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Stumme Begegnung

Bruno Walpoth lässt diese Ausgabe von Quart am Cover von einer seiner Figuren bewachen und schickt noch mehr seiner Holzmenschen auf den folgenden Doppelseiten durch das Heft. Lisa Trockner über das Weitertreiben traditioneller Handwerkskunst, die Arbeit an der lebensgroßen Figur und die geheimnisvolle Präsenz von Körpern aus Holz.

Die Summe einzelner Begegnungen spielt nicht nur im Schaffen eine Rolle, sondern beeinflusst bewusst und unbewusst den beeindruckenden Werdegang von Bruno Walpoth. Die erste prägende Begegnung ist eine indirekte, jene mit den Kunstwerken an den Wänden im Haus seiner Eltern: Die Jagdbilder – vom viel zu früh verstorbenen Bruder seines Vaters – haben dem jungen Bruno von Kindesbeinen an imponiert. Bereits in der Grundschulzeit begann er, diese akribisch genau nachzuzeichnen und somit seiner Gabe für naturgetreue Abbildungen und für perfektionistisches Arbeiten nachzugeben. Schon damals war dem talentierten Zeichner klar, dass seine Leidenschaft nicht dem Zweidimensionalen, sondern dem Dreidimensionalen, insbesondere dem Arbeiten mit Holz gehört. Schlussendlich war es sein Professor Wilfried Senoner an der Mittelschule in St. Ulrich, der ihn als Förderer in der Entscheidung, Bildhauer anstatt Schreiner zu werden, unterstützte.

Die lebendige Tradition der Holzschnitzerei war Bruno Walpoth, wie vielen seiner Kollegen, gewissermaßen durch seine geographische Herkunft, dem Grödental, wo er 1959 geboren wurde, aufgewachsen ist und bis heute lebt, in die Wiege gelegt. In dem Seitenarm des Eisacktals, wo Vieh- und Landwirtschaft vorherrschten, entwickelte sich im 17. Jahrhundert die Holzschnitzerei zu einem Charakteristikum des Tales, das im Laufe der Jahrhunderte zu einem lukrativen wirtschaftlichen Zweig heranwuchs. In der Folge wurden Grödner Holzfiguren vermehrt exportiert und bescherten vielen Einheimischen ein rentables Einkommen. Mit dem aufkommenden Tourismus um 1900 konnte das eigenständige Kunsthandwerk der Grödner weiter expandieren. Aus dieser Garde der Auftragsschnitzer spaltete sich eine Reihe von jungen Kunstschaffenden ab, die – dem kommerzialisierten Brauchtum entwachsen – ihren eigenen Stil entwickelten und abseits der Vermarktung der Holzfigur ihre Berechtigung in der Gegenwartskunst finden.

Dieser Tendenz folgend machte sich auch der junge Bruno Walpoth gemeinsam mit seinem Bildhauerfreund Arnold Holzknecht nach der klassischen Bildhauerlehre und unzähligen lokalen Handwerksaufträgen von Heiligenfiguren, mit der Passion für die Gegenwartskunst im Herzen und großen Visionen im Kopf, auf nach Wien an die Akademie der Bildenden Künste, um dort seiner Berufung nachzugehen. Während in Gröden die traditionelle Formung der Holzfigur in den 1980er Jahren nach wie vor unter Künstlern verbreitet war, wurde an den Akademien der größeren Städte die freie Skulptur zelebriert. Gefragt waren erweiterte Plastiken aus Pappmaché (etwa von Franz West) oder Erwin Wurms One-Minute-Sculptures. Gefeiert wurde das Spontane. „Wir fühlten uns wie Rock’n’Roller! Es wurde so mit dem Pinsel gefuchtelt, als stünde man auf der Bühne und spielte Gitarre“, beschrieb ein Maler die Kunst der 1980er Jahre. Dementsprechend wenig Anerkennung fanden die Skizzen und Skulpturen der jungen Grödner Bildhauer, die sie ehrgeizig den Professoren an der Akademie in Wien vorlegten. Enttäuscht durch die Zurückweisung brachen sie ihre Zelte in der Stadt des Aktionismus ab und versuchten ihr Glück in München, wo sie wohlwollend und mit der Weitsicht, dass die figurative Kunst in näherer Zukunft wieder aktuell werden würde, angenommen wurden.

Die Übersiedlung nach München war nicht nur, wie Walpoth selbst sagt, eine der besten Entscheidungen seines Lebens, zugleich kann die Begegnung mit Professor Hans Ladner an der Akademie in München als ein prägendes Kapitel der künstlerischen Entwicklung des jungen Studenten notiert werden. Für drei Jahre enthielt sich Walpoth in seinen Münchner Lehrjahren der Figur, arbeitete ausschließlich abstrakt und nahm kein Holz in die Hand, bis er sich schließlich überwand, seine Wurzeln nicht weiter zu verleugnen und sich entschloss, einen rohen Holzstamm zu bearbeiten. Mit einem jungen männlichen Modell arbeitete er während der Semesterferien für knapp zwei Monate an einer realistischen lebensgroßen Figur. Trotz Widerstand folgte er seinem inneren Bedürfnis und präsentierte diese – für ihn heute noch typische Figur aus Lindenholz – seinem Professor und seinen Kollegen. Nicht nur, dass die Figur trotz stilistischem Anachronismus ihren Reiz auf die Betrachter ausübt, die Jünglingsfigur kann als sein Schlüsselwerk bezeichnet werden. Das akribische Arbeiten mit Modell hat in dem jungen Studenten die Leidenschaft für das Bearbeiten von Holz neu entfacht. Erst vor wenigen Jahren ist es Walpoth gelungen, diese für seine Motivation einschneidende Arbeit 35 Jahre später zurückzuerwerben.

