zurück zur Startseite

Alles fließt in Fließ

Quart schickt die Autoren Nadja Kwapil und Florian Gasser auf die Suche nach einer Gemeinde, die aufgrund ihrer Geschichte sozial und ökonomisch immer noch wunderbar funktioniert – ohne die oft unvermeidlichen Abwanderungsphänomene und unbeschadet von zu dominantem Tourismus. Die beiden fanden Fließ, im Westen Tirols gelegen. Eine Ortserkundung.

Der Kirchturm spießt eine der hauchdünnen Nebelwolken auf, die der Wind eilig über den graublauen Himmel treibt, wie ein Hirte seine Schäfchen über die sattgrünen Wiesen, die sich behaglich an das Tiroler Haufendörfchen Fließ schmiegen. Ab und zu erklingt eine der Glocken der Sankt-Barbara-Kirche, an diesem verregneten Spätnachmittag, zu einer ungewöhnlichen Zeit, viel zu früh. Fast kleinlaut klingt sie, zögernd, als räusperte sich das Gotteshaus, das ein paar Anläufe braucht, um den ehrfurchterregenden Ton in seiner Stimme zu finden. Ein junger Mesner öffnet die schwere Eisentüre, die unter der Bewegung leise ächzt. Gelbliches, warmes Licht dringt aus dem Inneren durch die Türöffnung, vermischt sich mit zerrissenen Orgelgeräuschen, die nur langsam im Raum verhallen. Ein Lächeln huscht über das weiche, rundliche Gesicht des Kirchendieners, der 26-Jährige streift sein Trachtenjackett glatt. „Mia freuen uns so, dass die Sankt-Barbara-Kirche wieder eröffnet wird und nach drei Jahren Renovierung in neuem Glanz erstrahlt“, sagt er dann. Vor jedem Satz weiten sich seine blauen Augen, als hätte er für sich die Bedeutung des Ereignisses längst begriffen, bevor er die passenden Worte dafür suchen konnte. Er zeigt auf einen Mann, der mit zittrigen Beinen eine hohe Leiter emporklettert. „Jetzt werden noch die Apostelleuchter angezündet, heute ist Orgelweihe. Und die zwei Holzfiguren vom heiligen Papst Johannes Paul II. und dem seligen Pfarrer Otto Neururer, der in Fließ seine Wurzeln hat, werden eingeweiht. Wir sind stolz, dass wir diese Figuren haben und auch die Reliquien: vom Papst einen Blutstropfen und vom Otto Neururer die Asche.“ Über drei Tage, bis Sonntag, ziehen sich die Feierlichkeiten. Die Kirchenbänke, prophezeit der Mesner, werden an den nächsten Tagen voll sein. Und auch darüber hinaus, davon ist er überzeugt, denn die Gemeinde wachse und wachse ja stetig. „Bei uns, da tut sich einiges.“
Das bunte Treiben in Fließ grenzt an ein Wunder, denn der Ort hat sich lange Zeit fast gegen seine Bevölkerung gewehrt. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Zeit des Bauernsterbens durch die Industrialisierung, sank die Einwohnerzahl. Die Menschen zogen in größere Städte, wo Arbeit und Auskommen zu finden waren.
1933 wütete ein Brand im Ortskern und zerstörte große Teile davon. Der Gemeinde drohte ein Schicksal wie vielen anderen, die in Nebentälern vor sich hinsiechen. Doch nicht zuletzt durch eine geschickte Diversifikation der Wirtschaft und gute Raumplanungspolitik stieg nach dem Zweiten Weltkrieg die Einwohnerzahl der Gemeinde im Oberen Gericht kontinuierlich an. 3.000 Einwohner hat Fließ mittlerweile, doppelt so viele wie nach dem Krieg. 1.400 Menschen leben im Dorfkern, der Rest verteilt über die 80 Weiler, die sich links und rechts des Tals über die Hänge verteilen. Die Furcht vor der Landflucht lässt die meisten hier kalt. Und wer flieht, der tut das nur für paar Stunden, wenn sie nach Zams, Landeck oder Innsbruck pendeln, um dort zu studieren oder zu arbeiten. Aber dort leben wollen die meisten nicht.

