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Hebamme der Umweltbewegung

Die Chemikerin Erika Cremer erfand Ende der 1940er Jahre in Innsbruck die Gaschromatographie. Seitdem können chemische Substanzen auch in kleinsten Mengen nachgewiesen werden. Von Jens Soentgen

Ruhm setzt voraus, dass einem viele großartige Taten zugeschrieben werden. Großartige Taten muss man entweder vollbringen, es reicht aber oft auch, dass andere glauben, man habe sie vollbracht, damit sich Ruhm einstellt. Man muss hier nicht gleich an Hochstapelei denken. Doch die eigenen Verdienste ein wenig zu mehren, scheint vielen notwendig, ja sogar gerechtfertigt. In dieser Kunst sind Männer, wie man immer wieder feststellt, deutlich talentierter als Frauen.
Liest man zum Beispiel die Werke des britischen Chemikers und Schriftstellers James Lovelock, der inzwischen 100 Jahre alt ist und sich als „independent scientist“ bezeichnet,1 dann wird man von der meisterhaften, volkstümlichen Darstellung sogleich eingenommen und immer mehr gewinnt man den Eindruck, dass man es mit einem Universalgenie zu tun hat, der nicht nur exakter chemischer Forscher, sondern auch genialer Erfinder und zu allem Überfluss auch ahnungsreicher Denker ist, der ein grundlegend neues, nie dagewesenes Bild der Natur entwickelt hat.
In seiner Autobiographie Homage to Gaia, die eher Homage to Lovelock heißen sollte, widmet er dem von ihm erfundenen Electron Capture Detector ein ganzes Kapitel. Voller Bewunderung ist er für „this simple device that fits easily into the palm of my hand“2. Es sei „ohne Zweifel die Hebamme der frühen Umweltbewegung“, stellt er fest. „Denn ohne dieses Gerät hätten wir nicht entdeckt, dass chlorierte Pestizide wie DDT und Dieldrin sich über die ganze Welt ausgebreitet hatten.“3 Letztlich scheint er davon auszugehen, dass Silent Spring (Der stumme Frühling), das Urbuch der frühen amerikanischen ökologischen Bewegung, in dem die Biologin Rachel Carson den Einsatz chemischer Pestizide, etwa von DDT, kritisiert, und in dem sie das Bild eines stummen Frühlings ohne Vogelgesang entwirft, ohne sein kleines Gerät keine größere Wirkung gehabt hätte.
Weil es für die Identifizierung von feinverteilten Umweltchemikalien eine Analytik braucht, die weitaus empfindlicher ist als die traditionellen nasschemischen Verfahren, klingt das Statement des britischen Chemikers überzeugend, und Lovelock beeilt sich auch, festzuhalten, dass er drei große Preise für seine Erfindung erhalten habe, den Prize for the Environment 1990, den Volvo Prize 1996 und den Blue Planet Prize 1997.4 Der durchschnittliche Leser wird kaum Anlass haben, irgendeine von Lovelocks Behauptungen in Zweifel zu ziehen, zumal einige seiner Aussagen unumstritten sind. Er hat tatsächlich als Erster, wie er schreibt, die globale Verteilung der FCKW in der Atmosphäre nachgewiesen.