Nach dem Abschluss an der Akademie folgt die Rückkehr nach Südtirol. In dieser Phase werden die freien Arbeiten weniger, neben abstrakten Werken entstehen erneut viele Auftragsarbeiten im sakralen Bereich, obwohl Walpoths Herz immer der lebensechten Gestalt gehört. Im Jahr 2000 knüpft er erstmals wieder an die Zeit in der Akademie an und schafft eine weitere lebensgroße Aktfigur. Für den kauernden Jüngling steht ihm ein Künstlerkollege Modell. Eine aufregende Zeit des Experimentierens und der Selbstfindung beginnt. Passend dazu zeichnet sich das prophezeite Wiedererstarken figurativer Bildhauerei ab. Erste internationale Galerien beginnen, sich für die Kunst der Grödner zu interessieren, und der Weg für noch wacklige Schritte auf den Kunstmarkt ist geebnet. Vor gut 10 Jahren wagt schließlich auch Walpoth den radikalen Schnitt: Er hängt seine langjährige Lehrtätigkeit an den Nagel, gibt seiner inneren Sehnsucht nach der Figur, die er seit den Jahren der Akademie in sich getragen hat, nach und schenkt ihr von nun an die volle Aufmerksamkeit.

Konsequentes Durchhaltevermögen – wenn auch immer wieder von einem Gefühl der Zerrissenheit unterbrochen –, gepaart mit einem ganz und gar verinnerlichten künstlerischen Ausdruck, kennzeichnen seine Arbeiten: Eine aus der Tradition heraus weitergedachte und -entwickelte eigenständige Kunstform, die in ihrer Aussage den Nerv der Zeit trifft und zur Erweiterung der Grenzen im figurativen Bereich beiträgt.
Dies gilt nicht nur für Bruno Walpoth alleine, sondern für eine Reihe seiner Grödner Kollegen und Künstlerfreunde wie Aron Demetz, Gehard Demetz, Walter Moroder und einige andere. Künstler, denen durch Können, Leidenschaft und eine Portion Hartnäckigkeit heute der Erfolg Recht gibt.
Bruno Walpoths Menschen aus Linden- oder Nussholz entstehen in seiner Begegnung und Auseinandersetzung mit Modellen. Im Maßstab 1:1 werden die Körper, die Linien und Formen der wenigen jungen hageren Männer und vielen schönen Frauen aus dem Holzblock mit Meißel und Feile herausgearbeitet. Auch wenn Walpoth die konkrete Wiedergabe von Körperpartien (einer Schulter oder eines Knöchels) reizt und gutes Gelingen ihm Genugtuung bereitet, geht es ihm nicht darum, ein hyperrealistisches Abbild der vor ihm stehenden Menschen zu schaffen: Das Modell dient in seiner äußeren Erscheinung als Hülle für implizierte Projektionen. Die Gesichtszüge und Körperformen entsprechen zwar jenen der Modelle, doch nimmt Walpoth markante charakteristische Eigenheiten der Persönlichkeit – die im klassischen Sinn des Porträts für Individualität stehen – in seiner skulpturalen Nachahmung zurück: Das Modell als Muster für technische Umsetzung und nicht als Vorlage einer Abbildung der Natur.
Jede neue Arbeit ist eine weitere Herausforderung, Spannung aufzubauen. Dies gelingt ihm durch ein Gemisch aus Präsenz und Absenz, Nähe und Distanz.
Seine Figuren lassen in ihrer physischen Anwesenheit Nähe zu, doch ist es kaum möglich, in direkten Kontakt mit ihnen zu treten. Versucht man den Blick der Figuren einzufangen, so scheint dies verwehrt zu sein, es ist, als würden sie eine mittelbare Konfrontation scheuen, sie weichen aus, lassen nicht zu, dass man spontan interagiert. Will man den Gemütszustand in den Gesichtern ablesen, so kommt man trotz des frontalen offenen Blicks ins Zweifeln, ob es ein konzentriertes Schauen oder doch eher Gleichgültigkeit ist, was sie ausstrahlen. Es stellt sich die Frage, ob sie zuversichtlich in die Zukunft blicken oder im Blues der Melancholie gefangen sind.
Manche Figuren haben die Augenlider geschlossen, sodass sie noch mehr in sich gekehrt wirken. Sie sind nicht in Aktion und unberührt von ihrem Umfeld. Es gibt keine wandernden Augen, auf der Suche nach einem Zusammentreffen, keinen Blickfang, die Figuren sind stimmig in ihrer Haltung – verhaltenes Dasein, das sich nach innen richtet.
Dennoch ist eine Begegnung mit Walpoths Figuren unumgänglich. Ein Reiz, mit dem der Künstler spielt und den er auskostet. Eine Interaktion ist dann möglich, wenn der Betrachtende bereit ist, sich einzulassen und etwas von sich selbst herzugeben. Überschreitet man erstmals diese Grenze, wird es kaum noch möglich, Walpoths Gestalten auszuweichen, man wird unweigerlich in ihren Bann gezogen. In diesem Moment wird das Gegenüber zum Speicher, zum Filter, zum Reflektor dessen, was man selbst zulässt und zu geben bereit ist.
Diese durch den Betrachtenden eingehauchte Sinnesempfindung schafft eine unglaubliche Präsenz im Raum, die Platz einnimmt. Jede einzelne durch Künstlerhand eingefrorene Pose, die ausweichende Mimik und angespannte Gestik ist kontextlos von einem Vakuum umhüllt, in das man beim Betrachten schlüpfen kann oder nicht. Dieser Eindruck der intimen Isolation wird zusätzlich von ihrer einzigartigen Schönheit verstärkt. Die erhabene Ästhetik in Form und Ausdruck, die weniger an das gängige Schönheitsideal als vielmehr an jenes der Frührenaissance erinnert und von demütiger und unschuldig wirkender Anmut geprägt ist, suggeriert zusätzlich Distanz.
Wiewohl sich Walpoth als „klassischen“ Bildhauer bezeichnet und bevorzugt Linde oder letzthin noch lieber Nussholz bearbeitet, bricht er immer wieder aus seinen Schemata aus und erprobt neue Formeln der Zugänge: Geschichteter Wellenkarton als Material für Büsten, bei denen die tradierte Form in ein im kunsthistorischen Sinn verstandenes armes Material übertragen wird. Als weiteres Beispiel seien seine Köpfe genannt, die mit getriebenem und verlötetem Blei überzogen sind.
Trotz aller Versuche, dem Holz zu entweichen, bleibt das organische Material jenes, zu dem er immer wieder zurückkehrt, dem er treu bleibt.

