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Brenner-Gespräch (22): „Macht etwas, es spielt keine Rolle was, aber macht etwas richtig!“

So viele Leute fahren über den Brenner, man müsste nur herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch bitten. Nur jetzt gerade geht das nicht. Nicola Weber begab sich darum nach Graubünden und traf den Architekten Gion A. Caminada, der Dörfer aus ihrem regionalen Potenzial heraus weiterbaut und damit einzigartige Orte schafft. Er erzählt, wie Architektur lebendig wird, wie existentiell wichtig genaue Kenntnisse eines bestimmten Ortes sind und warum er die Welt lieber kosmopolitisch als global betrachtet.

Nicola Weber: Es sind ungefähr dreieinhalb Stunden von Innsbruck bis hier herein nach Vrin auf 1448 Meter, zuhinterst im Val Lumnezia. Es fühlt sich schon wie eine Reise an, in dieser Zeit, wo wir so stark auf unser engstes Umfeld fokussiert sind. Fehlt dir das Reisen?q37

Gion A. Caminada: Nein. Ich reise eigentlich nicht unbedingt gerne, und wenn, dann eher im kleinen Umkreis. Ich muss nicht nach Peru oder Japan fliegen. Ich kann mir die Inspiration hier überall holen, in den Gassen, bei einem hitzigen Gespräch oder im leeren Raum. Durch die Betrachtung des Immergleichen lerne ich am meisten.

N. W.: Am Weg hierher kommt man in Valendas vorbei, einem Dorf mit 300 Einwohnern. Dort hast du vor einigen Jahren das „Gasthaus am Brunnen“ revitalisiert. Die Wirtin dort hat erzählt, welch starker Impuls das für das Dorf war. Es ging also nicht nur um den gestalterischen Aspekt des Bauwerks, sondern fast noch mehr um den sozialen, gesellschaftspolitischen Akt für diesen Ort. Was ist dort passiert durch deine Arbeit?

G. C.: Es gab in diesem Ort schon seit vielen Jahren einen Verein, der gegen die Verarmung des Dorflebens aktiv war. Mit dem entstand unter anderem die Idee von einem kleinen Gasthaus mit ein paar Gästezimmern. Schon der Diskurs allein ist ein Generator für die Gemeinschaftsbildung und genau das brauchen die Dörfer – Leute kommen zusammen und diskutieren über ihre Anliegen. Der Standort mitten im Dorf war dazu noch ein echter Glücksfall. Das alte Haus blieb und anstelle des Stalls entstand ein neuer Bau – das Neue und das Alte erzeugen zusammen die Atmosphäre, die wirkende Kraft. Wir haben einen Gastbereich für die Einheimischen gemacht und einen anderen für die Gäste, aber sie können sich treffen, eine Säule ist zugleich Zeichen der Trennung und der Verbindung. Solche Themen interessieren mich: die Frage, was kann Architektur für einen Beitrag erbringen, abgesehen von einem schönen Objekt. Ich glaube, das kann sie dann, wenn sie Strukturen schafft, wo Gemeinschaft entsteht, wo man sich aber auch aus dem Weg gehen kann. Nähe und Distanz sind wichtige Momente jeder Gemeinschaft. Neben der Architektur war noch entscheidend, dass wir einen unglaublich guten Wirt gefunden haben, der wiederum einen hervorragenden Koch, das macht ein solches Projekt als Ganzes interessant.

N. W.: Solche Projekte sind deine typische Art zu arbeiten. Du setzt in Dörfern, die von Abwanderung bedroht sind, mit deiner Architektur sensibel Impulse und gibst ihnen dadurch eine Zukunftsperspektive, stärkst ihre Identität.

G. C.: Architektur kann einen Beitrag leisten. Ich glaube, die Dörfer sterben nie aus, sie verändern sich ständig. Für viele Leute ist der Schwund ein großes Problem, für mich ist es ein Privileg, an einem Ort zu wohnen, wo niemand wohnen will. Es gibt in der Schweiz einige Studien, die prognostizieren, dass in ländlichen Gebieten nur noch Ortschaften über 500 Einwohner oder Ferienressorts eine Chance haben. Das stimmt aus einer ökonomischen Perspektive heraus, sie greift aber zu kurz. In der Pandemie hat sich das Ländliche ja wieder als gut erwiesen und sehr an Beliebtheit gewonnen. Diese Art von Zuwachs gilt es kritisch zu betrachten.