Und dann gibt es da noch berühmte Leute, etwa Bruno Latour, die ihn für ein Genie halten und mit Galileo Galilei vergleichen. Nun soll keineswegs bestritten werden, dass Lovelock ein kreativer Erfinder und Denker ist. Aber wenn man festgestellt hat, dass Lovelocks Gaia-Prinzip eigentlich schon fünfzig Jahre vor ihm und deutlich klarer von dem russischen Chemiker Vladimir Vernadsky erdacht wurde, wird man doch ein wenig skeptisch und überlegt, ob nicht womöglich auch seine Beiträge zur Analytik etwas geringer sind als gedacht. Kritische Literatur zu Lovelock gibt es nicht allzu viel, da seine These so sympathisch ist. Aber immerhin, es gibt ein paar durchaus kritische Schriften, die wichtigste scheint mir die des Atmosphärenchemikers Paul Crutzen zu sein, der zum Beispiel anhand zahlreicher Zitate herausarbeitet, dass zwar Lovelock tatsächlich die globale Verbreitung der FCKW nachgewiesen habe, aber lange insistiert habe, dass von diesen keinerlei Gefahr ausgehe.5
Doch inwieweit Lovelocks Behauptung, seine Erfindung sei die Hebamme der frühen Umweltbewegung gewesen, zu Recht oder zu Unrecht besteht, dazu finden wir auch bei Crutzen keine Hilfe. Wir müssen uns selbst auf den Weg machen in das faszinierende, aber auch sehr weitläufige Reich der Umweltanalytik. Was ist das wichtigste Gerät in diesem Reich? Es ist keineswegs der Elektroneneinfangdetektor, den Lovelock patentiert hat. Was wir aber in allen Labors weltweit finden, ist der Gaschromatograph. Es gibt kein Umweltlabor, ja inzwischen kaum ein Labor für analytische Chemie, in dem kein Gaschromatograph steht. Mit diesem Gerät, heute meist in Gestalt eines großen Kastens, in dem ein langer Schlauch aufgewickelt ist, ist es möglich, winzigste Substanzmengen nachzuweisen, die Gaschromatographie hat die gesamte analytische Chemie revolutioniert und die chemische Umweltforschung überhaupt möglich gemacht. Lovelocks Gerät ist eine Art Aufsatz, den man auf den Gaschromatographen schrauben kann. Es gibt aber viele solcher Aufsätze. Doch das grundlegende Gerät ist immer mehr oder weniger dasselbe. Wollte man wirklich eine Erfindung auswählen, die zur Hebamme der modernen Umweltbewegung wurde, man müsste diese benennen. Keine andere Erfindung hat so viele umweltpolitisch wichtige Daten geliefert. Ohne die Gaschromatographie hätte tatsächlich die DDT-Diskussion einen anderen Verlauf genommen und auch über das Ozonloch hätte man wahrscheinlich anders diskutiert. Von sehr vielen äußerst wichtigen industriellen Anwendungen, von der Erdölchemie bis hin zur Parfümerie einmal ganz abgesehen.
Mit der Erfindung der Gaschromatographie hat Lovelock nichts zu tun, sie wurde von der Chemikerin Erika Cremer in den späten 1940er Jahren vollbracht, und zwar an der Universität Innsbruck.

Erika Cremer, die 1900 geboren wurde und 1996 starb, zählt zu der verschwindend geringen Anzahl Frauen, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts Chemie studierten und anschließend wissenschaftlich tätig blieben. Das war kein einfacher Weg, dabei war ihr die Naturwissenschaft gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn bereits ihr Vater, Max Cremer, war Forscher, er hatte die sogenannte Glaselektrode erfunden, die für die exakte Messung, wie stark diese oder jene Säure oder Lauge ist, auch heute noch eingesetzt wird.
Nach ihrer Promotion 1927 war Erika Cremer lange Zeit ohne feste Anstellung, sie war an verschiedenen Orten immer nur befristet beschäftigt. Am Ende hatte sie vor lauter Verzweiflung eine Stelle in der Bioklimatischen Forschungsstelle in Westerland auf Sylt angenommen. An der Nordsee weht ein rauer Wind, und eines Tages riss ein Sturm so heftig an der Eingangstür, dass sie aus den Angeln flog und der Forscherin auf den Kopf schlug. Sie erlitt eine Gehirnerschütterung und trug eine große Beule davon. Die Kunde von ihrer Beule erreichte Otto Hahn, der die junge Frau von der gemeinsamen Arbeitszeit in Berlin her kannte, und bewog ihn, die talentierte Frau von der sturmumtosten Insel zu retten, ihr ein Stipendium zu verschaffen, damit sie weiter wissenschaftlich arbeiten konnte. Offenbar musste in der damaligen Zeit schon ein Nordseesturm eingreifen, bis sich die Pforten der Naturwissenschaften für eine Frau öffneten. Und von Öffnen kann man eigentlich kaum sprechen, denn dass sie je eine Professur erhalten könnte, wurde von den etablierten Professoren kategorisch ausgeschlossen. Doch es kam anders.
