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Der Sonderling

Franzobel hält eine literarische Séance mit Norbert C. Kaser ab.

Vorwort
Mit Glück, Zufall und einiger Beharrlichkeit ist es mir im Herbst 2014 gelungen, mit Norbert Conrad Kaser, dem 1978 verstorbenen Südtiroler Schriftsteller, in Kontakt zu treten. Natürlich haben Sie, werter Leser, ein Recht zu erfahren, wie der darauf folgende Briefverkehr mit dem Toten zustande gekommen ist. Nun sind aber a) die Umstände derart kurios, dass man mir ohnehin kaum glauben würde, ist es b) besser, meinem Versprechen nachzukommen und das Medium nicht preiszugeben. Also sei c) nur verraten: So unvermittelt und überraschend, wie sich dieser Kontakt ergeben hat, ist er auch wieder abgerissen. Alle Bemühungen, ihn
wiederaufzunehmen, sind gescheitert. Mögen manche diesen Briefverkehr als esoterischen Humbug oder metaphysischen Schwachsinn abtun, für mich steht außer Zweifel, wirklich mit dem Geist Kasers verbunden gewesen zu sein. Im Folgenden werden aus Platzgründen lediglich seine Antworten abgedruckt, sie sind ohnehin der interessantere Teil dieser Kommunikation. Bis auf kleinere orthographische Eingriffe wurden sie so gesetzt, wie sie zu mir gekommen sind.

