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„Keinen Erfolg hat man, wenn man es allen recht macht.“

Den Quotenhit Vorstadtweiber kennt mittlerweile jeder. Bevor die zweite Staffel über den Bildschirm geht, trifft Ivo Schneider den Mann, der das Drehbuch dazu geschrieben hat. Dabei erfährt er zwar nichts über Frauen, weiß aber jetzt, dass Motorradfahrer leidenschaftlich sind, Österreicher Humor haben und man manchmal einen Protagonisten überraschend sterben lassen muss. Uli Brée, der in Mieming lebt und arbeitet, erzählt von seinem unkonventionellen Weg nach oben.

Ivo Schneider: Herr Brée, sind Sie gerade am Höhepunkt Ihrer Karriere?

Uli Brée: Wie soll man das wissen? Als Life is Life in Deutschland der erfolgreichste Fernsehfilm der letzten sieben Jahre wurde, da dachte ich: Wow! Das ist jetzt eine Hausnummer. Und während Vorstadtweiber hier gesendet wurde, war ich gerade in Indien zum Motorradfahren. Am Flughafen sah ich dann überall Bilder von der Serie und mittlerweile ist ein regelrecht polarisierendes Gesellschaftsthema daraus geworden. Nicht nur die Fernsehkritiker, wirklich alle diskutieren darüber, inklusive Modetipps und dem ganzen Quatsch. Das hat mich dann schon überrascht. Ich hab mir vorher überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob das ein Hit wird. Das einzige was ich wirklich gedacht habe war: Ich scheiß mich nix beim Schreiben. Und hab im Grunde genommen sehr amerikanisch gearbeitet – mit strukturellen Brüchen, Wechseln der Figuren, Töten von Protagonisten. Aber Höhepunkt einer Karriere? Geh … wir reden hier ja von Österreich, vom ORF … außerdem – Erfolg sehe ich eine Spur anders. Ich lebe ja noch in einer zweiten, meiner Motorradwelt.
Jedes Jahr veranstalte ich die Tridays, das ist das weltweit größte Treffen der Triumph-Fahrer, inzwischen bin ich sogar Markenbotschafter. Als ich dann John Bloor, den Besitzer von Triumph, kennengelernt habe … das war geil!

I. S.: Welche Serien oder Filme sehen Sie sich an?

U. B.: House of Cards taugt mir sehr, diese Serie ist perfekt strukturiert. Immer überraschend und sehr intelligent wird hier die Erwartung enttäuscht. Ich schau mir viele Serien an, auch weil ich durch das viele Schreiben es nicht mehr schaffe, am Abend ein Buch zu lesen. Zwei, drei Folgen einer Serie kann ich mir aber ansehen und das tue ich dann sehr analytisch. Da lerne ich etwas für mein Handwerk. Bei Boardwalk Empire zum Beispiel gibt es bei einer Folge der dritten Staffel eine Auflösung, die schon in der ersten Staffel aufgebaut wurde. Vielleicht hat sich das auch nur so ergeben, es ist aber trotzdem sehr gut. Oder die Idee, eine Hauptfigur am Ende der zweiten Staffel zu erschießen – das war mutig.
Bei den Vorstadtweibern habe ich dem ORF-Redakteur, mit dem ich immer zusammenarbeite, gesagt, dass ich in der achten Folge eine der Hauptfiguren sterben lassen werde. Der hat mich groß angesehen und gemeint: ,Das kannst du doch nicht machen!‘ Und weil der Redakteur so reagiert hat, musste ich diese Figur sterben lassen. Ich dachte mir, das Publikum wird reagieren wie der Redakteur. Etwas Besseres kann dir aber als Autor gar nicht passieren, als eine derart heftige Reaktion des Publikums zu bekommen.

I. S.: Was halten Sie von den Arbeiten Ihrer österreichischen Kollegen?

U. B.: Was der David Schalko macht, schätze ich. Auch deshalb, weil er einer der Wegbereiter dafür ist, dass Autoren mutiger erzählen dürfen. Das Problem des österreichischen Fernsehens war ja lange, dass versucht wurde, dem deutschen Fernsehen zu entsprechen. Man hat sich angebiedert und lange gebraucht, um zu begreifen, dass man hier etwas kann, was man in Deutschland nicht kann. Wir haben ja etwas, was die Deutschen nicht haben. Wir haben Humor. Wir können Geschichten viel mutiger erzählen. Was das deutsche Fernsehen macht, sehr linear und brav erzählen, niemanden vergrämen, logisch sein, das ist schlicht langweilig. Mich aber interessiert eine emotionale Nachvollziehbarkeit der Figuren, keine logische.

