zurück zur Startseite

Öl Farben Landschaft

Rens Veltman hat für die vorliegende Ausgabe von Quart den Umschlag und die folgenden Bild-Doppelseiten gestaltet. Er taucht dabei in die Tiefen der Ölmalerei ein und lässt sie zur Skulptur werden. Anette Freudenberger über eine Möglichkeit, das Leinwandbild neu zu sehen.

1890 verkündete der französische Maler Maurice Denis, Mitbegründer der Künstlergruppe Les Nabis, ein Bild sei, noch bevor es irgendetwas darstellt, „im Wesentlichen eine plane Fläche, die in bestimmter Ordnung mit Farben bedeckt ist“. Dieser Ausspruch wird immer wieder zitiert, um die Bedingungen des Mediums Malerei als Zusammenspiel von Flächigkeit, Farbmaterial und Anordnung zu definieren. Von nun an konnte der Bildgegenstand in seiner Bedeutung hinter den rein bildnerischen Mitteln zurücktreten. In der aktuellen Kunst lässt sich die Frage nach den Verfahrensformen der Malerei nicht mehr am Bild allein festmachen. Vielmehr werden andere Faktoren, soziale, ökonomische und technologische mit einbezogen. Wie verhält sich das Bild, das einerseits eine räumliche Illusion erzeugen kann, andererseits als plastisches Objekt selbst Raum einnimmt, zu eben diesem Raum? Wie ist er strukturiert, mit wem oder welchen Dingen wird er geteilt? In welchen Netzwerken zirkuliert das Bild und vor allem in welcher Datenform?

Für Quart fotografiert Rens Veltman abstrakte Malerei mit einem Makroobjektiv. Die Aufnahmen zeigen nicht die Bilder, sondern Ausschnitte, ungewöhnliche Perspektiven aus extremer Nähe: pastose „Farblandschaften“, die seltsam unbewohnt erscheinen, wie Kulissen nach einer Aufführung, stillgestellt im Moment der Aufnahme. Die Ölfarben werden ungemischt auf die Leinwand aufgetragen, hier erst treffen sie aufeinander, ziehen aneinander vorbei oder verbinden sich, sowohl im plastischen Material als auch im Auge der Rezipienten, denn was aus der Ferne womöglich zu aleatorisch, zu unorganisiert wirkt, entpuppt sich von nahem als Akkumulation unterschiedlichster leuchtender Farben, die man immer noch präzise auseinanderhalten kann. Dunkle Biotope mit bunten, schillernden Schlieren, aus denen sich einzelne Formen, Verdickungen, Wülste und Grate herauslösen, die dramatische Schatten auf Täler und Ebenen werfen. Immer wieder reißt die Farbe auf und zeigt darunterliegende Schichten. Die dynamischen Spuren und Abdrücke der malerischen Geste werden im Streiflicht theatralisch inszeniert. Der Eindruck täuscht allerdings, denn der Farbauftrag erfolgte mit kleinem Spachtel oder Pinsel, also eher kontrolliert aus dem Handgelenk, als aus einer expressiven Armbewegung heraus ausgeführt. Es geht demnach um die Objektivierung des Vorgangs.

Betrachtet man die skulpturale Qualität des Farbkörpers und die fotografischen Eigenarten der Abbildungen, wird einmal mehr deutlich, dass sich Rens Veltman zwischen den Medien bewegt. Statt die Operationsmodi von Malerei, Fotografie und Objektkunst separat zu untersuchen, wendet er sie lieber aufeinander an. Dementsprechend haben die Aufnahmen keinen dokumentarischen Charakter, sondern sind eigenständige Arbeiten für den gedruckten Raum des Printmediums. Sie geben einen Zustand und eine Handlung wieder, die in der Vergangenheit liegen – unwiederbringlich, denn die Bilder, die man auf den Fotografien zu sehen glaubt, existieren gar nicht in dieser Form. Sie wurden nacheinander auf demselben Bildträger gemalt, der mehrfach überarbeitet wurde, um sie als Bildstrecke reproduzieren zu können. Die gemalten Vorlagen sind nie ganz zu sehen, dafür liefern die Makroaufnahmen aber mehr Information über die Beschaffenheit der Faktur. Veltman zoomt die Bildoberfläche so nah heran, wie man ihr in einer Ausstellungssituation vermutlich niemals käme. Man kann die satte, noch feuchte Ölfarbe fast riechen. Teilweise ist ihre Topografie jedoch in verschwommenem Nebel versunken. Der Fokus auf die Details geht mit einer partiellen Unschärfe der Aufnahmen einher. Damit tritt die Bedeutung von spezifisch fotografischen Qualitäten, wie Lichtführung, Belichtung, Bildausschnitt, Tiefenschärfe und die Position der Kamera in den Vordergrund. Mit einem Mal wird auf diesen Fotos wichtiger, wie die malerische Aktion inszeniert wird, als was dort abgelichtet ist, nämlich ein abstraktes Bild.

