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Fließtext*
Von Paulus Hochgatterer

Wenn ich ins Flugzeug steige, versuche ich vorbereitet zu sein. Ich kenne meinen Sitzplatz, ich weiß ungefähr, welche Filme ich sehen möchte, ich mache mir eine Vorstellung vom Essen und auch die Getränke überlasse ich nicht dem Zufall. Wenn du die Getränke dem Zufall überlässt, nimmst du am Ende Tomatensaft, unweigerlich. Alle tun das. Ttomatensaft mit Salz und Pfeffer. Außerhalb von Flugzeugen trinkt das keiner. Ich bereite mich also vor und vielleicht spreche ich auch halblaut vor mich hin: „Ein Gin-Tonic, ja, ordentlich Gin und ja, bitte, Eis und eine Zitronenscheibe.“ Die Maschine ist ein Airbus A 380. Eins dieser doppelstöckigen Monstren, die gegen jeden physikalischen Augenschein wirklich fliegen können. Das Ding hat zwei Eingänge, einen für die First Class, die Business Class, die Premium Economy und wie die sonst noch heißen, für die Reichen jedenfalls, und einen für die Armen, Oberdeck und Unterdeck. Zeitungen gibt es auch unten, die Süddeutsche, die Frankfurter Allgemeine, USA Today. Sitz 83 A, am Fenster, im Bild ein Ausschnitt der Tragfläche, groß wie ein Fußballfeld. Der Mann, der sich rechts neben mir E-Mail: Winter Pre-Sale bis zu –50 % auf Winterware! Bei Sports Direct gibt’s den besten Winterservice – zum besten Preis! in den Sitz zwängt, trägt eine beige Hose und ein weißes Hemd mit feinen gelben Streifen. Er sieht aus, als freue er sich auf seinen Tomatensaft. Ich schalte den Bildschirm vor mir an, klicke die Sicherheitsinformationen weg und blättere im Filmprogrammm. „The Gunman“ mit Sean Penn und Javier Bardem und „A True Story“ mit James Franco, die Geschichte eines Journalisten, der über einen psychopathischen Mörder im Gefängnis schreibt. Ich weiß jetzt schon, dass sich der Abflug um eine Viertelstunde verzögern wird. Der Mann E-Mail: Ihr PayPal-Konto wurde vor_bergehend eingeschr_nkt. Bitte aktualisieren Sie Ihre Konto Informationen um zuk_nftige Probleme zu vermeiden. Fuckfuckfuck! steckt ein Taschenbuch vor sich ins Fach unterhalb des Klapptischchens, einen Kommunikationsratgeber mit gelbem Umschlag. „Ein Gin-Tonic, ja, mit Eis und einer Zitrnenscheibe. Eher mehr SMS: Ihre A1 VISA KARTEN Umsätze: 29.10. ZAHLUNG A1 VISA RECHNUNG 1274,34 EUR Gin.“ Tut mir leid, aber ich spreche manchmal laut vor mich hin. Wir werden zwanzig Minuten später starten und der Pilot wird mit total viel Optimismus in der Stimme behaupten, dass wir das leicht wieder aufholen werden. Die Flugbegleiterin, die die Gepäcksfächer schließt, hat etwas in ihrem Blick, das man auf dem Unterdeck erwartet – die Verachtung derjenigen, die weiß, dass sie selbst niemals irgendwoanders hingehören wird. „Wissen Sie, wo ich zuletzt war?“, fragt mich der Mann. „Nein“, sage ich. „In Stockholm, ich war vier Tage in Stockholm.“ Was tut so ein Mensch in Stockholm? „Interessant“, sage ich. Hemden kaufen, ich wette. „Eigentlich ist Stockholm ja zu klein für vier Tage“, sagt er, „genau genommen hat man die wichtigen Dinge in zwei Tagen durch.“ Ich sage nichts. „Wissen Sie, was ich gemacht habe?“, fragt er. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Ihre elektronischen Geräte während des Starts … „Ich war dreimal hintereinander im selben Museum“, sagt er. „Kennen Sie das Vasa-Museum, das Schiff?“ Ein einziges Mal habe ich schon vor dem Abflug etwas zu trinken bekommen; das war in Thessaloniki, und wir sind eineinhalb Stunden in der prallen Sonne gestanden, weil sie den Betankungsschlauch nicht vom Einfüllstutzen loskriegten. Alle konnten es sehen. Alpha Bier, daran kann ich mich erinnern. „Die Vasa war das größte Kriegsschiff ihrer Zeit“, sagt der Mann, „der schwedische König war so stolz auf sie, dass er sie mit einer zweiten Reihe Kanonen bestücken hat lassen.“ Ich tue so, als würde ich mein BlackBerry in den Flugmodus schalten. E-Mail: WooDeal.de – 1) GPRS-Tracker mit 12V-Verdrahtung –74 % 2) Kevlar-Schutzhandschuhe –42 % 3) Oberkörper Trainigskorsett –50 % Ich mag diesen biederen Nervenkitzel. Die Vorstellung, mein BlackBerry wühlt sich in die Elektronik des Flugzeugs wie ein böses Bakterium. „Auf dem Oberdeck“, sagt der Mann, „das war ein Fehler. Zu schwer und zu hoch oben. Zur Probe haben sie dreißig Soldaten von Backbord nach Steuerbord laufen lassen und zurück und das Schiff hat geschwankt wie nur was.“ SMS: guten flug, lgvkr „Man sollte sich immer an die Physik halten“, sagt der SMS: ps: hoffe, du hast nette gesellschaft ;-) r
Mann, „und an die Mathematik. Man berechnet den Schwerpunkt und es passiert nichts, weil man nicht fünfzig zusätzliche Kanonen aufs Oberdeck stellt.“ Eigentlich spielt sonst Javier Bardem die psychopathischen Mörder. James Franco?? Sean Penn, der Held, der immer traurig schaut. „Die Fahrt der Vasa hat zwanzig Minuten gedauert, dann blubblubblubb mitten im Hafenbecken. Man sieht das alles. Du gehst buchstäblich durch ein gesunkenes Schiff, auf und ab.“ E-Mail: The Cloud Appreciation Society – A year of beautiful skies. Menber Discount for our Cloud Calendar 2016. Get 20 % off our bestselling calendar when you order before the end of October. Ja, mit Eis und Zitro

— * Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird.
— Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

 

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