I. S.: Sie sind ausgebildeter Schauspieler: Warum haben Sie Ihre Karriere als Schauspieler zugunsten der Karriere als Drehbuchautor aufgegeben?

U. B.: Weil ich das gemacht habe, was alle Schauspieler machen: Ich habe gekellnert. Dann habe ich nebenher, nur um kreativ zu sein, mit Freunden das Stück Männer-Schmerzen geschrieben. Das wurde ein großer Erfolg und die Vorstellungen waren sieben Jahre lang ausverkauft. Zwei Wochen, nachdem das Stück angelaufen ist, habe ich mit dem Kellnern aufgehört. Ich habe für unsere Schauspielgruppe geschrieben, für andere Kabarettisten, Sketches und Comedy fürs Fernsehen aber auch Gags fürs Radio. Dann bekamen Rupert Henning und ich vom ORF den Auftrag für einen TV-Film (Anm.: Geliebte Gegner, 1998). Das war eine Geschichte für den Peter Weck, bei der er auch Regie geführt hat. Wir haben damals gar nicht begriffen, wie ungewöhnlich das eigentlich alles gelaufen ist. Die erste Fassung unseres Drehbuchs wurde auch genauso gedreht. Wir wussten damals wirklich nicht, dass man üblicherweise mehrere Fassungen von einem Drehbuch schreiben muss. Im Anschluss daran gab es eine Besprechung mit Kathrin Zechner (Anm.: Zechner war 1998 Programmintendantin des ORF). Da ging es darum, welches Projekt wir als nächstes angehen sollten. Acht Ideen lagen auf dem Tisch und am Ende der Sitzung hatten wir acht Drehbuchaufträge – wir waren euphorisiert und überfordert. Als dann der Film mit dem Peter Weck im Fernsehen kam, wussten wir, warum man uns so mit Aufträgen eingedeckt hatte. Sämtliche deutsche Privatsender haben angerufen und gefragt, ob wir nicht für sie arbeiten würden. Aber wir konnten nur antworten: Leider nein, wir müssen erst einmal für den ORF schreiben. Kathrin Zechner hat uns aufgebaut, unser Talent erkannt und uns an den ORF gebunden. Das war sehr intelligent von ihr.

I. S.: Wo haben Sie das Drehbuchschreiben gelernt?

U. B.: Das war Learning by Doing. Aber ich war ja Schauspieler und da lernst du, Dialoge zu sprechen. Dann habe ich auch viel Theaterregie gemacht und daraus ein dramaturgisches Verständnis entwickelt. Das Schreiben von Sketches hat mir geholfen, Dinge auf den Punkt zu bringen, und natürlich habe ich viel durch die Arbeit mit Rupert Henning gelernt. Wir schreiben seit zwanzig Jahren zusammen und ich wundere mich immer wieder, warum er mit mir arbeitet. Ich finde, er ist der viel bessere Autor, und er denkt dasselbe über mich – darauf basiert unsere tiefe Freundschaft.

I. S.: Eine Drehbuchseite entspricht ungefähr einer Minute im Film. Wie viele Drehbuchseiten schreiben Sie pro Tag?

U. B.: Ich bin ein Schnellschreiber. So zwischen zehn und zwanzig Seiten entstehen täglich. Wenn ich drin bin in einer Geschichte, schreibe ich auch sieben Tage die Woche. Das Schreiben macht mich glücklich. Natürlich gibt es Tage, wo nichts weitergeht. Aber mittlerweile weiß ich, dass es dann besser ist, es sein zu lassen, mich nicht durchzuquälen, und unternehme lieber etwas mit den Kindern oder gehe Motorradfahren.

