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Bungalows in Bologna

Die zwei besten Frontmänner seit Generationen, einer in Mode und Zeitgeist gebadet, der andere in Pop, Austropop und speckige Jacken gewandet. Der eine riecht vermutlich selbst nach über zwei Stunden Schönbrunn-Konzert noch gut, vom anderen erwartet man Eau de Rock’n’Roll. Der Musikjournalist David Baldinger beschreibt mit Hilfe zweier Bands, die aus konträren Ecken dasselbe Ziel anpeilen, den Soundtrack zur zwiespältigen österreichischen Seele, zwischen Fernweh und Heimweh.

Sieben Jahre oder ein ganzes Teenagerleben lang liefern Bilderbuch und Wanda nun schon ganz unterschiedliche Soundtracks österreichischer Identitätsstiftung abseits von schambesetzter Politik und Kulturwelten von gestern. Beide stehen im Jetzt. Am Anfang waren beide Teil des sogenannten österreichischen Pop-Wunders. Vom Wunder ist keine Rede mehr, alles wird irgendwann normal, auch zwei Ausnahmen. Während andere in gepflegtem Vorabendserien-Deutsch, als Proto-Berliner Aggro-Rapper oder mit dem Soul von Physikprofessoren in seichten Klischee-Teichen fischen und gängige Posen bedienen, haben Bilderbuch und Wanda ihre eigenen Welten erschaffen. Und das ist Pop im klassischen Sinn: ein catchy Dialog mit dem Hier und Jetzt, der sich reibt, der träumt und trivialisiert. Songs als Abziehbilder und Blaupausen von Realitäten und Fantasien, die – auch – mit Österreich-Bildern kokettieren und damit zwei Routen durch verwirrende Zeiten signalisieren. Zwei Bands als Mozartkugeln, als Repräsentanten eines österreichischen Gemüts. Denn die beiden stehen für Österreich und sind so etwas wie zwei Teile eines Puzzles. Zwei Seiten einer Double
A-Side: kulturelle Qualitätsmarken aus der Manufaktur Austria. Und sie spiegeln auch ein zerrissenes Naturell.

Intro

Kritik und auch Popkritik verehrt das Binäre. John Lennon liebt Kunst, Avantgarde und das Wagnis. Paul McCartney schreibt süße Melodien. Punkt. Am Hafen in Liverpool wäre Lennon in See gestochen, McCartney nach Hause gegangen. Ein solch frivoles Pendeln zwischen gegensätzlichen Polen scheint auch ein prägender österreichischer Grundgemütszustand zu sein. Man laviert und oszilliert. Zwischen Leberkas und Sacher. Zwischen Vorarlberger Gründergeist und Wiener Raunzen, Berg und Tal, Sieg und Niederlage, Stadt und Land, Triumph und Gruppenaus. In diesem fiktiven, weil lediglich ge- und beschriebenen, Pop-Dualismus stehen Bilderbuch in der einen und Wanda in der anderen Ecke. Bilderbuch: innovativ, offen, Schönbrunn. Wanda: konservativ, poppig, mit einem Fuß im Bierzelt. Hier die modebewussten Optimisten mit Perspektive, dort die mit dem Versifften kokettierenden Poeten – Wiener Vorstadt-Schmuddelkinder.
Ein „Battle of the Bands“ mit medial schnell und klar verteilten Rollen. Bilderbuch sind die schönen Dandies, künstlerische Freigeister, die auch in Berlin die Trends setzen, avantgardistisch, schräg, poppig. 1-A- Feuilleton-Material. Das sind Wanda auch, aber in der ihnen angedichteten und zugeschriebenen Rolle. Als fasziniert bestaunte Wiener Institution. Irgendwie dreckig, irgendwie echter und räudiger als Bilderbuch. Ein „Relikt“ und Rock-and-Roll-Wiedergänger, der mit Slim Fit oder übergroßen, neckisch-ironischen Sonnenbrillen gar nichts zu tun haben will – und schnell gelernt hat, dieses Gossen-Image zu bedienen. Irgendwie kaputt – zweifellos geliebt. Die Liebe zu Wanda scheint inniger und feuriger als jene zu Bilderbuch. Vielleicht weil die Band eine Lebensweise feiert, die heute gern negiert wird. Das schafft Lust. Der Hedonismus und die Lethargie, das Halbseidene, das Besoffene und das Schludrige – Bilderbuch würden nie „I Am From Austria“ singen. Wanda könnten es anstimmen. Von außen betrachtet segelt die Band rund um Marco Michael Wanda – oder fischt in ihrem Fall – in stehenden Gewässern. Als Charles Bukowski des österreichischen Pop-Wunders. Für manche waten Wanda schon in verdächtig retro-patriotischen Tümpeln. Wanda sind wie Helmut Berger oder Hanno Pöschl im Vergleich zu Bilderbuchs Oskar Werner. Bilderbuch dagegen haben und pflegen Manieren. Hansi Hölzl ist die Schnittmenge der beiden, ein Hallodri in feinem Zwirn und nicht umsonst schillernde Österreich-Figur bis heute. Falco ist eine Gemeinsamkeit von vielen, die nonchalant übersehen werden. Weil die Story ja nicht ist, dass sich da zwei junge Gruppen mit Jahrzehnt-Potenzial auch ähnlich entwickeln. Erzählt wird, was kracht.

