Geographen der Universität Innsbruck erforschen Zustand und Zukunft peripher gelegener Bergdörfer in den Alpen: Können Menschen dort noch dauerhaft leben? Mancherorts registrieren die Forscher nach Jahren der Abwanderung überraschenderweise wieder Zu- statt Abwanderung – zum Beispiel im friulanischen Dordolla. Ein Forschungsbericht von Michael Beismann.
Los geht’s! – „Voilà, orzo dans pâte feuilletée, Gerstelkuchen, un aperitivo della casa per te, Michele!“ Ich blicke von meinem kleinen Tisch auf, an dem ich heute in ungewohnt ordentlicher Manier sitze. Ortsüblich säße man parallel zu den Tischen, diese als Armlehne nutzend, die Hausmauer im Rücken, den allgemeinen Parkplatz des kleinen Bergdorfes im Auge, nebeneinander aufgefädelt wie die Schwalben auf der Schnur. Außer man versucht gerade auf dieser langen, schmalen Terrasse der Bar Alimentari einen Artikel für Quart zu schreiben. Endlich will ich damit beginnen, nachdem ich in Quart Nr. 21 gelesen habe, was Konrad Paul Liessmann über das Schreiben schrieb. „La torta salata d’orzo si combina perfettamente con il tuo bianco“, sagt Annalisa, die Wirtin, nunmehr ganz auf Italienisch eingependelt, und stellt den lokaltypischen Leckerbissen – so willkommen wie unbestellt – mitten auf mein Notizbuch. Sie ist stolz auf ihre gute Küche und empfindet wohl auch so etwas wie mütterliche Fürsorge für den, der da öfter sitzt und immer betont, er sei als Innsbrucker Geograph vor allem zum Forschen hier und nicht nur im Urlaub.
Die Untersuchung
Seit einigen Jahren habe ich das Vergnügen, mit drei Kollegen und unserem Professor Ernst Steinicke (alle vom Geographischen Institut der Universität Innsbruck, unterstützt vom österreichischen Forschungsfonds FWF) den Zustand und die Zukunftsaussichten von peripher gelegenen alpinen Bergdörfern zu untersuchen. Diese haben in der Regel wegen lang andauernder Abwanderung mit totaler Überalterung und Verfall zu kämpfen. Meine Diplomarbeit erbrachte – als Grundlage für unsere Forschungsprojekte – den erstmaligen Nachweis der Trendwende von einer Ab- auf überraschende Zuwanderung in solch abgelegenen Regionen. Diesbezügliche qualitative Nachforschungen führen die umtriebige Truppe (bestehend aus Roland Löffler, Judith Walder, Wolfgang Warmuth und mir selbst) in alle ruhigen Alpentäler. So auch ins Val Àupa, dem Herzen des alpinen Friaul, hierher nach Dordolla, Gemeinde Moggio Udinese. Wir wollen auf empirischem Wege der herrschenden Fachmeinung entgegentreten, die besagt, dass eben jene abgelegenen Bergregionen keine Chance mehr hätten, als Dauersiedlungsraum zu überleben. Immerhin seien ja bereits Industrialisierung, Modernisierung und der Einzug des Massentourismus spurlos an ihnen vorübergegangen. Allerdings sind diese scheinbar verpassten Entwicklungen der Grund für den ihnen bis heute eigenen gemütlichen, ursprünglichen Charme.
Wir suchen und finden also neu zugewanderte Menschen, vor allem dort, wo die Statistik nach wie vor einen Bevölkerungsrückgang aufweist. Zu den Neuankömmlingen zählen wir allerdings nicht den touristischen Ferienwohnsitz- und den reichen Zweitwohnsitz-Besitzer, obwohl beide mit ihrer Renovierungstätigkeit und Zweitwohnsitzsteuer zu einer infrastrukturellen Verbesserung beitragen. Unsere Zielgruppe sind vielmehr die frisch in aussterbende Dörfer übersiedelten Menschen, welche durch ihre Anwesenheit das Dorfleben als solches revitalisieren, unterstützen, überleben lassen. Und: Wir finden alpenweit überall solche Neuankömmlinge, aber nicht so viele, um von einem neuen Massenphänomen sprechen zu können. Noch nicht?