I. S.: Wie reagieren Menschen, wenn Sie erzählen, dass Sie Drehbuchautor sind?

U. B.: Da gibt es verschiedene Reaktionen. Die einen sagen: ,Ach, du lebst von deiner Frau?‘ Das amüsiert mich immer sehr. Andere wiederum sind fasziniert und beginnen mich auszufragen. Die dritte Reaktion, und die kommt öfter von Schauspielern, ist die Frage, ob ich nicht einen Job hätte.

I. S.: Bringt der große Erfolg mit den Vorstadtweibern neben Anerkennung auch die Freiheit zu schreiben, was Sie wollen?

U. B.: Vergiss es! Die Öffentlichkeit nimmt mich zwar mehr wahr – Magazine wie Woman oder Wiener, die sich normalerweise nicht für Autoren interessieren, wollen auf einmal Homestories von mir –, aber hinter den Kulissen lädt man bei mir den ganzen Druck ab. Das war überraschend. Menschen, denen du das Fundament geliefert hast für die erfolgreichste Serie der letzten zwanzig Jahre, haben jetzt die totale Panik. Eine zweite Staffel muss her und die muss natürlich genauso erfolgreich sein. Ich konnte bei der ersten Staffel tun und lassen, was ich wollte, und jetzt bekomme ich plötzlich sehr viele Ratschläge. Am Anfang habe ich mir das angehört und war ziemlich irritiert. Jetzt denke ich – ich weiß zwar nicht, wie man Erfolg hat, aber ich weiß, wie man keinen Erfolg hat: Indem man es allen recht macht.
Ich habe gerade in Deutschland zuletzt bei einem Projekt meinen Namen zurückgezogen, weil man mich schlecht behandelt hat. Die haben mir vorher den roten Teppich ausgelegt und gesagt: ,Egal was du schreibst, wir wollen es.‘ Und danach waren sie enttäuscht, weil ich eben kein Dienstleister bin. Ich bin kein bequemer Autor. Beim ORF geht es mir aber, trotz der momentanen Probleme, eigentlich sehr gut. Hier rede ich mit, wer Regie führt und wer die Hauptrolle spielt.

I. S.: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Rupert Henning?

U. B.: Wir treffen uns in Tirol oder in Wien, kasernieren uns irgendwo ein. Wir entwickeln die ganze Geschichte, von der ersten Idee bis zum letzten Satz im Drehbuch gemeinsam. Am Anfang reden wir sehr viel über das Leben, über persönliche Dinge und wundern uns dann immer, warum das Buch schon fertig ist. Wir sind sehr eingespielt. Das Miteinanderschreiben hat auch einen großen Vorteil: Man erspart sich viele Sackgassen, weil man ein Korrektiv hat. Dieses Korrektiv funktioniert aber nur, wenn man uneitel ist. Es ist immer ein Hin und Her und zum Schluss kann man nicht mehr sagen, wer eigentlich die Idee hatte.

I. S.: Sie haben während Ihrer Karriere mehrere Genres bedient. Gibt es eines, wo Sie sich besonders wohl fühlen?

U. B.: Ja, bei berührenden Komödien wie Life is Life. Es macht aber auch Spaß, die Vorstadtweiber zu schreiben. Normalerweise schreibe ich Dialoge so, dass der Zuschauer nur zwischen den Zeilen die Wahrheit erfährt. Bei den Vorstadtweibern tue ich das Gegenteil. Da schreibe ich einen zynischen, bösartigen Dialog und meine Figur sagt ansatzlos und aufrichtig, was sie empfindet. Das ist überraschend und ein ganz anderer Stil.

I. S.: Wie weit war die Struktur der Geschichten der Vorstadtweiber vor dem Schreiben des Drehbuchs festgelegt?

U. B.: Die erste Staffel habe ich sehr konkret gebaut. Bei der zweiten Staffel kenne ich meine Hauptfiguren und bin daher etwas freier. Grundsätzlich mache ich das bei allen Büchern so: Ich strukturiere die Geschichte und beginne zu schreiben. Wenn ich aber merke, die Geschichte verselbstständigt sich, meine Figuren verselbstständigen sich, dann lass ich sie gehen und folge ihnen – und die Geschichte entwickelt sich in eine ganz andere Richtung.