Franzobel, März 2015


jenseits 041014

werter franzobel

es ist angenehm & beruhigend zu wissen, daß es noch menschen gibt, denen ich nicht wurscht bin. auch habe ich mich gefreut, wie sie bei ihrer sogenannten graebertour nicht nur beim gatterer in sexten, beim trojer in außervillgraten & beim webern in mittersill, sondern auch bei mir in bruneck gewesen sind & nicht auf mein grab gespuckt haben, sondern meiner gedachten & mir auch noch eine flasche wein & ein paeckchen zigaretten auf das grab legten, wofuer ich ihnen ganz besonders dankbar bin. ich wuerde auch lieber in sexten liegen wie der gatterer & mir am friedhof den totentanz im egger-lienz-stil ansehen, in außervillgraten wie der trojer oder in mittersill wie der webern, anstatt im unscheinbaren grab am brunecker friedhof, wo nicht viel los ist & auch die aussicht zum scheißen ist.
doch nun zu ihren fragen: ueber meine lebensweise hier darf ich nichts verraten, nur so viel, es gibt wenig zu trinken & auch die zigaretten sind knapp bemessen. der kaffee ist stark wie der teufel & beißt in der nase. ich besitze eine eigene schreibmaschine & verfolge mehrere projekte, die mich voll & ganz in beschlag nehmen. der literaturbetrieb wird zwar auch hier wahrgenommen, kuemmert mich aber herzlich wenig, dieses getoese, das die verlage jedes halbjahr um ihre angeblich lange & heiß herbeigesehnten neuerscheinungen veranstalten, damit die buchhaendlerinnen mit augen groß wie pfannen feucht im schritt werden, ist aus meiner perspektive einfach nur laecherlich. aber, das will ich nicht verhehlen, ich beneide die heutigen schreiber & dichter durchaus um ihren materiellen wohlstand. koennen sie sich vorstellen, daß ich noch richtig hungern mußte. mehr als einmal, daß ich zwei, vier tage bloß eine trockene semmel zwischen die rippen bekommen habe, fuer ein gedicht um ein achtel schnorren mußte, auch die ewigen bitt- & bettelbriefe wegen der miete oder den schulden etc. haben mir das leben nicht gerade leicht gemacht. dagegen geht es den heutigen schreibern richtig gut, ein paar werden mit stipendien aufgepaeppelt wie die jungen ferkel. das war zu meiner zeit, in den siebzigern, noch anders, da gab es kaum jemanden, der von seinen texten leben konnte, weil es auch noch kaum stipendien gab. mittlerweile vergibt ja jedes kuhdorf einen literaturpreis, in jeder furche wird eine goldene kuhflade verliehen & in jeder zum wellneßhotel umgebauten scheune hocken ein paar literaten & schreiben, daß die finger krachen. daran kann man sehen, wie schlecht es in der gesellschaft um die identitaet bestellt ist, wenn man so viele identitaets-versicherer und identitaetsstifter braucht. heute wird den jungen dichtern alles in den arsch hinein geschoben. es muß nur einer einmal zwei gerade zeilen zusammenbringen, schon schiebt man ihm hinten & vorne die subventioenchen rein, damit er kaum noch zum atmen kommt, geschweige denn noch weiß, wogegen er eigentlich anschreiben wollte. die jungen schreiber heutzutage werden totgestreichelt.
aber das ist nicht mein problem. natuerlich weiß ich auch, daß sich mein spaeterer ruhm, was immer das ist, eben diesen, wie man neuerdings sagt, prekaeren lebensumstaenden verdankt. waere ich alt & fett & feist geworden, wuerde heute wohl kein hahn mehr nach mir kraehen. die gesellschaft liebt geschichten von armen poeten, die ueberall angeeckt haben, nichts zu fressen hatten & sich totgesoffen haben, aber erst wenn sie begraben sind & man weiß, daß sie einen in ruhe lassen, einen nicht mit unangenehmen meinungen oder bettelbriefen traktieren. zu lebzeiten will niemand etwas mit ihnen zu tun haben, macht man einen bogen um sie, aber kaum sind sie unter der erde, kommt alles angekrochen und lobt und preist.
stellen sie sich vor, man hat sogar die bibliothek in bruneck nach mir benannt, um mich einzuverleiben, um auch aus mir einen großen sohn der stadt bruneck zu machen. darauf scheiße ich. zu lebzeiten mußte ich froh sein, als hilfslehrer arbeiten zu duerfen, um nicht zu verhungern, da hat sich keiner um den großen sohn gekuemmert. für mich war bruneck immer blutruenstig & miserabel & hundsgemein, hinterfotzig und verschlagen. mich hat bruneck genauso angekotzt wie die dolomiten, die rai, der athesia-verlag & der andreas hofer.
