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Welzenbacher weiterbauen

Dieter Henke und Marta Schreieck über die Frage, wie man bedeutende Architektur erweitert. Ein Baustellenbesuch von Roland Schöny

Das von Lois Welzenbacher in den Jahren 1930–31 errichtete Parkhotel Seeber in Hall in Tirol, ein herausragendes und international richtungsweisendes Bauwerk der Moderne, sollte revitalisiert und damit wieder wahrnehmbar gemacht werden: Die Stadtwerke Hall hatten das im Laufe seiner Geschichte vielfach veränderte Gebäude 1997 erworben und wollten es gemeinsam mit dem angrenzenden Kurhaus zu einem wirtschaftlich tragfähigen Seminarhotel mit Wellnessbereich erweitern. Nach einer Debatte um die Erfüllung der gewünschten funktionalen Erfordernisse fiel die Entscheidung schließlich für den Entwurf des Architektenduos Dieter Henke und Marta Schreieck, das den reaktivierten Bau Lois Welzenbachers im Dialog mit einem neuen runden Turmgebäude zeitgemäß lesbar macht (ab 4. Juli 2003).

Roland Schöny: Das Parkhotel Seeber gilt in seiner ursprünglichen Konzeption als Ikone der alpinen Moderne. Im Laufe von Jahrzehnten wurde es bis zur Unkenntlichkeit verändert. Hatten Sie Ehrfurcht, als Sie sich an das Vorhaben einer zeitgemäßen Renovierung heranwagten?

Dieter Henke: Ehrfurcht ist nicht das richtige Wort. Wir hatten und haben natürlich allerhöchste Wertschätzung für den Bau Lois Welzenbachers. Unsere Absicht war schon die Rekonstruktion des Hotels, aber es ging nicht nur darum. Das Ganze sollte als Wellnessund Seminarhotel neu konzipiert werden, wobei das in unmittelbarer Nähe gelegene Kurhaus, ein denkmalgeschützter Bau aus den 1930er-Jahren, eingebunden werden sollte. Hier lag die große Schwierigkeit, denn aus diesem Grund wurde eine Verbindung vom Welzenbacher-Turm zum Kurhaus notwendig. Daraus folgte die Frage: Wieviel kann man machen unter der Voraussetzung, dass der Welzenbacher noch bestehen bleibt und nicht neuerlich verbaut wird?

Schöny: Die Erwartungen an ein Hotel sind heute ja grundsätzlich andere: Was damals ein Zeichen setzender Bau der Avantgarde war, entspricht heute – vor allem was die Innenräume betrifft – nicht mehr den Vorstellungen.

Henke: Interessant ist, dass Welzenbacher in der Urkonzeption ganz anders gedacht hat. Das Parkhotel Seeber war eigentlich als Sommerhotel geführt worden, weil es in Hall keinen Wintertourismus gab. Wir stießen im Zuge unserer Recherchen darauf, dass der sehr kleine Frühstücks- oder Restaurantraum früher alles war – auch Wohnstube. Offensichtlich hat er ausgereicht, weil die Leute früher einfach die Terrasse oder den Garten frequentiert haben, was im Winterbetrieb natürlich nicht möglich gewesen wäre. Deswegen folgten später Zu- und Anbauten.

Marta Schreieck: Die Gestaltung der Innenbereiche wurde zu einer zentralen Frage. Um den Geist des Hauses zu erhalten, haben wir darauf geachtet, die Erschließungszonen – das Stiegenhaus, das ja wirklich der gestalterische Höhepunkt im Innenraum ist – wieder zu rekonstruieren, wiederherzustellen. Zugleich hat es die Struktur des Gebäudes erlaubt, die Zimmer völlig anders zu organisieren. Es gab keine statischen Bindungen. Wir konnten aus 5 Zimmern 4 machen und Bäder integrieren, um den Standard eines Viersternehotels zu erreichen, ohne die ursprüngliche Räumlichkeit zu verändern.

Schöny: In welchem Zustand haben Sie das Hotel vorgefunden? Anfang der 1990er-Jahre hätte man ja auf Grund der vielfachen Umbauten kaum noch vermutet, dass es sich im Kern um einen signifikanten Entwurf der Moderne handelte.

