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Das Abwesende und der Körper

Über das Sinnliche im Ausstellen von Architektur: Im 18. Jahrhundert, als die Architektur als eigenständiges und künstlerisches Themenfeld wahrgenommen wurde, beginnt auch die Geschichte des Ausstellens von Plänen, Modellen und architektonischen Details. Eine Reflexion von Arno Ritter.

I. Eine kurze Geschichte des Ausstellens von
Architektur

Als von öffentlichen Einrichtungen damit begonnen wurde, architektonische Objekte zu archivieren, wurden diese Pläne und Modelle in Studiensammlungen, Hochschulen und Akademien, aber auch in Museen ausgestellt. Die Sammlungen dienten vorwiegend als Lehr- wie Lerneinrichtungen und wurden im 19. Jahrhundert im Kontext der Nationalstaatenbildung wie dem Klassizismus und Historismus mit Objekten der griechisch-römischen wie der eigenen Baugeschichte bestückt, aber es wurden auch Pläne, Modelle und Bücher von Zeitgenossen gezeigt. Ende des 18. Jahrhunderts wollte Étienne-Louis Boullée sogar ein eigenes Architekturmuseum errichten, um den künstlerischen Eigenwert der Architektur zu untermauern.
Ein Sonderfall in dieser Entwicklung ist das heutige „Sir John Soane’s Museum“ in London, das Mitte des 19. Jahrhunderts vom Architekten Soane aus drei bestehenden Häusern zu einem komplexen, piranesiartigen Raumgefüge umgebaut wurde. Seine neo-klassizistische Planung, verbunden mit Skulpturen, über 30.000 Architekturzeichnungen und Büchern sowie Artefakten aus unterschiedlichen Epochen und Regionen der Welt, vermittelt raumgreifend den Gesamtkunstwerkansatz des Architekten.
Ähnlich diesem Ansatz entwickelten sich Anfang des 20. Jahrhunderts eigenständige und manifestartige Präsentationskonzepte von Architektur in Museen und Galerien. Einer der Ersten war 1924 der österreichische Architekt Friedrich Kiesler, der für eine innovative Theaterausstellung in Wien ein „Leger- und Trägersystem“ entwickelte, das eine Kombination aus räumlicher Installation und Trägersystem, gleichzeitig aber auch Ausstellungsobjekt war und von ihm 1925 zur so genannten „Raumstadt“ erweitert wurde. Damit begann eine Ära des Ausstellens von monographischen als auch thematischen Präsentationen, die eine durchgängige Gestaltungsidee hatten, um den Raum und die Objekte zu stimmen und in Beziehung zu setzen. Diese Übersetzung von architektonischen Konzepten in ein umfassendes Ausstellungsdesign wurde zunehmend geläufig, und als das MoMA 1948 Mies van der Rohe präsentierte, sollte die Gestaltung ausdrücklich den Maßstab, die Atmosphäre und die Rationalität von dessen Architektur vermitteln. Seitdem ist diese Form der Präsentation eine weltweit verbreitete geworden, die vor allem durch die 1980 gegründete Biennale der Architektur in Venedig und zahlreiche Ausstellungen über architektonische Positionen und Themen international reüssierte.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte die so genannte Moderne auch 1:1-Architekturen zu errichten, die Manifestcharakter hatten und ihre Konzepte des neuen Bauens räumlich unvermittelt einem breiten Publikum näherbringen wollten. Die Beispiele reichen von der Mathildenhöhe in Darmstadt über die Werkbundsiedlungen in Stuttgart und Wien bis zur IBA in Berlin. Zuerst als Demonstrationsbauten errichtet, wurden sie nach einiger Zeit besiedelt und dem Alltagsleben überantwortet. Auch die Idee der Weltausstellungen folgte diesem Konzept, wobei viele dieser Bauten nur temporär gedacht waren und am Ende der Ausstellungen abgebrochen wurden oder verfielen. Auf ähnliche Weise kann das Konzept der Serpentine Gallery in London interpretiert werden, die seit 2000 internationale Büros einlädt, um in einem Park Pavillons zu errichten, die die Haltung des Architekten oder der Architektin vermitteln, wobei auch diese Objekte nach einiger Zeit abgebrochen werden. Diese Projekte wurden im öffentlichen Raum wie „normale“ Gebäude errichtet, aber nicht für Ausstellungsräume konzipiert.
In diesem Sinne konzentrieren sich meine Ausführungen auf das Ausstellen von Architektur in existierenden Räumen, wobei anzumerken ist, dass es im Gegensatz zur Kunst nur wenige spezifische Galerien und Museen auf der Welt gibt, die sich vorwiegend der Architektur widmen. Diese sind meist in nicht für diese Aufgabe konzipierten Gebäuden integriert und oft an andere Kultureinrichtungen gekoppelt, wobei sich in den letzten Jahren zunehmend auch Museen und klassische Kunsträume mit Themen der Architektur auseinandersetzen.