„Wir haben versucht, unsere Mitbürger davon zu überzeugen, dass es auch am Land recht schön ist“, sagt Bürgermeister Hans-Peter Bock. „Wir können ihnen den Wunsch nach einem Eigenheim im Grünen erfüllen, das im Gegensatz zu den Horrorpreisen in Ischgl oder Zams auch noch günstig zu haben ist. Eigentum, das die Leute natürlich auch an die Ortschaft bindet. Wie auch ein reges Vereinswesen, wir haben über 80 Vereine. Da entsteht einfach ein anderer Bezug zum Ort.“ Ohne große Gesten, dafür in druckreifen Sätzen spricht der ausgebildete Tiefbautechniker. Das grelle Neonlicht, das von der Decke fällt, holt einen schimmernden Glanz aus seinem pechschwarzen Haar. Der Ausblick auf die grünen Hügel, die sich vor seinem Fenster wie Schildkrötenrücken ducken, wirkt wie ins Bild geschnitten, mitten in das kleine Bürozimmer, in dem sich dutzende Ringordner in hellen Holzregalen dicht aneinanderreihen. Nebelschwade um Nebelschwade zieht draußen vorbei.
Seit seiner Geburt, seit 57 Jahren, lebt Hans-Peter Bock in Fließ, erzählt er fast stolz. Der Sozialdemokrat fand seine politische Heimat, als Bruno Kreisky während eines Wahlkampfs den Ort besuchte. Gerne zitiert er den „Sonnenkönig“ und streut einen fast missionarischen Unterton in seine linken Ideen für dieses Dorf „mit bäuerlichem Charakter“. Wo missioniert wird, erscheint vieles als unreif. Eine willkommene Rechtfertigung für einen Bürgermeister mit starkem Tatendrang.
„Als Sozialdemokrat bin ich nicht gerade der bäuerlichen Fraktion verschrieben“, sagt er. Sein Lachen schlägt sich mit dem Ernst in seinen dunklen Augen. Den Landwirten habe das Dorf viel zu verdanken, den Erhalt der Kulturlandschaft, zum Beispiel. Doch die meisten von ihnen sind Nebenerwerbsbauern und wirtschaften auf kleinstrukturierten Höfen, die sich über vier bis fünf Hektar Land erstrecken. Mit der Landwirtschaft verdienen sie ein „kleines Zubrot“ oder ersparen sich den Kauf von Lebensmitteln. Vollerwerbsbauern gebe es nur noch einen. Das sei nichts, über das man sich wundern müsse, die Gemeinde habe nie allein von Landwirtschaft gelebt. Vielmehr gefällt sie sich in der Rolle des geschickten Immobilienmaklers. „Wir haben uns früh bemüht, Grundstücke anzukaufen und günstig zu vermieten. Wir haben auch Grund aus Versteigerungen erworben, um ihn vermarkten und vermieten zu können. So können wir auch Jungunternehmern günstigen Wirtschaftsraum anbieten.“ Einen großen Teil ihrer Einnahmen zapft Fließ von umliegenden Gemeinden oder dort angesiedelten Unternehmen ab, die Bock einst in heftigen Diskussionen erstritt. „Da haben wir unten um den Inn die Auen, die Gewerbegebiet sind“, sagt er und deutet mit dem Kopf Richtung Fenster, „da tröpfelt es Kommunalsteuern und von den umliegenden Kraftwerken erhalten wir Entschädigungszahlungen für Immissionen oder Emissionen, die höher sind als die Kommunalsteuer.“
Wenn sich in den umliegenden brodelnden Urlaubsmetropolen wie Ischgl zigtausende Skifahrer den Hang hinunterstürzen, profitiert der Ort indirekt. Viele Fließer arbeiten in den mondänen Wintersportgebieten, während die Gemeinde selbst kaum in die Tourismusbranche investiert. Die jährliche Nächtigungsrate ist im Vergleich zum restlichen Tirol so gering wie ein Messfehler: Nur 76.000 Übernachtungen verzeichnet Fließ. Und das soll auch so bleiben, meint Bock, „Wir brauchen diese touristischen Orte zwar, die Abwanderungsproblematik träfe uns sonst sicher auch, aber eine stärkere Anbindung an diese Orte wollen wir nicht. Das passt nicht zu uns, zum Ort, verstehen Sie.“
„Verstehen Sie“, das sagt er oft. Ins Handwerk, ins Handwerk müsse man investieren, meint der Bürgermeister, das sei ein starker, stetig wachsender Sektor in Fließ. An Peppi Walch denkt der Bürgermeister, unter anderem. An einen der Tischler im Ort.