N. W.: Hier in Vrin hast du schon Mitte der 1990er Jahre begonnen, mit sanften Interventionen das Dorf weiterzuentwickeln, Wohnhäuser, Ställe, ein Gemeindehaus … Wurde dieses Engagement immer wertgeschätzt? Es gibt vermutlich auch den Wunsch nach dem Anderen, dem scheinbar Fortschrittlicheren aus der Stadt?

G. C.: Die Leute wollten immer schon eine bessere Welt als die, die sie haben. Eine Romantisierung war vor Ort nie da, das ist eher die Sicht der Städter, die hierherkommen, die wollen, dass es so bleibt, wie es ist. Verständlich, dieses Bild hat sie schließlich angezogen. Die Menschen hier wollten nicht nur das Alte erhalten – ich auch nicht –, man wollte aber auch nicht das aus der Stadt einfach übernehmen, weil es nicht zu uns passt. Was es also braucht, ist ein logisches Weiterdenken, ein selbstverständliches Weitermachen aus dem heraus, was schon da ist. Die Umstände haben sich verändert. Heute ist vieles verfügbar, der Umgang mit diesen Möglichkeiten erweist sich als schwierig. Gefordert ist eine Haltung. Die Kontinuität des Fast-Gleichen fasziniert mich, daran arbeiten wir in Vrin.

N. W.: Dafür braucht es eine Nähe und enge Beziehung zum Ort, eine Wertschätzung dafür. Du bist hier aufgewachsen, deine Familie hat diese Wiesen bewirtschaftet – hast du das selbst so erfahren?

G. C.: Die genauen Kenntnisse des bestimmten Ortes waren etwas ganz Existenzielles in meinem Leben. Wir mussten wissen, wie das Wetter bei der Bewirtschaftung einer Wiese wirkte. Welche Bedingungen sind ideal für dieses Grundstück? Es macht bei der Bewirtschaftung einen großen Unterschied aus, ob der Hang nach Westen oder nach Osten ausgerichtet ist. Aus diesem Verständnis für das Praktische, das Funktionale des Ortes und aus der Topografie heraus entsteht Beziehung, nicht aus einer abstrakten, romantischen Vorstellung. Das geht heute weitgehend ab. Die Bauern haben große Maschinen, das Heu wird in der Scheune mit künstlicher Belüftung getrocknet oder auf dem Grundstück stehen gelassen und in Plastik eingewickelt.

N. W.: Du sprichst oft davon, mit deinen Projekten „Orte zu schaffen“. Wann gelingt das?

G. C.: Der Raum ist grenzenlos, ist etwas Politisches. Der Ort ist etwas Sinnliches. Aber ein schönes Objekt allein macht noch keinen Ort. Ein Ort ist die Summe aus vielen Dingen, da spielt auch das Können der Menschen eine wichtige Rolle, ihr kulturelles Vermögen, das man erkennen und einsetzen muss. Viele unglaublich schöne Orte sind entstanden, weil dort Menschen mit ganz spezifischen Fähigkeiten lebten. In dieser Vorstellung des Ensembles geht es um die Wertschätzung des Gegenübers. In diesem Sinne ist die ästhetische Perspektive, ob etwas schön oder hässlich ist, nicht vordergründig wichtig. Werte sind mehr als nur die Ästhetisierung von etwas. Das schöne Objekt ist also nicht das primäre Ziel im Prozess, sondern der Prozess führt im besten Falle zu Schönheit. Ein stark wirkender Ort entsteht immer aus einer großen Intensität heraus. Lokales Bauen ist mehr als die Verwendung der Materialien aus dem Ort, ist Intensität! So verstanden kann das lokale Bauen überall, auch in der Stadt stattfinden.

