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Ferienhaus für Tanja oder: Das Schweigen des Galeristen

In der Tiroler Gemeinde Mösern wachte bis vor kurzem die gewaltige „Friedensglocke“ über die Gegend. Dieser Frieden scheint nun in Gefahr zu sein, steht doch seit ein paar Monaten mitten in der Bergwelt das „Ferienhaus für Terroristen“ – so der ursprüngliche Titel der Kunstinstallation des deutschen Bildhauers Thomas Schütte. Bauherr dieser 100 Quadratmeter großen, begehbaren Skulptur ist der international tätige Galerist Rafael Jablonka, der Interessierten nach Terminvereinbarung Zugang zum „Nachdenkraum“ gewährt. Eigentlich. – Ein Hausbesuch von Jochen Jung

1
Jablonka, bitte melden!

12.02.2013, 13:20
Sehr geehrter Herr Jung,
für die kommende Ausgabe von Quart hätten wir gerne einen Text von Ihnen. Es gibt auch eine konkrete Idee: Sicher haben Sie schon etwas vom „Ferienhaus für Terroristen“ gehört. Würden Sie für uns dorthin fahren und einen Text darüber schreiben? Wir wollen keine Kunstrezeption, sondern einen literarischen Beitrag, inspiriert von der Installation Schüttes und dem Ort. Würde Sie so etwas interessieren?
Herzliche Grüße,
die Redaktion

14.02.2013, 16:12
Liebe Quart-Redaktion,                                         
zunächst einmal danke für die Einladung, verbunden mit einem leichten Staunen darüber, dass Sie dafür an mich gedacht haben. Interesse hätte ich.
Thomas Schütte ist mir als systematischem Feuilletonleser durchaus bekannt, ohne dass ich mich näher mit ihm beschäftigt hätte (seine Aquarelle gefielen mir allerdings immer sehr, aber das ist ja auch „kein Kunststück“.) Das „Ferienhaus“, so simpel es aussieht, ist natürlich eine vertrackte Sache, aber ein Nicht-Spezialist wie ich muss da vor gewissen Bezügen sowieso kapitulieren.
Frage: Gibt es ein Honorar? Und vor allem: Kann man in dem Haus eine Nacht verbringen?
Herzlich,
Jochen Jung

15.02.2013, 9:45
Lieber Herr Jung,
einen Termin für die Öffnung des Hauses – und die Antwort auf die Übernachtungsfrage – bekommt man bei den zuständigen Leuten vor Ort, da können wir helfen. Und, ja – es gibt ein Honorar. Noch Fragen?
Herzlich,
die Redaktion

18.02.2013, 10:15
Also, liebe Redaktion,
ich nehme Ihre Einladung gern an. Ich würde Sie aber bitten, den Kontakt mit den „Zuständigen“ herzustellen, wg. Besichtigung und Übernachtung.
Herzlich,
Ihr Jochen Jung

18.02.2013, 13:59
Lieber Herr Jung,
es freut uns wirklich sehr, dass Sie zusagen. Am besten schicken wir Ihnen einfach die Kontaktdaten desjenigen, der Sie ins Haus lässt.
Herzlich,
die Redaktion

19.02.2013, 12:48
Sehr geehrte Redaktion,
geht es im März 9. oder 10.?
Beste Grüße,
Rafael Jablonka

19.02.2013, 12:56
Lieber Herr Jung,                                              
melden Sie sich bei Herrn Jablonka?
Schöne Grüße,
die Redaktion

20.02.2013, 07:01
Guten Morgen lieber Herr Jung,
steht die Verbindung zwischen Herrn Jablonka und Ihnen? Gibt es einen Termin?
Herzlich,
die Redaktion

21.02.2013, 09:57
Sehr geehrter Herr Jablonka,
wie Sie gehört haben, hat die Redaktion von „Quart“ mich gebeten, etwas über das Ferienhaus für T. von Thomas Schütte zu schreiben, was ich auch sehr gern machen würde.
Wie ich höre, haben Sie das Wochenende 9. / 10. März vorgeschlagen, an dem man mir das Haus öffnen könnte. Meine Fragen dazu sind: Kann ich im Haus übernachten? (Das schiene mir wichtig.) Und ginge es auch in der Nacht vom 8. auf den 9. März?
Ich würde mich freuen, wenn ich auch Sie bei der Gelegenheit kennenlernen könnte, und grüße einstweilen herzlich,
Jochen Jung

