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„Hier ist alles ruhig.“

Im Zuge der Revolten im März 1848 verbarrikadierte sich Kaiser Ferdinand in Tirol, wo „ohne Wanken an Sitte und Gehorsam“ zu ihm gehalten wurde. Friedrich Hebbel reiste als Teil einer Schriftsteller-Delegation nach Innsbruck, um den Kaiser mit einer flammenden Rede zur Rückkehr nach Wien zu bewegen. Die Reaktion Ferdinands hat womöglich den Fortgang der Dinge entscheidend verändert. Von Klaus Zeyringer

„Feierlich begrüßen, wie die Linzer, die uns Ehrenwache vor die Tür gaben, werden die Tyroler uns wohl nicht“, schreibt Friedrich Hebbel am 28. Mai 1848 an seine Frau Christine. Was dann aber ein paar Tage darauf in der Innsbrucker Burg geschieht, ahnt der Dramatiker und frenetische Redner gewiss nicht. Während in Wien Barrikaden stehen, fühlt sich Kaiser Ferdinand in seinem Zufluchtsort, umgeben vom Hofstaat und dem loyalen Tirolervolk, durch die Worte Hebbels so bedrängt, dass er sich schleunigst hinter eine provisorische Barrikade verfügt. Und damit ein Bild des Jammers abgibt, das – die Vorstellung erscheint verlockend – mit einem ersten, später einem zweiten Manöver der Erzherzogin Sophie, die im Hintergrund das Regiment führt, den Lauf der Geschichte der Habsburgermonarchie ändert.

