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„Einfachheit ist das Schwierigste.“

Frida Parmeggiani zählte zu Europas bedeutendsten Kostümbildnerinnen und wurde vor allem durch ihre 20-jährige intensive Zusammenarbeit mit Regisseur Robert Wilson bekannt. Heute lebt sie zurückgezogen in Meran und beschäftigt sich mit einer Ausstellung, die für Meran und Salzburg geplant ist und für die sie nach Jahren wieder Kostüme entwirft. Ein Monolog, aufgezeichnet von Ina Tartler.

Theater ist für mich passé. Nach vierzig Jahren wollte ich mein Leben anders gestalten: Die Natur erleben. Ich hatte das Bedürfnis, stundenlang zu gehen, am liebsten alleine. Mein Wunsch, einen eigenen Garten zu verwirklichen, bedeutete mir sehr viel. Die Beschäftigung mit diesem empfinde ich als eine Meditation, dort vergesse ich die Zeit. Rückblickend kann ich sagen: Es war ein sehr bewegtes, arbeitsreiches, aufregendes Leben mit spannenden Menschen, welche ich nicht missen möchte. Durch meine Arbeit als Kostümbildnerin habe ich mich in vielen Großstädten weltweit bewegt.

1987 hatte ich das Glück, über Ivan Nagel, den damaligen Intendanten des Stuttgarter Schauspielhauses, Robert Wilson kennenzulernen. Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine 20-jährige wunderbare Zusammenarbeit. Künstlerisch entstand ein völliger Bruch zu den Arbeiten, die ich bis dahin als Kostümbildnerin verwirklicht hatte. Durch Bobs abstrakte Bilderwelten fand ich zu einer radikal neuen Ästhetik. Es gibt dazu eine Anekdote: Damals arbeitete ich an der Münchner Staatsoper an Wagners „Ring“, als plötzlich im Atelier das Telefon klingelte. Ivan Nagel war dran, wir kannten uns schon vom Schauspielhaus Hamburg, wo ich angefangen hatte, als Kostümbildnerin zu arbeiten. Er fragte mich, ob ich Zeit hätte, Kostüme für Heiner Müllers „Quartett“ zu machen, und nannte mir den Zeitraum, woraufhin ich verneinen musste, da ich vertraglich bereits für „Don Carlos“ an der Amsterdamer Oper gebunden war. Es sei nur ein kleines Stück, insistierte Ivan Nagel, das könne ich ja nebenbei machen. Ich erwiderte, dass ich nie an zwei Projekten gleichzeitig arbeite und vier Figuren schwieriger auf die Bühne zu bringen seien als ein ganzer Chor. Je weniger Darsteller auf der Bühne, desto genauer muss man die Kostüme gestalten. Außerdem hätte ich bei Vertragsbruch Konventionalstrafe zahlen müssen. Nach langem Hin und Her fragte ich kurz vor der Verabschiedung, mit welchem Regisseur das Projekt denn gewesen wäre. Antwort: „Mit Robert Wilson.“ Daraufhin ich: „Natürlich mache ich’s! Ja!“

Die erste Begegnung mit Bob fand in der Stuttgarter Theaterkantine statt. Er kam mit seinem Team, Assistenten, Dramaturgen. Ivan Nagel brachte uns in einen Arbeitsraum. Dort saßen wir alle um einen großen Tisch herum. Es herrschte eine für mich ungewohnte Atmosphäre, eiserne Stille. Dann machte Bob kurze Angaben zu den Kostümen von „Quartett“: „No colors, no time and very simple.“ Das war’s. Ich sagte ihm, dass ich keine Figurinen entwerfe. Gerade das fand er gut. Wir würden uns in einer Woche wieder sehen, bis dahin solle ich Bildmaterial sammeln. Auf meiner Rückreise im Zug hatte ich große Bedenken: Was mit diesen drei Begriffen wohl gemeint war? Beim nächsten Treffen zeigte ich ihm meine gesammelten Unterlagen. Aus dem Material machte er stillschweigend drei Stapel. Einer war dick, der mittlere war zehn Blätter stark und der kleinste hatte nur zwei Blätter. Dabei sagte er kein Wort. Dann lenkte er seinen Blick zu meiner Freude auf den großen Stapel und sagte: „That’s it, okay.“ Das war eine große Bestätigung für mich am Anfang unserer Zusammenarbeit.

Über Wilsons Mitarbeiter hatte ich erfahren, wie glücklich er über meine Arbeit war, und erst nach der Premiere erwähnte er, dass er das nächste Stück wieder mit mir machen wollte. Ich war überglücklich. Darauf folgten zwanzig Jahre Zusammenarbeit mit Bob. Mich haben sein außerordentliches Charisma und sein Humor fasziniert. Er ist sicher einer meiner wichtigsten Menschen. Unsere Arbeit basierte auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Das ermöglichte mir, künstlerisch sehr frei zu arbeiten.

Figurinen im klassischen Sinne habe ich nie gezeichnet. Am liebsten entwickelte ich die Kostüme am Darsteller, das heißt, ich gestaltete am lebendigen Körper erste Entwürfe. Diese wurden fotografiert, somit hatten die Werkstätten eine genaue Vorlage für die Kostüme. Bedingt durch Robert Wilsons choreographischen Stil musste ich mich zudem darauf konzentrieren, wie die Darsteller sich bewegten. Dem gerecht zu werden, war eine große Herausforderung. Zuerst stellte sich immer die Frage nach Form und Farbe und daraus abgeleitet jene nach der Konsistenz der Stoffe, also ob ein Stoff zart, transparent, hart, steif usw. ist. Damit sich der Darsteller durch das Kostüm für seine Rolle unterstützt fühlt, bedarf es von Seiten des Kostümbildners eines großen psychologischen Einfühlungsvermögens. Licht bedeutete schließlich das allerwichtigste für Bob. Licht schafft Räume. Fasziniert beobachtete ich Bobs Lichtgestaltungen, nicht zuletzt, weil die Kostüme zu meiner ganzen Zufriedenheit ausgeleuchtet wurden. Im Laufe der Zusammenarbeit bestand er darauf, dass ich bei den Beleuchtungsproben mitgestaltete.