„Hobel muss man gut behandeln“, sagt Walch nebenbei, so, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Er klemmt ein helles quadratisches Zirbenbrett zwischen eine Eisenvorrichtung an eine Werkbank, schleift es, hobelt es glatt, von hohen Tönen begleitet. „Es muss richtig pfeifen“, sagt er, dann mache man es richtig. Die Hobelspäne springen nach allen Seiten und rollen sich zu Kringeln ein. Sieben bis acht Stunden verbringt er täglich in seiner „Wohnwerkstatt“. Das darüberliegende Wohnhaus hat er selbst geplant und gebaut. Vor seiner Werkstatt, auf der Terrasse, arbeitet gerade sein Schwiegersohn, „griaß di“, sagt er, und vertieft sich wieder in die Arbeit. Ein Teil des Hauses muss renoviert werden. Überall im Garten stapeln sich die schmalen Holzbretter.
„Unser Holz ist unser Stolz, mein Stolz. Die Haselfichte wächst da oben, wunderbar, beste Qualität. Haselfichte ist geeignet für den Instrumentenbau, Geigenholz in bester Qualität, gut gelagert, und mit dem Rest davon mach ich Böden oder so etwas.“
Peppi Walch war maßgeblich bei der Neugestaltung des Fließer Dorfkerns engagiert, in dem ein neues Gemeindezentrum entsteht. Mitten auf dem Dorfplatz steht der Rohbau, ein quadratisches Haus, das wie hineingewürfelt wirkt zwischen die ländlichen Holzhäuser. Während in anderen Landgemeinden die Daseinsvorsorge stetig abnimmt und es oft unmöglich ist, auch nur eine Packung Milch zu kaufen ohne mit dem Auto fahren zu müssen, entstehen hier ein Supermarkt, günstige Mietwohnungen, und die Gemeinde wird selbst zum Postpartner, um vernünftige Öffnungszeiten garantieren zu können.

„Ich hätte ja ein Holzhaus gebaut, aber der Bürgermeister betoniert so gern, das kann er gut“, sagt Peppi Walch über das neue Gemeindezentrum. Er meint es nicht ganz ernst, er ist ein Freund des schwarzen Humors. Ihn freut die Betriebsamkeit im Ort. Er trägt ein braunes Sakko, ein beigefarbenes Hemd und Turnschuhe. Sein dunkles dichtes Haar umrahmt einen schüchternen Gesichtsausdruck. Nein, beschweren möchte er sich über das neue Gebäude wirklich nicht, alles wurde schließlich gerecht entschieden, gemeinsam, in einem Bürgerbeteiligungsverfahren. „Jeder in der Gemeinde konnte Vorschläge machen und dann wurden die Architekten geladen.“ Viele tolle Projekte und Ideen seien damals eingetrudelt. In Fließ geschehe alles nach genossenschaftlichen Prinzipien, „ich sag immer, mag sein, dass in Griechenland die Demokratie erfunden wurde, hier in diesem Dorf wurde der Kommunismus erfunden“, sagt Walch, der einst nicht zum Zivildienst durfte, weil er der Gewissenskommission erklärte, dass Che Guevara eigentlich ganz in Ordnung gewesen sei – im Tirol der Sechziger und Siebziger, als einige noch zur Beichte gingen, wenn sie nicht ÖVP wählten,
fast eine Todsünde. Noch heute ist Walch der Überzeugung, der Kommunismus sei dem Kapitalismus vorzuziehen.
 
Die Glocken läuten, laut und klar, auf dem Weg ins Zentrum. Gartentore öffnen sich, aus den Häusern tröpfeln langsam Menschen Richtung Kirche. Kinder laufen lachend und kreischend die steile Straße hinunter, die direkt vor den Eingang der Sankt-Barbara-Kirche führt. Eine elegant bekleidete Frau schlendert in Begleitung zweier Frauen Richtung Kirche. Frau Maria heißt sie, „Ich bin Frau Maria“, wiederholt sie. „Ich bin hier aufgewachsen in Fließ, meine Trauung war hier und auch meine Silberhochzeit. Mein Mann ist jetzt seit 12 Jahren tot. Und mich berührt es, dass die Sankt-Barbara-Kirche jetzt eingeweiht wird.“ Zu dem Großereignis hat Frau Maria ihre holländischen Gäste mitgebracht und eine kleine Reise auf sich genommen: „Ich wohne in Ried. Ich habe sechs Jahre lang im Geschäft meines Vaters gearbeitet und dann, irgendwann, hab ich mich nach etwas anderem umsehen wollen, bin nach Ried und hab meinen Chef dort geheiratet. So war mein Lauf.“ Frau Maria lacht, ein lautes Lachen, ein herzliches Lachen. „Schönen Abend, schönen Abend, es wird ein schöner Abend“, sagt sie und winkt, bevor sie im Inneren der Kirche verschwindet.
 