Im März 1848 revoltierten die Bürger in Wien. Viele Literaten machten mit; Theaterdirektor Carl Carl bewaffnete das Bühnenpersonal, dekretierte es als Kompanie der Nationalgarde und stellte derart unter Beweis, dass in der Hauptstadt der Übergang vom Theater zum Leben und umgekehrt fließend war. Den Publizisten Moritz Gottlieb Saphir wählten revolutionäre Schriftsteller an ihre militärische Spitze – und alsbald setzte er sich nach Baden ab, um aus sicherer Entfernung auf eine Beruhigung der Lage zu warten.
Mitte Mai marschierten die Studenten auf die Hofburg. Der Kaiser und seine Entourage, die verhasste „Camarilla“, nahmen Reißaus ins sichere Innsbruck. Ganz ohne das Imperiale jedoch wollten viele Bürger der Haupt-, nun aber nicht mehr Residenzstadt auch nicht bleiben. Untertänigst baten sie um Rückkehr. Überbringen sollten die Worte die Männer des Wortes. An Metternich waren sie zwar zuvor gescheitert, als ein Komitee mit Grillparzer und anderen 1845 eine Petition gegen die Zensur eingebracht und der Staatskanzler abgewinkt hatte: Er könne gar nicht darauf eingehen, denn er wisse nicht, was in Österreich ein Komitee sein solle. Aber Metternich hatte man ja vertrieben; und damals war der wortgewaltige Hebbel gerade erst in der Stadt angekommen.
Also macht sich ein kleines, vom Schriftstellerverein Concordia gewähltes Komitee auf nach Innsbruck. Als Sprachrohr sieht sich der gebürtige Norddeutsche Friedrich Hebbel, denn er sei der bedeutendste Dichter und Redner unter ihnen (er hat sich aus bitterer Armut hochgearbeitet, mit seinem Drama Maria Magdalena reüssiert und in Wien mittels der Heirat mit der Burgschauspielerin Christine Enghaus gesicherten Wohlstand erreicht). Als Sprachrohr versteht sich allerdings auch Saphir, einer der umtriebigsten Publizisten und Herausgeber der Zeitschrift Der Humorist. An ihrer Seite reisen der Grillparzer-Freund Johann Otto Prechtler, von dem zwei Dramen mit – in dieser Situation – einschlägigen Titeln stammen, Die Kronenwächter und Die Schule des Königs, sowie der Jurist Ignaz Wildner Edler von Maithstein, der die Zeitschrift Das Panier des Fortschritts verantwortet. Vier ganz unterschiedliche Typen. Wie sie nebeneinander am Donaupier stehen, ein kleiner Dicker neben einem Schmalen, ein großer Kopf mit wehendem Haarkranz neben Löckchen über Zwicker und grimmigem Schnurrbart, ein Stimmchen neben einem Donnerbass, könnten sie gut ein schräges Figurenensemble in Nestroys Revolutionsstück Freiheit in Krähwinkel abgeben.
Einen Statisten nehmen sie selbst im Gefolge mit. Saphir hat seinen Leibreporter vom Humoristen zur Berichterstattung über die bedeutende Auftragsreise abkommandiert.
Mit dem Dampfschiff „Sophie“ fahren sie am 26. Mai nach Linz, die Petition der „hunderttausend friedlichen und Ordnung bürgenden Wiener“ im Gepäck. Die unruhige Hauptstadt bleibt zurück, auf die Donau scheint die Sonne, an den Uferhängen frisches Grün und Blühen. Die Abgesandten fühlen sich idyllisch. „Auch finden wir Deputations-Mitglieder, so verschieden wir auch gemischt sind, uns ganz gut ineinander“, schreibt Hebbel an Bord nachmittags an seine Frau. Saphir reiße Witze, gute und schlechte, Prechtler erzähle seine Reiseabenteuer von früher, Wildner erläutere „historische Merkwürdigkeiten“. Sie dampfen an Dürnstein vorbei, Saphir fällt ein Löwenherz-Gedicht ein. Sie halten in Grein, der örtliche Lehrer erhitzt sich für die Revolution.
Heiter und blau spannt sich der Himmel über ihnen, notiert Prechtler, die „Gedanken drängten vorwärts! Unsere patriotischen Gefühle suchten ihr Echo in der Ferne der Martinswand“ (sein Reisebericht erscheint am 11. Juni in den Sonntagsblättern). Saphir hält es lyrisch (seine drei Gedichte kommen am 5. Juni auf der Titelseite des Humoristen): „Der Himmel, Erde, Strom und Ufer lachen / Von beiden Seiten an die Argonauten“. Der Gefühlsüberschwang reist bis Innsbruck mit, dort schwappt er in Hebbels Rede an den Kaiser über.
Noch sind sie an der Donau, in Linz. Saphirs Leibreporter vermeldet empört, der Kapitän habe die Salutschüsse nicht abgefeuert, die der hohen Deputation zustünden. Abends habe sein Chef eine Rede gehalten, „feurige Worte“. Aber was Saphir betrifft: In Linz endet’s. Nachdem aus Wien „fürchterliche Nachrichten“ eintreffen – die Republik sei proklamiert, es gehe drunter und drüber, Barrikaden seien errichtet –, schwindet dem Humoristen der Mut. Durch die Reise sei Saphir „sehr unwohl geworden“, entschuldigt ihn später seine Zeitschrift. Bei seiner feurigen Rede nach der Ankunft war davon allerdings nichts zu bemerken.
In Innsbruck werde sich ohnehin Hebbel in den Vordergrund stellen und das Wort führen, weiß Saphir. Und da der Herr Herausgeber den Tirolern nicht traut, kehrt auch der Reisechronist des Humoristen um.
Hebbel hingegen ist von der Mission überzeugt. Je gefährlicher, umso eher müsse sie ausgeführt werden, sei sie „doch eine historische“. Wegen der unsicheren Lage beschließen die Schriftsteller, offiziell nicht als Abordnung weiter zu reisen, sondern mit ihren Pässen als drei Privatpersonen. Sie fürchten, die Tiroler würden in jedem Wiener Deputierten einen Roten vermuten.
Als die Abgesandten in die Tiroler Täler kommen, nimmt „die Aufrichtigkeit und Herzlichkeit der Landbewohner auf eine mehr als auffallende Weise“ ab, schreibt Prechtler. Sie blicken in misstrauische, unfreundliche Gesichter, immer sehen sie Patres in der Menge, es fallen derbe Sprüche über die rebellischen Wiener. Fast wie in einem feindlichen Territorium, entsetzt sich Prechtler.