II. Über das Übersetzen und das Ausstellen

Vor einigen Jahren las ich ein Gespräch zwischen dem Künstler Rémy Zaugg und den Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Anlass des Dialogs war die Ausstellung von Herzog + de Meuron im Centre Georges Pompidou, die Rémy Zaugg 1995 im Auftrag der Architekten gestaltete. Auf die Frage, wie er an das Konzept herangegangen sei, meinte er: „Ich dachte fast sofort an eine Präsentationsform für die Architekturausstellung, die mit Dokumenten arbeitet, mit den Spuren, die ein architektonisches Denken zurücklässt, mit den Resten, die durch die Suche des Architekten erzeugt und zurückgelassen werden. Wie wir bereits des Öfteren festgestellt haben, sind die Skizzen, Pläne, Bauzeichnungen und Modelle Arbeitsinstrumente. (…) Es sind Überreste, Überbleibsel einer Anstrengung. Nicht mehr oder weniger. Es sind Abfälle, erzeugt von der Reflexion, die sich auf die Konstruktion von Gebäuden zubewegt. (…) Eine Architekturausstellung machen heißt also, mit Abfällen zu arbeiten und den Versuch zu unternehmen, aus diesen Abfällen eine neue Realität zu schaffen, die sich selbst genügt und in Bezug auf ihren Ausdruck autonom ist. (…) In Abwesenheit der realen Gebäude, die irgendwo in der Welt existieren, vermag die Architekturausstellung nicht viel mehr als eine Suche, eine Erforschung, den Weg eines architektonischen Denkens zu präsentieren, auszudrücken und zu erleben zu geben.“1
Zaugg unterscheidet in seinem Statement Kunst- und Architekturausstellungen, denn geht man in eine Kunstausstellung, so sieht man das, worum es geht, nämlich Kunst. Besucht man aber eine Architekturausstellung, wird man vorwiegend mit Überbleibseln der Produktion von Architektur, wie Plänen, Modellen oder Skizzen, konfrontiert oder mit Artefakten, die für die Vermittlung oder Dokumentation der Bauten produziert wurden, wie Fotos, Texte oder Filme. Aber das Wesentliche, nämlich der reale Raum oder die gebaute Architektur, ist abwesend. Diese Aussage von Rémy Zaugg beschäftigte mich, führte aber auch dazu, dass ich sie zu hinterfragen begann. Denn seine Überlegungen basieren auf einem relativ konventionellen Ansatz, wonach Architektur nur mit ihren „Abfallprodukten“ des Suchens und Vermittelns in einen Ausstellungsraum zu bringen wäre. Aber wenn Architektur das Denken von Raum ist, wieso kann dieses nicht auch räumlich sichtbar und sinnlich erfahrbar werden, ohne etwas aufzuhängen oder aufzustellen? Vergleichbar einer Kunstinstallation, die in vorhandene Räume interveniert, diese transformiert und ihre Bedeutung umcodiert, kann sich das Denken von Architektur im Raum auch sinnlich manifestieren, körperlich erfahrbar werden, wenn eine Ausstellung als eigenes Projekt aufgefasst wird. In dem Sinne kann sich die architektonische Haltung in den Raum einschreiben, diesen gestalterisch akupunktieren und verändern, um Aspekte dieser Überlegungen den Besucherinnen und Besuchern sichtbar zu machen.
In diesem Sinne unterscheide ich zwei Ansätze des Ausstellens von Architektur, ohne sie zu werten: Der eine verwendet vorhandene „Abfallprodukte“ des Entwerfens von Architektur und nutzt das Material der nachträglichen Kommunikation – ich würde sie die medial vermittelten Präsentationen nennen. Der andere Ansatz versucht die Haltung des gestaltenden Denkens räumlich erlebbar und sinnlich erfahrbar zu machen. Das erste Konzept wird zumeist von einer externen Person kuratiert, betrifft Retrospektiven oder thematische Ausstellungen, das zweite benötigt den planenden Autor oder die planende Autorin, wobei sich beide Konzepte auch in einer Präsentation verschneiden können.
Die Übersiedelung von aut. architektur und tirol ins Adambräu eröffnete – aufgrund der speziellen Konfiguration der Räume wie der vier ehemaligen Öffnungen für die Braukessel, die mit Holzbohlen geschlossen wurden, die aber bei Bedarf wieder entfernt werden können – spannende Möglichkeiten des Experimentierens, wie man architektonische Haltungen in Ausstellungen übersetzen kann. Denn ähnlich wie Architektinnen und Architekten in ihrer Arbeit auf den Kontext,den Ort wie die Aufgabenstellung reagieren und ein räumliches wie materielles Konzept entwickeln, so entstehen Ausstellungen in Reaktion auf das Potenzial der konkreten Räume und im Dialog zwischen den eingeladenen Architekturschaffenden und den für den Ort verantwortlichen Personen.