Strophe 1

Wo siedeln die beiden Bands ihre Songs an, wo leben ihre Figuren und wie? Welche Beziehungen besingen sie? Welches Selbstverständnis wird so skizziert? Bilderbuch beschwören das OM, singen „Gib dir mehr Zeit für Dich“ und cruisen im nächtlichen Taxi durch eine Stadt, die zwar wohl Wien ist – aber nicht sein muss. Hinter der Hippness steckt in der Bilderbuchmusik auch immer schon die Aufforderung zur Muße und zur Ruhe inmitten des Strudels.
Wanda dagegen hetzen. Immer in Wien – „weiter, weiter“. Bilderbuch streben nach vorn, wo immer das auch liegen mag. Dagegen beschwören Wanda den stationären Rausch als alternatives Faktum. Ihre Texte spielen mit der Faszination des Rotlichts oder dem Rotlicht als Leuchtturm. „Ich leb so viel wie du in einem Jahr an einem Tag“, singt Marco Michael Wanda – Rausch, Rausch, Rausch. Wer seine Band nach einer legendären Wiener Prostituierten benennt, der weiß, was er tut. Zwei Entwürfe zwischen Rausch und Muße.
Wandas Erzählungen bestehen aus Worten, die als Essenzen kleiner Mikro-Wahrheiten daherkommen, denen keiner widersprechen kann. „Ich seh Dich gern von links an.“ Viele tun das. Alle anderen können es sich vorstellen, weil sie die Perspektive von rechts kennen. Oder „Ciao Baby“:

„Manchmal denk ich alles schwer
Manchmal lach ich umso mehr
Manchmal geht sich alles aus
Manchmal geb’ ich alles auf
Alles schaut so gut aus
So dass man es fast glaubt.“

Bilderbuch pinseln lieber abstraktere Wortgemälde.

„Wir sind Skoda-Crash-Stuntshow
Highlife im Bungalow
Snacks für die Late-Night-Show
By the rivers of cashflows, rivers of cashflow.“
(Bilderbuch, Sprit N’ Soda)

Gleichzeitig blinzelt nicht nur im Albumtitel „Mea Culpa“ die katholische Vergangenheit der Band hervor. Christus, Religion, katholische Schwere – all das spülen Bilderbuch immer wieder an die Song-Oberfläche.

Hier die ranzige Wanda-Lederjacke, dort der passgenaue knallgelbe Maschin-Handschuh. Zwischen diesen Accessoires liegen, poetisch gesprochen, Welten des Versagens, der Ängstlichkeit – ein emotionales Feld, das Wanda regelmäßig mit Hymnen auf das ehrliche Scheitern bestellen. Mei potschertes Leben – solang das Herz sitzt – passt. „Weiter, weiter. Immer weiter brauche ich mehr und mehr und immer leichter wird es schwer und schwer und alles wirft mich aus der Bahn.“
Auf dem letzten Wanda-Werk „Ciao“ findet sich ein Song namens „Swing Shit Slide Show“, er markiert die zentrale Stelle, genau in der Mitte des Albums. Ein potenziell wichtiger Song, jedenfalls so angelegt. Trotzdem sagt Marco Wanda lachend: „Die Nummer funktioniert nicht.“ Dieses Scheitern in Würde und Selbstverständlichkeit macht Wanda sympathisch. Scheitern spielt auch bei Bilderbuch eine Rolle, wenn auch anders. Bei der Veröffentlichung von Magic Life 2017 spricht Sänger Maurice Ernst von der Möglichkeit, als Band zu scheitern, und von privater und gesellschaftlicher Verunsicherung, die diese Zeit charakterisiert habe. Das Erfolgsalbum Magic Life war auch ein Anker, von dem nicht klar war, ob er Halt gibt. Ein Risiko, weil die Glamour-Rüstung abgenommen wurde und es persönlicher wurde. Bungalow leuchtete aber so hell, dass von latenter Orientierungslosigkeit nur mehr wenig zu hören war. Scheitern, planen, aber nicht verwirklichen – österreichisch. Da harmoniert das kakanische Unterbewusste mit den Schwingungen der beiden Bands.