heute genieße ich einen gewissen nachruhm, aber den kann ich mir ehrlich gesagt sonstwohin stecken, weil ich nicht weiß, was es daran zu genießen gibt. also halte ich steineren schlaf in zerwuehlter waesche & traeume schwere traeume. sie fragen, ob ich heute etwas anders machen wuerde? damit meinen sie wahrscheinlich die frage nach meiner willentlichen vernichtung, die ich mit alkohol konsequent betrieben habe. nein, wuerde ich nicht. ich bin ja so ziemlich der letzte deutschsprachige schriftsteller, der sich totgesoffen hat. sonst fallen mir nur noch werner schwab & der kaerntner georg timber-trattnig ein, mit denen ich hier manchmal ein flaeschchen zwicke. eine weile lang war der schwab ziemlich eingebildet wegen dem erfolg seiner praesidentinnen, aber seit die auch nicht mehr so gut laufen, ist er ganz in ordnung. der schurl dagegen, der noch immer auf seinen durchbruch wartet, ist ein feiner kerl.
ich habe mich totgesoffen, weil ich leben wollte. vielleicht war ich auch aengstlich & unsicher. mein vater, von dem sich spaeter herausgestellt hat, er war ueberhaupt nur mein stiefvater, arbeitete als portier, weil er aus dem krieg mit einem zerschossenen arm zurueckgekommen ist & nicht mehr als tischler arbeiten konnte. jetzt sagen die originalitaetsdeppen immer, man solle der herkunft keine so große bedeutung zuschreiben, sie werde ueberbewertet. aber natuerlich spielt es eine rolle, ob man nun aus einer aerztefamilie, einer juristendynastie, einem landwirtschaftlichen großbetrieb oder einer miefigen portiersloge kommt, ob man etwas hat oder nicht. vor allem, wenn man nichts hat. & wir haben nichts gehabt, nichts, um uns daran festzuhalten, außer vielleicht der flasche. & dabei hat alles gut begonnen, war ich ein fleißiger schueler, ein streber, einer, der alles in tabellen gefaßt hat. es war ja alles andere denn selbstverstaendlich, daß einer wie ich auf das gymnasium geht. fuer einen wie mich war nur die volksschule vorgesehen, aber da ich begabt war & meine mutter hoffte, daß aus mir einmal etwas werden wuerde, ein priester, kam ich auf die hoehere schule & hab mich dort bewaehrt. ich war kein schlechter schueler. bis auf die matura. bei der matura habe ich versagt. zweimal durchgefallen. sogar in deutsch. das muß man sich vorstellen, ich, der ich eine schuelerzeitung herausgegeben habe, der ich klassenbester in deutsch gewesen bin, versage bei der schriftlichen matura. dabei habe ich nicht nur meine arbeit geschrieben, sondern auch noch eine zweite fuer einen klassenkollegen, & diese zweite arbeit, was für eine crux, war positiv, meine nicht. aber wahrscheinlich bin ich nur wegen meinem betragen durchgefallen, weil ich mich nicht einordnen konnte. einer, der immer aufmupft, in der toilette raucht, nicht einmal auf offener straße die zigaretten versteckt, einer, der alles besser weiß, aneckt … das hat man mir dann heimgezahlt, weil wenn die suedtiroler etwas koennen, dann das heimzahlen, da sind sie groß. die matura hat mich gebrochen, hat mir gezeigt, daß doch nicht alles so leicht geht fuer einen, der zum einen kein betragen hat & zum anderen auch noch aus einer portiersloge kommt, kind einer arbeiterin und eines stiefvaters, dem man in rußland den arm zerschossen hat.
also habe ich mich nach einem maeßigen anfang, den ich selbst aber als ganz vorzueglich wahrgenommen habe, mich trefflich zum alkoholiker herunterentwickelt, weil ich angst vor der leere hatte, angst, ich koennte mich bereits ausgeschrieben haben, bevor es überhaupt losgegangen ist. aber was hat schon bestand? was hat substanz? was ist es wert, erhalten zu bleiben? ich hatte stets ein großes mißfallen gegenueber jedem pathos; jede große geste war mir von vornherein zuwider, weil sie mir hohl & verlogen erschien, weil ich das geheuchelte & unwahre darin sah, obwohl es mich gleichzeitig hinzog. immer wollte ich etwas schaffen, das gueltig war, etwas, das bewegte, nicht kalt war. ein paarmal ist mir das geglueckt, oft nicht. man muß beim schreiben ruecksichtslos sein, darf keine kompromisse machen, auch wenn es schwerfaellt. bei mir haben sogar die tanten ihr fett abgekriegt, die julie & die luise, verkaeuferin die eine, koechin die andere, obwohl sie die einzigen waren, die mir immer zuflucht gewaehrten, wenn ich mich mit den eltern zerstritten hatte, mir unter die arme griffen, wenn es wieder einmal eng geworden ist, habe ich mich ueber ihr arme-leute-denken, ihr sparen, ihre sturheit & dummheit lustig gemacht. arme julie & luise. ich habe ihnen heimgezahlt, daß sie immer die feuchte wäsche auf meine manuskripte gelegt haben, mich immer traktierten mit ihrem: schalt das radio aus, wenn du gehst, zieh den stecker, dreh das licht aus.
so. mehr kann ich ihnen nicht mitteilen. das ist auch alles tiefste, dunkelste vergangenheit. mittlerweile hat sich mein befinden gefestigt, sogar der zustand meiner zaehne hat sich gebessert & auch die nieren geben eine ruh. wissen sie etwas von den suedtiroler kraehen? haben sie sich schon aufgemacht, gleich den schwalben in den sueden zu fahren?