III. Der Raum und der Körper

„Jede tiefergehende Architekturerfahrung ist multisensorisch: Auge, Nase, Zunge, Ohr, Haut, Skelett und Muskeln beurteilen die Eigenschaften von Raum, Material und Maßstab.“ (Juhani Pallasmaa)

Architektur ist ein synästhetisches Phänomen, das mit allen Sinnen erfahren und nicht nur mit den Augen betrachtet wird. Architektur geht im wahrsten Sinne unter die Haut, das größte Sinnesorgan des Menschen. Insofern spielt es beim Konzipieren von Ausstellungen für mich eine zentrale Rolle, wie man unterschiedliche sinnliche Aspekte von konkreter, letztlich aber abwesender Architektur in den Raum übersetzen kann, seien es haptische, atmosphärische, materielle, olfaktorische oder visuelle Momente. Die Frage stellt sich, welche Sinne man mit welchen medialen Mitteln, materiellen Objekten oder räumlichen Interventionen aktivieren kann, um verschiedene Ebenen der körperlichen Wahrnehmung von Architektur anzubieten, die entweder bewusst rezipiert oder subkutan empfunden werden. Es geht dabei um das Erzeugen einer inhaltlichen wie atmosphärischen Dichte, die berühren soll. Denn der ganze Körper als Wahrnehmungsorgan sollte animiert und das Thema der Präsentation multisensorisch erfasst werden. Dabei kommt dem Verführen und Aktivieren von unterschiedlichen körperlichen Erfahrungen eine wichtige Funktion zu, ohne offensichtlich didaktisch zu sein. Denn Architekturausstellungen sind Orte der Verdichtung von gestalterischem Denken, sie versammeln meist Projekte von unterschiedlichen Orten, bieten gesellschaftliche Konzepte wie räumliche Lösungen an und sollten im Idealfall dazu beitragen, die abwesenden Bauten vor Ort kennen zu lernen oder zumindest angeregt aus der Ausstellung in den Alltag entlassen zu werden. Denn Architektur und die Gestaltung unserer Umwelt gehen tendenziell alle Menschen an, da wir alle in Gebäuden leben wie arbeiten oder uns in öffentlichen Räumen bewegen. Insofern unterscheiden sich für mich Architekturausstellungen grundlegend von Kunstausstellungen, da sich ihre Thematik unmittelbar auf den Alltag übersetzen lässt. Bei der Vermittlung von Architektur geht es aber besonders auch darum, eine reflektierte Gesprächskultur aufzubauen, um sowohl einem Fachpublikum wie einer interessierten Öffentlichkeit dabei zu helfen, die Wahrnehmung für unseren Lebensraum zu sensibilisieren und eine Sprache zu finden, die fähig ist, Fragen zu stellen und die Gestaltung des räumlichen Alltags kritisch zu thematisieren. Diese Orte der Architekturvermittlung sind im Idealfall Reflexion- oder Resonanzräume für ein breites Publikum, die Impulse für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensumfeld anbieten können.