Refrain 1

Große Bands stürmen und drängen. Einmal abgegraste künstlerische Weiden werden zurückgelassen, der Hunger bleibt. Dieses Attribut wird gern Bilderbuch zugeschrieben. Als feinsinnige Innovatoren und Tüftler stehen sie dann neben den groben Wanda-Buben. Das ist eine Lesart, die sich durchgesetzt hat. Aber anders als Bilderbuch auf „Vernissage My Heart“ und „Mea Culpa“ treten Wanda auf „Ciao“ gegen alle Erwartungen an. Es ist eine Platte mit Tempo und Melodie, Rage und Ärger, Wut und Wiener Lethargie. Besser denn je inszeniert, musikalisch vielfältiger. Besser im Sinn von gereift, selbstreflektierend.
Bilderbuchs musikalische Glasur bleibt verlockend süß und mittlerweile vertraut. Der Kern aber wird stets komplexer und verschachtelter – in Musik und Text. Waren es zu „Schick Schock“-Zeiten noch Songs so bunt und prägnant wie Plakat-Slogans, füllen mittlerweile sensibel-zarte Poesie und leise Töne die Fläche. Wanda bleiben formattreu. Bilderbuch laden pompös zur Vernissage – gezeigt werden Bilder hemmungsloser Experimentierfreude. Die einen im gelben Lamborghini, im Bungalow mit Marmorbad. Die anderen pfeifen auf das Haus am Land – und wollen – Scheiß-drauf far niente – „zum Himmel fahren, so schnell es geht“.

