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Ewig, ewig!

In dieser Zeitschrift erscheinen in unregelmäßigen Abständen Polemiken zu platitüdenhaften Aussagen, die in der Welt der Kunst und Kultur gang und gäbe sind. Der Musiker und Autor Hans Platzgumer übernahm die Aufgabe, den Satz „Meine Zeit wird kommen!“ zu bedenken. Und lieferte mehr ein Bekennerschreiben denn eine Polemik: „Ja, ich gestehe, auch ich bin Künstler, bin eingedrungen in diese Gruppe Geisteskranker, die Halt in sich selber suchen.“

Millionen von Künstlerinnen und Künstlern schwirren herum, durch alle Sparten, in allen Qualitäten, bildnerisch, musisch, literarisch, sonstwie veranlagt, mehr oder weniger talentiert, mehr oder weniger ambitioniert, mitten unter uns leben sie, solche, die uns leider nicht auffallen, und solche, die leider schon auffallen. Die, die nachkommen, gibt es, und die, die vorher zu schaffen hatten (vielleicht immer noch schaffen, aber niemand nimmt es ihnen ab), nicht zu vergessen die, die ausgestorben sind. Die Neuen werden an den Alten gemessen, als wäre Kunst messbar und jede Kunstart eine Sportart, ergebnisorientiert, leistungsorientiert. Für die Alten ist es aus und vorbei, sofern sie nicht in den Kanon der Kenner aufgenommen werden, wo festgelegt ist, was für alle Zeit Wert zu haben hat oder nicht. Zu verblühen, ohne in den Kanon aufgenommen zu werden, ist der Schrecken jedes Künstlers (ich wechsle der Einfachheit halber ins Maskulinum, auch wenn sich fortan alles auf beide Geschlechter bezieht). Er hat sein Ablaufdatum vor Augen, weiß, seine Zeit ist begrenzt, sie läuft ab, er muss dagegen anstemmen. Nur wie? Soll er alles auf eine Karte setzen, das schnöde Leben beiseite schieben und sich nur seiner Kunst opfern? Erwartet das die Gesellschaft von ihm, oder er von sich selbst? Die Gesellschaft erwartet nichts dergleichen, muss er einsehen, nichts will sie von ihm, früher tat sie es vielleicht, heute soll er funktionieren wie andere Dienstleister und Diensttreiber auch. Nichts wird ihm geschenkt, kein Mitleid, kein Unterhalt, keine Reifezeit, zu viel seiner Art gibt es bereits, zu viel von allem. Wer nicht liefert, wird vom Nächsten abgelöst, der willig sein wird zu liefern und unkomplizierter obendrein. Das ist die Fessel der heutigen Kunst, die sie wie alles auf das Praktische reduziert. Funktionskunst soll sie werden, Gebrauchskunst, erstickt in Konsumfreundlichkeit und unüberschaubarer Fülle, entwertet, entkräftet.

Der Künstler, der an dieser Stelle noch Künstler zu bleiben entscheidet, muss, will er sich Prinzipien nicht unterordnen, die der Kunst als filigrane Ausdrucksform an sich widersprechen, sich nach Innen orientieren – sofern er dort den unerschütterlichen Drang verspürt, seine unbeugsame, allen Sinnwidrigkeiten zum Trotz gelebte Kunst weiter zu betreiben. Bon Courage! Spätestens hier spalten sich die eingangs erwähnten Millionen Artists in einen großen Teil, der klein beigibt und einsichtig ist mit den Lehren der Marktwirtschaft, und einen kleinen auf, der – warum auch immer – sich der Einsicht verweigert. Ersterer wird fortan den Markt überschwemmen, sich dessen Regeln und Strategien beugen, das Leistungsprinzip und jenes von Angebot und Nachfrage befolgen und ökonomisch mit seiner Kunst hantieren, die zum Hobby wird, sobald sie nicht als Beruf taugt. Zweiterer wendet sich an sein eigenes Ich, um Bestätigung, Anerkennung, Erfolg und Euphorie des Kunstwesens zu erfahren. Was ihm von Außen enthalten wird, muss er innerlich kompensieren. Wenn das Außen ihm Schwäche, Nutzlos- oder Mangelhaftigkeit attestiert, muss er es als Genialiät, Sublimität, Großartigkeit deuten. Solang niemand seinen Genius erkennt, muss er ihn doppelt anerkennen. Santé!
Dass dies auf Dauer nicht gesund ist, liegt auf der Hand.