Es gibt kein besseres Mittel zur Überprüfung von Architektur, als diese so oft wie möglich zu besuchen, aber vor allem die Menschen zu beobachten, wie sie sich im Raum und gegenüber den angebotenen Konzepten verhalten. Bei Ausstellungen geht es darum, wie man die Räume dramaturgisch so bespielt, dass für ein hastiges Publikum ein erster informativer Eindruck entsteht, aber auch eine Angebotsdichte für jene Personen vorhanden ist, die tiefer eintauchen und sich darin verlieren wollen. Es gibt kein schöneres Lob für ein Konzept, als wenn eine Besucherin oder ein Besucher anfänglich andeutet, wenig Zeit zu haben, um dann letztendlich „Stunden“ später aus der Ausstellung zu wanken.
Am Anfang jeder Ausstellung steht die grundsätzliche Frage, was ausgesagt werden soll und mit welchen materiellen wie atmosphärischen Mitteln man diese Geschichte erzählen will. Ähnlich einem Bühnenbildner am Theater werden Versatzstücke des Realen arrangiert und damit versucht, eine Position spürbar zu machen, indem räumliche, visuelle wie materielle Metaphern oder Objekte in eine Beziehung gesetzt werden, um zentrale Informationen zu vermitteln. Letztendlich sind aber Inhalt und Form nicht trennbar und bedingen einander, denn Inhalt wird Form und Form ist Inhalt – beides zusammen bedeutet Kommunikation.
Nicht unwesentlich in der Planung ist es, in welcher Jahreszeit eine Ausstellung läuft, denn diese prägt subkutan ihre körperliche Erfahrung. Kommt man mit Daunenjacke in den Raum oder mit T-Shirt, wird es am frühen Nachmittag schon dunkel oder geht die Sonne erst spät am Abend unter, kann in einer Ausstellung einen Unterschied machen, denn jahreszeitliche wie klimatische Faktoren können die Konzeption beeinflussen wie die Wahrnehmung der Rezipientinnen und Rezipienten unterstützen.

IV. Die Materialität und die Hand

„Alle Sinne, einschließlich des Sehsinns, können als Erweiterungsformen des Tastsinns betrachtet werden – also als Spezialisierung der Haut. Wir können uns den Tastsinn als das Unbewusste des Sehsinns vorstellen.“ (Juhani Pallasmaa)