N. W.: Stadt und Land sind ohnehin Polaritäten, die es vielleicht gar nicht mehr gibt. Das Dorf ist längst nicht mehr unabhängig, sondern hat vielfältige Beziehungen in die globale Welt. Entwickeln wir also verschiedene Identitäten – zuerst eine lokale aus der Lebensumgebung heraus und dann eine globale, aus den Bezügen nach außen? Und wie lassen sich diese zwei Identitäten in Übereinstimmung bringen?

G. C.: Ich denke, dass es sinnvoll und wichtig ist, zuerst einmal einen intensiven Bezug zu etwas herzustellen. Ich sage meinen Studenten immer wieder: Macht etwas, euer ganzes Leben lang, es spielt keine Rolle, was! Egal, ob das Bienenzucht ist oder Architektur, aber macht etwas richtig. Jemand hat einmal gesagt: Wenn man etwas richtig beherrscht, dann beherrscht man alles. Das merken wir auch bei bestimmten Bauweisen. Für den hier so typischen Strickbau aus Holz muss man andere Techniken beherrschen als im Betonbau. Aber irgendwie kommt es doch auf das Gleiche an, immer geht es um ein intensives Sich-Einlassen, um das Prozesshafte. Darüber hinaus ist aber auch die globale Sicht wichtig. Wenn ich an einem abgelegenen Ort etwas entwickle, muss ich wissen, welche Kräfte von außen einwirken, sonst ist die Gefahr des Scheiterns groß. Ich mag in diesem Zusammenhang sehr die Idee vom Kosmopoliten. Der Kosmopolit richtet den Fokus ganz spezifisch auf etwas, aber er hat dabei die Welt im Blick, den Kosmos, das Gesamte.

N. W.: Es gibt also einen Unterschied zwischen kosmopolitisch und global?

G. C.: Im Globalen bist du ständig irgendwo unterwegs und zugleich nirgends, du rotierst herum, ohne Zentrum, alles ist gleichwertig. Da kann keine Intensität entstehen. Beim Kosmopolitischen fokussierst du auf einen Punkt, du kannst weit ausschweifen, aber es gibt immer diesen intensiven Bezugspunkt, der über allem steht.

N. W.: Wenn man ohne Fokus auf die Welt schaut, besteht ja die Gefahr, dass man angesichts der komplexen Probleme in Schockstarre verfällt und dann gar nichts macht.

G. C.: Genau. Darum ist es wichtig, in kleineren Einheiten zu denken! Ich kann unmöglich Verantwortung für die ganze Welt übernehmen, aber ich kann Verantwortung für das Dorf Vrin tragen. Und wir müssen auch immer mit unseren eigenen Mitteln eine Antwort geben. Klimawandel – was soll ich da machen? Bei einem Wohnprojekt in Valendas habe ich das Prinzip der Klimazonen angewandt, das war meine Antwort auf die Thematik. Innerhalb jeder Wohnung gibt es unterschiedliche Zonen – einen normal beheizten Raum, kalte Zonen und andere, die passiv durch die inneren Räume aufgeheizt werden, sie sind temperiert und zudem zweckfrei. Man kursiert im Laufe des Tages also zwischen 22 Grad, 12 Grad, bis hin zu minus 10 Grad im Winter. Diese unterschiedlichen Temperaturen beeinflussen die Wahrnehmung im Raum, die genaue Größe der Wohnung ist gar nicht mehr so klar. Die Referenz kommt aus meiner Kindheit. In unserem Bauernhaus war einzig die Stube beheizt und die anderen Räume im Winter nahe an der Nullgradgrenze. Das Charakteristische dieser Typologie hat mich interessiert – was macht das mit deinem Körper, wenn du dich zwischen den unterschiedlichen Klimazonen bewegst? Welche Freiheit erzeugt das im Wohnen, wenn es definierte, verlässliche Zonen und undefinierte, flexible Bereiche gibt? Das birgt zum Beispiel die Möglichkeit, für das pubertierende Kind ein Zimmer zu bauen, das durch einen kühleren Zwischenraum von der Wohnung getrennt ist, das also zugleich dazu und nicht dazu gehört, was genau seiner Lebensphase entspricht.

N. W.: Dieses Übersetzen einer traditionellen Typologie in aktuelle Architektur hast du auch bei einem frühen Projekt in Vrin gemacht, der Stiva da Morts, der Totenstube. Wie kam die Idee für dieses Bauwerk?