Henke: Man musste tatsächlich Insider sein, um an Hand der Fragmente, die nach außen irgendwie noch sichtbar waren, das Hotel Lois Welzenbachers auszumachen. Es war einfach völlig verbaut und verstümmelt. Vom ursprünglichen Turmgedanken konnte man auf Grund der Zubauten nichts mehr ablesen und das Innere war einfach zugekleistert.

Schreieck: Wenn man sich diese Dogmen der Moderne vergegenwärtigt – Licht, Luft und Sonne –, diesen Zeitgeist, der sich in der Hotelarchitektur spiegelte, so hat man davon überhaupt nichts mehr vorgefunden. Wir kannten den ursprünglichen Zustand natürlich nur aus Publikationen.

Schöny: Mit Licht, Luft und Sonne ist ein entscheidender Gedanke formuliert: Das historische Gebäude war darauf ausgerichtet, dass man sich von innen nach außen wendet, um die Berge im Cinemascope- Format wahrzunehmen. Die Balkongeländer waren – ganz im Gegensatz zu den verschnörkelten Verschlägen manch heute gebauter Tiroler Häuser – auf äußerste Transparenz angelegt, um einen Durchblick in die Landschaft zu öffnen. Mit seinen urbanen Qualitäten hat das Parkhotel städtischen Besuchern eine Plattform geboten, die Berglandschaft als visuelles Ereignis zu erleben.

Henke: Das hat natürlich damit zu tun, dass Lois Welzenbacher ganz einfach ein urbaner Architekt war – zwar geprägt von der Landschaft, speziell der Südtiroler Landschaft, die er sehr gut gekannt hat – aber gelebt und gearbeitet hat er in der Stadt. Als urbaner Mensch mit Distanz zur Landschaft konnte er diese umso stärker erfassen. Das erkennt man daran, wie er sie inszeniert hat, wie er mit der Topographie seiner Bauten umgegangen ist.

Schreieck: Das Hotelgebäude ist absolut für den Standort konzipiert – es kann nur dort stehen. Der Bau ermöglicht von den Zimmern aus ganz gezielte Blickbeziehungen mit der Landschaft.

Schöny: Lois Welzenbacher hat ja auch das Mittel der Fotografie eingesetzt, um ganz spezielle Perspektiven darzustellen.

Henke: Vor allem hat Welzenbacher selbst fotografiert, um die eigene Arbeit zu analysieren und seine Bauideen zu illustrieren. Interessant ist, dass bestimmte Bauten – selbst nach ihrer Fertigstellung – nicht unbedingt der von ihm erstrebten Idealvorstellung entsprachen. Dann wurden manchmal sogar Fotos retuschiert, um die von ihm gedachte Sichtweise herbeizuführen.

Schöny: Noch einmal zurück zu den Balkon- und Stiegengeländern, einer inhaltlich sehr bedeutungsgeladenen Komponente sowohl bei Welzenbacher als auch im heutigen Tirol. Lois Welzenbacher hat mit sehr schlanken Querverstrebungen eine ganz spezielle Idee realisiert.

Henke: Ja, die Geländer sind bei Welzenbacher tatsächlich ein charakteristisches formales Element, das einfach die Bewegungslinien all seiner Häuser unterstreicht. Es ist weniger funktionell gedacht – dass man sich irgendwo anhalten muss, damit man nicht hinunterfällt. Wir haben versucht, originalgetreu zu rekonstruieren, haben aber Stahlnetze vorgehängt, damit eine Absturzsicherung gegeben ist.

Schöny: Wie war nun letztendlich ihre Aufgabe definiert? Spricht man von Erneuern, Adaptieren oder Altes in eine neue Form Bringen?