Sie erhielt eine Dozentenstelle für Physikalische Chemie an der Universität Innsbruck und trat diese 1940 an. Sie musste dann freilich noch 19 Jahre, bis 1959, warten, ehe die Universität sie zur Lehrstuhlinhaberin ernannte.
Erika Cremer hatte zunächst, in ihrer Dissertation, über Kettenreaktionen geforscht und schon dabei außergewöhnliche Ergebnisse erzielt, von denen sie später meinte, dass sie durchaus nobelpreisverdächtig gewesen seien. Während des Zweiten Weltkriegs, schon in Innsbruck, hatte sie sich mit den chemischen Verbindungen Ethen und Ethin befasst und über ein neuartiges Verfahren geforscht, wie diese recht ähnlichen Stoffe getrennt werden könnten. In einem Aufsatz für die Zeitschrift Naturwissenschaften, der 1944 erscheinen sollte, hatte sie bereits einen Grundgedanken dazu skizziert, doch die Ausgabe der Naturwissenschaften, in der ihr Artikel stehen sollte, wurde aufgrund der Kriegsereignisse nicht mehr ausgeliefert.

Nach dem Krieg widmete sie sich dieser Frage erneut, diesmal mit ihrem Schüler Fritz Prior (1921–1996), der an einer Mittelschule unterrichtete und sie daher gebeten hatte, ihm ein Dissertationsthema zu geben, das er mit den simplen Mitteln, die dort vorhanden waren, auch wirklich bearbeiten könne. Und tatsächlich: Mit den wirklich einfachsten Mitteln wurde ein ganz neues Analyseverfahren ersonnen. Mehr als einfachste Mittel waren damals ohnehin nirgends erhältlich, weder an der Mittelschule noch an der Universität.
Worum geht es dabei? Wie so oft, bewahrheitet sich auch hier die Einsicht Lichtenbergs, der einst festhielt, „daß die wichtigsten Dinge durch Röhren getan werden. Beweise erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr, ja was ist der Mensch anders als ein verworrnes Bündel Röhren?“
Auch bei der später so genannten Gaschromatographie ist der Kern des Verfahrens eine lange Röhre. Unten bringt man das Gemisch auf, das man testen möchte. Mit etwas Wärme lässt man es verdampfen. Der Dampf durchwandert nun mit dem Gasstrom die Röhre. Anfangs war die Röhre mit Aktivkohle oder Kieselgel beschickt. Auf die Gase, aber nicht auf alle gleichmäßig, wirken diese Substanzen wie ein Hindernis, das sie aufhält, aber nicht festhält.
Die Gaschromatographie ist eine Variante der normalen Chromatographie, die jeder schon einmal gesehen hat: Wenn man auf einen dicken Fleck, der mit dem Filzstift auf ein Blatt Papier gezeichnet wurde, Wasser tropft, dann zieht das sich allmählich ausbreitende Wasser den Fleck auseinander und oft werden dabei verschiedene Schichten sichtbar, unterschiedliche Bestandteile der Filzstiftfarbe. Diese nasse Chromatographie arbeitet nach demselben Prinzip wie die gasförmige, nur ist die Trägersubstanz hier flüssig, dort gasförmig.
