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Die Quelle des Bösen

Ulrich Loock über die Arbeit von Gregor Schneider, von dem diesmal das Cover und eine Bildstrecke auf den folgenden Seiten stammt.

Die Folge von Gregor Schneiders Bildern zu dem Haus an der Odenkirchener Straße 202 in Rheydt, dem Geburtshaus von Joseph Goebbels, das er entdeckt, gekauft und im Jahr 2014 zum Gegenstand einer künstlerischen Arbeit mit dem Titel unsubscribe gemacht hat, zeigt einen klaren Ablauf. Es führt eine Treppe in den ersten Stock zu einem Wohnzimmer, einem Badezimmer und einer Küche, die bis vor Kurzem von einem alleinstehenden Mann bewohnt wurden. Am Küchentisch sitzt ein junger Mann, nicht der letzte Mieter, sondern Gregor Schneider selber, und leert einen Teller Suppe. Anschließend sind die nackten Mauern des entkernten Hauses mit dem dunklen Zugang zum Treppenschacht zu sehen und schließlich ein Loch, vom Keller in den Erdboden gegraben. Die räumliche und zeitliche Bewegung verläuft in die Vergangenheit und in die Zukunft; in Form von Handlungen an und mit dem Haus exponiert Schneider eine mythische Erzählung, deren Protagonist er selber als Künstler ist. Die Erzählung hat folgende Stationen: Begegnung mit einem verdrängten Phantom – Identifikation – Exorzismus – Tod / Wiedergeburt.

Während Schneiders früheres Werk durch den Einbau von Räumen in Räume und deren Verdoppelung an unterschiedlichen Orten geprägt ist, gehört unsubscribe zu einer Reihe von neueren Arbeiten, die sich auf vollständige Gebäude beziehen. Er hat ein (für Nicht-Muslime) unzugängliches Bauwerk, die Kaaba, an einem Ort rekonstruiert, der für das westliche Publikum erreichbar ist, später eine der wenigen unzerstörten Synagogen in Deutschland hinter der vorgeblendeten Fassade eines banalen Einfamilienhauses zum Verschwinden gebracht und nun das Geburtshaus von Joseph Goebbels mit Ausnahme von dessen Außenwänden zerstört – Schneider sagt, er habe das Haus pulverisiert.1 Nach kurzer Ausstellung in einem offenen Lastwagen vor der Nationalgalerie Zache˛ta in Warschau und der Volksbühne in Berlin wurde der Schutt auf eine Deponie gefahren.

In seinen Aussagen zu unsubscribe mischt Schneider das Interesse an sozio-politischer Aufklärung mit einem Interesse an der Herkunft, die ihn selber mit dem ebenfalls in Rheydt geborenen Goebbels verbindet. Doch die Herkunft entspricht keiner abgeschlossenen Zeit. Vielmehr lässt Schneider seine Überzeugung deutlich werden, etwas vom „Geist des Nazismus“ habe sich in dem Haus erhalten. Er selbst habe versucht, dort zu wohnen, aber „die Gegenwart dieses ,Geistes‘ in den Mauern war unerträglich“2. Wie um dem möglichen Vorwurf magischen Denkens vorzubeugen, erklärt Schneider, er habe die andauernde Manifestation des „Geistes der Nazizeit“ erkannt, als er in dem Haus Bücher und Zeitschriften jener Zeit und sogar ein Gerät zur kraniometrischen Untersuchung vorgefunden habe. Diese Dinge gehörten Nachkommen des Erbauers des Hauses, Heinrich Schmitz, der die Wohnung an die Eltern von Joseph Goebbels vermietet hatte. Schneider traf auf Titel wie Der weibliche Körper, Die menschlichen Formengesetze als Schlüssel zur Rassenkunde, Selbstmassage. Pflege der Haut oder Gymnastik am Boxball. Daneben fanden sich Fotos eines Walter Schmitz, die ohne Zweifel in der Nazizeit hergestellt wurden und mit dem Narzissmus getränkt sind, den einer der Biographen von Joseph Goebbels, Peter Longerich, bei Hitlers Propagandaminister diagnostizierte. Schneider konnte also nicht nur feststellen, dass bis zum Verkauf des Hauses an ihn Verwandte des ursprünglichen Hauseigentümers und Vermieters dort Naziliteratur aufbewahrten, sondern er konnte in den Fotos des Walter Schmitz auch die spätere Inkarnation eines Bildes erkennen, das Joseph Goebbels von sich selbst gehabt haben mag – das Fortleben eines Phantasmas in der Person eines jüngeren Mannes.

Mit unsubscribe betreibt Schneider keine Aufklärung, obwohl er in seinen begleitenden Stellungnahmen darauf anspricht. Stattdessen artikuliert er die eigene Identifikation mit dem früheren Bewohner des Hauses. Als Teil der Ausstellung in der Nationalgalerie Zachęta in Warschau projizierte Schneider einen Videofilm, der, mit unbewegter Kamera aufgenommen, ihn selbst am Küchentisch in der Goebbels-Wohnung zeigt, wie er mit regelmäßigen, gemessenen Bewegungen, einen Teller Suppe auslöffelt – „Essen“. Ein zweiter Film zeigt ihn unbeweglich, mit geschlossenen Augen im Bett des Geburtszimmers von Joseph Goebbels – „Schlafen“. Mit Hilfe verschiedener Darsteller (Fotos des narzisstischen Walter Schmitz, er selbst beim Essen und Schlafen) bringt Schneider das Haus als Phantom eines bewohnten Ortes hervor. Er begegnet nicht der historischen Figur, sondern nimmt deren Stelle ein und versetzt sich an einen Ort, der anders ist als alle anderen Orte. Man könnte ihn die Quelle des Bösen nennen.