Warum tut er es trotzdem? Wurde er als Kind nicht genug geliebt, gelobt und ist dazu verdammt, sein Leben lang nichts als Anerkennung zu suchen, die niemals genug sein kann, weil das Reservoir, wenn in der Kindheit nicht gefüllt, im Erwachsenenalter nicht mehr geflutet werden kann? Wie lang hält er durch, wie krankhaft besessen von sich selbst und seinem Kunstideal schafft er es zu sein, bevor er einknickt?
Hier spaltet sich die verbleibende Künstlerschaft ein weiteres Mal und lässt neben den Aufgebenden und Abfallenden (den Menschlicheren) jene Luftwesen übrig, die sich, egal auf welchen Widerhall sie stoßen, vom eingeschlagenen Weg nicht abbringen lassen. So dünnhäutig sie sind, so hartnäckig ist irgendetwas in ihnen. Fatalerweise liegt aber ihr Weg nicht immer klar umrissen vor Augen, sondern will (muss!) erkundet werden. Der Künstler weiß nicht, wohin er will, aber er will und muss. Seine Kunst wird zum Befall, zur Besessenheit, Krankheit. Und hier wird sie interessant, denn erst jetzt trennt sich Vision von Konsens, erst jetzt übernimmt die Kunst vollkommen. Ungezügelt, befreit wirft sie Ballast ab und fliegt davon, der Mensch, in dem sie steckt, mit ihr, nur mehr Hülle ist er, seine Materie bloß Sammelbecken für Materieloses. Wie die Lichtesser meinen, nur von Licht allein zu leben, meint der Künstler, nur von der Kunst zu leben, die ihn durchströmt, so brotlos sie auch sein mag, denn Brotgewinn ist sekundär, nichtssagend im Vergleich zum Eigentlichen, was im Künstler steckt, er zumindest meint, in sich zu sehen, das Seine, das nur er in orgiastischer Weise erfährt oder ihn vernichtet und zerfrisst.

Wir befinden uns nun in einem kleinen erlauchten Kreis, einer Runde von Wahnsinnigen, die sich gegenseitig weiter in den Wahnsinn treiben, wenn sie aufeinandertreffen, oder verbluten, wenn sie zu lang der Isolation nicht entkommen (sei sie selbstgewählt oder fremdverschuldet). In diesem engen Zirkel lebt es sich gefährlich. Ein Leben an der Klippe ist es, täglich geben Kleinigkeiten den Ausschlag, ob die gebeutelte Künstlerseele himmelhoch hinaufschnellt oder in abgründigste Tiefen stürzt. Eine falsche Kritik, ein ungerechtes Wort, ein Lüftchen, das von außen hereinweht und nicht abgefangen wird, lässt die Welt der auf dieser Klippe Stehenden ebenso zusammenbrechen wie eine Schreibblockade, ein misslungener Ton, missratener Strich oder einfach auch nur Nichts, Nichts allein.