Friedrich Hebbel will dem Kaiser „nicht blos die Petition überreichen, sondern ihn auch an seine Pflicht erinnern und ihm auseinandersetzen, daß die letzten Ereignisse nur die Folge seiner Abreise gewesen sind“. Wenn man den Neo-Wiener kennt, klingt das bedrohlich. Grillparzer meidet ihn, denn er rede zu heftig und sei „ein ausgeprägter norddeutscher Obergscheiter“, der alles schwer und ernst nehme. Zum Dichter fehle Hebbel „eigentlich etwas. Aber was? Vielleicht hätt er vor zehn Jahren schon zu uns kommen sollen“.
Den Kaiser brauche „man nur zu sehn, um zu wissen, was man mit ihm sprechen kann“, glaubt Hebbel. Ferdinand bewegt sich geistig langsam. Zeitungen nennen ihn arm und krank. Dem derben Volksmund ist er ein „Trottel“, dem warmherzigen ist er „Ferdinand der Gütige“, dem satirischen ist er „Gütinand der Fertige“.

Sie antichambrieren. Auf die Audienz müssen die drei Herren warten, der Hof lässt Erkundigungen einziehen. Erzherzog Johann, der weniger abhängige Geist der Habsburger, empfängt sie. Er wohnt nicht in der Burg, sondern – mit Distanz zum Hof – im Gasthof zur Sonne. Die Studentenschaft Wiens, sagt er, sei ein „Körper von gesundem Stoff und edler Kraft“. Er selbst wolle nur Frieden, aber gegen die Camarilla vermöge er wenig.
Danach begibt sich Hebbel zum Postamt, Christine hat nicht geschrieben. Was ist in Wien los? Von ferne hört er Schüsse. Die Innsbrucker feiern den Namenstag des Kaisers. Am Vormittag hat der Fürsterzbischof von Brixen in der Stadtpfarrkirche ein Hochamt zelebriert, das Schützencorps defilierte vor der Burg, nun knallt es vom Festschießen am Bergisel.
Am nächsten Morgen klagt Hebbel in einem kurzen Schreiben an die Gattin, Prechtler habe zwei Briefe von seiner Frau erhalten, er selbst jedoch keinen. Immerhin habe man von Erzherzog Johann „die beruhigendsten Zusicherungen“ empfangen. Prechtler notiert: „Hier ist alles ruhig.“
Tags darauf werden sie zur Audienz geführt. Man schreibt den 2. Juni 1848, es ist ein Freitag. In Wien findet das Publikum des Humoristen auf der ersten Seite den Bericht von der Linzer Etappe der Schriftsteller-Deputation. In der Innsbrucker Zeitung liest Hebbel einen begeisterten Artikel über den Aufenthalt des Kaisers in der Stadt: „Ja, das tirolische Volk allein bewährt in der Mitte des aufgewühlten Europa die Ehrfurcht und Treue, den Muth und die Kraft für sein angestammtes Regentenhaus“; Tirol allein halte „ohne Wanken an Sitte und Gehorsam“. Nun fülle sich Innsbruck mit Fremden, heißt es weiter, eingetroffen seien Gesandtschaften und „die Litteraten-Deputierten aus Wien mit der Riesen-Petition um Zurückkunft des Kaisers“.