02.02.2013, 16:27
Sehr geehrter Herr Jung,
leider kann ich den Termin noch nicht bestätigen. Ich werde mich kurzfristig melden.
Eine Übernachtung in dem Ferienhaus ist nicht möglich.
Mit freundlichen Grüßen,
Rafael Jablonka

02.03.2013, 14:29
Sehr geehrter Herr Jablonka,                               
können Sie mir inzwischen sagen, wann ich das Haus besichtigen kann?
Mit freundlichen Grüßen,
Jochen Jung

05.03.2013, 16:48
Liebe Quart-Redaktion,
es sieht ein bisschen wackelig aus: Ich bin Do / Fr nicht im Haus, am Wochenende drauf auf der Leipziger Buchmesse, am nächsten habe ich Vertretertagung, dann ist Ostern, dann Rauriser Literaturtage, dann ein Handke-Symposium im Theatermuseum – Sie sehen: Nicht nur Herr Jablonka hat so seine Termine.
Herzlich,
Jochen Jung

05.03.2013,16:55
Lieber Herr Jung,
es wäre sehr schade, wenn die ganze Sache scheitern würde … was schlagen Sie vor?
Herzlich,
die Redaktion

05.03.2013, 17:22
Liebe Redaktion,
das Problem liegt ja offenbar bei Herrn Jablonka. Wissen Sie, ob er der einzige mit einem Schlüssel für das Haus ist?
Da ich ja eh nicht im Haus übernachten kann, ginge es eventuell auch an einem Wochentag, aber auch da sind meine Möglichkeiten beschränkt. Es ginge im März nur am 11., 18. und 27.
Könnten Sie ihm einen Stups geben?
JJ

05.03.2013, 17:36
Lieber Jochen Jung,
im Tourismusbüro Telfs sagte man uns eben, dass wir uns an Herr Jablonka wenden sollten – wir werden ihm noch einmal schreiben und informieren Sie, sobald wir etwas Zweckdienliches herausfinden konnten.
Schöne Grüße,
die Redaktion

07.03.2013, 08:55
Lieber Jochen Jung,
Zu Ihrer Information –
Gleich nach unserem Mailaustausch haben wir an Herrn Jablonka geschrieben und erneut bei ihm in Telfs um Einlass gebeten – bis jetzt ist noch keine Antwort bei uns eingelangt.
Wir halten Sie auf dem Laufenden und grüßen einstweilen herzlich,
die Redaktion


12.03.2013, 08:58
Betreff: das Schweigen des Galeristen
Lieber Jochen Jung,
Herr Jablonka meldet sich einfach nicht bei uns.
Jetzt hoffen wir leise, dass er sich bei Ihnen gerührt hat … ja?
Wir würden unter diesen schleppenden Umständen auch den Redaktionsschluss etwas hinauszögern.
Haben Sie einen guten Tag!
Die Redaktion

12.03.2013, 09:30
Liebe Redaktion,
Ich kommentiere das besser nicht, aber ich staune. Jedenfalls hat er sich bei mir auch nicht gemeldet.
Aber Ihr Betreff ist ja ein sehr schöner Titel – darüber ließe sich doch auch was Hübsches schreiben …
Whatsoever,
herzlich,
JJ

12.03.2013, 14:35
Wissen Sie was – das sollten wir / Sie machen!
Schreiben Sie doch darüber, wie Sie um das Haus streunen und keinen Einlass bekommen …