Hans-Peter Bock wird die Messe an diesem Tag schwänzen. So Messen, das ist nicht so seines, als Sozialdemokrat. Er sitzt in einem kleinen Café im Gemeindezentrum, vor einem kleinen Glas Bier. Seine Arme hängen ausgebreitet über der Sitzbank. Geschichten wie die von Frau Maria sind ihm nicht fremd. Sie zeigen, dass die Bevölkerungsdichte in Fließ nicht immer so stabil war, Abwanderungswellen gab es auch hier. „In den 60er Jahren sind sicher mehr Menschen abgewandert, weil fast alle Einheimischen lange der Ansicht waren, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Noch heute denken zu viele so“, sagt der Bürgermeister. Doch in den letzten zwanzig Jahren habe sich Fließ zu wandeln begonnen, es brauche immer eine Weile, bis hier Neues akzeptiert werde – wie die neue Betreuungseinrichtung für Kinder, zum Beispiel: „Ich bin ja fast geprügelt worden dafür, als ich die neue Kinderbetreuungsstätte eröffnet habe. Nein, das brauchen wir nicht, haben sie gesagt, wir brauchen keine Ersatzmütter. Ich habe gezittert, ob wir überhaupt aufsperren können, ob wir genügend Kinder zusammenbekommen. Aber dann, am Ende, war der Saal voll.“
 
Seitdem geht es kontinuierlich bergauf mit der Geburtenrate, die Fließer Gemeinde ist eine junge Gemeinde. Die Jugend ist gestresst, mit Studium, mit Job, Selbstfindung, geistig urban eben, die sich um die älteren Menschen, die meist in entlegenen Häusern wohnen, kaum mehr kümmern kann. Wegziehen wollen auch die Älteren nicht, weg von ihren Gewohnheiten, ihren Erinnerungen, ihrer Heimat. „Wohin also mit jenen, die zusehends vereinsamen? Ins nächst gelegene Altersheim?“, fragte der Bürgermeister eines Tages in einer Gemeindeversammlung. Die Fließer schüttelten empört ihre hochroten Köpfe. „Das war lange Zeit verpönt, ältere Menschen ins Heim abzuschieben. Geschämt haben sich alle dafür, sowohl Junge als auch Alte“, sagt Bock.
Dann entbrannte auch noch ein Streit um die Errichtung neuer Mietwohnungen. „Damit bringt man nur die Sozialschmarotzer ins Dorf“, sollen viele Einwohner gewettert haben. Der Bürgermeister hörte auf zu fragen und entschied, die zwei verteufelten Projekte miteinander zu verbinden: Auf einem weiteren Grundstück der Gemeinde, gleich hinter dem neuen Gemeindezentrum, entsteht ein Haus mit Mietwohnungen, in denen künftig ältere Menschen betreut werden sollen. Noch steht das Gebäude leer, die blankgeputzten Fenster starren kühl in die Landschaft. Doch auf dem Papier ist das Haus bereits voll besetzt, so viele Anmeldungen gibt es bereits. Damit die Einrichtung nicht einfach als „Alters-Heim“ abgestempelt wird, soll sie auch für Junge zur Anmietung offenstehen. Die Gesellschaft soll sich auf engem Raum durchmischen.
„Man muss halt immer wissen, was man will“, sagt Hans-Peter Bock, greift zu seinem Glas, legt den Kopf in den Nacken. Ein Schluck. Die Leute müssen manchmal gezielt in eine Richtung gesteuert werden, damit sich etwas verändert, meint er. „Verstehen Sie.“ Manchmal auch gegen ihren Willen, damit sie andere Perspektiven gewinnen. Da öffne sich Raum für neue Erkenntnisse – natürlich auch für den, der steuere. „In der Tiefgarage des neuen Gemeindezentrums, die auch umstritten war, haben wir ein Haus aus der Hallstattzeit entdeckt. Das haben wir geschützt. Das ist eine der wenigen Tiefgaragen, die eine Kulturstätte mit eingebaut hat.“
 