Von der Flucht
Häufig handelt es sich um Jungfamilien, die den Großstädten und Ebenen entfliehen, um ein neues, gebirgiges Leben zu beginnen, indem sie dieses per se ganz in den Vordergrund stellen: ein aufrichtiges Leben in überschaubaren Strukturen, naturnah, ja natur-gebunden, abseits von Licht-, Luft- und Lärmverschmutzung, auch abseits gewisser sozialer Missstände. In den Städten brummt der Alltag ungeachtet jeglicher Tages- und Jahreszeit, 24/7, erschreckend endlos. „Ich muss nicht rund um die Uhr durch leistungsfähiges Internet mit der Welt verbunden sein, allein: sie erwartet das von mir“, sagt Christopher, der noch vorzustellen sein wird. Wo können Kinder in natürlicher Umgebung und menschenwürdigem Rhythmus großwerden, Erwachsene ihre Träume vom entschleunigten Leben leben? Rund um unsere Ballungsräume wachsen urbanisierte Pendler-, Transit- und Schlafdörfer. Wo wir andernorts fern der Stadt auf den ersten Blick noch menschenfreundliche Dorf- und Sozialstrukturen vermuteten, rollt ein- bis zweimal jährlich die Tourismusflutwelle über das Land und hinterlässt nach ihrem Abfließen hässliche Gräben zwischen Bereicherung und Ausbeutung – sie werden in der Zwischensaison mit Geld und viel Beton wieder aufgefüllt. In dem Raum zwischen den Städten, den urbanisierten Dörfern und dem Tourismusnutzland greift längst schon die Agrarindustrie Platz, soweit sie kann. Auch das sagt Christopher als einer jener, die ihren Rückzugsort in einem ursprünglichen Dorf gefunden haben – auf der Flucht vor Zivilisationskrankheiten, auf der Suche nach echterem Leben.
Das Untersuchungsgebiet
Wohin sich also wenden, wenn nicht in die vergessenen Täler und die letzten echten Dörfer, die so ausgehungert sind, dass bereits zwei neue Familien die Chance erhöhen, den Betrieb der Schule, des Gasthofes Zur Alten Post, der Gîte de France, der Bar Alimentari, notwendiger Serviceeinrichtungen etc. aufrechtzuerhalten?
In sämtlichen Marginalgebieten – statistischen Prognosen zufolge bereits totgesagt und von Fachleuten längst abgeschrieben – finden wir diese Flüchtlinge, also neue Zuwanderer, flächendeckend, wenngleich oft nur in geringer Anzahl pro Dorf: in den französischen Alpen zwischen den lieblichen Hügeln der Provence und den schicken, respektive brutalen Skiresorts von Méribel, wo bereits Anfang der 1960er Jahre von einem Exitus der Bergbevölkerung berichtet wurde; in den unvermarkteten piemontesischen Alpentälern, wo die Bevölkerung fast schon verschwunden war, bevor Rom dessen gewahr wurde, dass auch hier Italiener leben – und Probleme haben zu überleben. Überall finden sich Neue aus der Ebene und aus den Städten, von den stur verbliebenen Alten meist herzlich willkommen geheißen. Und sie packen an, die Neuen, kommen mit frischem Elan und Ideen, die sie ihrer urbanen Sozialisierung verdanken. Die mitgebrachte Spezialisierung auf Nischen ist hier gefragt. Und sie reißen die noch verbliebenen Dorfbewohner mit. Eine Trendwende von Resignation zu Neustart ist die Folge. Und nach der ersten Ernte kommen noch mehr Neue, weil sie sehen: Geht doch!