Malerei wird heute überwiegend auf Abbildungen betrachtet. Ein Bild kann auf allen möglichen Oberflächen auftauchen. Die Leinwand, die für Maurice Denis noch grundlegend war, ist nur ein möglicher Träger unter vielen. Wesentlich häufiger existieren Bilder in digitaler Form. Aber wo genau befindet sich diese Form, im Quellcode, auf dem Server oder dem Bildschirm? Auf den Übertragungswegen von Malerei in andere Medien gehen zwar viele Details verloren, wie Materialität, Haptik oder Farbqualität, auch die Möglichkeit, die Distanz zum Bild selbst zu bestimmen, aber es kommen neue Eigenschaften hinzu. Wenn man die Malerei „rein“ halten wollte, was längst obsolet ist, müsste man tatsächlich bei ihren Grundkomponenten bleiben. Veltman dagegen verbindet seine Materialuntersuchungen mit der Fotografie. Ihn interessiert nicht die Totalität des einzelnen Bildes, sondern Verknüpfungen. Alle Arbeiten des Künstlers – der auf erstaunlich vielen Gebieten zu Hause ist (Medienkunst, elektronische Kunst und Robotik, Zeichnung, Malerei und Fotografie) – kann man als Versuchsanordnungen betrachten, die dazu dienen, das Verstehen zu verstehen.

2020 hat sich Veltman eine Maschine zur Produktion von Ölfarben zugelegt, die aus Pigment und diversen organischen Ölen (wie Leinöl, Walnussöl, Distelöl etc.) Farbe emulgiert. Mit der Maschine der Marke Exakt betreibt er Grundlagenforschung zur Malerei und darüber hinaus. Ölfarbe ist ein hochwertiges, vielseitiges Material, das sich auf unterschiedlichste Art über einen längeren Zeitraum hinweg verarbeiten lässt. Es ist elastisch, viskos und modellierbar. Die oberflächliche Trocknung mag nach ein paar Tagen beendet sein, abgeschlossen ist die Oxidation selbst nach Jahrhunderten nicht. Für gewöhnlich kommt Ölfarbe aus der Tube oder aus einem Eimer, dem Gebinde. Das war aber nicht immer so. Zunächst musste ein geeignetes Behältnis erfunden werden. Es war eine einfache Tube, die die Malerei revolutionieren sollte. 1841 meldete John Goffe Rand, ein amerikanischer Maler, der sich über die ihm ständig austrocknende Farbe ärgerte, ein gefalztes Zinnrohr mit Schraubverschluss zum Patent an. Bis dahin mussten die Künstlerinnen und Künstler die benötigten Farben selbst anrühren. 1851 wurden die ersten Farbtuben der britischen Firma Windsor & Newton auf der Weltausstellung in Paris vorgestellt und begeistert aufgegriffen. „Ohne die Tubenfarbe wären Monet, Pissarro, Cézanne und eigentlich der ganze Impressionismus nicht denkbar gewesen“, befand Pierre-Auguste Renoir.

Die Malerinnen und Maler konnten sich von der auf-wändigen Farbherstellung im Atelier unabhängig machen, die noch dazu gesundheitsschädlich war. Das giftgrün leuchtende Schweinfurter Grün etwa war tatsächlich äußerst giftig, weil es Arsen enthielt. In mehrfacher Hinsicht ist die Tubenfarbe Ausdruck von Emanzipationsbestrebungen, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung einhergingen. Die malfertigen Ölfarben erlaubten es auch, größere Formate im Freien zu malen, statt wie zuvor Skizzen anfertigen zu müssen, um sie zurück im Atelier in „richtige“ Gemälde umzusetzen. Die Praxis, sich aufs Land zu begeben, verweist auch auf ein zunehmendes Selbstbewusstsein des Bürgertums, das einerseits vom industriellen Wachstum in den Städten profitierte, andererseits oder gerade deshalb die Natur verklärte. Für die neue Malerei fand sich mit ihnen auch eine neue Käuferschicht, die mit der Malerei der Pariser Salons nichts mehr anfangen konnte. Die erste noch selbstorganisierte Ausstellung der Impressionisten 1874 richtete sich dezidiert gegen die Salons und die verkrusteten Machtstrukturen, die den Kunsthandel bis dahin bestimmten. Die Ausstellung machte die Impressionisten mit einem Schlag bekannt, unter anderem, weil sie bis in den Abend hinein zu besichtigen war. Die Künstlerinnen und Künstler, die sich in ihrer Malerei so sehr mit Farbwirkungen und Licht beschäftigten, hatten Gaslampen installiert, ein Novum im Ausstellungswesen der Zeit. Das fahle Licht wurde, ähnlich wie das Neonlicht des White Cubes, für ungemein städtisch gehalten, waren doch die Straßen und Lokale und der urbane öffentliche Raum des 19. Jahrhunderts mit diesen Leuchtmitteln ausgestattet. Erwähnenswert ist, dass die Ausstellung im Atelier des Fotografen Nadar ausgerichtet wurde, denn von der Tubenfarbe einmal abgesehen war es natürlich die Fotografie, die einen Paradigmenwechsel in der Malerei herbeiführte.

