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Fließtext *
Von Brigitte Kronauer

Gewäsch – Es sei ja so, meine sie, Herta, daß man sich zwar immer wieder vornehme, nichts Schlechtes über andere zu reden. Nur: Was denn dann noch übrig bleibe, über das man angeregt sprechen könne? Solle man stattdessen pfeifen oder vorlesen? In Schweigen verdummen? Bloß das Gute herausstellen? Ihr, Herta, komme das nach kurzer Zeit vor wie eine Heuchelei, eine Beschönigung, ja, wie eine Verdämlichung, nicht Verbesserung der Welt. Rolf Zenker zum Beispiel, sagt Ruth, sei völlig ohne Ironie, er empfinde sie geradezu als Verrat. Seine Frau Ute sei dagegen in einer Familienironie aufgewachsen und von klein auf daran gewöhnt. Ihm, Rolf, ziehe Ironie den Boden unter den Füßen weg, sie, Ute, ersticke an dem Dauerernst. Sie hätten sich einander angeglichen, um glücklich zu sein. Aber zweimal habe es in Gesellschaft für sie, Ruth, ein Erkennen und Erschrecken gegeben. Als nämlich Ute ganz wunderbar aufgeblüht sei unter den Ironischen, Rolf unter den Einfältigen. Sie, Ruth, hege seitdem den Verdacht, daß zwischen diesem Ehepaar, genausogut möglich wie ihr offensichtliches Glück, ein unversöhnlicher, unpersönlicher Haß jederzeit ausbrechen könne. Da könne sie, Herta, auch was beisteuern. Ihre Tochter, die gerade aufgrund eines Castings beim Fernsehen kahlgeschoren sei und wegen der Kälte auch im Zimmer mit einer Mütze rumlaufe, habe es von der anderen Großmutter, seitens ihres, Hertas, Exmannes, erzählt. Die sei immer so perplex gewesen, wie Freunde von ihr im hohen Alter nach langem bürgerlichem Leben statt friedlich nebeneinander auf dem Sofa zu sitzen, täglich aufeinander eingedroschen hätten. Aber dann sei dieser Großmutter, weil sie, wie öfter in letzter Zeit, ein Wort nicht parat hatte, in der Nervosität selbst die Hand gegenüber ihrem Ehemann ausgerutscht. Sie habe danach furchtbar geweint aus Angst vor der eigenen Zukunft. Sie, Herta, habe vor circa einem Jahr bei einer alten Frau erlebt, daß sie beim Dessert die Spritzdose mit der Sahne versehentlich aufs Gesicht eines Gastes richtete und herzlich über den mehrfach peinlichen Schaden lachte, verantwortungslos wie ein kleines Kind. Gut, nichts Besonderes. Aber genau dasselbe habe sie acht Jahre vorher mit ihrer eigenen Mutter erlebt, genau diesen Unfall mit der Sahnespritzdose, auch das Lachen über den bekleckerten Gast! Und beide Frauen habe sie danach nicht mehr lebend wiedergesehen! Zufall? Fügung? „Aber uns geht es gut, wir freuen uns unseres Lebens!“ ruft da Ruth und schwenkt kämpferisch das Trockentuch. Köstlich, ein reines Vergnügen sei nämlich ein anderes Paar. Wie wohl diese beiden, Manuel und Ilona, zusammengekommen seien? Er ein gesprächiger Mann von mächtigster Körperfülle und strudelndster Lebenslust, sie eine kleine, stumme Person, immer im selben Pullover, eine wortkarge Himbeere, die am Busch langsam eintrockne, da niemand sie ernten wolle. Nur manchmal breche ein kindlicher Aufschrei aus dem ältlichen Mund. Offenbar liebe oder wenigstens lobe Manuel sie gerade wegen dieses Wichtelhaften. Das habe sich die Gute gemerkt und behalte es für immer bei. Ob in Wahrheit sexuelle Dämonie dahinter stecke? Ja, manchmal frage auch sie, Ruth, sich, wie die geheimnisvollen erotischen Ströme verliefen zwischen den Paaren und Einzelfiguren, von einer zur anderen, wie es sich beispielsweise erkläre, daß Feodora, diese glanzlose Gestalt, bestimmte Männer für sich begeistere. Ob die ein verborgen in ihr lauerndes Feuer witterten? Und, Moment, damit sie es nicht vergesse: Das Paar Meyer-Weber! Ein Mann und eine Frau, die bestimmt nur unter größten Kompromissen einigermaßen miteinander auskämen und sich, bei ihnen eine Frage der Höflichkeit, des Stils, der Öffentlichkeit, nur dann gemeinsam zeigten, wenn sie es mit Grazie und souveräner Eleganz schafften. Vielleicht sei es aber eher noch eine Frage der Vorsicht, damit die Welt nicht zerstörerisch in das poröse Gestein ihrer Ehe eindringen könne. Keine Schwächen bieten! Ein feiner Riß sei da eine gefährliche Lebensmarkierung, wie der erste Besuch des Notarztes in der Nacht. „Aber uns geht es gut, wir haben ein warmes Bett, Kleidung, zu essen und zu trinken und ein fröhliches Herz!“ ruft Herta so leidenschaftlich, daß das Spülwasser aufspritzt. „Wir halten durch und singen dabei“, sagt Ruth. Wie es nun aber damit, frage sie, Herta, stehe: nämlich mit dem Ehepaar Schliff! Was Schliff nicht mal ahne, aber sie, Frau Schliff, umso mehr: Das gewisse Etwas, das er an ihr so liebe, habe sie für ihn dann, und nur dann, wenn sie in einen anderen verliebt sei! Ob sie, Ruth, frage sie, Herta, einmal zwischendurch und außerhalb des Zusammenhangs die Neigung vieler Menschen beobachtet habe, die Sensationen, die ein anderer erzählt, insofern einzuebnen, als sie sofort etwas Ähnliches berichten, um die Macht des ersten einzudämmen? „Aber wir beiden, wir halten zusammen, wir heitern uns gegenseitig auf, wir sind glücklich“, ruft Ruth blitzschnell mit geröteten Wangen. „Top!“ kommt von Herta postwendend zurück, „Wenn man sich die Dinge schön ordnet, dann ist man auch selbst in seinem Inneren so.“ „Wir sind froh und gesund, uns geht es gut! Tralala“, singt Ruth und läßt das Geschirrtuch in der Luft kreisen. Vielleicht, meine sie, Ruth, würde ihnen beiden, Herta und Ruth, eines Tages das passieren, was sie bei zwei Männern festgestellt habe: Der eine sei stets redefroh gewesen, der andere habe nur gestammelt, zwei Freunde, die viel unternommen hätten. Nach einiger Zeit habe der mit dem Redefluß begonnen, den Stotterer nachzuahmen und umgekehrt. Ohne sich dessen bewußt zu sein, hätten sie die Rollen getauscht. Aber wer von ihnen beiden, Ruth und Herta, sei nun wer? Dann wolle sie auch gestehen, daß sie als Kind, sobald jemand von einem frischen Tod erzählte, sofort geglaubt habe, nun müsse auch sie sterben, pariert Herta, die nicht richtig zugehört hat. Man stelle sich das vor: Sie habe den Tod für ansteckend gehalten! Und so geht es fort mit Herta und Ruth, eine ganze, glückliche Woche lang.

— * Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u.Ä. gesetzt wird.
— Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

 

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