Ein Spezialgebiet
Aber doch nicht hier im Friaul! In einer derart von Entsiedelung gepeinigten Gegend mit Erdbeben, gewaltigen Schutthalden und ständig erodierenden Lebensgrundlagen! Eigentlich waren wir nur hier in der hintersten Carnia, um gewisse Phänomene in ihrem letztmöglichen Extremwert zu untersuchen: die legendären friulanischen Geisterdörfer, die sich in den zerklüfteten Bergen verstecken. Aus den Klüften wird seit jeher das Material für die breiten Schotterbetten der Bäche des Kanal- und Eisentales, die wir alle von Urlaubsfahrten nach Istrien kennen, herausgespült – ähnlich wie auch seit Jahrzehnten die dort ansässigen Menschen, Gott sei Dank nur bildlich gesprochen. Die vorletzten Bergbewohner ließen ihre Dörfer brachfallen, von den Zerstörungen ihrer Häuser bei den Erdbeben im Sommer und Herbst 1976 entmutigt. Auch wo noch Einzelne blieben, wuchern bereits, klimatisch durch feuchte Wärme begünstigt, stattliche Bäume aus den dachlosen Ruinen der ehemals stattlichen Siedlungen. Nunmehr sind sie schwer zu finden, ihre Dörfer, weil vom Wald nicht nur bewohnt, sondern auch umstellt, dort, wo noch vor kurzem Tiere grasten und Bäuerinnen mähten. Die Männer waren ja draußen in der Welt, um sich als Bauarbeiter oder Kunsthandwerker zu verdingen. Zu mehr als zum bloßen Überleben reichte es hier kaum. Das Geld kam von außen. Wie möglicherweise in Zukunft ein Teil der Bevölkerung? Kaum anzunehmen. Wir sind nur hier, um mit den Geisterdörfern das Ende vom Lied zu hören, damit wir das Lied an sich besser verstehen lernen.
Vom Finden I
Die nur zu Fuß erreichbaren, märchenhaft rosenumrankten Geisterdörfer rund um den Glagno-Bach mit seinen romantischen Badeplätzen und smaragdgrünen Wassern – Moggessa di là, Moggessa di qua und Stavoli – erbrachten Erkenntnisse, die nicht zu erwarten waren: Immer wieder finden sich zwischen gefährlich windschiefen Ruinen Gebäude, die erst kürzlich stabilisiert wurden, um sie mühevoll herzurichten, auf dass ein Hier-heroben-Bleiben über’s Wochenende erstmals wieder möglich wird. In der Kraxe ein Zementsack, Nudeln, dazu ein Beutel Wein und der Plan fürs Wochenende steht: Renovieren und den Ort genießen. Und überall und sogleich heißt es: „Hallo, sucht ihr etwas? Ihr seid doch keine normalen neugierigen Wanderer! Was, von der Uni? Sehr interessant, hereinspaziert, ein Glas Wein trinken – oder habt ihr Hunger, ein Topf Pasta ist schnell gemacht, erzählt, fragt …“ (Nein, ich übertreibe nicht, und ja, ich forsche gerne!) Die fast mit dem Auto erreichbaren Monticello-Dörfer Borc di Mieç, Morolds und Badiuts sind ohnehin komplett saniert und bezugsbereit, wiewohl meistens unbewohnt: die Wiederentdeckung des Wertes von Omas Haus mitten in den Bergen. Schon allein hiermit ist ab sofort und alpenweit erwiesen, dass die Möglichkeit bestünde, langsam aussterbende aber noch zu bewohnende Bergdörfer wieder zu besiedeln. Wenn selbst hier solch unvorstellbare Mühen auf sich genommen und Geisterdörfer in Eigenregie so weit gebracht werden, dass sogar ein ganzjähriges Bewohnen langsam wieder denkbar scheint, ja wo sollte das dann nicht machbar sein? Der Boden ist jedenfalls bereitet. Selbst wenn erst die nächste Generation dauerhaft übersiedeln will, mit einer womöglich noch stärkeren Hinwendung zum naturnahen Leben und – wer weiß? – dann sogar mit politischer Unterstützung anstatt – wie bis jetzt – trotz bürokratischer Hürden. Die Gemäuer halten wieder eine Weile durch.