Schreieck: Zunächst einmal war es eine Aktivierung. Die größte Schwierigkeit war eigentlich, diesem bestehenden Bau ein relativ großes neues Volumen gegenübersetzen zu müssen. Das Hotel Welzenbachers hatte 20 Zimmer und sollte um 40 Zimmer sowie Restaurants und Seminarräume erweitert werden. Wie man die notwendige Baumasse dimensioniert und auf das Grundstück setzt, ohne den Maßstab vor Ort zu sprengen, war eigentlich die Hauptaufgabe. Unser Lösungsansatz ist primär aus städtebaulichen Überlegungen heraus entstanden. Wir haben uns für einen zweiten Turm, für die Höhe entschieden, wollten den öffentlichen Park nicht verbauen und in der Nähe der Straße bleiben. Wir haben das Kurhaus, den Welzenbacher- Bau und das sehr dominante Bürgerhaus gesehen und wollten – ergänzt durch den neuen Turm – ein zum Park hin visuell durchlässiges Ensemble schaffen. Außerdem sollten die Zimmer des neuen Hotels qualitativ mindestens so anspruchsvoll sein wie die des Welzenbacher-Hotels. Das Konzept des Turmes war einfach am schlüssigsten. Es war faszinierend zu verfolgen, wie leistungsfähig die runde Form ist und wie wenig Fläche und Volumen sie benötigt. Wenn man sich vorstellt, dass sich im Welzenbacher-Turm 18 Zimmer befinden, in unserem neuen dagegen 42, ist es schon verblüffend, dass beide Türme ein annähernd gleiches optisches Volumen aufweisen.

Schöny: Das heißt aber, dass Sie Welzenbacher aus der Perspektive der Gegenwart relativiert haben?

Henke: Nein. Unser Bestreben war es, uns mit dem neuen Haus eigenständig zu positionieren, ohne uns vor dem Welzenbacher zu vergraben oder zu ducken. Der neue Turm ist als Antwort auf den Welzenbacher- Turm zu verstehen und in keiner Weise als Konkurrenz. Wir sehen das als Dialog. Unser Turm wäre gar nicht möglich gewesen ohne Welzenbacher. Jetzt steht einfach unser runder, gläserner, skelettförmig aufgelöster Turm einem trapezförmigen, massiven Baukörper gegenüber, der mit seinen Balkonen und den Pergolas mit ihren präzise gearbeiteten Details sehr fein ausdifferenziert ist. Da einen Bau daneben zu stellen, der Ähnliches versucht, kann nur zum Scheitern verurteilt sein. Dem – glaube ich – entziehen wir uns mit dieser abstrakten Form.

Schöny: Wie materialisiert man in diesem Kontext eine große abstrakte Form?

Henke: Die Frage der Materialisierung war natürlich wichtig: Was stellen wir diesem gemauerten, geputzten, massiven Baukörper gegenüber? Nicht des Kontrastes wegen, sondern weil wir uns in einem größeren Kontext befinden: Die Türme erscheinen vor dem Hintergrund der Berghänge. – Der Welzenbacher ist weiß und wir sind schwarz. Sehr dunkel. Wir wollten uns da gar nicht so aufdrängen und spielen dadurch den Welzenbacher wieder frei. Wenn man jetzt über die Haller Innbrücke fährt, leuchtet wirklich der weiße Bau heraus und unseren nimmt man gar nicht wahr, weil er sich einfach mit der dunklen Bergfläche verwischt. Problematisch könnten vielleicht die wenigen Ansichten sein, wo sich die Türme miteinander verschneiden. Aber selbst da bildet der schwarze Turm einen dezenten Hintergrund, der die Konturen des Welzenbacher-Baus hervorhebt.

Schreieck: Die Entscheidung, den Turm schwarz zu machen, ist erst sehr spät gefallen. Da ist eigentlich dieser gläserne Turm schon gestanden, allerdings ohne Sonnenschutzlamellen. Da haben wir viele Renderings gemacht, sehr viel probiert um herauszufinden, welche Farbe da wirklich richtig ist.

Schöny: Auf einer anderen Ebene erscheint diese Lösung fast wie eine Metapher für das binäre Zeitalter. Es sind zwei totale Gegensätze, die dennoch unauflöslich zusammengehören.

Schreieck: Ja, das war unser Wunsch. Der Welzenbacher- Bau war ein eigenständiges Zeitdokument, und wir wollten das Neue ebenso als eigenständig lesbares Zeitdokument positionieren – in einem Dialog, dessen Elemente einander bedingen.

 

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