II
Thomas Schütte, 59, Düsseldorf

Natürlich habe ich, noch während die Mails hin und her gingen, versucht, mich über Thomas Schütte halbwegs schlau zu machen, um wenigstens ungefähr zu wissen, mit wem ich es da zu tun bekommen würde. Hübsche Falle, zu sagen, man will nichts Kunsthistorisches, und einen dann zu einem Kunstwerk zu schicken, das bloß so tut wie ein Haus.
Sah von Weitem so aus, als gäb’s da drei Werkgruppen: die Aquarelle, die Figuren, die architektonischen Gebilde. Schwer zu glauben, dass die alle denselben Urheber haben – waren aber alle unter demselben Namen zwischen zwei Buchdeckeln.
Die Aquarelle sind reines Glück, um nicht zu sagen: entzückend. Es reißt einen vor Vergnügen, wenn man in ihnen blättert. Man sieht das Wasser und die im Wasser explodierenden Farbpartikel, man hört, wie sie lachen, und man schaut dabei zu, wie sich in ihnen der Alltag (z.B. ein Ei mit Eierlöffel) wiedererkennt und gleichzeitig verwandelt. Die Farben machen ihn präsent und besonders, proletarisch und karibisch, und so ist auch der leichtfüßige Witz, der da überall um die Ecken kichert.
Dann die Figuren. Erst kleine, puppenhaft gequetschte Modellchen, die unversehens wachsen und Modelle werden und am Ende riesig sind, überlebensgroß, und auf einmal und endlich hat dieses Wort auch etwas mit dem Überleben zu tun. Der Mann im Matsch etwa, der da als Riese mit Wünschelrute vor der Sparkassenzentrale in Oldenburg steht, Schüttes Oma wohnt da gleich um die Ecke: Rettet der sich? Findet er was, wovon auch andre was haben? Wird er überleben? Sowas kann jedenfalls nur einer erfinden, der nicht leicht lebt. Und seine Geister, immerhin so und so oft lebensgroß, die aussehen, als wär der Michelin-Mann unter die Räder gekommen, huu, wie die da damals in Wien herumstanden und aussahen wie Wiener …
Und schließlich das Architektonische. Seltsam. Das ist Architektur, die aussieht wie Architektur, die nie Architektur werden wird, weil der Architekt durch alle Prüfungen gefallen ist und anschließend zwei Flaschen Riesling getrunken hat, um die Welt zu trösten. Denkt man. Zunächst. Es sind Modelle in allen Größen und aus preiswertestem Material, um nicht zu sagen: aus billigstem. Es sind Modelle, aber Modelle von was?
Man muss immer wieder hinschauen, um herauszufinden, warum man immer wieder hinschauen muss, und eine Weile denkt man: weil da irgendwas fehlt, aber was? Oder weil da irgendwas zu viel ist, aber was nur? Es sind Modelle von Bauten, die es vielleicht irgendwann mal geben wird, so wie die Geister Modelle von Menschen sind, die irgendwann mal gelebt haben. Aber dann erfährt man, dass Schütte bereits drei Häuser gebaut hat, oder hat bauen lassen, und dann ahnt man, dass die Geister vielleicht doch noch nicht ausgestorben sind.
Nun ist Thomas Schütte ja nicht der erste Künstler, der auf die Idee mit den Häusern gekommen ist, und in Österreich schon gar nicht, denn in Österreich gab es Walter Pichler, Tiroler übrigens, wenn auch aus dem Süden. Auch er fing eines Tages an zu bauen, in St. Martin an der Raab, im tiefen Burgenland. Jedes Auto hat seine Garage, hat er gedacht, nur meine Plastiken sollen irgendwo herumstehen? Und dann hat er ihnen eben Häuser gebaut, rundherum um das alte Bauernhaus, in dem er selber wohnte. Jetzt hatten alle ein Zuhause.
Es hatte Sinn, und es machte Freude. Und also blieb es nicht dabei, er baute die Häuser für seine Stelen, das Haus auf Syros für die Steine, die ein Freund gesammelt hatte, das Haus neben der Schmiede seines Großvaters, die Passage, und derzeit entsteht posthum ein unterirdisches Museum für einen Sammler in Innsbruck. (Nur das Haus im See ist nie gebaut worden.) Es sind Wohnhäuser für Kunst, die selber kunstvoll sind, aber nicht selber Kunst. Nicht direkt jedenfalls, denn ein bisschen ist ja alles, was ein Künstler macht, Kunst.
Alle Häuser von Walter Pichler stehen in der Landschaft, in der sie gebaut sind, wie dafür erfunden. Als wären sie ein Teil davon. Die drei Häuser von Thomas Schütte, die es schon gibt, sind dagegen kein Kommentar zur Landschaft, sondern eine Behauptung: Hier stehe ich; ich könnte zwar auch anders, aber so gefällt es mir. Hinzu kommt, dass Schüttes Häuser eine ganz andere Mimik haben als die von Pichler. Es steckt eine seltsame Ironie dahinter, was ja nicht dasselbe ist, als wenn sich jemand lustig machen wollte über die Gegend, in die das Haus geraten ist. Oder doch?
Man glaubt zu spüren, dass irgendetwas an all dem nicht stimmt. Jedenfalls nicht übereinstimmt. Mit den Erwartungen, die offenbar auch nicht stimmen.
Und dann steht auch noch alles auf Sockeln. Auf Tischen, die Sockel sind, oder auf Plätzen, Wiesen oder Plateaus, die auch Sockel sind. Und auch die Titel sind so etwas wie Sockel, und außerdem sind sie eine Art Materialapplikation aus Sprache. Und alles sieht so unfassbar anfassbar aus, so sachlich, stofflich, zeugmäßig. In der Welt.