herzlichst
ihr großer heimzahler
norbert conrad kaser


jenseits 121114

geschaetzter franzobel

nun, da sie mir keine ruhe lassen & in mich dringen, was ich ueber die gegenwaertigen zustaende der welt zu sagen habe, muß ich sie enttaeuschen, die welt, ja, sie ist groeßer als ein ochsenauge, ist nicht mehr meine sache, war sie vielleicht nie. eine zertengelte sense oder zerquetschte nuß. ich war immer dann am gluecklichsten, wenn ich einigermaßen bei mir gewesen bin, als hilfslehrer in den dolomiten, in laas oder vernuer, wenn ich mit den volksschulkindern historische gerichtsverhandlungen inszenierte oder die vogelpredigt des heiligen franz an die wand malen ließ, meinetwegen auch als autostopper richtung norwegen – ein scheißland übrigens. oder als katzentotschlaeger. gegen die wand habe ich das vieh, ein kleines sueßes kaetzchen, geschleudert & es dann tot in eine jauchegrube geschmissen. eine stunde spaeter war es wieder da & hat gestunken, & als ich ihm dann den kopf mit einer axt zertruemmerte, als die kleinen katzenschaedelknochen knackten wie eine nuß im nußknacker, das katzenblut über den hackstock rann, in das poröse holz sickerte, sich die kleinen pfoten streckten und die krallen ein letztes mal ausfuhren, war ich ganz bei mir. ganz.
ich war immer ein sonderling, einer, der nie dazu gepaßt hat, nicht, weil ich nicht gewollt haette, sondern weil ich nicht konnte. einer, der alles absichtlich macht, ein rebellischer kerl, der im keller & in der toilette raucht. fuer mich waren die annehmlichkeiten des
buergerlichen lebens immer mehr bedrohung als verlockung. ich wollte nie eine integrierte leiche sein, die sich nicht mehr wehrt. fuer mich gab es immer nur eine wahrheit, die im wein. trotzdem habe ich mich nach einem geregelten leben gesehnt, nach einer große liebe, die mir versagt geblieben ist, einem leben, das mir ein kontinuierliches schreiben ermoeglicht. im schreiben habe ich zu mir gefunden, bekam die welt eine ordnung & eine schoenheit, die sie sonst nicht hatte.
ich habe mich ja nie irgendwelchen moden unterworfen. nehmen sie nur meine frisur. all meine freunde, ja praktisch alle damals haben sich die haare wachsen lassen & koteletten gleich dazu, nur ich nicht, obwohl ich wegen meiner fliegerohren allen grund dazu gehabt haette. ich habe meinen kurzhaarschnitt immer beibehalten – manchmal habe ich mir zum entsetzen meiner umwelt gleich eine glatze scheren lassen. ich war so etwas wie der erste skinhead suedtirols & noch dazu ein linker, einer, den man nicht recht einordnen konnte. stellen sie sich vor, wie ich, ein kleines duennes maennlein mit riesigem lodenumhang & schlapphut, durch bruneck gezogen bin. wie ein eingelaufener andreas hofer muß ich ausgesehen haben. da haben sie geschaut, die leute, daß ihnen fast die kuhaugen rausgefallen sind.
meine erste lesung, in innsbruck war das, hielt ich in der kutte, weil ich damals novize bei den kapuzinern war – & spaeter dann mitglied bei der kommunistischen partei italiens. wohlgefuehlt habe ich mich da wie dort nicht. die nordtiroler sind harte und unfreundliche knochen & die kommunisten dogmatische meinungsintoleranzler.
ich war einer, der nie dazugehoerte. es ist mir einfach schwer gefallen, kompromisse zu machen oder dinge zu tun, von denen ich nicht ueberzeugt war. diese sogenannte pflichterfuellung ging mir immer so etwas von gegen den strich. ueberall, nicht nur in nordtirol
oder bei der kpi. als hilfslehrer die erstellung von lehrplaenen oder die fuehrung des klassenbuches … ein graus! einmal ist sogar die polizei ausgerueckt, um mein nicht zurueckerstattetes klassenbuch zu holen. die haben eine richtige staatsaffaere daraus gemacht.
