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Eine Handvoll Gangesflut
Abgefüllt in Axams

Tirols Bergkulisse ist die Würze im guten indischen Film. Von Clemens Lindner

Klappe 1

Denkt man an Indien und den Film kommen einem zuerst, falls man nicht gerade ein Kenner ist, üppige Ausstattungsdramen wie „Gandhi“ von Richard Attenborough aus dem Jahr 1982 und opulente Filmepen nach Romanen von E.M. Forster oder Rudyard Kipling in den Sinn. Ein koloniales Indien tritt einem entgegen in vielen Farben und Gerüchen mit Schlangenbeschwörern, Fakiren und Gurus.

Politisch weiß man vom Kaschmirkonflikt und den ständigen Scharmützeln und Drohgebärden gegen den Nachbarn Pakistan und umgekehrt. Beide Staaten verfügen über nukleare Waffen.

– „Am Nachmittag hatte sich der Wind über Pokhran gelegt. Um 15.45 Uhr wurden mittels einer Schaltuhr drei Sprengkörper gezündet. Die rund 200 bis 300 Meter tief in der Erde erzeugte Hitze entsprach einer Million Grad Celsius, das ist so heiß wie auf der Sonne. Augenblicklich verdampfte Gestein mit einem Gewicht von tausend Tonnen, ein kleiner unterirdischer Berg. Die Druckwellen der Explosion schoben einen Erdhügel von der Größe eines Fussballfeldes einige Meter nach oben. Ein Wissenschaftler sagte bei diesem Anblick: Jetzt glaube ich die Geschichte, in der Krischna einen Berg hochhebt.“ (India Today, The Bomb Makers 1998)

Die Teilung Indiens zugelassen zu haben war der größte Fehler Mahatma Gandhis, behaupten deshalb nicht nur nationalistische Inder im Brustton der Überzeugung. Der große Staatsmann ist einer der wenigen Inder, die auch bei uns uneingeschränkte Hochachtung genießen.

Vielleicht besitzt der eine oder andere gar eine persönliche Erfahrung mit Indien, war bereits auf einer Technoparty in Goa, die in den letzten Jahren so in Mode gekommen sind, oder schwebt auf einer Esoterikwolke, Erleuchtung suchend, und möchte immer noch Sannyassin im Ashram von Poona werden. Die Hippies haben uns das eingebrockt, Hermann Hesse tat das Seine dazu und nicht zuletzt ist die berühmteste Popgruppe aller Zeiten aus Liverpool mit ihrem Privatguru dafür verantwortlich zu machen.

Wenn einer mit Schlabberkleidung, Sandalen und Rauschebart von seiner Indienreise zurückkommt, kann er uns bestimmt viel erzählen. Wahr ist immer auch das Gegenteil.

Stammt nicht auch der aktuelle Schachweltmeister aus Indien? Sind die Computergurus aus Bangalore, von denen im letzten Jahr alle Welt sprach, in Deutschland angekommen? Niemand ist so schlau wie die Südinder, behauptet schließlich auch Bill Gates, außer vielleicht die Chinesen.

Klappe 2

Wenn eine Filmcrew die Location Tirol in Richtung Haidarabad verlässt, im Gepäck einen neuen Erfolg an den Kinokassen für ein filmverrücktes Land, schneit bereits eine andere Gruppe aus Bombay nach Tirol herein und freut sich, dass es hier regnet, weil es in der 5000 km entfernten Metropole immer schön ist. Eine Woche bleibt der vierzigköpfigen Truppe, um die exotischsten Drehorte der Alpen samt schneebedeckter Bergspitzen im Hintergrund in ihren Zauberkasten zu kriegen.

In den Kasten fliegt ein Vogel, unbekannt und schön. Vier Uhr in der Früh: Auf in die Maske. Die Anmut und natürliche Würde der Hauptdarstellerin Shilpa Anand ist auch ohne Make-up unerreicht. Ihre Mutter begleitet die junge Frau, lässt sie nicht aus den Augen. So muss die Göttin Tara aussehen, die von den Mahajana-Buddhisten verehrt wird.

Dann werden alle mit dem Bus vom Hotel in die Berge gekarrt. Der Busfahrer ist ein untersetzter Tiroler Spaßvogel, der in holprigem Englisch die Crew bei Laune hält. Die Tiroler sind freundliche Leute, hört man sachlich und höflich als Dankeschön der Inder. Der Kontakt zu den Einheimischen scheitert oft an den Sprachbarrieren und an der Zurückhaltung der Orientalen. Außerdem hat das Filmteam nicht viel Zeit, sich Land und Leute zu Gemüte zu führen. Tirol ist ihnen mehr Bühne als geografischer Ort.

