Architekt Hanno Schlögl im Gespräch mit dem Lichtplaner und -forscher Christian Bartenbach: über Glauben in der Wissenschaft, das Auge als Konstrukteur, Licht als Geheimnis und die große Ruhe beim Hochseefischen.
Hanno Schlögl: Die evolutionstheoretischen Schriften des Jesuitenpaters Teilhard de Chardin haben dich immer schon beschäftigt. Er untersuchte Mitte des 20. Jahrhunderts die Widersprüchlichkeit zwischen der Schöpfungsgeschichte und den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und wollte das christliche Denken auf eine zukunftsweisende Basis stellen. Wenn ich die von Josef Lackner geschaffene Architektur für euer Firmengebäude, das Lichtlabor Bartenbach, mit ihrer schraubenförmigen Anordnung der Büros betrachte, muss ich immer auch an Chardin denken. Gibt es da eine Verbindung?
Christian Bartenbach: Nein, das ist nicht der Fall. Die Gebäudetypologie ergab sich aus den Tageslichtabläufen. Da könnte man viel darüber erzählen. Josef Lackner und ich haben uns mit 30 Jahren kennengelernt und bis zu seinem Tode mit 70 Jahren waren wir befreundet, in einem sehr, ich will nicht sagen distanzierten, sondern vernünftigen, sachlichen Verhältnis. Zur geistigen Auseinandersetzung hat er sehr viel beigetragen. Chardin war eine Gemeinsamkeit unter vielen. Auch die Diskussionen mit Johann Gsteu, Ottokar Uhl oder mit den Dreiviertlern, also mit Spalt, Holzbauer und Kurrent waren prägend. Wir waren damals sehr jung und haben uns gefragt, wohin geht das Ganze und wie weit geht das Bauen philosophisch. Ich war Techniker und am Anfang etwas überfordert mit diesem Diskurs. Ein Architekt hat ja einen besseren philosophischen Hintergrund, schon auf Grund seiner Ausbildung. Ich musste mir „das Warum“ immer selbst beweisen. Ich wollte immer wissen, warum etwas ist. So bin ich unter anderem auf Chardin gestoßen. Die Beschäftigung mit solchen Denkern hat mir geholfen, bei all den Leuten, die ich genannt habe, eine eigene Meinung zu verteidigen oder zu begründen. Sonst wäre ich hoffnungslos verloren gewesen. Und wie du sagst: Diese Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Glauben hat mich immer schon interessiert. Mit der Kunst war ja auch stark der Glaube verbunden. Und der fällt in Wirklichkeit genauso in den Bereich der Wissenschaft, das weiß man heute, weil das auch Konstrukte unseres Gehirns sind.
H. S.: Chardin sprach ja nicht vom Sehen. Er nannte es „Schauen“.
C. B.: Mir war schon sehr früh klar oder einsichtig, dass das Licht mehr ist als das Sehen. Das Sehen – oder „das Schauen“ bei Chardin – ist ein geistiger Vorgang, ein wesentlicher Bereich der Wahrnehmung, der viel Platz in unserem Gehirn einnimmt und uns dabei fast zur Gänze nicht bewusst ist. Uns ist gar nicht bewusst, was da genau vor sich geht. Dass wir sehen, dass wir uns anpassen, dass wir Auto fahren, dass wir reagieren können usw. – das alles funktioniert bei uns ja autonom. Denken nützt da wenig. Wenn ich Klavier spiele und nachdenke, welche Tasten ich drücken muss, greife ich hundertprozentig daneben. Wenn ich autonom spiele, wie ich es gelernt habe, funktioniert es. Sehen ist ein kaum zu ergründendes Phänomen. Es geht dabei stark ums Erkennen. Das ist vor allem eine Frage der Aufmerksamkeit. Und Erkennen ist letztlich die Grundlage des Gedächtnisses, der Speicherung, sodass ich mich wieder erinnern kann. „Der Mensch ist Erinnerung“, sagt Daniel L. Schacter, der amerikanische Gedächtnisforscher. Um zur Erinnerung zu kommen, ist Bewusstsein notwendig. Und was das Bewusstsein ist, weiß man nicht genau. Wir können nur das als bewusst bezeichnen, worüber wir sprechen können, sagen die Neurobiologen. Worüber wir nicht sprechen können, das ist das Unbewusste. Hier, in allen diesen Denkbewegungen, liegt für mich der Schlüssel zum Licht. Wenn wir all die Faktoren kennen würden, die zu diesen Konstruktionen des Sehens führen, würde das einen sehr starken Einfluss auf die Architektur haben. Ich sage darum Architektur, weil man das nicht trennen kann, Visualität und Architektur. Das Wissen um das Sehen müsste wortwörtlich mehr eingebaut werden. Das ist aber sehr schwierig, weil wir das Licht nicht sehen. Licht ist etwas Abstraktes.