Wir können uns das Ganze wie einen langen Marathonlauf vorstellen. In einem dicken Pulk starten die Sportler, aber schon bald zieht sich der Pulk auseinander und eine Spitzengruppe hagerer, gut trainierter Läufer setzt sich ab. Ganz hinten sind die übergewichtigen Tollkühnen unterwegs, die trotz schlechten Trainings, schlechter Blutwerte und dickem Bauch unbedingt mitlaufen wollen, aber schon nach wenigen Kilometern die erste Pause brauchen. Auch sie erreichen am Ende vermutlich das Ziel, nur eben viel später und vielleicht erst mit der Kehrmaschine. Der Vergleich ist nur eine ungefähre Näherung, bei der der Fachmann wohl Einwände haben wird. Immerhin gibt das Bild aber eine grobe Vorstellung. Denn ganz ähnlich kommen auch die schlanken, kleinen Moleküle in dem von Erika Cremer ersonnenen Verfahren als Erste oben an der Röhre heraus. Man kann also auf diese Weise Stoffgemische auftrennen.
Das klingt wenig aufregend. Man gibt unten in die Röhre etwas Unsichtbares hinein, oben kommt etwas Unsichtbares heraus, nur eben gut getrennt. Vergessen wir’s. So etwa dachten und sagten Erika Cremers Kollegen, die ihre Methode für eine Eintagsfliege hielten.
Erika Cremer brachte am Ende der Röhre einen Detektor an, ein Gerät, das ihr zwar nicht sagte, welcher Stoff da gerade austrat, das aber immerhin anzeigte, dass gerade ein Stoff herauskam. Zunächst war dieser Detektor eine Wärmeleitzelle. Damit war bereits alles beisammen, was auch heute noch einen Gaschromatographen ausmacht: ein Rohr und ein Detektor. Die geniale Idee besteht in der Einsicht, dass jeder besondere Stoff eine nur für ihn charakteristische Laufzeit durch die Röhre hat, die man genau bestimmen und an der man ihn erkennen kann. Cremer und ihr Mitarbeiter Prior arbeiteten das Verfahren so weit aus, dass deutlich wurde, dass damit selbst kleine Substanzmengen getrennt und auch auf eine neuartige Weise nachgewiesen werden können. Dies ist insofern ein völliger Paradigmenwechsel, als die klassische Analytik immer der Auffassung war, dass man für eine exakte Analyse gerade viel Substanz braucht.
Heute stehen in allen chemischen Analyselaboren auf der ganzen Welt Gaschromatographen. Die mit Kieselgel gefüllte Röhre ist durch einen sehr langen, sehr dünnen, innen beschichteten Schlauch ersetzt, durch den man ein Trägergas strömen lässt, das die Probe mitreißt. Mit den Gaschromatographen werden die chemischen Substanzen im Tabakrauch ebenso nachgewiesen wie Pestizidrückstände in Bio-Gemüse. Und damit ist auch klar, worin die gesellschaftliche und politische Bedeutung der neuen Technik liegt. Chemische Stoffe, die in der Umwelt unterwegs sind, liegen sehr oft in feiner Verdünnung vor. Mit herkömmlichen Methoden der analytischen Chemie waren sie nicht oder nur sehr ungenau zu identifizieren. Doch mit der Gaschromatographie wurde zum Beispiel die Anreicherung von Pestiziden wie DDT in der Umwelt und in vielen Organismen auch fernab vom Einsatzort nachweisbar. Die rein wissenschaftliche Bedeutung dieser Spurenanalytik ist immens, denn es gibt Chemikalien, die auch in sehr feiner Verdünnung noch Wirkungen entfalten. Auch die kulturelle Bedeutung ist kaum zu überschätzen, denn die publizierten Ergebnisse der Spurenanalytik führten vielerorts zu einem Umdenken, oft zu einer Abkehr von der modernen, technisierten Wohlstandswelt und zur Suche nach alternativen Produktions- und Lebenswegen.

