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Bienen Traube

Sommerliches Schwärmen in den Dolomiten: zu Philipp Messners Arbeit „Populismo“ (zu sehen auf den zwei folgenden Doppelseiten). Von Matthias Moroder

Am späten Vormittag bekommt der Tourismusverband St. Ulrich im Südtiroler Grödnertal unzählige Anrufe, denn die unübliche Bienenanzahl im Dorfzentrum hat sich aufgedrängt und nicht nur: Ein Bienenschwarm hätte sich im ersten Stockwerk der Gaststube „Zur Traube“ eingenistet oder diese angegriffen; mehrere Touristen seien bereits von Bienen gestochen worden; die Hoteliers, Gastronomen und Geschäftsleute würden um ihre werten Gäste bangen. Die alarmierte Gemeinde beruft daraufhin sofort eine Krisensitzung ein; Sanitäter patrouillieren durch die Fußgängerzone; der Südtiroler Imkerbund sendet einen Imker zur Situationsbegutachtung.

Der fensterlose Erker im ersten Stock, aus dem Bienen auf den Dorfplatz fliegen, gehört einer Wohnung an, die bis vor Kurzem ein gesamtes Jahrhundert vermietet war. Bestimmt sind diese Räume von der eigenwilligen Subjektivität des letzten, langjährigen Bewohners, der darin unzählige Zeitschichten miteinander kollidieren ließ. Dieser subjektiven Bestimmtheit setzt Messner ein Bienenvolk entgegen. Dreieinhalb Meter vom Erker platziert er sieben Bienenstöcke in einer Dreierreihe vertikal übereinander. Sie beherbergen etwa eine halbe Million Bienen, die nun diesen verlassenen Raum bewohnen.

Für den in München lebenden Künstler Philipp Messner ist es eine Rückkehr in die „Traube“, hatte doch Onkel „Sigi“ für 30 Jahre das Wirtshaus geführt. Ihre Räume und Geschichten sind ihm wohlbekannt: So erzählt Messner genüsslich, wie „Sigi“ bei Lust und Laune nun endlich wieder Strohhalme ineinander schob, um daraus Dirigentenstäbe zu basteln. Mit diesen stieg er dann auf den Tresen, um Maurice Ravels „Boléro“ leidenschaftlich zu dirigieren. Zum krönenden Abschluss verschwindend, indem er sich dahinter fallen ließ.

Die Installation führt zu einer körperlich-realen Begegnung und nicht nur zu einer bildhaft-symbolischen. Dadurch entsteht ein Realitätsriss, denn die Welt der Betrachtenden fällt mit jener der Installation zusammen – ausgehebelt wird der übliche, harmlose Kunstbetrachtungsgenuss. Zum einen wird dies über die latent herrschende Stechgefahr akzentuiert und zum anderen durch die scharfe Gegenüberstellung zu dem mit „Adjustment and approximation“ betitelten Kartonmodell im Nebenraum. Dieses rekonstruiert die schematische Grafik von Bin Ladens Festung in Abbottabad, die zur medialen Erläuterung seiner Tötungsmission diente.

Das Ausstellungsprojekt wurde mit „Populismo“ betitelt. Dieser Begriff stammt vom Lateinischen populus, was Volk bezeichnet, und bedeutet im Duden „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen […] zu gewinnen“* an. Dieses politische Agieren scheint Messner nicht nur symbolisch über das kollektive Wissen zur Operation „Neptune’s Spear“ zu denunzieren, sondern ebenfalls metaphorisch mittels der real beobachtbaren, einheitlichen Ordnung, Geschäftigkeit und Unterwürfigkeit des Bienenvolkes.

Messners Situationsraum deutet in letzter Konsequenz eine Verunmöglichung des Funktionierens der Tourismusmaschinerie an und übt daher, im Bestreben seiner restlosen Unterbindung, eine Maximalanziehung aus. Eine solche wird vermutlich von den Angriffen des Bienenkörpers sowie der beiden Flugzeuge initiiert, womit Messner eine Anfangsaktion durchführen und eine Abschlussreaktion ins Gedächtnis rufen würde: Terror und Counter-Terror. Durch sein Insistieren auf vermeintlichen Anfang und vermeintliches Ende merkt er jedoch an, dass Ursprungsauslöser von Kausalketten unbestimmbar sind und sich deren Ereignisse dadurch wechselseitig als Aktion und Reaktion entpuppen.

* http://www.duden.de/rechtschreibung/Populismus (Zugriff am 23.02.2015).

 

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