ein vermißtes klassenbuch war schlimmer als ein entfuehrter aldo moro. aber der polizeieinsatz war erfolglos. die haben mir ganz umsonst die bude auf den kopf gestellt. sie konnten ja nicht wissen, daß ich dieses verdammte klassenbuch als klopapier in verwendung hatte. gut, ich habe das register dann doch zurueckgegeben, um den kindern von vernuer keine probleme zu bereiten. der sogenannten obrigkeit, den schulbehoerden & direktoren, ging es nie um die kinder oder ihre lernfortschritte, sondern immer nur um die einhaltung der lehrplaene & um dieses bloede klassenbuch, das sie wie das allerheiligste verehrt haben. aber es sind die kinder, die jetzt als erwachsene in der welt leben, & nicht die klassenbuecher.
manche haben mich mit dem wittgenstein verglichen, der auch als ungluecklicher schwuler irgendwo in der einoede unterrichtet hat, aber waehrend der wittgenstein kinder geschlagen hat, habe ich meine kinder geliebt – & sie mich auch; einen großteil meines ohnehin geringen lehrergehalts habe ich fuer schulmittel verwendet, farben, stifte & bloecke gekauft. außerdem habe ich texte fuer die diktate verfaßt. waehrend sich der wittgenstein seines schwulseins sicher war, bin ich zwischen den geschlechtern hin & her gependelt wie der ochs zwischen den kuehen. wahrscheinlich ging es mir nur darum, geliebt zu werden, wahrgenommen zu werden, zu sein.
ich hatte immer schwierigkeiten mit autoritaeten. kaum wurde ich irgendeiner instanz oder autoritaet gewahr, mußte ich auch schon mein bein heben & zuischiffen. ich konnte einfach nicht anders, ganz egal, ob es nun der schuldirektor oder irgendein literaturpapst war, das kleine kasermandl mußte ihn anbrunzen. das ging soweit, daß ich meinem kleinen hund, den ich mir irgendwann zugelegt habe, den namen haymo gab. ich hätte ihn auch paolo, bruno oder hasso nennen können, aber nein, ich nannte ihn haymo nach dem populaeren svp-politiker, langjaehrigen fremdenverkehrsobmann, spaeteren altbuergermeister, raiffeisenmenschen & betreiber des groeßten hotels in bruneck: haymo von grebmer. das war natuerlich ein gaudium: haymo sitz, haymo platz, haymo gusch. & jetzt, weil das leben nicht ohne ironie fuhrwerkt, ist mein kompletter nachlaß beim haymon verlag erschienen …, der aber nichts mit dem haymo zu tun hat, welcher uebrigens noch immer lebt. waehrend der bloede hund kaser mit seinem noch bloederen hund haymo laengst tot sind, ist der feiste altbuergermeister mit seinen rosa baeckchen und seinem schlohweißen haar immer noch da, frißt seinen speck, laeßt sich orden anstecken und die landschaft verbauen. da kommt mir immer noch alles hoch, wenn ich daran denke. zuibrunzen.
auch beim schreiben habe ich mich keinen moden angepaßt, zumindest habe ich versucht, etwas eigenes zu finden, etwas, das nichts mit dieser gaengigen heimattuemelei zu tun hat, mit dieser vertrottelten schießbudengesellschaft entleerter seelen. natuerlich habe ich die ganze edition suhrkamp in mich hineingefressen, bis ich nicht mehr wußte, was von mir ist & was angelesen. wie hat die spanische kommunistin dolores ibarruri gesagt, es ist besser auf den fueßen zu sterben, als auf den knien zu leben. & bruneck war schrecklich, lauter grebmers. seit meiner brixener rede bei der studientagung der suedtiroler hochschuelerschaft war ich so eine art teufel, ein schlaechter & gottseibeiuns, einer, dem nichts recht ist, ein revoluzzer, einer, der keine ruhe geben kann, ein zuibrunzer. das hat sich bis bruneck durchgesprochen, wo sich bald darauf einige gasthaeuser weigerten, mich zu bedienen. ich weiß nicht, ob sie sich das vorstellen koennen, dieses verdruckste & duenkelhafte, diese mischung aus minderwertigkeitsgefuehl & großkopfigkeit, diese angst vor den italienern & der gleichzeitigen gewißheit, selbst kein richtiger deutscher zu sein. diese an touristen oder politiker verkaufte identitaet, die einen geradewegs in den alkohol treibt. aber mir wollte man nichts mehr geben. wenn mich nicht der paul flora mitgenommen haette, den man damals schon schaetzte, weil er ein anerkannter kuenstler war, haette ich in bruneck ueberhaupt nichts mehr zu saufen gekriegt.