Damit kommen wir auf James Lovelock zurück. Lovelock hielt, wir sagten es bereits, seine Erfindung für die Hebamme der modernen Umweltbewegung. Doch was Lovelock entwickelt hat, war nicht die Gaschromatographie, die man zu Recht so bezeichnen könnte, sondern ein neuer Detektor, der am Ende der Röhre arbeitet. Der Detektor ist wichtig, aber Detektoren gibt es viele. Damit soll nicht gesagt werden, dass dieser Detektor unwichtig wäre – er ist von großer Bedeutung. Und Lovelock machte auch durchaus innovative Messungen, so war er der Erste, der nachwies, dass sich eine bestimmte Substanzgruppe, die FCKW, inzwischen über den gesamten Globus verteilt hatten.
Aber es ist doch etwas anderes, ob man als Erster ein ganzes Analyseprinzip entwickelt hat oder aber nur eine – wenn auch wichtige – Ergänzung dieses Prinzips. Übrigens wurden ähnlich leistungsfähige Detektoren zeitgleich auch in der Arbeitsgruppe von Erika Cremer entwickelt, auch mit demselben Ziel, nämlich Umweltchemikalien nachweisen zu können.
Viele umwelt- und gesundheitsschädliche Chemikalien lassen sich heute mit der Gaschromatographie noch in winzigsten Spuren nachweisen, das heißt, in Verdünnungen, für die es zuvor nicht einmal Worte gab. Heute spricht man von ppm, ppb und sogar ppt, also Teilchen pro Million, pro Milliarde und pro Billion, und kann solche verschwindend kleine Mengen auch wirklich nachweisen. Noch die feinste Menge an Dopingmitteln, Drogen oder Schadstoffen lässt sich nunmehr aufspüren. Natürlich ist auch bei vielen Produktionsprozessen eine genaue Analytik wichtig, um die Qualität zu sichern, und so stehen auch in allen Chemiewerken heute solche Geräte.
Ebenso ist es möglich geworden, Prozesse in der Natur mit zuvor nicht bekannter Genauigkeit zu verfolgen. Die Lehre, dass die Erde ein großer lebendiger Zusammenhang sei, hat durch Messergebnisse der Gaschromatographie wesentlich an Überzeugungskraft gewonnen.
Erika Cremers Entdeckung ist also aus der modernen Naturwissenschaft nicht mehr wegzudenken. Sie selbst hat wenig davon gehabt. Und anders als ihre männlichen Kollegen verfügte sie nicht über Netzwerke, die ihr wichtige Preise zugetragen hätten. Obwohl sie unbestritten die Erste war, die einen vollständigen Gaschromatographen entwickelt hat, wurde den zwei britischen Forschern Archer John Porter Martin und Richard Lawrence Millington Synge, nicht ihr, für Arbeiten zur Chromatographie der Nobelpreis für Chemie zugesprochen. Wohlgemerkt: Die britischen Forscher wurden für ihre eigenen, unabhängig entstandenen und auch sehr wichtigen Arbeiten ausgezeichnet. Man rätselt dennoch, weshalb die Erfindung der Erika Cremer, die unbestritten eine enorme praktische und auch theoretische Bedeutung hat, nicht viel mehr gewürdigt wurden. Noch 2002 erschien in einem englischsprachigen Journal ein wissenschaftshistorischer Aufsatz über die Gaschromatographie, in dem Erika Cremer nicht einmal erwähnt wurde. Auch in einem deutschsprachigen Artikel aus dem Jahr 2010 über den Elektroneneinfangdetektor und die Gaschromatographie hielt man einen Verweis auf die Chemikerin für unnötig.