Ich kenne es, habe es am eigenen Leib erfahren, lang genug ist mein künstliches Universum wieder und wieder zerbrochen und habe ich versucht, die Scherben aufzusammeln, wenn auch nur, um mir mit einer davon den Gnadenstoß zu versetzen. Ja, ich gestehe, auch ich bin Künstler, mein Leben lang war ich nichts anderes, ich bin eingedrungen in diese Gruppe Geisteskranker, die Halt in sich selber suchen, obwohl der Hausverstand ihnen schon sagt, dass in ihnen kein Halt zu finden ist. Wir können nicht anders, taugen zu nichts anderem, jede selbstherrliche Phase unserer Künstlerkarriere bezeugt, wie unsere Gabe eine Qual und das Kreieren ein Leiden ist, ein womöglich sinnloses obendrein. Über die Jahre (bei mir sind es nun drei Jahrzehnte, in denen ich als professioneller Kunstschaffender gesehen werden muss), mit dem Älterwerden wird es besser. Da gewöhnt der Kunstmensch sich daran, einer zu sein, wie man irgendwann allem gegenüber eine gewisse Gelassenheit entwickelt. Mit jeder Krankheit, die einem nicht sofort das Leben nimmt, kann man lernen umzugehen, auch mit dem Kunstbefall in seinem äußersten Stadium. Weder etwas Göttliches ist es nämlich, als das es oft dargestellt wird, noch Teuflisches, als das es sich dem verfluchten Künstler selbst offenbart, nein, etwas durch und durch Menschliches ist es, das muss der Homo Sapiens anerkennen. Die Menschheit braucht, ob sie es begreift oder nicht, das Unlogische, Metaphysische, Ungreifbare, das sie unlogisch metaphysisch ergreift und berührt bei allen Sinnen, sie überfällt, gefangen nimmt, ihr den Verstand raubt. Und niemand kann das produzieren, außer jene unheilbar Kranken, die an der Klippe stehen und sich der Gefahr aussetzen, vom nächsten Windstoß hinweggefegt zu werden. Es ist nicht wegzudiskutieren, wie sehr die Menschen ihre Künstler brauchen, immer schon gebraucht haben, vom Faustkeil des Homo Erectus bis zu Mapping Projections und darüber hinaus. Nur, wie offenkundig Konsumenten ihrem Kunstverlangen nachgeben, ändert sich durch die Epochen und Kulturen und den Grad der Evolution und Dekadenz, den das Menschenhirn gerade erreicht.