Während ihres Aufenthalts ist ihnen jedenfalls kein in der Morgensonne glitzernder Bergsee zu entlegen, kein schneebedeckter Gipfel zu hoch oder Aufstieg zu mühsam, kein Baum zu unscheinbar, keine von Löwenzahn, Vergissmeinnicht und Frühlingsnelken übersäte Wiese zu kitschig und keine Alpenkuh zu heilig, um damit dem Publikum zu Hause im fernen Kalkutta, Madras oder Bombay eine Spielfilmlänge Glück ins Herz zu pflanzen.

Es soll inzwischen sogar vorkommen, dass indische Hochzeitspaare nach Tirol pilgern, weil sie ihre Flitterwochen an einem idyllischen Ort verbringen möchten, den sie aus einem Bollywoodfilm kennen. Die Gäste sind dann nicht darauf vorbereitet, dass barfuß im Schnee zu wandeln, wie ihre Helden aus den Filmen, nicht wirklich zu empfehlen ist.

Klappe 3

Ein Drehbuch existiert meist nur in Ansätzen. Als eingespieltes Team spricht man sich bei der Anreise im Flugzeug ab. Einige Schauspieler arbeiten ohnehin an mehreren Filmprojekten gleichzeitig, weshalb sich also mit Nebensächlichkeiten aufhalten? Der Regisseur – in Indien lässt das Nennen seines Namens viele Herzen höher schlagen – geht so weit zu behaupten, dass eigentlich immer nur drei oder vier Plots variiert werden. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von zwei in der Kindheit getrennten Geschwistern, die in verschiedenen Milieus aufwachsen und sich als Erwachsene wiederbegegnen. Oder die Story, in der ein reicher Mann ein armes Mädchen liebt, und sich das Liebespaar nach unendlichen Verwirrungen am Ende in die Arme fällt. Zu solchen Szenen wird eifrig getanzt und gesungen. Ein Film wird durch mindestens fünf solcher Musikeinlagen unterbrochen, das ist dramaturgisch festgelegt.

Am Set herrscht kreatives Chaos. Blendenhalter, Schirmträger, Choreographen, Schauspieler, der Kameramann samt Assistenten – alle sprudeln über vor Lebhaftigkeit.

Ist ein Film erfolgreich (und meist ist er das), werden ihn gut 50 Millionen Menschen sehen. In Indien liebt man das Kino mehr als irgendwo sonst. Das Medium Film ist nicht nur ein Gemeinschaftserlebnis für die ganze Familie, sondern bietet auch die Möglichkeit nationaler Integration in einem vielsprachigen, von extremen regionalen Unterschieden gekennzeichneten Land. Zwischen Norden und Süden werden über ein Dutzend offizielle Sprachen gezählt, die zahlreichen Mundarten und Idiome nicht inbegriffen.

In Indien entstehen jährlich mehr als 800 Filme, die bei uns im Westen nur wenigen Cineasten bekannt sind. Einzig „Monsoon Wedding“ von Mira Nair (ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen in Venedig 2001) und „Lagaan – Once Upon A Time In India“ von Ashutosh Gowariker (für den Oskar nominiert als bester ausländischer Film) fanden auch bei uns einige Beachtung.

Klappe 4

Die Schauspieler heißen Anil Kapoor, Rani Mukherjee, Shah Rukh Khan, Juhi Chawla oder Sonali Bendres und spielen in Filmen mit Titeln wie Mohabbatein (Liebe); Satyam shivam sundaram (Wahrheit, Gunst, Schönheit); Tera jadoo chal gaya (Dein Zauber ist verflogen). In Indien würden sich die Leute erschlagen, um eine Haarlocke oder ein Lächeln von ihren Lieblingen zu erhaschen. Man würde Julia Roberts, Cameron Diaz, George Clooney und Tom Cruise mit Nichtbeachtung strafen. Das indische Publikum bevorzugt einheimische Stars, die man bewundert und verhätschelt. Die Götter kommen in Indien noch zu den Menschen, wenn sie auch nur von der Leinwand heruntersteigen.

In den Axamer Almwiesen tanzt der Kinoheld vergnügt um seine Geliebte herum wie der blauhäutige Gott Krischna mit seiner Radha im Zauberhain. Oder er vergnügt sich mit seiner Angebeteten auf einem Schneefeld unterhalb der Serles wie Gott Shiva mit seiner Gemahlin Parvati am Fuße des heiligen Berges Kailash im Himalaya.

„Liebste! Bring mit Blickespielen
hin die wenigen Tage nur!
Spielen mag ich nur mit Blicken,
wo nicht öde steht die Flur.
Kommen werd ich. Du wirst kommen,
Freunden bringen frohen Mut.
Und was soll ich dir mitbringen? –
Eine Handvoll Gangesflut.“

(aus dem Sanskrit übersetzt von Friedrich Rückert)

Das Publikum im Kinosaal ist verzückt.