III
Das Haus im Wald

Es geschah in diesem sagenumwobenen Frühjahr 2013, das jeden Winter des neuen und wahrscheinlich auch des alten Jahrtausends in seinen eisigen Schatten stellte, dass ich mich mitten in der Karwoche bei grauer Kälte auf den Weg von Salzburg nach Mösern in Tirol machte, um dort Thomas Schüttes Ferienhaus für T. eben nicht zu besichtigen, sondern nur anzuschauen und anschließend den Text zu verfertigen, den Sie gerade lesen. Herr Jablonka hatte sich bis zuletzt nicht gemeldet.
Ferienhaus für Terroristen hieß das Haus ursprünglich, aber wie ich erfahren hatte, fanden die Ferienhausvermieter von Mösern das gar nicht komisch, denn die Ferienhausvermieter von Mösern kennen ihre Mieter. Die suchen Fewos oder eben ganze Häuser mit netter, friedlicher Nachbarschaft. Darum heißt es jetzt nur noch Ferienhaus für T., und während ich auf der Autobahn durch den Schneematsch fuhr, versuchte ich das T. zu entschlüsseln, und natürlich fiel mir als erstes ein: Touristen. Das war allerdings sehr naheliegend, also überlegte ich weiter und kam dann endlich auf: Thomas. Natürlich, der Meister hatte das Haus für sich gebaut, für wen denn sonst, er war der Terrorist, und er war gerade dabei, mich in die Falle zu locken. Auch Jablonka war natürlich niemand anderer als Thomas Schütte, 59, geb. in Düsseldorf, und das Ganze war nichts anderes als ein abgekartetes Spiel, bei dem auch die Redaktion von Quart  – – –
Eigentlich unfassbar, was einem so durch den Kopf gehen kann, wenn man auf der Autobahn durch Schneematsch fährt. Mann im Matsch, ach Schütte, du hast mich.
Ich entschied mich für: Ferienhaus für Tanja.