Wie eine Umkehrung der identifikatorischen Inszenierungen erscheint ein weiterer Videofilm, der zeigt, wie Schneider mit einem Hammer den Putz von Wand und Decke des von ihm als Geburtszimmer bezeichneten Raumes schlägt. Er sagt, er sei vorgegangen wie ein Chirurg.3 Mit der Zeit wird der Staub so dicht, dass der arbeitende Körper verschwindet. Schneider demoliert das Zimmer als Teil einer vollständigen „Entkernung“ des Hauses. Nachdem er das Haus zunächst durch seine Inszenierung zu einem Phantom mit dem möglichen Namen „Quelle des Bösen“ gemacht und entsprechende Spuren festgehalten und entziffert hatte, räumte er nun das entstellte Gebilde mit Gewalt aus dem Weg. Schließlich blieben nur die Außenmauern des Hauses stehen – aus statischen Gründen, wie Schneider erklärt. Anderenfalls hätte er das Geburtshaus von Goebbels bis auf die Grundmauern abgerissen, und er behält sich dessen vollkommene Zerstörung für später vor.

Durch seine Identifikation lässt Schneider das Phantom des Geburtshauses hervortreten, dessen ihm eingeprägte Zeichen es zu deuten und zu bannen gilt. Der Akt der Bannung besteht in der Verwandlung des Hauses zu Schutt. Dessen Transport nach Warschau, in eine Stadt, die extrem unter der Grausamkeit und Zerstörungswut der Nazis gelitten hat, und der Weitertransport nach Berlin, in die Stadt, von der das Terrorregime der Nazis ausgegangen ist, erscheint wie eine Authentifizierung des exorzistischen Aktes. Als dessen Besiegelung lässt Schneider den Schutt auf einer entsprechenden Deponie abladen.

Doch wer die exemplarische Austreibung des „Geistes der Nazizeit“ auf dem unausweichlichen Weg der Identifizierung vornimmt, hat einen hohen Preis zu zahlen: Er zahlt mit dem eigenen Verschwinden im dichter werdenden Staub. Symbolisch löscht er sich mit der Zerstörung des „aufgeladenen“ Hauses auch selber aus. Die Selbstauslöschung durch einen exorzistischen Akt erklärt den andernfalls rätselhaften Titel der Arbeit. Schneider erklärte seinem Gesprächspartner Stefano Vastano, es habe ihn die Vorstellung fasziniert, sich mit einer an sich selbst gerichteten Mail vom Netz abzukoppeln. Diese Abkoppelung nimmt er mit der exorzistischen Zerstörung der Mauern vor, in denen sich der Geist der Nazizeit gehalten hat und mit dessen Exponenten Schneider eine inszenierte Identifikation einzugehen hatte.

Ein weiterer Videofilm zeigt, wie Schneider ein Loch in den festgestampften Sand des Kellerbodens schaufelt. Als Bildhauer habe er das Haus von allen Seiten untersuchen wollen, einen Tunnel unter dem Haus gegraben und versucht, diesen vom Keller her zu erreichen.4 In irritierender Weise kommt er auf eine Vorstellung zurück, die er schon vor beinahe zwanzig Jahren formuliert hat: „Ich träume davon, das ganze Haus [gemeint ist Haus u r, Schneiders erste große Arbeit mit einem Haus, auch dieses in Rheydt gelegen] mitzunehmen und anderswo zu bauen. Da wohnen dann mein Vater und meine Mutter, die älteren Verwandten liegen dann tot im Keller, die Brüder wohnen oben, drum herum leben Frauen und Männer, die gerade nicht wissen, wohin. Irgendwo in der Ecke sitzt die große Frau, die ständig Kinder macht, in die Welt wirft. Ich bin dann irgendwo drin und grabe ständig alles um.“5 Schon bevor er mit dem Bau von Haus u r begann, hat Schneider Löcher gegraben, sich selbst eingegraben.6 Entsprechende Fotos zeigen ihn am Boden eines Lochs in fötaler Stellung, so dass auch an eine Geburt aus der Erde zu denken ist, wo er selbst von einem Begräbnis spricht. Die Bedeutung des Lochs, das Schneider im Keller des Geburtshauses von Goebbels gräbt, wird nicht eindeutig klar. Es könnte für den Tod und ein unausweichliches Ende stehen, es könnte aber auch ein Ort der Verpuppung und Wiedergeburt sein. Doch auch dann bleibt offen, welchen Ausgang eine Wiedergeburt haben würde. Leicht zu übersehen, lag auf dem Boden eines Ausstellungsraums der Warschauer Nationalgalerie Zachęta ein USB-Stick, auf dem die Daten des vollständig gescannten Hauses gespeichert sind. Schneider nennt ihn einen „Toten Briefkasten“7. Das Geburtshaus von Goebbels, die Quelle des Bösen, könnte originalgetreu wieder aufgebaut werden.

1 „Demolire Goebbels“, Interview von Stefano Vastano mit
Gregor Schneider, in: L’Espresso, 5. Februar 2015, S. 78
2 ebd.
3 ebd.
4 ebd.
5 Gregor Schneider und Ulrich Loock, „… ich schmeisse nichts weg, ich mache immer weiter …“, in: Gregor Schneider, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bern, Bern 1996, S. 55
6 Vgl. ebd., S. 40
7 Mitteilung an den Autor vom 1. März 2015

 

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