G. C.: Das Ritual, die Toten daheim aufzubahren, ist immer mehr verschwunden. Ich sah das als Verlust. Meine Eltern waren zu Hause aufgebahrt und in dieser Zeit habe ich erfahren: Der Tod hat eine gewisse Schönheit, die man nicht erklären kann, etwas ganz und gar Großartiges. Das Abschiednehmen hat sich in Stube, Küche und Gang abgespielt, wo Gemeinsamkeit, aber auch Rückzug möglich war. Auch hier hat mich die Leistungsfähigkeit der Typologie für dieses Ritual interessiert. Den eindrucksvollen Trauerzug vom Haus des Toten bis zur Kirche wollte ich unbedingt erhalten. Das ist der emotionalste Moment der Trauerfeier. Die Totenstube selbst ist zwischen sakral und profan positioniert, zwischen Lebenden und Toten, also knapp außerhalb der Friedhofsmauer. Das kleine, zweigeschossige Haus hat Stube, Küche und Gang, alles aus Holz, konstruiert in Strickbauweise, das können die Vriner so gut und mich hat die Weiterentwicklung dieses tektonischen Schichtens massiver Holzbalken immer interessiert. Den Bezug zwischen Kirche und Dorf haben wir mit einer bewussten Veränderung aus dem gleichen Material erzeugt. Holz und Konstruktion, wie die Häuser im Dorf, aber mit einem weißen Kalkanstrich veredelt, der es dem Stein der Kirche ähneln lässt. Das könnte man vielleicht auch als Bricolage bezeichnen, dieses Basteln, das fast etwas von Alchemie hat. Wie kann ich aus einem einfachen Stück Holz durch meine Arbeit etwas Wertvolles machen? So wie die Alchemisten alles zu Gold machen wollten. Für die architektonische Qualität ist das Können und die Vorstellungskraft einer Umwandlung der materia prima entscheidend. Ich denke, unsere kulturelle Leistung ist viel größer, wenn wir nehmen, was da ist, und daraus einen gewissen Wert generieren. Dieser Wert ist Schönheit.

N. W.: Den Begriff der Bricolage verwendest du öfter, es heißt so viel wie „zusammenbasteln“. Da steckt viel vom Wissen aus Erfahrung drin, vom lokalen Handwerkswissen, im Gegensatz zum heute so viel stärker betonten kognitiven Wissen. Was muss zusammenfließen, dass etwas gut gelingt?

G. C.: Ich glaube, als Architekt muss ich auf Verschiedenes ausgerichtet sein. Ich bin einmal eine Art Wissenschaftler, muss etwas wissen über Bauphysik oder Statik, dieses Expertenwissen ist unglaublich wichtig. Aber Architektur hat nicht nur mit Material, Konstruktion und Raum zu tun, sondern auch mit Ereignissen, mit Zufällen, Geschehnissen, Emotionen – da ist das Narrative wichtig, vielleicht ist es in einem bestimmten Fall der Wetterprophet. Architektur für den Ort geschieht in diesem Wechselspiel. Wichtig ist auch der Glaube an andere Wirklichkeiten. Ich denke in dem Zusammenhang gerne an die zweite Naivität. Als Kind war man naiv, dann lernt man dazu, wird quasi Experte. Aber was passiert, wenn man das wegschmeißt und sich noch einmal einlässt in dieses kindliche Denken, aber eben mit Erfahrung und Wissen im Hintergrund?

N. W.: Der respektvolle Umgang mit den Gegebenheiten vor Ort, der in allen deinen Projekten liegt, wäre auch ein Rezept für einen anderen Umgang mit der Welt insgesamt. Wir merken ja, dass es so nicht weitergehen kann und sich die Natur wehrt. Wie könnten wir diese Beziehung verträglicher gestalten?