natuerlich wollte, nein, mußte ich da weg. aber wien hat sich fuer mich als katastrophe herausgestellt, als großes gefrette, wo es nur gemeines gerede als brotaufstrich gab – und vielleicht noch die tirolerknoedel und wuchteln im tirolerheim zu dornbach unweit der sophienalpe und dem funkturm, wo sogar wien ein bißchen nach tirol schmeckt. diese große stadt, in der so viel passiert & trotzdem nichts los ist. das schrebergartenhaeuschen in der alszeile nummer 64, wo es kein fließendes wasser gab, ein plumpsklo im freien, wo es einem im winter das arschloch zufror, war schrecklich. ein denkbar miserables wetter, immer kalt und feucht und grau. die luft war schwer, zäh & gelb wie eiter & die geheuchelt freundlichen menschen hatten nur eine bezeichnung für mich übrig: bleda provinzla. gut war nur brankowskys wein- und bierhaus & der fruehling, wenn es vom wienerwald den baerlauchgeruch herunterwehte, sonst stank es immer nach biermaische von der ottakringer brauerei oder nach schokolade von der nahegelegenen mannerfabrik oder nach vitamin b, weil man in wien ohne beziehungen zu nichts kommt. außerdem mußte ich immer am hernalser friedhof vorbei, wo der konrad bayer liegt, der sich mit ein&dreißig Jahren vergast hat. ich haette mich vielleicht auch vergast, wenn ich einen gasofen gehabt haette. aber ich hatte nur einen alten kanonenofen. es war ja immer eine unheimlich anmutende trauer in mir, aber nicht wegen dem konrad bayer. der konrad bayer & die wiener gruppe samt ihren konkreten onkeln und tanten waren nie mein ding. die mit ihren kastrierten und hermaphroditischen woertern, mit ihrer wie eine fette sau durch die suempfe gewaelzten literatur, diese wiedergeburten des barocken werden bald vergessen sein. mir dagegen, dem bleden provinzler, ist es immer um die eigene erfahrung gegangen, um die loesung des erlebten von klischeevorstellungen, um die freilegung von kulturellen tiefenschichten. ich wollte immer etwas anrichten mit meiner sprache, treffen, weh tun, zuibrunzen.
die trauer in mir kam wegen dem alleinsein, meiner isolation, einsamkeit. ich war ja duerr wie eine wueste, nur die leber war am schluß wie bei einem elefanten. dann kam, da war ich laengst wieder zurueck in suedtirol, der zusammenbruch. ich war nun einmal kein bauer, knecht oder bauernsohn, keiner, der sich mit einem raiffeisenmenschen arrangiert, ich hatte nicht ihre mentalitaet & meine war ihnen nicht geheuer. mein vollkommen unnormales verhaeltnis zu geld oder karriere, meine freiheitsliebe, meine oft spleenigen vorstellungen & eine seltene form von unbeugsamkeit
begannen mich von meinen freunden zu unterscheiden. die waren ja plötzlich alle verheiratet, doktorisiert, verbeamtet & recht integriert, die hatten sich ein buergerliches schneckenhaus gerichtet, waehrend ich immer noch nicht wußte, wer ich war & wo ich hingehoerte. nur eines wußte ich bestimmt, daß ich tausendfach anders war als sie. tausendfach.
da ich ein religioeser mensch war, trat ich aus der kirche aus. außerdem war ich nicht bereit, meinen glauben an GOTT zu bezahlen. & diesen glauben habe ich mir nicht austreiben lassen, nicht von einem dicken kooperator, der mit seinen dicken, patzigen orgelspielerfingern in unseren kinderseelen herumwuehlte, nicht von den grauen schwestern zu brixen, die mich tagelang in der nassen windel liegen ließen, nicht von den bigotten seelenschacherern und auch nicht von den besonders scheinheilig tuenden altbuergermeistern, die dann alles zuscheißen mit ihren bauprojekten.