Zweimal über die Grenze, dann Tirol, auf Innsbruck zu, an Innsbruck vorbei und hinauf nach Telfs. Und da inzwischen die Sonne sich mehr als durchgesetzt hatte und über der nassen Straße Dunstschwaden wie kleine Geister tanzten und der Himmel blau war wie das Mittelmeer und jenseits des Inns die riesigen weißen Berge ein unfassbares Panorama boten, klopfte mein Herz aufs Heiterste, als ich in Mösern ausstieg. Da war auch die Architektur, die ich zu sehen bekam, so weit so gut, denn ich würde ja gleich ganz was anderes zu sehen bekommen.
Der erste, den ich nach dem Ferienhaus für T. fragte, war ein ungarischer Gastarbeiter, aber schon der zweite, der Chef des Imbiss’, rief, nachdem er erst nichts davon wusste, ich ihm dann aber sagte, dass das ein Künstlerhaus sei, hocherfreut aus „ah, das Terrorischtenhaus“ und wies mir den „Dorfkrug“ und von da gehe es links die Straße hinauf, dann sei ich gleich da.
Links die Straße hinauf war ein monströses Apartmenthaus,bei dem ich immerhin mein Auto abstellen konnte und wo neben dem Parkplatz ein kleines Holzhaus stand, in dem gebrauchte Bücher und allerlei Nippes waren, für einen Euro durfte man sich etwas nehmen. Natürlich muss ein Buchmensch nach den Büchern schauen, und siehe da, zwischen all dem, bei dem es mir um jeden Euro leid gewesen wäre, fand sich auch eine Bibel, die ich, dort stehend, sofort aufschlug, um folgende Stelle zu lesen, Nehemia 3,35: „Tobija, der Ammoniter, stand neben ihm und fügte hinzu: Sie sollen nur bauen! Wenn ein Fuchs an ihre Mauer springt, dann stürzt die ganze Herrlichkeit zusammen!“ Ich warf den Euro in die kleine Spardose und dachte: Jedes Hotelzimmer hat eine Bibel, und dein Auto soll keine haben? Und nahm sie mit.
Die nächsten anderthalb Stunden kürze ich ab. Noch sechs Menschen habe ich nach dem Weg gefragt und bin dabei steile Wege durch den Wald gegangen, was auf 1200 m Höhe meine kurzatmige Lunge mitnahm wie zuletzt vor Jahren der Anstieg auf die Stufenpyramide von Tenochtitlan. Eine Dame meinte, es im Fernsehen gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher, die anderen hingegen waren sich sicher, es nie gesehen zu haben, und einer rief mir zu „ein Terrorischtenhaus, das kann überall stehen“. Ich gab ihm recht und fing schon an, mir den Text zurecht zu legen zu dem Thema „Wie ich einmal das … suchte und nicht fand“. Dann ging ich noch einmal zum Dorfkrug, und die liebenswürdige Bedienerin nahm mich geradezu an der Hand, und zwei Minuten später stand ich vor der ganzen Herrlichkeit.
Wieder musste ich tief Luft holen, diesmal aber, weil ich etwas sah, was ich seltsamerweise nicht erwartet hatte: Schönheit.
Ich sah mitten im Wald ein nicht sehr großes Haus mit flachem Dach auf einem Grundstück, das nur wenig größer war als das Haus selbst. Und dieses Haus stand auf einem in drei Stufen vorspringenden Kupfersockel, und auch das Dach war aus blinkendem Kupfer, und auf dem Dach war ein schräger Kupferschornstein mit ausgeklügelten Applikationen, und unter dem mittelmeerblauen Himmel sah es aus wie ein kleines Kreuzfahrtschiff. Auch die Stämme der Fichten um das Haus sahen aus, als wären sie aus Kupfer, da, wo die Sonne sie beschien, und auch das sah sehr schön aus. Und obwohl man das eine oder andere Auto hörte, war es still, das Lauteste war der tauende Schnee, der von den Ästen fiel. Und kein Fuchs in der Nähe.
Ich ging um das Haus herum, das zwischen Dach und Sockel ganz aus Glas war und das einen Grundriss wie ein Flügel hatte, einer, auf dem die Musik der Stille gespielt wurde. Hinter dem Glas war es fast ganz verhängt mit gefältelten pastellfarbenen Vorhängen, aber eben nur fast, denn im hinteren Bereich, da, wo sich der Grundriss verjüngt, gab es keine Vorhänge, sondern das Glas war knapp mannshoch Milchglas, und auf Zehenspitzen konnte ich einen Blick in den sanitären Bereich werfen und also auch auf das gegen jede Kunstbemühung so rührend resistente Klo. Und: an einem der drei Glastüreingänge waren die Vorhänge aufgezogen, und ich konnte in den Raum hineinschauen. Da war rechts der Kamin, auch schräg, wie sein Schornstein, und davor lagen Filzpantoffeln, links sah ich, wenn ich mich vorbeugte, ein Waschbecken, und geradeaus, in der Mitte des kleinen Raumes, stand nichts als ein Holzstuhl mit kurzen Lehnen, und der sah mich an. Und weil ich nicht hineinkonnte in das Haus, weil Jablonka sich nicht gemeldet hatte, setzte ich mich auf ein sonnenheißes Stück des Kupfersockels und dachte, dass mir die Fotos von diesem Haus, die ich gesehen hatte, gar nichts gezeigt hatten und dass an dieser Stelle jeder Terrorist seinen Frieden finden würde. Ja, dieses Haus ist Thomas Schüttes Friedensangebot an sich selbst, dachte ich.
Ich schlug noch einmal in meiner neuen alten Bibel die Stelle bei Nehemia auf und sah, dass es da um den Wiederaufbau der Stadtmauer von Jerusalem geht und dass sie anschließend das Laubhüttenfest feiern, zum ersten Mal wieder seit langem. „Und alle waren glücklich und voller Freude.“
Als ich dann zu dem Parkplatz zurückging, auf dem mein Auto stand, und mir die Sonne ins Gesicht schien, jetzt, kurz vor Ostern, ging mir noch durch den Kopf, dass die Welt wirklich ein seltsames Gemisch ist aus Berg und Tal, Frieden und Unfrieden, Kunst und Unkunst, und grad, als ich in mein Auto steigen wollte, schaute ich auf und sah auf einem der obersten Balkons des riesigen Apartmenthauses einen splitternackten Mann, der sich seinen Liegestuhl zur Sonne richtete, und es schien mir, dass er mir von oben zublinzelte.
Jablonka?

 

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