Erstaunlicherweise ergab sich ohne vorherige ausführliche Besprechungen häufig, dass wir unabhängig voneinander dieselben visuellen Ideen zu einem Stück hatten, obwohl wir ganz weit voneinander entfernt lebten: Für das Musical „Black Rider“ (mit Tom Waits) sah ich zum Beispiel schrille Farben und expressionistische Figuren. Unabhängig davon hatte Bob dieselbe Idee für seine Bühne. Für die Oper „Madame Butterfly“ inspirierten mich die verhaltenen Farben der frühen japanischen Malerei. Ebenso dachte Bob die Farben für sein Bühnenbild, als Material wählte er Steine und Gehölz. Das oberste Gesetz in der Gestaltung meiner Kostüme lautet Reduktion, das heißt: Abstraktion und klare Linien. Die sogenannte Einfachheit ist aber das Schwierigste überhaupt. Dies bedarf einer großen Herausforderung für die Realisierung der Kostüme in den Werkstätten. Da ich von mir selbst das Äußerste abverlangte, betraf dies naturgemäß auch meine Mitarbeiter.

Das Handwerk habe ich in meiner Heimatstadt Meran gelernt. In den frühen 60er Jahren praktizierte ich hier in einer Haute Couture-Werkstatt und absolvierte eine Schneiderlehre. Dieses Fundament erstklassigen Handwerks nutzte mir in meinem ganzen späteren Berufsleben. Bereits als Jugendliche begeisterte ich mich für Stoffe und gestaltete zum Leidwesen meiner Mutter die verrücktesten Kleider für mich, ich wollte mich selbst stilisieren, anders sein, rauskommen aus der bürgerlichen Enge.

Eine Aufführung von Peter Stein am Schauspielhaus Zürich war für mich sodann die Offenbarung. Ich wagte es, allein nach Berlin zu reisen, um an der Schaubühne vorzusprechen. Dieses Theater war in den 70er Jahren unter der Leitung von Peter Stein der deutschsprachige Musentempel schlechthin. Hier hospitierte ich bei Steins Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann. Danach wechselte ich für einige Monate an die Deutsche Oper Berlin, weil mich das Musiktheater interessierte, anschließend kam ich als Assistentin für Bühnenbild und Kostüm ans Schillertheater – ein Haus mit drei Spielstätten: Schillertheater, Schlossparktheater und Werkstatt, wo meine erste Zusammenarbeit mit dem großen Schriftsteller Samuel Beckett zustande kam, er inszenierte hier zwei Einakter. Beckett war ein wortkarger, stiller, bescheidener Mensch. Für ihn habe ich mein erstes Kostüm am Theater entworfen, eine wie von Spinnweben eingehüllte Figur.
Der damalige Intendant des Schillertheaters, Hans Lietzau, erkannte mein Talent. Er schätzte meine visuellen Vorschläge auf den Proben. Später erfolgten etliche Zusammenarbeiten mit ihm als freiberufliche Kostümbildnerin. Doch zunächst kam ich für zwei Jahre ans Hamburger Schauspielhaus.

Mein erster Regisseur dort war Rainer Werner Fassbinder. Er inszenierte „Frauen in New York“, ein Boulevardstück mit ausschließlich fünfzig Frauen auf der Bühne. Die Herausforderung war groß. Meine Entwürfe für dieses Stück wurden im Foyer ausgestellt, ich allerdings erkannte, dass diese Arbeitsweise künftig nicht die meinige sein würde. Nach meiner ersten Erfahrung entwickelte ich andere Vorgänge für meine Kostümgestaltung, indem ich zum Beispiel aus dem Theaterfundus vorhandene Kostüme total zertrennte und auf Schneiderpuppen neu zusammensetzte. Dazu gehörte ein Vorgang wie Entfärben und Färben, bis der richtige Farbton gefunden wurde. Es entstanden ähnliche Farbtöne wie auf verblichenen Fresken – ein sehr aufwendiges Verfahren. Entscheidend war für mich, einen eigenen Stil zu finden.

Absolute Freiheit war für mich Bedingung, um mich künstlerisch entfalten zu können. Keinerlei Einengung vonseiten des Regisseurs, sonst war für mich eine weitere Zusammenarbeit unmöglich. Man musste mich einfach gewähren lassen. Die Arbeit an einer Inszenierung zu unterbrechen bedarf großen Mutes, zumal es auch um wichtige Produktionen und Regisseure ging. Erstaunlicherweise schadete diese Vorgangsweise meiner Karriere nicht. Ganz im Gegenteil.

Zurzeit beschäftige ich mich mit einer Kostümausstellung für Meran und Salzburg. Mich reizt an diesem Projekt, dass ich völlig frei aus meiner Phantasie schöpfen kann. Es handelt sich um Abstraktionen, Architektur und Natur mit einbezogen. Keine farbenprächtigen Kostüme sind zu erwarten, lediglich ein Spiel mit Kontrasten hell / dunkel, Licht / Schatten. Meine filmische Vision für die Ausstellung dieser Kostüme wäre eine graue Nebellandschaft mit endlosem Horizont auf einem frisch gepflügten Acker. Frisch aufgeworfene Erde bedeutet für mich eine solche Schönheit! Im Hintergrund lediglich endloser Horizont, Erde und – Nichts.

 

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