu schaffen, sich uneingeschränkt die Arbeit leisten zu können. Ich mache das Organisatorische dabei full time, aber die anderen haben nebenbei ihre anderen Tätigkeiten, vorwiegend Musik, und es wäre toll, wenn das einmal alle tragen könnte, um freier arbeiten und noch mehr investieren zu können.

R.: Seht ihr euch in der Kunstszene integriert? Wie ist das Verhältnis zu anderen Kunstströmungen oder Künstlern?
F.: Wir sind eine Randerscheinung dieser Szene, weil wir unsere eigenen Strategien unabhängig von Kategorisierungen wählen. Aus pragmatischen Gründen ist es dennoch wichtig, ein Teil dieser Kunstszene zu sein, oft auch aus rechtlichen Gründen. Um in lebendige Prozesse einzugreifen, braucht man das Vertrauen der Menschen, auch Reputation, auf die sich in Raumplanungs- und Regionalentwicklungsfragen die Auftraggeber oder die, die das zulassen, beziehen können. Wir können uns nicht wie ein reguläres Unternehmen in der Berufswelt legitimieren, wir können das nur über die Kunst machen.

R.: Was wird das nächste Projekt sein?

F.: Wir befinden uns in einer Epilogphase, was diese zentrale Funktion des Kochens und des Essens betrifft. Wir werden das zwar immer wieder tun, wenn wir glauben, dass Orte das brauchen, aber jetzt haben wir diese grundlegenden Dinge – Holzkohle, Salz, Fett, Zucker – herausgenommen und in eine Objektebene gebracht. Von Ende November bis Anfang Jänner sind wir dann in Rom, wo wir eine Serie anfangen, in der wir unsere Kenntnisse über Orte und Settings im sozialen und räumlichen Sinn verwenden und mit Musikern Tonaufnahmen machen wollen. Wir nehmen da so eine Art Meta-Produzentenebene ein, wo wir uns die Aufnahmesituation überlegen, sie überwachen, begleiten. Über ein Stipendium an der Deutschen Akademie in Rom haben wir dazu die Möglichkeit gekriegt. Eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Musiker Phillip Sollmann wird dabei den Anfang bilden.

Informationen und Bilder zu den Projekten unter www.ao&.net

 

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