soweit fuer heute
ihr wilder hund und zuibrunzer
norbert conrad kaser


jenseits 071214

lieber franzobel

leer sind die tage, ohne inhalt mein leben. ich bin einsam & allein & werde immer hohler. freilich hat es keinen sinn, mit 28 ins gras zu beißen, aber es hat auch keinen sinn, mit 31 ins gras zu beißen. gras schmeckt nur in der pfeife. ich werde nie anders koennen, als von mir aus zu denken, also beurteile ich auch die menschen nur danach, ob sie fuer mich etwas getan haben oder nicht. hans haider zum beispiel, der ein schoenes appartement am altausseersee besitzt, im ehemaligen hotel frischmuth, das hat er sich mit seinen besprechungshonoraren verdient, hans haider, den viele fuer einen flaschelfurzer halten, hat sich fuer mich eingesetzt, jenem hans haider, der spaeter den holzfaellen-skandal um bernhard losgetreten hat, indem er den komponisten lampersberg so lange genervt hat, bis der eine klage einreichte, hatte ich ein literaturstipendium der republik oesterreich zu verdanken. die rettung? von den zwoelf monaten verbrachte ich 14 wochen im spital. mein gesundheitszustand hatte sich rapide verschlechtert, was wohl am unregelmaeßigen lebensrhythmus, der gar nicht ausgewogenen ernaehrung & den gasthaustouren lag. ich habe wie ein wahnsinniger gesoffen – bis die leber nicht mehr konnte. ich habe meine eigene leber unter den tisch gesoffen. zuerst war ich in einer anstalt bei verona, spaeter dann in bad berka, thueringen, wo es ein mittagessen mit sueßem salat & ewigen erdaepfeln gab. natuerlich geriet ich mit den krankenhaeusern genauso in konflikt wie mit allen anderen einrichtungen, mit dem direktor in der schule, den behoerden, dem vorstand im kloster. die aerzte wollten die wunde finden, der ich mein saufen verdankte & sahen nicht, daß alles an mir wunde war, oder alles gaudium, alles tanz. ich bereute nichts, keinen tropfen wein, keinen haß, keine traene, keine liebschaft, keine sexuellen ausfluege, keinen schiß. natuerlich spuerte ich, daß ich mich selbst ruinierte, aber ich war ein fremdling meiner selbst, einer, der trost nur bei wein und schnaps fand – und bei den nazis, den nationale-zigaretten. so lebte ich wie in trance, als ob ich selbst nicht wahr wäre. eigentlich wollte ich das stipendium nuetzen, um endlich einen roman zu schreiben oder ein volksstueck, aber ich hatte angst vor einer groeßeren arbeit, angst vor dem versagen. ein portraet ueber den wirt von vernuer ist gescheitert, weil er gestorben ist. die geplante tragoedie ist gescheitert, der roman ueber den heiligen sebastian nie begonnen, ebenso der geplante große norwegenroman. auch aus dem großen staedtezyklus ist nichts geworden. der totentanz? der roman ueber den spanischen buergerkrieg? nichts. immer habe ich stoffe & ideen gewaelzt, immer waren da vorsaetze, etwas großes zu schreiben, aber geworden ist es nie etwas. so bin ich ein dichter ohne großem werk geblieben, ein dichter, der sein dichtersein weniger durch texte bewiesen hat als mehr durch seine art zu leben. das habe ich mit dem hc artmann gemein. der war auch ein rastlos getriebener, einer, den es nach skandinavien & in die ganze welt gezogen hat, nicht ganz so lebensunfaehig wie ich, weil er immer frauen gefunden hat, die sich um ihn gekuemmert haben. aber auch er hat es verabsaeumt, das große werk zu schaffen, womit er sich fuer immer einen platz in der literaturgeschichte sichern koennte. So kann es sein, daß er wie ich als fußnote endet. der artmann hat ja angeblich 27 sprachen gesprochen, aber das ist eine maer, die er ebenso in die welt gesetzt hat wie seinen phantasie-geburtsort. tatsaechlich war das englisch von dem hc artmann so schlecht, daß er in amerika nicht einmal in der lage war, alleine im hotel einzuchecken. ueberhaupt diese ganzen erfundenen geschichten & selbststilisierungen. wie oft habe ich schon von thomas bernhards vergeblicher suche nach einer neuen zuercher zeitung gehoert, ganz oberoesterreich hat er abgegrast nach dieser zeitung – von gaspoltshofen bis geboltskirchen, von ampflwang bis zipfelwang. aber nie fraegt jemand, warum. warum war der bernhard denn so versessen nach einer zuercher zeitung? weil er so ein mondaener weltenbuerger war, der ohne dieses erzkonservative drecksblatt nicht leben konnte? wobei die zuercher zeitung natuerlich schon ein anderes niveau hatte als zum beispiel die dolomiten, die ein richtiges scheißblatt waren, damals. aber warum war ihm kein weg zu weit, diese bastion des schweizer buergertums, diese gedruckten panzersperren zu erwischen? doch nur, weil er darin eine besprechung seines letzten buches vermutete. etwas anderes hat den doch gar nicht interessiert. aber so sind die meisten herren & damen schriftsteller, verlogen & verheuchelt. & ich wollte da nicht mitmachen, obwohl ich auch jede noch so unwichtige scheißkritik aus jedem unbedeutenden kaeseblatt aufgehoben habe, weil mir noch die kleinste notiz bestaetigt hat, daß es mich gibt, ich schreibe.
sie muessen sich vorstellen, es gab fuer mich keine veroeffentlichungsmoeglichkeiten. ja, ich haette suhrkamp, rowohlt oder vielleicht sogar dem walter verlag in olten schreiben koennen, aber ich hatte angst vor einer absage, angst vor einer ablehnung, angst davor, als dichter durchzufallen. ich hatte schiß. wissen sie warum? weil ich sonst nichts hatte. ich habe meine existenz auf der verwegenen idee gegruendet, dichter zu sein, da konnte ich doch nicht riskieren, daß mir dieses einzige fundament, das ich hatte, unter den fueßen weggezogen wird. ich hatte ja sonst nichts – außer komplexen, unbaendigem haß & eine spur vielleicht talent.
sie muessen sich vorstellen, ich war ein zartes kleines maennlein mit 56 kilo. einer, der nie nachgegeben hat, ein sturer hund, nach außen selbstsicher, vielleicht sogar ueberheblich, arrogant, nach innen aber unsicher, zerfressen von zweifeln. so, bevor ich larmoyant werde & in sentimentalitaet zerrinne, beende ich, eine zahme kraehe im kornleeren winterfeld, die ausnahmsweise keine nieren und auch keine zaehne spuert.