Um sich in der von Männern dominierten Chemikerwelt zu behaupten, hatte Erika Cremer sich eine Haltung der Bescheidenheit zugelegt: „Du darfst Wissenschaft machen. Du darfst eine männliche Arbeit machen. Frühere Generationen durften das nicht, also, du mußt dafür bescheiden sein.“ Ihre Bescheidenheit schützte sie sicherlich vor Angriffen, aber etwas mehr Geltungsdrang hätte man ihr schon gewünscht. Denn ihre Bescheidenheit verhinderte nicht nur, dass sie reich wurde – anders als Lovelock hat sie sich ihre epochale Erfindung nie patentieren lassen. Ihre Bescheidenheit verhinderte auch, und zwar bis heute und sogar im deutschsprachigen Raum, dass Erika Cremer die Anerkennung erhielt, die sie verdient hätte.
Doch man muss diese Bescheidenheit nicht als Schwäche deuten. Es liegt auch Stärke darin. Ruhm war Erika Cremer offensichtlich nicht wichtig. Dagegen war ihr dies eine wichtig – dass ihre Erfindung zum Wohl der Menschen beiträgt. Und das tut sie tatsächlich wie nur wenige andere Erfindungen aus dem Chemielabor.

1  Was von anderen Naturwissenschaftlern übrigens mit guten Gründen bezweifelt wird, siehe etwa Paul J. Crutzen: Eine kritische Analyse der Gaia-Hypothese als Modell für die Wechselwirkung zwischen Klima und Biosphäre, ursprünglich in Gaia 11(2), (2002), S. 96–103, jetzt auch in Paul J. Crutzen: Das Anthropozän. Schlüsseltexte des Nobelpreisträgers für das neue Erdzeitalter. München: oekom Verlag 2019, S. 175–204.
2    Lovelock: Homage to Gaia. The Life of an Independent Scientist. Oxford University Press, Oxford, New York 2001, S. 191.
3    Lovelock: Homage to Gaia. The Life of an Independent Scientist. Oxford University Press, Oxford, New York 2001, S. 191. (Meine Übersetzung)
4    Lovelock: Homage to Gaia. The Life of an Independent Scientist. Oxford University Press, Oxford, New York 2001, S. 192.
5    Paul J. Crutzen: Eine kritische Analyse der Gaia-Hypothese als Modell für die Wechselwirkung zwischen Klima und Biosphäre, ursprünglich in Gaia 11(2), (2002), S. 96–103, jetzt auch in Paul J. Crutzen: Das Anthropozän. Schlüsseltexte des Nobelpreisträgers für das neue Erdzeitalter. München: oekom Verlag 2019, S. 175–204 (197).


Literatur:
Peter Wöllauer: „Wir müssen leider eine Frau nehmen, denn sie ist von allen Kandidaten die beste“ Erika Cremer und die Entwicklung der Gaschromatographie. In: Kultur und Technik 1/1997, S. 29–33.
Ortwin Bobleter: In memoriam em. Univ.-Prof. Dr. phil. Dr. rer. Nat. H.c. Erika Cremer (1900–1996) 96 Jahre eines Forscherlebens. In: Berichte des naturwissenschaftlich medizinischen Vereins Innsbruck, Bd. 84, S. 397–406.
James Lovelock: Homage to Gaia. The Life of an Independent Scientist. Oxford. Oxford University Press, Oxford, New York 2001
Cremer, E., Moesta, H., Hablik, K.: Zur Anwendung des thermionischen Halogen-Detektors in der Gas-Chromatographie. In: Chemie-Ing.-Technik 38. Jahrgang 1966, Heft 5, S. 580–583 (mit weiteren Nachweisen).
Karl Hübner: Pionier der Umweltanalytik. 50 Jahre Elektroneneinfangdetektor. In: Chemie in unserer Zeit, 2010, 44, S. 86–89.
Paul J. Crutzen: Eine kritische Analyse der Gaia-Hypothese als Modell für die Wechselwirkung zwischen Klima und Biosphäre, ursprünglich in Gaia 11(2), (2002), S. 96–103, jetzt auch in Paul J. Crutzen: Das Anthropozän. Schlüsseltexte des Nobelpreisträgers für das neue Erdzeitalter. München: oekom Verlag 2019, S. 175–204.

 

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