G. C.: Für zukünftige Handlungsformen auch in der Architektur finde ich Bruno Latours Ansatz im „Terristrischen Manifest“ wegleitend, wo er ein neues Verhältnis des Menschen zur Erde fordert. Er meint, die Dinge hätten uns etwas zu sagen. Wenn ich mich auf das Material einlasse, kommt etwas zu mir zurück, es entsteht Resonanz. Der Begriff der Resonanz ist mir überhaupt ganz wichtig, ich finde ihn in so vielen Projekten wieder: Im Gasthof in Valendas zum Beispiel wollte man im Speisesaal ein großes Panoramafenster haben. Aber was ich dann sehe, ist nur Bild. Ich wollte einen Rhythmus von Öffnung – Wand – Öffnung – Wand erzeugen, durch dieses Hin und Her berührt mich das, was ich sehe. Es entsteht eine Beziehung, die Materie wird lebendig, das Gegenüber wird Teil der Raumatmosphäre. Oder der Aussichtsturm im Tierpark Arth-Goldau, den ich gebaut habe – je nach Perspektive scheint er sich zu bewegen, gar zu kippen, ist nicht mehr statisch korrekt. Das ist ein Spiel mit Körper und Geometrie. Latour redet im „Parlament der Dinge“ vom Quasi-Objekt und dem Quasi-Subjekt. Plötzlich schauen die Dinge dich an und mit dem Erkennen der Lebendigkeit im Gegenüber entsteht eine höhere Wertschätzung für das Nicht-Menschliche.

N. W.: Muss man beim lokalen Bauen auch eine Form der aktiven Verweigerung praktizieren, gegen manche Dinge, die als innovativ oder technologisch modern gepriesen werden?

G. C.: Ja klar, man muss Widerstand erzeugen durch eine andere Art des Machens. Viele Stadtmenschen würden gern einen Stall in Vrin ausbauen und zu einem Feriendomizil machen. Das raubt auf Dauer den Dörfern ihr Potenzial für die Zukunft. Die leeren Ställe sind für mich Platzhalter für zukünftige Entwicklungen, sie halten Raum frei für später und sind dadurch ungemein wertvoll.

N. W.: Was wohl nicht so einfach ist, weil die Dorfbewohner den Stall sicher um viel Geld an die Städter verkaufen könnten.

G. C.: In dem Zusammenhang bin ich recht stolz, dass wir schon vor 20 Jahren ein paar tückische Artikel in die Bauordnung von Vrin hineinreklamieren konnten. Sie verbietet zum Beispiel, das ganze Grundstück einzuzäunen. Ich wollte dadurch diese flüssigen Übergänge zwischen öffentlichem und privatem Raum erhalten. Ein anderer Artikel verbietet Zyklopenmauerwerke. Das heißt, man kann hier kein Haus aus dem Katalog kaufen und anschließend das Gelände mit dem Bagger so planieren und abstützen, dass es draufpasst. Und das Wichtigste war – ein Horror für die fusionierte Gemeinde –, man darf nicht mehr als 40 Prozent eines Stalles für eine andere Nutzung umbauen, ohne das äußere Bild zu verändern. Eine Tarnung ist also unmöglich. Das hat einen Einfluss: Es kauft dir kein Städter diesen Stall ab, wenn er nur einen Teil nutzen kann. Das war damals eine Art kosmopolitischer Gedanke, den wir angewendet haben. Schauen, was in der Welt passiert und welchen Einfluss das auf dich und deinen Ort haben kann, um dann entsprechend zu reagieren. Manches davon lässt sich übrigens auch in der Stadt anwenden. Dieser Raum zwischen den Räumen zum Beispiel, zu spüren, was in diesem Nullraum passiert, das ist wichtig.

N. W.: Du arbeitest immer mit den Realitäten vor Ort, du gehst zuerst einmal vom Vorhandenen aus. Aber braucht es nicht auch eine Menge Utopie bei deinen Projekten?

G. C.: Natürlich! Architektur ist einerseits Realität, aber der utopische Gedanke muss immer mitschwingen. Gesucht ist ein Jenseits. Bleibe ich Realist, so ändert sich wenig, bin ich nur Utopist, dann bin ich arbeitslos.

N. W.: Hier, wo du lebst, wird im Alltag Bündnerromanisch gesprochen. Wie würden wir uns in dieser Sprache verabschieden?

G. C.: Stau bi cun tei, engraziel per la bialla discussiun. Das heißt: Es war schön mit dir, danke für das schöne Gespräch. Stai bain, leb wohl. Adia!

 

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