Strophe 2

Be here now – eine Gegenwart nur im Jetzt gelingt den Wenigsten. Bilderbuch holen sich Orientierung im Morgen, Wanda im Gestern. Bilderbuch denken in Projekten, in Saisonen, wie bei einem Modelabel. Ein neues Album ist nicht nur ein akustischer Neu-Entwurf, es ist immer auch eine Identitätswandlung, eine neue Schicht, die angelegt wird, neues Vokabular, ein neuer Style. Schon Feinste Seide war für die Band „ein Projekt“ – eine Versuchsanordnung. Wasserstoffblonde Haare, ein Swimmingpool, alles planscht im Versuchsbecken. Musikalisch ging es für Bilderbuch von Franz Ferdinand über The Strokes, Talking Heads und Roxy Music zu Soul: Prince, Al Green, über Stevie Wonder zu Kanye West. Ein Jay-Z-Konzert in Zürich wird zum Schauplatz des ersten Treffens zwischen dem künftigen Schlagzeuger Pille, Mike, dem Gitarristen und Maurice, dem Sänger. Im Radar aller: Weiterbewegung, kein Stillstand, es drängt zu neuen Positionen. Überspitzte Statements („Mein Schwanz so lang wie ein Aal“) schärfen die Konturen, sind reizvoll und Pop, wie er immer war. Sexyness war das große Anfangsthema – das Biedermeier auszufegen und rotzig neue Posen einzunehmen – große Entwürfe, wie auch Falco sie skizzierte. Wenn es zu clean wird, dann „suchen wir Dreckfarben für unseren Malkasten“ und sind wieder happy, meinte Maurice Ernst 2014. Bilderbuch tänzeln (wo Wanda schunkeln), weil die aktuelle Position nie zur Raststätte werden soll. Die Band wirkte schon 2014 wie Ingenieure ihrer Musik. Fasziniert von Produktionstechniken und neuen Sounds, gelangweilt und abgestoßen von gesättigten Erfolgsmustern, die zu ausgefransten Blaupausen werden. „Es gibt nichts, was mich in der deutschsprachigen Musik im Moment kickt“, sagte Gitarrist Mike. Logische Schlussfolgerung: selbst machen. Kicks!
Wanda denkt nicht in Projekten. Wanda hatte einen Plan, und der wurde zur Erfolgsroute. Wandlung, Häutung, Kostümwechsel – nicht mit Wanda. „Ich bin kein Konzeptkünstler. Ich hab’ nicht an einer Kunstfigur gearbeitet – das sollen die narzisstisch Persönlichkeitsgestörten machen, sich selbst neu erfinden, oder so einen Schwachsinn.“ 2019 singt Wanda „(…) alle, die mir zuhören, tun das Einzige, das man tun kann – Man kann zuhör’n. Aber nix kann man reparieren. Nix kann man reparieren.“ Man ist, wer man ist. Full stop. „Ich quäle mich nicht und reflektiere das alles, das ist ja geistesgestört.“ Um Erfolg ging es Wanda nie. Sagt Wanda. „Es geht nicht um Anerkennung, sondern darum, Musik zu schaffen, die den Menschen etwas bedeutet. Eine Band ist nur so gut, wie blind sie gegenüber dem Erfolgsdruck ist. Sobald wir den Erfolgsdruck spüren, sind wir weg, das weiß ich. Deswegen scheiß ich auf den Erfolgsdruck.“ Wanda zuckeln gemütlich und gedankenverloren auf einem Kreuzer Richtung Sonnenuntergang, Wien im Rückspiegel, italienische Fantasien als Sehnsuchtsort. Das gut geölte Koordinatensystem des österreichischen Mittelstandes für viele Jahre. Vertraut und eng verwoben mit kultivierten Projektionsflächen. Ein Entwurf, der trägt. Ob das etwas mit Nostalgie zu tun hat, mit dem Wunsch nach Komplexitätsreduktion und einer Flucht in ein Gestern, das im Rückspiegel immer goldener schimmert, als es je war? „Austropop war die rebellischste und aggressivste musikalische Bewegung, die unser Land jemals erlebt hat.“ Marco Wanda ärgert die Frage. „Nostalgie kann etwas Schönes sein. Ich bin nicht nostalgisch, mir ist das egal.“
„Wir wollen keine aufgewärmte Suppe. Man könnte jetzt auch noch mehr Mundart machen und könnte ein Gefühl bei den Menschen triggern, das ihnen Sicherheit suggeriert“, meinte Ernst beim Release von „Magic Life“. „Endlich wieder so etwas wie damals. Das ist gut. Tradition, juhu. Das ist der Grund, warum Seiler & Speer, Wanda, Voodoo Jürgens und Granada besser funktionieren. Es hat keinen anderen Grund. Das Eingeständnis zum Dialekt, das Eingeständnis zur Tradition, das ist nichts anderes als der Bungalow, nur, dass wir spielerisch damit umgehen und die Opfer dieses Moments sind, künstlerisch gesehen. Und das will ich nicht. Ich will kein Opfer sein, ich will damit umgehen und den Moment spüren. Ich will den Moment kanalisieren. Und wenn das dann mit mir selbst zu tun hat, dann ist das nur ehrlich, weil der Punkt ist, ich bin verunsichert, so wie jeder andere.“
Bilderbuch verdauen den Zeitgeist, Wanda treffen ihn. „Wir sind nicht nur dazu da, Dir permanent den Kopf zu kraulen“, meint Maurice Ernst. „Magic Life“ war für ihn eine Platte voller Anspielungen auf soziale Unsicherheiten, auf symbolisch aufgeladene Vergänglichkeit. „Einerseits wollten wir nur Musik machen und uns an den Höhen der Kunst erfreuen. Andererseits hatten wir das Gefühl, als müssten wir Stellung beziehen. Das haben wir auf unsere Weise gemacht. Nicht ganz konkret politisch, aber wir haben mit diesem Gefühl im Bauch Musik gemacht.“ Zwei Jahre später verteilen Bilderbuch bei den Konzerten in Schönbrunn Flyer mit einem Aufruf, zur anstehenden Europawahl zu gehen. Sie beziehen Stellung.

Refrain 2

Bilderbuch träumen von Gibraltar und New Mexico, Wanda hängen im Café Kreisky ab. Vielleicht ist die Reibung zwischen den Bands auch eine zwischen Heim- und Fernweh. Zwischen einer Herkunft, einem Zentrum und dem Umgang damit. Wie zwei Magnete, deren Pole sich abstoßen – aber auch anziehen können. „Wir reagieren immer auf uns selbst“, sagt Maurice Ernst. Die eigene Band als Perpetuum Mobile, mit offenen Sensoren durch die Welt navigierend. Wanda reflektieren sich auch selbst, docken verbal an das eigene Gestern an. Aufbruch und Lust an der Bewegung ist aber nicht Motivation. Gestorben wird hier immer noch in Wien. Bilderbuch dagegen müssen weg, „Du weißt, ich muss weg, ja, Du weißt, der success, ja“, heißt es in „Erzähl’ Deinen Mädels, ich bin wieder in der Stadt“ – schon der Titel eine Ode an die Flüchtigkeit, an Bewegung und nur temporären Aufenthalt.
Wanda appelliert an die österreichische Selbstvergessenheit. Bilderbuch an die weite Welt. Wanda hat Chuzpe, als ob das Leben einem jeden Tag etwas schuldig sei. Die Band trägt das Wienerisch Verträumte, das Trotzige und Zärtliche, das Kranke und die Genusssucht in sich. Am Ende doch lieber eine rauchen, anstatt gesund zu leben. Glück im zweiten Hieb. Mit Wanda kann und muss man auch gemeinsam altern. Weniger Haare, mehr Bauch, auch mehr Reife. Bilderbuch traut man zu, ewig jung bleiben zu wollen. Wanda lassen einem keine Möglichkeit. Und stellen sich und ihr Altern aus. Eine Band mit Jahresringen, mit eigener Geschichtsschreibung aus Fetzen des umfangreichen Rock’n’Roll-Archivs. Im Mittelpunkt, immer, wie in jedem Rock and Roll Fantasia: die Beatles. Ewige Sonne, ewiger Nordstern, ewiger Himmel des Pop. Auch da treffen sich Bilderbuch und Wanda dann wie stehen gelassene Weinflaschen im Songkeller der Fab Four.