H. S.: Licht macht sichtbar.
C. B.: Licht macht sichtbar, ist aber nicht sichtbar. Wir verstehen gar nicht, was da genau passiert und warum wir etwas so oder so empfinden.
H. S.: Das Atmosphärische spielt eine wesentliche Rolle.
C. B.: Darüber forschen wir intensiv. Zum Beispiel untersuchen wir die Wirkung von Farbigkeit, Farbtemperatur und spektralen Verläufen, die uns stark beeinflussen, weitgehend unbewusst. Wir haben festgestellt, dass Farborte, Farben und Texturen der Umgebung sehr starken Einfluss auf die Raumwirkung, die visuelle Leistung, aber auch auf die Herzfrequenzvariabilität haben, das heißt auf die Steuerung der Aktivität und der Entspannung. Wenn man zum Beispiel entspannen will, meint man immer, die warmen Lichttöne seien wichtig. In Wirklichkeit sind es die blauen. Auch die Hormonsteuerung hängt von der Lichteinwirkung ab, etwa die Bildung von Melotonin oder Serotonin. Und damit sind wir bei Schlafstörungen, Depressionen usw.
H. S.: Deine Auftraggeber kommen aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen, was den Diskurs sicher bereichert. Im Unterschied zu den westlichen Industrienationen legen beispielsweise die Japaner in ihren traditionellen Häusern besonderen Wert auf die Inszenierung des Schattens, die Betonung des Lichts spielt für sie eine fast nachgeordnete Rolle.
C. B.: Licht ist Information. Ich muss mich beim Licht und bei den Räumen ja auch mit den verschiedenen Kulturen oder Religionen befassen, etwa mit dem Islam. Und wenn man zum Beispiel den Lichtvers von Allah nimmt: Allah, also Gott, ist Licht … dann heißt das ja nichts anderes! Über das Licht und über die Aufmerksamkeit, die womöglich durch Kontemplation oder Meditation erreicht wird, gelangen wir zur Information.
In Wirklichkeit ist Licht Information und ist eigentlich das Leben. Man kann dazu auch Goethe zitieren, und zwar nicht wegen der Farbenlehre, sondern weil er den Newton beschimpft hat, er solle das Licht nicht anrühren, weil sich Licht nicht zerlegen lasse. Und das bestätigt sich auch.
H. S.: Und wie verhält es sich mit dem Auge als „Werkzeug“ des Erkennens?
C. B.: Die Natur hat das mit dem menschlichen Auge optimal geregelt. Konrad Lorenz hat das einmal gut erklärt, in seinem Buch „So kam der Mensch auf den Hund“: Wenn man einen Hund sieht, der erregt ist, darf man ihn nicht anschauen. Warum? Der Hund sieht mit der gesamten Netzhaut. Er fokussiert nur dann, wenn er eine Beute erahnt oder wenn er angegriffen wird. Die meiste Zeit liegt das Hauptaugenmerk auf der Gesamtperspektive: Wenn er nämlich beobachtet wird, heißt das unter Umständen, dass er selbst angegriffen oder gefressen wird. Wir Menschen haben ein ähnliches Gesichtsfeld, nur fokussieren wir ständig. Wir haben eine biologische Programmierung, die uns immer erkennen lässt. Wir schauen ununterbrochen, bis wir den Aufmerksamkeitsmoment haben. Dann schauen wir’s an und dann geht’s wieder weiter. Daraus folgt, dass wir auf keinen Fall abgelenkt werden dürfen. Nicht die Blendung ist die wichtige Frage, die große Gefahr ist die Ablenkung!