Im Gegensatz zur Dominanz des visuellen Aspekts von Architektur kommt der Hand in der Vermittlung derselben eine zentrale Funktion zu, sowohl was eine Ausstellung wie auch das reale Erlebnis betrifft. Die Hand ist mit dem Mund jenes sinnliche Werkzeug, das ein wesentliches Moment der Welterfahrung prägt. Denn Kinder nehmen ihre Umgebung und ihre Materialität zuerst über die Hand und dann über den Mund wahr, was Eltern oft in verständliche Panik versetzt. Aus diesem Grund kennen auch Erwachsene Geschmäcker von unterschiedlichen Materialien, von Eisen, Glas über unterschiedliche Holzarten bis zum nassen Kieselstein aus dem Bach. Man könnte eigentlich jedes Gebäude nach seinen Ingredienzien geschmacklich zerlegen oder im Umkehrschluss diese im Planungsprozess aus ausgewählten Bestandteilen fiktiv entwickeln bzw. kochen.
Jede Architektur ist von ihrer spezifischen Materialität geprägt, die entweder weich oder hart, rau oder glatt, reflektierend oder matt, sinnlich oder aseptisch, anziehend oder abweisend ist und die über die Augen wie Hände wahrgenommen wird. Gewisse Bauten regen im positiven Sinne zum Berühren an, ziehen die Hand an ihre Oberflächen und machen den Tastsinn zu einem wichtigen Erfahrungsinstrument. In der Übersetzung von Architektur in Ausstellungen kommt daher dem Tastsinn eine subkutane, aber wesentliche Bedeutung zu, denn über ihn kann man Informationen abseits der Augen vermitteln. Die Auswahl der Materialien wie ihre Wertigkeiten übersetzen Themen des architektonischen Gestaltens auf eine haptische Ebene. Je qualitativ hochwertiger der Widerschein des eingesetzten Materials ist, desto sensibler geht das Publikum mit diesem um. Und nichts ist sinnvoller, als wenn die Besucherinnen und Besucher Ausstellungen an- und damit begreifen wollen.

V. Der Geruch und das Hören

„Jeder Wohnraum hat seinen eigenen und besonderen Geruch. Gerüche können vergessene Bilder wieder wachrufen und uns dazu einladen, eine Fantasiewelt zu betreten. Die Nase bringt die Augen dazu, sich zu erinnern.“ (Juhani Pallasmaa)

Das Riechen und Hören sind zentrale Bestandteile von Raumerfahrung, auch wenn sie nicht immer bewusst wahrgenommen werden. Sie regen an oder regen auf, lassen einen wohlig fallen oder erzeugen ein unangenehmes Raumgefühl, das einen unrund macht. In dem Sinne kommt auch in Ausstellungskonzepten dem olfaktorischen wie akustischen Moment eine informationsvermittelnde Bedeutung zu. Ob der Raum leise oder laut, geruchlos oder mit Düften imprägniert ist, hängt jeweils vom Konzept ab, beide zusammen oder getrennt gedacht verändern aber auf jeden Fall den Gesamteindruck des Raumes und lenken die Sinneswahrnehmungen wie die Aufmerksamkeit der anwesenden Personen in unterschiedliche Richtungen.

VI. Die Wand und der Tisch

Die Aufnahme von Informationen an Wänden oder auf Tischen unterscheidet sich dadurch, dass tendenziell Wände zum Flanieren und Tische zum Verweilen einladen. Das Einnehmen verschiedener Körperhaltungen – vom Gehen, Sitzen, Bücken bis zum Liegen – kann auch ein Bestandteil des Konzepts und damit der Raumdramaturgie sein, um die multisensorische Wahrnehmung des Publikums zu aktivieren. Die Wand verleitet dazu, an ihr entlang zu schreiten und eher oberflächlich den Blick zu binden. Rahmen und Sockel, die in der Kunst ein gewohnter Bestandteil der Ausstellungsästhetik sind – das Bild an der Wand entrückt, das dreidimensionale Objekt im Raum erhoben –, erzeugen in der Präsentation von Architektur museale Konnotationen, die zu bedenken sind. Denn Skizzen, Pläne oder Modelle sind in der Architektur eigentlich Mittel zum Zweck, sie dienen dazu, den Prozess des Denkens und Planens sichtbar zu machen und zu überprüfen. Im Sinne einer sinnvollen Abgrenzung zur Kunst vermeide ich solche Präsentationsformate, da sie eine andere Tradition der Rezeption evozieren. Man kann aber seit langem erkennen, dass sich die Bildende Kunst und die Architektur gegenseitig bei Ausstellungskonzepten beeinflussen, Strategien übernommen werden und diese zu verfließen beginnen. Denn besucht man in Venedig die Biennale der Kunst oder der Architektur, so findet man zahlreiche Beiträge, die jeweils auch im anderen Kontext funktionieren. So waren für mich die architektonisch spannendsten und relevantesten österreichischen Beiträge auf der Biennale jene von zwei Künstlern: Hans Schabus (2005) und Heimo Zobernig (2015).