I. S.: Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung Ihrer Drehbücher oder wird zu viel daran geändert?

U. B.: Wenn du meine Dialoge veränderst, sind wir keine Freunde mehr! Wenn ein Regisseur glaubt, mein Buch zu seinem machen zu müssen, muss er das leider alles wieder zurückschreiben. Ich lese die Regiefassung und wenn mir das nicht gefällt, wird der Regisseur kein Buch mehr von mir bekommen.

I. S.: Was denken Sie sich, wenn bei den Titeln eines Films steht: Ein Film von … und dann kommt der Name des Regisseurs?

U. B.: Ich denke mir, dass das scheiße ist. Es ist ja auch kein Film von mir. Es ist ein Film von allen. Vom Kabelträger, vom Cutter, von allen, die daran beteiligt sind. Bei den Filmen meines Freundes Rupert Henning zum Beispiel steht nie Ein Film von … Das gibt es bei ihm nicht.

I. S.: Gibt es in Ihren Drehbüchern Themen, die Sie immer wieder aufgreifen?

U. B.: Ich verarbeite immer viele private Geschichten von mir. Herz zieht sich durch. Außerdem versuche ich, nie eine böse oder eine gute Figur zu schreiben. Ich ärgere mich dann, wenn der Schauspieler nur böse gespielt hat, anstatt zu begreifen, dass die Figur auch brüchig und verletzlich ist. Keiner ist nur gut oder nur böse. Ich versuche, Menschen zu erzählen, und je älter ich werde, umso interessanter finde ich das. Ein Thema in meinen Drehbüchern ist sicher auch die Improvisation und wie wir damit unser Leben bewältigen. Permanent improvisieren die Figuren bei mir. Immer versuchen sie, das Leben irgendwie zu ,derstemmen‘. Das tun wir doch alle.

I. S.: Hat sich die Qualität Ihrer Arbeiten in den letzten zwanzig Jahren verändert?

U. B.: Ja. Ich habe zum Beispiel gerade heute mit meinem Redakteur wegen einer Geschichte heftig diskutiert. Er meinte, eine bestimmte Figur in der Geschichte könnte doch etwas so oder so machen. Ich wollte das nicht, mir war das zu einfach. In so einer Situation nicht den einfachsten Weg zu gehen, das habe ich gelernt. Ich beherrsche mein Handwerk und muss es nicht ständig anwenden. Das ist wie beim Motorradfahren. Ich muss da nicht mehr darüber nachdenken, wie ich in eine Kurve fahre. Mein Hirn hat da noch viel Platz zum Denken und den nutze ich.

I. S.: Ihre Arbeiten werden von einem Millionenpublikum gesehen. Kann es sein, dass Sie Ihr Publikum mit Ihrer Sicht der Welt beeinflussen?

U. B.: Ach, da würde ich mich aber überschätzen. Aber lustig ist – ich hab ja jetzt ein Woman-Abo (lacht) – und in der neuen Ausgabe steht ein Artikel über ,die wahren Vorstadtweiber‘. Da findet man auch einen Bericht über einen Callboy und der beschreibt, was die Frauen bei ihm suchen. Das war genauso, wie ich es geschrieben habe. Es gab da also eine Art Wechselwirkung mit meiner Arbeit. Aber Leute beeinflussen … Nein.

I. S.: Warum leben Sie in Tirol?

U. B.: Weil meine Ex-Frau Tirolerin ist. Ich lebe gerne in Tirol. Die Kinder sind hier glücklich und ich bin es auch. Und mit dem Motorrad bin ich in einer Dreiviertelstunde in Italien.

I. S.: Was bedeutet Motorradfahren für Sie?

U. B.: Wie schon erwähnt, veranstalte ich ja die Tridays. Ich bin da auch in einer Customizer-Szene drin und baue zusammen mit meinem Sohn Motorräder um. Wir sind da beide fanatisch. Die Fernsehwelt ist ja eigentlich eine kreative Welt, doch dort sind viele überhaupt nicht so leidenschaftlich wie meine Motorradfreunde. Die Customizer können sich regelrecht daran ergötzen, wenn sie etwas so oder so gebaut haben. Das ist wunderbar, denn diese Freude, diese lustvolle Leidenschaft, die habe ich auch beim Schreiben.

 

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