In den letzten Jahren wächst auch in Bruno Walpoth, wie in vielen Kollegen, das Bedürfnis, die klaren Linien und Formen der Figur aufzubrechen und diese mehr und mehr zu verselbständigen. Walter Moroder zum Beispiel durchbohrt und höhlt seine Figuren zunehmend aus, sodass die Form durch die Kraft der Vorstellung neu gedacht werden muss. Aron Demetz dekonstruiert seine Skulpturen durch Feuereinwirkung, Aufrauen oder Pilzüberwucherungen so lange, bis die Ursprünglichkeit des Materials korrumpiert.

Die hier erstmals publizierten Fotoarbeiten, die zusammen mit dem Fotografen Egon Dejori entstanden sind, geben neue Sichtweisen auf das Schaffen des Künstlers frei. Figuren ähnlicher Körperstatur werden durch computergeneriertes Überlappen und Übereinanderlegen fokussierter Punkte (wie z. B. den Augen) zu transluzenten vibrierenden Wesen, bei denen die Grenzen zwischen menschlicher Gestalt und künstlerischem Objekt ineinanderfließen und die nicht mehr eindeutig als statische Figuren identifizierbar sind – ein Spiel zwischen konkreter Form und abstrahiertem Denken. Durch diese Formel aus physischer Präsenz und subjektiver Geisteshaltung werden die von Widersprüchlichkeit gekennzeichneten Ursprünge Walpoths genährt: Einerseits sein Drang zur perfekten Körperform und andererseits sein freier Geist in der Fähigkeit abstrakten Wahrnehmens. Ein Antagonismus, den der Künstler in seinem Schaffen mit jedem neuen Werk zu versöhnen versucht. Im konkreten bildhauerischen Arbeiten gelingt es ihm, die Auflösung der konkreten Materialität durch den apathisch entweichenden Blick seiner Figuren wahrzunehmen. Ein weiteres Indiz, welches die Magie des Unfassbaren im Greifbaren bestärkt, ist die Ästhetik der neutralen Posen seiner Figuren, die durch ihre Haltungen keine eindeutige Gefühlsregung suggerieren. Etwas zeitlos „Entmenschlichendes“ erhalten die Körperformen schließlich durch die glatten Oberflächen und die weiße Acrylfarbe, von der sie bereits in der Entstehungsphase immer wieder überzogen werden und die es vermag, dem Material optisch seine Wärme zu entziehen.

Bruno Walpoth gelingt es auf geheimnisvolle Weise, seinen Figuren eine emotionale Distanz zu verleihen, bei der der Körper sich von seiner Materialität loslöst und in seinem Realismus für eine metaphysische Präsenz Platz schafft. Es entsteht eine Wirkkraft, ein Bewegungsraum, der dem Betrachtenden eine stumme Begegnung mit sich selbst erlaubt.

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