VII. Das Modell und die Imagination

Modelle aus Holz, Papier, Karton, Gips oder Metall gibt es so lange, wie die Architektur danach trachtet, eine Idee dreidimensional sichtbar zu machen. Unabhängig von ihrer Materialität und Herstellungsmethodik versuchen sie in einem bestimmten Maßstab den erdachten Raum oder das Gebäude möglichst realistisch zu imaginieren, sie anschaulich zu machen. Sie dienen der Überprüfung im Entwurfsprozess, aber auch dazu, eine Zukunft dem Bauherrn oder der Öffentlichkeit zu vermitteln. Modelle können sowohl Dokumente eines entwerfenden Gedankenprozesses, abstrakte Versuchsanordnungen, Repräsentationen eines Gebäudes oder auch materialisierte Utopien sein, die nie Wirklichkeit werden sollen, aber trotzdem aus der Imago in einen Maßstab heraustreten wollen. Zunehmend werden diese analogen Methoden der Raumentwicklung durch digitale Werkzeuge und Animationen ersetzt, wobei diese mittlerweile schon wieder von VR-Technologien und anderen virtuellen Raummodellen überholt werden. Im Kontext von Ausstellungen ist zu bemerken, dass diese Form der digital entwickelten wie virtuellen Raumimagination zunimmt, was die für mich problematische Dominanz der visuellen Vermittlung von Architektur noch verstärkt.

VIII. Die Atmosphäre und das Licht

Das Licht – sei es natürlich oder künstlich – stimmt den Raum und macht die Oberflächen und damit die Objekte erst sichtbar. Je nachdem, welches Leuchtmittel und welche Lampen eingesetzt werden – von Neon oder Halogen über Kerzen oder Glühlampen bis zur LED –, verändert das Licht wie die Leuchtkörper die Informationen im Raum. Die beleuchtete Materialität wie ihre Reflexionseigenschaften schaffen Atmosphäre. Die Wahl des Materials und des Lichts ergänzen einander, sind im Dialog nicht zu trennen. Insofern kommt dem Licht und seiner Lenkung eine zentrale Funktion im Konzipieren von Ausstellungen zu, sei es im Fall von Kunstlicht, aber auch – falls vorhanden – im Umgang mit dem Tageslicht, das je nach Öffnungen im Ausstellungsraum sowie je nach Tages- und Jahreszeit seine spezifischen Qualitäten wie Probleme erzeugt. Es gibt bei Tageslichträumen keine eindeutige Stimmung, wogegen in Kunstlichträumen die Atmosphäre gestimmt werden kann. Diese Realität trifft auch auf die Architektur, die tagsüber oder in der Nacht unterschiedlich wirkt wie erfahrbar ist.

IX. Der Raum und der Ort

Der perfekte Ort der Architekturvermittlung ist aber letztendlich das existierende Gebäude, seine Räume und dessen Kontext, denn dort erfährt man mit allen Sinnen, direkt und durch körperliche Bewegung das, worum es eigentlich geht. Im Idealfall besucht man ein Gebäude oder öffentliche Räume nicht nur einmal, sondern immer wieder, sowohl an Regentagen, in Winterstunden oder unter der Sommersonne, um möglichst viele Stimmungen und damit Aspekte wie Qualitäten des gestalteten Raumes zu erfahren.




Alle Zitate aus: Juhani Pallasmaa: Die Augen der Haut. Architektur und die Sinne, Atara Press, Los Angeles, 2013

1    Ein Gespräch zwischen Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Rémy Zaugg, Hrsg. Cristina Bechtler in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Bregenz, Verlag Cantz, Ostfildern 1996

 

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