Diesbezüglich muss ich auf eine Absurdität hinweisen: Wenn ich eine Schule baue und ich mache große Fenster, wie das heute oft der Fall ist, damit die Schüler hinaussehen, dann ist die gerichtete Aufmerksamkeit, die zur Bewusstseinsbildung nötig ist, gewaltig reduziert! Das heißt nicht, dass Schulen keine Fenster haben sollen. Aber die genannten Zusammenhänge sind auch bei riesigen Glasbauten sehr kritisch zu betrachten. Ablenkung bringt uns große Einbußen in der Bewusstseinsbildung. Und da ist die menschliche Anlage von Natur aus gut, weil wir ständig fokussieren. Darum haben wir ja auch Brillen. Ein Tier braucht keine Brillen, weil es nicht so fixiert. Wir haben immer mehr zu fixieren gelernt, darum gibt es diese Schwäche, die viele haben, deswegen tragen so viele Menschen Brillen, um besser fokussieren zu können, um besser aufmerksam zu sein. Überhaupt muss man sich einmal vorstellen, was das Auge und das Gehirn leisten! Man darf nicht vergessen, dass das Auge auf der Netzhaut nur eine zweidimensionale Fläche erzeugt. Und alles, was aus dem zweidimensionalen Flächenpunkt kommt, verarbeitet das Gehirn zu unserem räumlichen Eindruck. Da muss man schon auch an eine höhere Ordnung glauben, weil wir da nicht mehr hineinsehen. Da fängt meine Gläubigkeit an. Man kann nicht sagen, wir werden einmal einen Computer bauen, der das auch macht.
H. S.: Du bist ja auch ein hervorragender Fliegenfischer, auf La Palma, wo du ein Ferienhaus hast, widmest du dich intensiv der Hochseefischerei.
C. B.: Ja, in La Palma bin ich, weil dort die Fische sind.
H. S.: Ist neben dem Licht das Fischen deine zweite Obsession?
C. B.: Ja, unbedingt. Das hat mit Entspannung zu tun. Und mit meiner Jugend. Es war damals noch Krieg, wir hatten ein Fischwasser und ich musste Fische zum Essen fangen. Damals habe ich das Fliegenbinden gelernt. Ich habe mich mein Leben lang beim Fischen immer wieder entspannt und bin ins Fantasieren gekommen. Ich arbeite da eigentlich auch, ich denke halt nach, was der Fisch macht … Und ich bin kein Trophäenfänger. Ich würde nie einen Haifisch wegen seiner Zähne behalten. Wenn ich Fische nicht essen kann, fange ich sie schon gar nicht. Auch nicht die Marline, also die Speerfische, die für einen Hochseefischer das Höchste sind … da denke ich an Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Jetzt, wo ich gemerkt habe, dass die quecksilberhaltig sind, fange ich sie nicht mehr. In meinem Alter, ich bin jetzt 84, ist es mir auch zu anstrengend, so einen 300-Kilo-Fisch, der 100 Stundenkilometer draufhat, zu fangen. Ich esse kleinere, also 20-, 30-, 40-, 50-Kilo-Fische und stelle mich beim Hochseefischen darauf ein. Am liebsten sind mir aber immer noch die Äsche und die Forelle und der Waller. Und ich tu das alles wahnsinnig gern, vor allem auch, weil es eine meditative Sache ist. Man muss immer wach sein.
H. S.: Und Geduld braucht man.
C. B.: Ja. Gerade bei Großfischen, weil wenn sie nicht da sind, sind sie nicht da. Da kann man sehr gut nachdenken und das Unbewusste laufen lassen.