Mehrere Aspekte können im Zusammenhang mit dieser historischen Position für die Betrachtung von Rens Veltmans Kunst fruchtbar gemacht werden: die analytische Auseinandersetzung mit Farbe durch die Impressionisten und ihr Verhältnis zur Fotografie und zum Atelier. Immer wieder hat Veltman sich nämlich diesem ebenso idealisierten wie umstrittenen Arbeitsraum zugewendet. Für seine Ausstellung „Loop“ im Ferdinandeum 2014 verlegte Veltman sein Atelier kurzerhand ins Museum und hielt sich dort mehrere Wochen lang regelmäßig auf, um an dem Projekt weiter zu arbeiten. Bereits 2003 hatte er 360°-Ansichten aus über 50 Ateliers von Tiroler Künstlerinnen und Künstlern ins Landesmuseum projiziert und als interaktive Präsentation auch ins Netz gestellt. Das Gebäude befand sich gerade in einer Umbauphase und Veltman nutzte das Vakuum, um den institutionellen Raum für die Künstlerschaft zu reklamieren und nach außen zu öffnen. Damals war die Omnipräsenz des World Wide Web noch nicht in seiner heutigen Ausdehnung zu ermessen. Es war schwer vorstellbar, dass wir einmal alle via Skype, Zoom oder ähnlicher Programme miteinander kommunizieren und mehr oder weniger unfreiwillig schräge Einblicke in unsere Arbeitsräume gewähren würden.

Die neue Bewegungsfreiheit dank der Erfindung der Tubenfarbe im 19. Jahrhundert bezahlten die Malerinnen und Maler mit einer neuen Abhängigkeit. Bis heute sind sie auf die Verfügbarkeit der Instantfarbe angewiesen, selbst wenn sich die Produktpalette erweitert hat, gibt es nur mehr wenige Hersteller, die die genormten Farben weltweit vertreiben. Wem kein Lieferant seines Vertrauens zur Verfügung steht, der bestellt die benötigten Malutensilien bei führenden Onlinehändlern. Dennoch, Gleiches ist nicht immer gleich: Produktionsbedingt können einzelne Chargen minimal voneinander abweichen, Rezepturen sich verändern oder Unternehmen in Konkurs gehen. Schmerzlich bewusst wurde dies bei der Restaurierung von Barnett Newmans Gemälde Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue. Obwohl man eine Farbe derselben Firma mit derselben Produktnummer verwendete, fielen die Ausbesserungen auf den monochromen Flächen deutlich ins Auge. Die Firma hatte zwischenzeitlich die Zusammensetzung verändert.

Inwiefern hat nun Rens Veltman mit dem Besitz der Produktionsmittel etwas gewonnen, außer der Möglichkeit, Farbe günstig und nach eigenem Gusto mischen zu können? Wenn er die Farben selbst herstellt, ist das etwas ganz anderes als beispielsweise bei Balthus, der das Anrühren der Farben zu einem quasireligiösen Dienst an der Malerei stilisierte. Es hat auch weniger mit den Autonomieversprechen von Do-It-Yourself-Konzepten zu tun, sondern ist eher die Reproduktion eines industriellen Vorgangs, den Veltman sich erneut aneignet und nachvollzieht. Damit stellt er seine eigene künstlerische Praxis in Relation zu anderen Formen der Produktion. Die Arbeit an der Kunst ist in komplexer Weise in gesellschaftliche Abläufe in einer globalisierten Welt involviert. Diese Wechselbeziehungen beginnen nicht erst mit dem handelbaren Kunstwerk, sondern mit der Bildung von Referenzsystemen, in denen Produktionsvorgänge ebenso Faktoren sind wie künstlerische Entscheidungen. In der digitalen Kultur regulieren Algorithmen das stetig wachsende Volumen an Informationen, wobei die technische Infrastruktur immer mehr Raum einnimmt. Rens Veltman fokussiert in seiner Arbeit auf die Anfänge solcher Prozesse und macht sie transparent. Genau darin liegt die Leistungsfähigkeit seines Modells.

Zum Bildbeitrag

 

im Heft weiterblättern


Email

registrieren

Ihre Email-Adresse wurde bei uns registriert und zur Liste der Newsletter-Abonnenten hinzugefügt.
Sie erhalten in Kürze ein Bestätigung per Email.