es grueßt
nck


jenseits 241214

diese nacht ist arg gewesen. meine augen sind matt wie enteneier & die zunge fuehlt sich an wie alter lebkuchen. zu weihnachten ueberkommt mich immer schwermut, die ich still in mich hineinrinnen lassen darf, zu weihnachten habe ich angst, alles falsch gemacht zu haben. ich blicke ueber das land & sehe die baracken der zoellner, die immer oefter wasser abschlagen, was die menschen dann fuer klimawandel halten. auf meinem tisch steht ein strauß leberbluemchen, daneben liegen ihre buecher.
danke. ich bin hier in der lage, sie ohne konkurrenzdenken zu lesen. obwohl es auch mir schwerfaellt, zu sehen, wie juengere kommen & einen einfach ueberfluegeln. ihre texte gefallen mir gar nicht schlecht, beachtlich, wie sie auf dem musenroß reiten, & ich entdecke gemeinsamkeiten, etwa die hinwendung zum volkstuemlichen sprechen, zum scheinbar banalen, die skepsis gegenueber jedwedem pathos, die liebe fuer ironie & witz als letzter waffe vor der verlogenheit & dem nicht wahrhaftigen. ich beneide sie um ihre lebensverhaeltnisse, um die moeglichkeit, buecher zu publizieren. Von mir sind zu lebzeiten gerade mal ein paar gedichte in einer im selbstverlag herausgegebenen anthologie erschienen. nicht beneide ich sie um ihre aengste, die den meinen nicht unaehnlich sind. auch das, was sie mir vom literaturbetrieb berichten, dieser versammlung von grasaffen, die vereinsamung im markt, den neid, das nicht mehr vorhandene zusammengehoerigkeitsgefuehl, kann ich mir gut vorstellen, auch wenn es zu meiner zeit noch keine postings gegeben hat. damals waren es nur leserbriefe, die einen beschimpft haben.
aber heute? warum sollte man sich fuer mich interessieren? ich interessiere mich ja auch nicht. ja, von luciana glaser habe ich natuerlich gehoert, immerhin ist die in mich hineingekrochen, um mein eigenbroetlerleben nachzuzeichnen. ihre kleine erzaehlung ueber mich hat mehr verkauft als meine gesammelten werke. leider oder gott sei dank hat sie sich dann als erfindung von walter klier & stefanie holzer herausgestellt, die damit die mechanismen des literaturbetriebes decouvrieren wollten. ob das gelungen ist, weiß ich nicht. sie haben mein leben als aushilfslehrer in den bergen schoen idealisiert, aber so schoen war das nicht, meterhoher schnee im winter, stinkfaule gitschen, zweimal die woche der briefträger & nichts als schroffer karst, dramatische gegenden, wo schwarz schnaps gebrannt & loewenzahn gebraut wird, das koennen sie sich in ihrer handy- und facebookwelt wahrscheinlich nicht vorstellen. da muß man einfach saufen, & ich habe gesoffen, sogar im klassenzimmer. die flucht zu mir selber gelang immer.
wenn sie mich nach dem sinn von dem allen fragen, kann ich nicht sagen, daß alles gelernte falsch war, nein, es hatte einen sinn. ich habe erlebt & gesehen, beruehrt & geatmet. das genuegt. man wollte mich verbiegen wie das maedchen vom berg, das man mit genuegend geld in die stadt schickt & heißt, sich einzukleiden: was herauskommt, ist nichts weiter als eine verunsichert miserabel aufgeputzte henne … & der buerger laechelt neckisch ueber die von ihm geschaffene mary. So aehnlich war es auch mit mir, der ich immer eine gehoerige portion phantasie hatte & tatsaechlich eine zeit lang glaubte, irgendwo wuerde irgendwer auf mich warten & mich einkleiden mit der tracht des dichters …
froehliche weihnachten wünsche ich ihnen und hoffe, daß sie weder verdursten noch verschwitzen.

ihr
nck
der nichts mehr zu verlieren & nichts mehr zu versaeumen hat

 

im Heft weiterblättern


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