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Nullsätze, Stummelsätze und Gesprächskiller

Es gibt Hunderte von Wendungen, die in ganz gewöhnlichen Unterhaltungen vorkommen. Jeder nimmt sie in den Mund, ohne darüber nachzudenken. Gleichwohl geben sie Rätsel auf, schon weil sie ohne Kontext so gut wie unverständlich sind. Von Hans Magnus Enzensberger

Sie gehören eher der mündlichen Rede als der schriftlichen Verständigung an. Ein außergewöhnlicher Reichtum an Tonfällen sorgt dafür, daß keine Mißverständnisse auftreten, obwohl ihre Semantik gewissermaßen in der Luft hängt. Sie setzen ein intimes Hintergrund-wissen voraus und sind durchaus von der Situation abhängig, in der sie geäußert werden. Oft ist weder ihr Subjekt noch ihr Prädikat leicht zu bestimmen; auch syntaktisch gehen sie eigene Wege. „Es tut sich was“ oder „Damit hat sich’s“: es ist unklar, wer da etwas tut oder hat, noch dazu in reflexiver Gestalt. „Sei dem, wie ihm wolle“ verleitet insofern zum Grübeln, als weder deutlich wird, wer da will, noch wem gewollt wird oder wem da etwas sei. Auffällig ist, nicht nur bei den Interjektionen, die Vorliebe für die Ellipse.
Das Repertoire an Intonationen ist, wie gesagt, reichhaltig. Sie sind es, in denen die soziale Funktion der Nullsätze und Gesprächskiller zu ihrem Recht kommt. Zwar signalisieren nicht wenige dieser Wendungen Überraschung, Erstaunen, gutmütiges Zureden oder schiere Ahnungslosigkeit. Doch die aggressiven Töne überwiegen bei weitem: Ablehnung, Hohn, Überheblichkeit, Rechthaberei, Grobheit und Ironie. Verblüffend vielen Nullsätzen hört man an, daß es ihnen darauf ankommt, das letzte Wort zu behalten. Sie dienen dazu, den Gesprächspartner förmlich niederzubügeln und mundtot zu machen. Dabei wimmelt es von performativen Widersprüchen, die solche destruktiven Absichten verleugnen möchten: „Ich bin sprachlos“, „Das ist nicht gesagt“ oder „Ich denke nicht daran“ sind Sätze, die sich, ohne mit der Wimper zu zucken, selbst widerlegen.
Gelegentlich werfen Nullsätze, gewissermaßen hinter dem Rücken des Sprechers, metaphysische Probleme auf. „Da hört sich ja alles auf“ ließe sich als Ankündigung des Weltendes verstehen, wobei auch in diesem Fall das Passiv irritiert. „Sei doch nicht so“ oder „Du bist mir einer“ – diese Sätze rütteln an der Frage der Identität. „Dem ist nicht so“: wem ist hier anders? Der benefaktive Dativ bezieht sich auf ein unbekanntes Es, dem ein anderes Es nicht so ist – ein ontologisches Mysterium. In aller Unschuld lassen sich manche Nullsätze auf ein Match mit dem Nichts ein, das in Formulierungen wie den folgenden nichtet: „Ich mache mir nichts daraus“, was auf die Umkehrung einer creatio ex nihilo hinausläuft, wenngleich offen bleibt, was hier zunichte gemacht wird. Immerhin ist ein Subjekt der Vernichtung erkennbar. Hingegen gerät man ins Taumeln bei der Frage, welches Das und welches Es gemeint sein könnte, von dem es heißt: „Da fehlt sich nichts“, „Das macht nichts“ oder gar „Das nimmt sich nichts“.
Viele solcher Nullsätze kommen in der mündlichen Sprache derart häufig vor, daß man den Eindruck hat, sie seien unentbehrlich für den Dialog. Warum interessieren sie die Linguistik nicht? Vielleicht gerade deshalb, weil sie buchstäblich nichts besagen. Sie fungieren einerseits als Gleitmittel, Pausezeichen, Mittel zur Überbrückung von Verlegenheit – andererseits als Stopper, Bremse und Puffer. Hinter ihrer Banalität verbirgt sich eine eigentümliche Metaphysik des Nichts.

Eine kleine Auswahl dieser Irrwische muß sich begnügen, weil sonst eine seitenlange Kette den Leser ermüden würde. Wir lassen es lieber bei denen, die mit dem Buchstaben A anfangen:
Aber aber
Aber dalli!
Aber erlauben Sie mal!
Aber es kommt noch viel dicker!
Aber hallo!
Aber immer!
Aber jetzt mal im Ernst.
Aber klar doch!
Aber wie!
Aber woher denn!
Abwegig!
Ach du grüne Neune!
Ach du lieber Gott.
Ach du liebes bißchen!
Ach herrje!
Ach ja?
Ach komm!
Ach nee!
Ach so läuft das!
Ach so!
Ach was!
Ach?
Aha!
Alle Wetter!
Allemal!
Allerdings.
Alles der Reihe nach!
Alles für die Katz!
Alles halb so wild.
Alles im Eimer!
Alles Kacke!
Alles Kokolores!
Alles nicht so heiß!
Alles nur das nicht.
Alles nur Wischiwaschi!
Alles paletti!
Alles Quack!
Alles Schamott!
Alles was recht ist!
Alles wie gehabt.
Alles, nur das nicht!
Allmächt!
Also doch!
Also gut!
Also sei so lieb!
Also so was!
Also wirklich!
Amen.
Ätsch!
Au Backe!
Au weia!
Auch das noch!
Auch gut.
Auch wieder wahr.
Auf keinen Fall!
Auf so eine Idee kannst auch nur du kommen.
Augenwischerei!
Aus der Traum!
Ausgerechnet!
Auweh!

 

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