Vom Finden II
Alle Dörfer des Val Glagno und des Val Àupa abgeklappert, müde, aber überwältigt von den magischen Plätzen und deren überraschenden Lebenszeichen, kein Geschäftlein, keine einzige Bar angetroffen an diesem Wochenende, entscheiden wir uns noch, das per Fahrzeug erreichbare Dordolla zu besuchen. Kurz vor Einbruch der Dämmerung, nur der Vollständigkeit halber und in der Hoffnung, wenigstens dort noch eine Bar zu finden. Nach mancherlei Windungen durch steilen Wald, gut 100 Meter über der Àupa, vorbei an den ersten Häusern. Sie machen einen dauerhaft bewohnten Eindruck, ein Novum an diesem Wochenende. Noch eine Biegung und wir werden plötzlich des Dorfkerns ansichtig, der sich steil den Hang vor uns hinaufzieht, augenscheinlich nur zu Fuß – und also im wahren Wortsinn ausschließlich – betretbar. Dann die entwurzelnde Überraschung nach neuerlicher Biegung der Straße, die dort, wo der Dorfkern beginnt, auf einem Parkplatz für 35 Autos endet. Einparken am letzten freien Fleck. Und ungläubiges Staunen gibt es nicht nur unsererseits! Wir sehen das fahlblaue Schild an der Hauswand: Bar Alimentari – Da Fabio, darunter die länglich-schmale Terrasse, auf der gerade – aufgefädelt wie die Schwalben auf der Schnur – gut 25 Leute sitzen. Und damit mehr, als wir das ganze Wochenende zusammengezählt angetroffen haben. Unsererseits schüchternes Durchschreiten der Menge, von der einen Seite kommend, in Richtung der anderen, wo der Eingang der Bar zu sein scheint. „Bonjour, Ciao, Bon Dì, Hi, Mandi Mandi!“ Vier verschiedene Sprachen, wir haben die erste Hälfte geschafft, uns für die zweite das ortsübliche Bon Dì als Antwort zurechtgelegt, und werden dazwischen noch mit „Grüßgott“ überrascht. Hiermit wäre allerdings die Quartessenz über dieses Dorf bereits gesagt und der Rest der Phantasie der Leser überlassen. Jedoch darf bezweifelt werden, ob Phantasie alleine ausreicht. „Ciao, sono Annalisa. Qualcosa da bere?“ „Ja, drei Glas Roten und eine Information, bitte.“ Ob es hier auch Leute gebe, die irgendwoher von außen oder unten gekommen seien und jetzt vollgültig hier wohnten? „Sì“: zum Beispiel die knappe Hälfte der gerade Anwesenden. Darunter Kaspar, der einzige Bauer des Dorfes, er stammt aus dem nahen Kärnten. Sie haben hier aber auch einen jungen Historiker und seine Freundin, die Lehrerin ist, aus Mestre und Padova, außerdem einige Franzosen, ein paar andere Italiener. Sogar ein junges Künstlerpaar aus London lebt seit Jahren hier.
Vom Leben in Dordolla
Hiermit darf ich endlich vorstellen: Chris, eigentlich Christopher Thomson, Schriftsteller, Künstler, in London studierter Filmemacher, mit Sarah Waring, die gerade ein Buch über Bienenzucht und landlose Landwirtschaft geschrieben hat. Ja, sie leben und arbeiten hier in Dordolla, ja, in der Bar gibt es wuwuwu – per WLAN sogar verfügbar bis in ihr Schlafzimmer. Genauer gesagt nur am vordersten Eck des Fensterbankels, außen, und nur wenn’s nicht regnet. Gelächter auf der Terrasse. Sofort intensiver, auch ernsthafter Austausch mit allen Anwesenden. Aufklärung: In Dordolla finden sich sechs Sprachen. Die älteste, eine ausgestorbene Sprache, wohnt vielen Flurnamen inne, klingt slawisch, ist vorrömisch und beweist damit die persistente Besiedlung der Gegend seit über 2000 Jahren. Neben dem alltäglich gebrauchten Friulan können alle Italienisch. Frisch rückgewanderte Franzosen, die Nachfahren der ausgewanderten Dordollesi, unterhalten sich mit Annalisa, die das Französische liebt, in ihrer Muttersprache, wohingegen „exotische“ Touristen lieber mit Sarah und Chris englisch sprechen. Wer kann, redet mit Kaspar deutsch, obwohl dieser gut italienisch sprechen und vorzüglich auf Friulan fluchen kann.