Was unverändert bleibt in allen Phasen ist, dass nur einem kleinen Prozentsatz der Klippenlemminge Erfolg und Respekt zuteil wird. Das ist die letzte Spaltung der Künstlerschaft: Die Auserwählten, die in den Kanon eingehen, stehen den Gepeinigten gegenüber, deren Schicksal es ist, unentdeckt zu bleiben. The Winner takes it all. Doch ob er zu beneiden ist, ist eine andere Frage. Freilich ist der Erfolg ein Tapetenwechsel, ein Ausflug aus der Künstlertristesse, ein Kururlaub. Einmal auf den üppigen Wiesen der Ruhmesinsel weiden, ihren Verlockungen nicht widerstehen, ganz hoch hinauf sich katapultieren lassen, so hoch das Lüftchen – bald Wirbelwind – trägt. Paradiesisch! Schnell aber verwirrt das Übermaß an Aufmerksamkeit die zerbrechliche Künstlerseele und wirft sie erneut aus der Bahn. Im Idealfall müsste sie nun am Höhepunkt die irdische Welt verlassen. Doch wer nicht wissen kann, wann seine Zeit kommt, wird schwer wissen, wann die Zeit zu gehen gekommen ist. Zum Spieler, der spielt, bis er alles verliert, wird der Künstler, sein höchster Einsatz seine Kunst. Gleich dem Glücksspieler droht der tiefe Fall, der Aufschlag, härter, brutaler denn je, endgültig vernichtend. Erfolg ist ein Augenwisch, eine Honigfalle. Auch wer es weiß, muss es erfahren, um zu glauben. Wer oben ist, muss irgendwann sich unten wieder eingliedern. Die Untengebliebenen nehmen ihn allzu herzlich wieder auf, mit dem zum Künstlertum gehörenden Neid im Lächeln, das in Wahrheit ein Grinsen ist. Jeder würde gern der nächste Ausbrecher sein, auch wenn er weiß: kein Ruhm hält, kein Entkommen gibt es von der Klippe. Das Märtyrerleben hier bei uns ist Pendeln zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühlen, zwischen furchtbarem Narzissmus und furchtbarer Resignation. Niemand ist so wenig bodenständig wie wir. Wir wissen, man braucht uns, und doch braucht man uns nicht. In diesem Zwist bleibt uns Genies, unfähig wie wir sind, die Gegenwart zu ertragen, nichts als die Ausflucht in die Zukunft. Dort wenigstens wollen wir belohnt werden. Dort werden wir belohnt, reden wir uns ein, es ist der letzte Strohhalm, an den wir uns klammern. Versteht uns die Welt nicht jetzt, wird sie es in Zukunft tun. Wir dürfen nicht bezweifeln, dass der Tag kommen wird, an dem unser Schaffen universelle Bedeutung erlangt. Von dieser Aussicht nähren wir uns mehr als von allem anderen. Wir sagen es mit Mahler: Meine Zeit wird kommen! Wer, wenn nicht er, einer der größten Megalomanen der Musikgeschichte, muss Bescheid gewusst haben. Er hat uns vorgemacht, wie einen die divine Selbsterhebung in die Größe der Tausend, in die Unsterblichkeit trägt. Er hat es in seinem Komponierhäuschen am Attersee geschafft, ist über Leichen, seine eigene Leiche gegangen. Wir wollen ihm nachfolgen, wir Klippenwesen wollen unsterblich werden wie er, nicht als Menschen, nein: als Schöpfer. Wir wollen erschaffen, was nicht mehr wegzudenken ist, glauben daran, zwingen uns daran zu glauben. Der Künstler erträgt den Irrsinn, weil er will, dass sein Kunstwerk ihn überlebt, erträgt das Irdische, weil er das Überirdische anstrebt. Nach dem Fressen kommt die Moral, für uns aber steht über dem Fressen noch der künstlerische Erguss. Verwehrt man uns diesen, einer Todesstrafe kommt es gleich.

Ein Eck weiter müsste dieser Text nun pragmatischer werden und die kultur- und gesellschaftspolitischen Schlüsse eruieren, die sich aus dem Wissen über die fragil-sture Künstlerseele ergeben. Jeder Bürokrat – wissend, dass die Stärke des Künstlers zugleich seine Achillesferse ist – wird den fanatisch Kunstschaffenden sich selbst überlassen und sein Tun nicht unterstützen, denn er weiß, dass der ja selber gar nicht anders kann als weitermachen, ewig, ewig (um bei Mahler zu bleiben). Im Rückschluss heißt das, dass nur jene Künstler Unterstützung nötig haben, die nicht bis zur allerletzten Klippe sich von den Kollegen abgespaltet haben, was dazu führt, dass nur mittelmäßiges Handwerk als unterstützenswertes Kunstschaffen angesehen wird. Das Mittelmaß – an sich der größte Feind der Kunst und doch ihr meist verbreiteter Vertreter – wird demnach gefördert. Welch bittersüße Rache.
Solch grobschlächtige Fakten aber sollen ein andermal, nicht in diesem mahlerisch trunkenen, transzendentalen Text weiter verfolgt werden. Besser wird sein, zurück in die Spätromantik zu schwelgen und das Abschiedswort den letzten Zeilen des Liedes von der Erde zu überlassen, Mahlers ewigkeitsnahem Liederzyklus, der – selbstredend posthum – 1911 uraufgeführt wurde: Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold – Still ist mein Herz und harret seiner Stunde. Ewig … ewig …

Mein Rework zu diesem Satz ist, als adäquate musikalische Untermalung dieses Textes natürlich kostenlos, per Link abrufbar: www.platzgumer.net/uploads/Quart

 

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