Warum übt in den letzten Jahren Tirol eine große Anziehungskraft auf indische Filmemacher aus? Die Schweiz, die eine lange Tradition als Drehort in indischen Filmen hat, ist beinahe ausgereizt. Man kennt das Jungfraujoch, Gstaad oder den Genfer See und ist auf der Suche nach neuen, unverbrauchten Motiven. Alpine Bergwelt gilt den Indern als paradiesisch, als Elysium auf Erden. Also Tirol. Dafür ist nicht zuletzt die „Cine Tirol“ verantwortlich, ein Tochterunternehmen der Tirol Werbung, das Filmteams ins Land bringt und sie vor Ort betreut.

Die Kaschmirregion, früher ein beliebter Drehort, scheidet wegen der unsicheren politischen Lage im Konflikt mit Pakistan – und weil sich dort indische Filmteams gegenseitig auf die Füße treten – zunehmend aus den Überlegungen der Filmproduzenten aus. Außerdem möchte man dem heimischen Publikum zeigen, dass die Produktionsfirma keinen Aufwand scheut. Jeder Produzent, der auf sich hält, und jeder Film, der erfolgreich sein will, muss Drehorte im Westen vorweisen.

Das romantische Idyll sucht man im Ausland.

Die Gesangseinlagen eines Films laufen schon vorab im Fernsehen, um ihn entsprechend zu bewerben. Die Leute sollen die Lieder im Kinosaal mitsingen und als Geschenk mit nach Hause nehmen können. Der Kinobesuch soll eine große Party sein.

paridhira-ravam jalam darisu
prapataty adbhutarupa-sundarisu,
sarva-kalam avalanghya toyada
agata stha dayito gato yada,
nava-kadamba-siro vanata mi te
vasati yan madanah kusuma-smite.
(Ghatakarpara)

Klappe 5

Coming Soon:
Vishnu
Producer: Dr. M. Mohanbabu
Executive Producer: M. Lakshmi
Austria Head: Gopi Krishna
Hero: M. Vishnu
Heroine: Shilpa Anand

Drehorte: Indien und Tirol

Klappe 6

Ich war beim Adelshof oberhalb von Axams und besah die Umgebung, nicht ohne das verwirrende Gefühl – Inder in westlicher Kleidung und Österreicher in farbenprächtigen Saris sprangen fröhlich um mich herum – ich befände mich im Indischen Teil von Tirol oder im Tiroler Teil von Kashmir. Keine gestandenen Tiroler weit und breit, erst später zog die Schönheit des Frühlingsmorgens Wanderer ins Freie. Ich hatte gerade mein indisches Frühstück verzehrt, Reis scharf gewürzt, Tee und Brot mit Honig. Die Schaulustigen im Gastgarten, die jetzt immer zahlreicher wurden, beobachteten mit lächelnder Skepsis das Treiben der Fremden. Die Schönheit der Hauptdarstellerin vergoldete wohl auch ihren Tag. Die Filmleute tummelten sich auf der Wiese. Der Choreograph gab letzte Anweisungen. In der Ferne schlossen Baumgruppen die Aussicht ab. Zwischen den Ästen der Fichtenbäume zogen Blütenstaubwolken dahin. Das gelbe Pulver bedeckte bald die bunten Saris der Tänzerinnen und die Kamera, einfach alles. Und das ist jetzt Tirol.

Dann schwatze ich mich fest. Mrs. Parveen Shivananda, die Mutter der Hauptdarstellerin, schüttet mir ihr Herz aus. Zuerst fing sie freilich an, von der schönen Landschaft und der reinen Luft zu schwärmen, beides unverfängliche Themen. Doch plötzlich erzählt sie, durch meine Fragen angestachelt, von den Schattenseiten der Branche. Beide Töchter hat sie an den Film verloren, die ältere war in über 30 Streifen zu sehen und die jüngere, die vor uns auf der Wiese tanzt, muss sich erst einen Namen schaffen. Es ist ein hartes Geschäft. Zu viel Geld im Spiel. Viele Schauspieler und Regisseure pflegen Kontakte zur Unterwelt. Natürlich gibt es auch eine casting-couch, sagt die Frau. You know. Der Erfolg ist nichts. Wenn er kommen soll, wird er kommen. Wenn nicht, wen kümmert’s. Wenn die ganze Welt dich liebt, weil du ein Filmstar bist, was nützt es. Du musst deinen Körper verlassen und eines Tages gehen. Das Kharma ist wichtig. Die Seele ist überall gleich. Was zählt ist: ein gutes Herz, Liebe und Spiritualität. So viel Altersweisheit macht mich verlegen und mundtot. Ich bedanke mich höflich, nicht ohne mich noch einmal nach ihrer Tochter umgedreht zu haben. Sie lächelt ihrem Filmpartner zu.

Eine Krähe stürzte sich vom Himmel.

 

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