Hier wird in ein und demselben Gespräch allen fünf lebenden Sprachen Platz geboten. Das gipfelt darin, dass mir Roland (der Innsbrucker Kollege) versehentlich etwas auf Englisch übersetzt, was Christopher (der Engländer) ebenso versehentlich auf Italienisch an mich (den Innsbrucker) gerichtet hatte, obwohl er eigentlich weiß, dass mein Italienisch etwas holpert, seit Graziano (ein Ureinwohner) aus Trotz Friulan mit mir spricht, weil ich mir angewöhnt habe, bei Annalisa auf Französisch zu bestellen. Sensationelle Situationskomik in atemberaubendem Takt! Im Winter wohnen hier 45 Leute, ein Drittel davon gehört zu den von uns gesuchten Zuwanderern, die sich vollgültig am Dorfleben beteiligen. Im Sommer kommen noch 25 ebensolche hinzu, die wenigstens so lange bleiben, dass sich ihr privater Gemüsegarten als besonders groß, fruchtbar und gut gepflegt darstellt. Nach der Ernte, knapp vor dem Wintereinbruch, kehren sie wieder in ihre Urheimat zurück, die in den letzten Jahren zur Zweit- oder Ausweichheimat wurde. Seit die Neuen hier sind, sagt Graziano, erwacht das Leben, werden alte Bräuche wieder zelebriert, neue Feste und sogar Kulturveranstaltungen erfunden, zu Beginn von einer Hand voll Menschen besucht. Mittlerweile zieht die „Cantiere Continuo“, die „Ewige Baustelle“, hingegen hunderte Leute an, die von der Stadt hierher ins Nirgendwo fahren, um Kunst und Kultur zu genießen, respektive teilzuhaben an Theaterveranstaltungen, Workshops, Konzerten etc. Beiträge namhafter Künstler aus der Region und aus Resteuropa treten mit Dordolla und seinem Leben in Diskurs. Alle Dörfler tragen das Ihre aktiv dazu bei. Vor fünf Jahren war Dordolla selbst in der näheren Umgebung noch weitgehend unbekannt, mittlerweile gibt auch in der Provinzhauptstadt Udine niemand mehr gerne zu, noch nie dort gewesen zu sein. Einmal jährlich tun sich alle zur Sagra di Fieno zusammen, um die steilen, dorfnahen Wiesen zu mähen, die leider nicht Kaspar, dem Bauern, gehören. Auf dass mit vereinten Kräften der Wald hintan gehalten werde, wie er, der „Neue“, es ihnen vorgezeigt hat. Sobald es trocken ist, wird das Heu in Säcke verpackt, beim dazugehörigen Fest als Sitzgelegenheit fürs Dorfkonzert verwendet und danach Kaspar, respektive seinen Schafen und Eseln, zu Verfügung gestellt. Noch etwas Spannendes: Chris will einen Kino-Dokumentarfilm über das Tal machen. „The New Wild“ soll höchst ästhetisch und philosophisch angehaucht zeigen, wie sich die Natur die Dörfer des Tales zurückholt – nur nicht Dordolla. Das kling gut, sage ich, wobei: Wir untersuchen seit Jahren, wie die Menschen überall in den Alpen gerade noch dem Wald zuvorkommen und die Dörfer wieder selbst nutzen und pflegen. Nur ist das kaum jemals so erfolgreich wie hier. „Wow“, sagt Chris, „ich glaube jetzt, der Film wird noch besser: The New Wild – Life in the Abandoned Lands!“ Ist ein Dordolla theoretisch überall möglich? Ich bin sofort von der Synergie dieser Zusammenarbeit überzeugt. Zudem tut sich mir plötzlich – nach Jahren des trockenen, wissenschaftlichen Publizierens in einschlägigen Fachjournalen für eine verschwindend kleine Leserschaft – die Möglichkeit auf, interessante Ergebnisse akademischer Grundlagenforschung einem breiteren Teil der Gesellschaft zu präsentieren und ihr damit endlich zurückzugeben, was ihr gehört, was sie vorab und ohne gefragt worden zu sein, bereits zu bezahlen hatte.
Am Ziel
Dann geht alles recht schnell: den Professor in Kenntnis setzen, sofortiges Wohlwollen bezüglich des Filmprojektes ernten. In Dekanat und Rektorat erfolggekrönt um Zusatzbudget bitten. Chris kommt nach Innsbruck. Der Institutschef gibt den Segen – wir können im Namen der Uni neben dem Publizieren ein bisschen „Film machen“. Loslegen, Kontakte knüpfen, sich breiter aufstellen, Netze auswerfen. Unter anderem in Richtung Quart. Kannst du etwas über deine Forschung und dieses Dorf schreiben? Ich, außerhalb des Elfenbeinturmes? Puls 247. Schnell zusagen, bevor das Denken wieder einsetzt und der Mut erlischt. Handschlag, meinerseits nicht ganz trocken. Ab nach Dordolla, um zu schreiben. Erstmals in dieser Form. Und: Los geht’s!