Dunkel ist es in der Tiefgarage. Der Dorfarzt Walter Stefan balanciert über ein dünnes Stahlgitter, schlüpft unter einem aufgespannten Draht hindurch, stolpert über aufgeschüttete Steinhügelchen und Lehm hinein in die Kulturstätte. Er rückt sein leicht verrutschtes Brillengestell gerade und zieht seine orangefarbene Steppjacke enger um den schmächtigen Oberkörper. „Wir stehen hier mitten im Haus drinnen, und man sieht den gewinkelten Bereich, der zu diesem rätischen Haus gehört. Hier wurde ein Mann in Hockerstellung entdeckt, er lebte im 3. Jahrhundert vor Christus.“
Denkt Stefan noch an seinen letzten Patient von heute Nacht? Wie oft er wohl heute ausrücken musste? Seine Augen sehen müde aus, doch den Arzt sucht man an diesem Tag vergeblich. Nach dem Frühdienst möchte er jetzt als Obmann des Fließer Museumsvereines funktionieren, fast täglich führt er Interessierte durch den Ort, nicht nur Touristen. Der Mediziner ist mittlerweile der dorfeigene Bildungsbotschafter, ein gebürtiger Kärntner, der einst nach Fließ kam, als die Gemeinde einen Dorfarzt suchte. Er ließ sich nieder, gründete eine Familie. Vier Kinder hat er, sein Sohn wird einmal die Praxis übernehmen. Er selbst wird sich dann ganz seinem Hobby widmen, der Archäologie und dem Museumsverein.
Für seine archäologischen Funde und Ausgrabungsstätten ist Fließ bekannt. Da gibt es den Kathrein-Fund, einen hallstattzeitlichen Schatz oder einen Schatzfund aus der Bronzezeit, der einst in der Kaplanei Piller gefunden wurde. In der Römerzeit war Fließ eine wichtige Raststation. Die Funde sind im Museum am Dorfplatz im „Weißen Kreuz“ ausgestellt, einem früheren Gasthaus mit einer fast vierhundertjährigen Geschichte, das der Dorfarzt gemeinsam mit dem Tischler Peppi Walch renoviert hat.
 
Walch hat den Raum, in dem manche der Funde ausgestellt sind, selbst geplant und gezimmert. In hell beleuchteten Glasvitrinen werden die Schätze aus der Bronzezeit präsentiert. Ein Jahr und ein paar Monate haben sie gebraucht, erzählt Peppi Walch, bis alles fertig war. Sein Sohn Elias, ebenfalls Tischler, habe mitgeholfen, „eifrig gezinkt hat er das duftende Zirbenholz“, sagt er, fast wehmütig klingt es. Seine feingliedrige Hand streichelt liebevoll über einen der Tische. Die Besucher kommen von weit her, um das Museum und die Ausgrabungsstücke anzusehen. Auch bei der „Langen Nacht der Museen“ ist die Gemeinde Fließ dabei. Manchmal, sagt Peppi Walch, da sehne er sich aber nach mehr Kultur, nicht immer nur nach alten, gefriergetrockneten Knochen und bronzenem Schmuck. „Meine Frau ist Soziologin, von ihr habe ich Pierre Bourdieu lesen gelernt.“ Sie habe ihn mit ihrem Bildungshunger angesteckt und drei seiner vier Kinder haben mittlerweile studiert. Seine 17-jährige Tochter geht noch zur Schule. An manchen Tagen fährt er nach Innsbruck zu Vorträgen oder holt Vortragende in die Gemeinde – nicht er persönlich, der „Museums-Verein“. Wo „Museum“ draufsteht, ist nicht immer nur Museum drin. Der Verein ist vielmehr ein verstecktes Vehikel für Avantgarde und mutige Kunstprojekte, die nicht gleich als solche erkannt werden sollen. Die Fließer sollen nicht abgeschreckt werden. Und so organisiert der Museumsverein immer häufiger auch gewagte, polyrhythmische Jazz-Konzerte.
Der Wind weht das Geräusch von Almglocken ins Dorf, crescendo, das „Muhen“ der Kühe mischt sich dazwischen.
Unter blauen Schirmen stehen Jugendliche am Dorfplatz und verkaufen Fleischkäsesemmeln und Getränke. Die Sonne bricht durch die dunklen Wolken, als sich die Kühe dem Dorfplatz nähern und langsam an dem neuen, noch leeren Gemeindezentrum vorbeiziehen, flankiert von einer bunten Menschentraube. „Almabtrieb!“, ruft ein Bauer in Latzhosen und Gummistiefeln, läuft dann einer Kuh hinterher, die planwidrig nach links eingebogen ist, statt stur geradeaus hinter der Herde weiterzutrotten.

 

im Heft weiterblättern


Email

registrieren

Ihre Email-Adresse wurde bei uns registriert und zur Liste der Newsletter-Abonnenten hinzugefügt.
Sie erhalten in Kürze ein Bestätigung per Email.