Friedrich Hebbel, Johann Otto Prechtler und Ignaz Wildner Edler von Maithstein gelangen in einen Saal der Burg. Die Camarilla ist zugegen, Erzherzöge, Minister, Berater, die Erzherzogin Sophie, eine geborene Wittelsbach aus Bayern. Gedämpfte Stimmung, die Entourage ein Gesäusel und Schnarren.
In der Mitte steht Ferdinand vor einem klobigen Tisch. Schmächtig, verletzlich sieht der Kaiser aus, der Kopf zu groß, das Habsburgergesicht. Er scheint zu zögern, als müsse er bedenken, was zu tun sei.
Bevor er das Wort an die Bittsteller zu richten vermag, tritt schon Hebbel vor. Mit dröhnender, im Saal heftig hallender Stimme und gewaltigem Gestus beginnt er zu sprechen, hochtrabend und aufgeregt. Jeder Satz schiebt ihn Ferdinand einen halben Schritt näher. Unruhe im Hofstaat. Hebbel donnert, Ferdinand rückt zurück, Hebbel fuchtelt heran.
Da eilt der Kaiser um den Tisch. Dort steht er bleich und starrt auf den Redner.
Der lässt sich nicht beirren, seine Worte sind Schläge auf der größten Pauke.
Ferdinand hinter der Barrikade. Da begibt sich Erzherzogin Sophie um den Tisch, reicht dem Kaiser den Arm und verlässt mit ihm gemessenen Schrittes den Saal.

Im Vorzimmer teilen dann die Berater von Erzherzog Franz Carl, Sophies Gatten, den drei Schriftstellern ihre Ansicht mit, dass „eigentlich die Intelligenz die schlimme Ursache all dieser unglaublichen Bewegungen“ sei. Die Worte der Camarilla sind oft zweischneidig.
Wieder in Linz schreibt Friedrich Hebbel an Christine, der Kaiser habe versichert, nach Wien zurückzukehren, „sobald Ordnung, Recht und Sicherheit wieder hergestellt sind“.
Ferdinand und der Hof bleiben bis August in Innsbruck.
Johann Otto Prechtler kehrt viel später nach Tirol zurück, 1881 stirbt er in Innsbruck; auf dem Westfriedhof, wo er begraben ist, erinnert ein massiger Gedenkstein an ihn.

Im Oktober 1848 fliehen Kaiser und Hof erneut aus Wien, diesmal nach Olmütz. Vielleicht will Ferdinand nicht wieder nach Tirol, weil er noch den Schrecken des Stimmgewitters im Kopf hat.
Im November, „während der ärgsten Tage des Bombardements“ des revolutionären Wien durch kaiserliche Truppen, beendet Friedrich Hebbel sein Trauerspiel Herodes und Mariamne.
Nachdem die Revolution niedergeschlagen ist, verfügt sich Moritz Saphir auf die Seite der Sieger. Nestroy, dessen Freiheit in Krähwinkel er verreißt, erinnert ihn, „abscheuliches Saphirchen“, daran, dass ihm im März der Säbel des Nationalgardisten „zwischen den Schlotterbeinen gebaumelt“ sei.
Ignaz Wildner wird für Krems in den Reichstag gewählt, bleibt aber nur vier Monate Abgeordneter. Danach beschäftigt er sich mit Fabrikrecht und publiziert ein Buch über den Eisenplattenofen.

In Olmütz wird Ferdinand überredet, den Thron zu übergeben. Vielleicht ist Erzherzogin Sophie in Innsbruck bei der Rede des Literaten endgültig klar geworden, dass mit diesem geistig verbarrikadierten Kaiser kein Staat zu machen ist. So wie sie dem verschreckten Ferdinand den Arm gereicht und ihn vor Hebbels Wortdonner gerettet hat, reicht sie umgekehrt ein halbes Jahr später ihrem achtzehnjährigem Sohn Franz Joseph den Arm und setzt ihn auf den Thron der Habsburger.
Gütinand der Fertige ist Kaiser im Ruhestand, er behält den Titel. 1875 stirbt er. Als er 1866 von der krachenden Niederlage in Königgrätz erfuhr, sagte er: „Das hätt ich auch zsammbracht.“

 

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