Middle 8

Middle 8 – der Moment in einem Song, wo sich alles drehen könnte, wo an der Tonleiter geschraubt wird. Wäre die Middle 8 ein Film, es wäre die Sequenz, wo man kurz doch noch zweifelt, ob nicht doch der Gärtner, etc. … dann kommt die Auflösung und alles ist sweet love. Am Ende sind auch Bilderbuch und Wanda auf dem Weg zum gleichen Ziel. Sie sind sogar von ähnlichen Orten aus gestartet, um dann zwei unterschiedliche Abzweigungen zu nehmen. Beide sind erzählende Bands, die Geschichten und die eigene Geschichte verweben und in Songs und LPs abpacken. Wenn eine Band Emotionen und seelische Verfasstheiten kommuniziert, Posen einnimmt oder Verrenkungen des emotionalen Gerippes vollführt, die der Hörerschaft vertraut sind, dann spiegelt sich das und ergibt eine sexy Projektionsfläche, in die sich das Publikum verliebt. Dass sie Projektionsfläche sind, ist beiden Bands bewusst. Wanda malt in den Primärfarben und immer noch figurativ, wenn auch mittlerweile psychedelische Skizzen dabei rauskommen. Bilderbuch geben sich einmal als Impressionisten, dann als Dadaisten, dann sind sie begeistert von Video-Installationen. Sie flirten. Bilderbuch ist der Flirt, Wanda die Lebensfrau. Konstanz und Verlässlichkeit vs. verschmitzte Romantik. Da spielt auch die Stadt / Land-Spaltung hinein, wenn auch schräg oder gar spiegelverkehrt. Die Städter Wanda erträumen sich Idylle und die ländlichen Klosterschüler werden zu den hipperen Städtern.
Beide denken auch bewusst dramaturgisch in Alben und in Spannungsbögen und Statements. Beide sind Slogan-Bands. Dass fm4 Sticker mit Kurzbotschaften von beiden macht, sagt alles. Bussi. Sweet Love.
Und Falco. Überhaupt. Mindestens eine Pop-Generation nach Junge Römer singen Österreichs größte Bands selbstverständlich auf Deutsch, Englisch und / oder Italienisch. Beide frönen der in Österreich gepflegten Tradition des innigen Flirts mit der deutschen Sprache, damit, sie umzuformen, ihr eine Seele einzumassieren. Marco Wanda verbrachte Jahre als Sprachkunst-Student an der Universität für Angewandte Kunst, bevor er zum Sänger wurde. Auch in Maurice Ernst hört man Echos von Artmann und Jandl. Beide kokettieren mit dem Trivialen. Auch wenn es Kunsttexte sind, machen sie Alltag und emotional Vertrautes erlebbar. In der Herangehensweise dann wieder eine Kluft: Bilderbuch entwerfen Welten, Wanda sind bodenständige Tischler. Beide wirken von außen mit ihrer Berufswahl glücklich. Innenraumarchitekten sind beide – menschliche Innenräume loten beide aus: die einen viszeral, fleischig und blutig, die anderen feingliedriger, verkopfter, leichtfüßiger. Wenn bei Bilderbuch vs. Wanda ein Vergleich herangezogen wird, dann Blur vs. Oasis. Es gibt ja auch genügend Gemeinsamkeiten. Besser passen würde aber die Beziehung zwischen den Beatles und den Stones – man respektiert sich und kommt sich nicht ins Gehege. Es regiert die friedliche Koexistenz. Marco Wanda singt in der Zwischenzeit auch englisch. Und Maurice Ernst benutzte gar kürzlich „0043“ als Österreich-Kürzel. Das kann Chuzpe, aber auch eine Respektbekundung sein.

 

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