zurück zur Startseite

Sehen, berühren, durchschreiten

Das Cover dieser Ausgabe und die Seiten 38–47 gestaltete Bernd Oppl. Zu dessen Raumsimulationen zwischen Bild, Skulptur und Buch hier ein einleitender Text von Alejandro Bachmann:

„Mit der Raumvergessenheit entschwindet das humane Moment aus dem Bewusstsein, aus dem Begriff des Films.“
(Heide Schlüpmann: Raumgeben – der Film dem Kino)

I. Raumbild / Bildraum

Eine Dunkelkammer ist ein Raum, in dem Fragmente von Raum zum Bild werden. In einer Dunkelkammer werden Räume in Form von Bildern zu einem virtuellen Raum neu angeordnet.

Eine Dunkelkammer, irgendwo da draußen, in der Realität.
Ein Bild dieses Raums, irgendwo da draußen, im Internet.

Ein Modell auf der Basis dieses Bildes eines Raums.
Ein Bild des Modells auf der Basis dieses Bildes eines Raums.

Zwei Bilder dieses Modells eines Bildes von einem Raum auf der Vorder- und Rückseite dieses Hefts.
Aufgeklappt und umgedreht, liegen beide Seiten des Raums, die sich angesehen haben, nebeneinander.

In einer sprachlich kaum einzuholenden Weise denkt Bernd Oppl in seinen künstlerischen Arbeiten das Verhältnis von Bildern und Räumen. Er reflektiert dabei jene Prozesse einer virtuellen Gegenwart, in denen reale Räume durch Bilder in einer paradoxen Bewegung vervielfacht werden, um genau darin aber als physische Räume zu verschwinden. Die präzise Konsequenz seines poetischen Denkens entspringt einer Strenge, die das im Großem zu verhandelnde Verhältnis von Raum und Bild in jedem medialen Transformationsschritt auch im Kleinen untrennbar ineinander verhakt sieht. Vom Raum zum Abbild, vom Abbild zum Modell, vom Modell zum Bild, vom Bild zum Buch – Räume werden nicht von Bildern verändert, Räume sind die Bedingung von Bildern und Bilder sind die Bedingung von Räumen. Die Dunkelkammer, der wir auf der Vorderseite dieser Ausgabe von Quart begegnen, ist nicht nur der Raum, in dem Bilder entwickelt werden, sie kann auch selbst zum Raum werden, aus dem ein Bild wird. Davon erzählt die Heftrückseite: Die aus der Wand gelöste Uhr wird zur Linse einer Camera Obscura, aus der das aus der Dunkelkammer strömende Licht in die dunkle Kammer einer Kamera fallen kann. Was Diego Velázquez in Las Meninas innerhalb der medialen Fläche eines Gemäldes denkt (Wer blickt? Wie wird Raum konstruiert? Was macht die Fläche des Bildes mit der Tiefe eines Raums?), entfaltet Bernd Oppl für die Gegenwart entlang multipler medialer Formen – der Fotografie, der Datenbank, dem Computer, dem architektonischen Modell, dem Buch. Sie alle sind mediale Formate, in denen Bilder von Räumen räumlich neu angeordnet werden: mittels der Perspektive eines Blicks, der Architektur eines Interface, Ordnerstrukturen auf einer Festplatte, der Zahl und Form der Seiten zwischen zwei Buchdeckeln.

II. Die Abbildung und ihr Material

Beschreiben also Vorder- und Rückseite zwei sich gegenüberliegende Wände, die mittels des Mediums Buch –
man muss es dazu aufklappen – nebeneinander zum Liegen kommen, gleicht das Durchblättern des Buchs einem Durchschreiten des Raums. Dies allerdings nicht in der Form einer Bewegung durch den Raum in der Zeit, sondern als Reihe von Ausschnitten, von Bildern, die entlang des Gangs der Dunkelkammer Details des Raums für einen Moment fokussieren und fotografisch fixieren. Ein wenige Zentimeter aus der Filmdose gezogener 35-mm-Filmstreifen – jenes Formats also, das den Industrie-Standard sowohl in der analogen Fotografie wie auch des analogen Films bildete – verweist genau auf jenes Verfahren, das im Kern die Erfahrung des Films (aber auch dieses Buchs und quasi jede mediale Übersetzung von Raumerfahrung) ausmacht. Der Film zeigt uns nie alle Momente in der Zeit, er trifft eine Auswahl und konstruiert im Schnitt einen neuen Raum, der sowohl mehr von einem Raum zeigen kann und darin immer auch weniger zeigt bzw. auf alle möglichen Auslassungen implizit verweist. So wie Eadward Muybridges Fotografie des galoppierenden Pferdes den Betrachtenden die Sicherheit gab, dass ein Pferd zu einem bestimmten Zeitpunkt alle vier Hufe im Galopp in der Luft hatte, erinnerte er sie zugleich an die Kontingenz dieses Wahrheitsfindungsprozesses, bei dem jeder Moment einer Bewegung nur um den Preis der Auslassung zig anderer Momente zu haben war1. Bernd Oppls Arbeit schließt an dieses Paradox an: Mit jedem Ausschnitt eines Raums legt er diesen fest und schließt zugleich andere aus – eine Reihe von Detailaufnahmen zwischen zwei Totalen eines Raumes artikulieren genau diesen Prozess. Jede Seite des Buchs, jedes Bild des Raums ist ein Schnitt durch den Raum, der diesen in Sichtbares und Unsichtbares unterteilt.
Egal ob in der Form einer Fotografie, eines Films oder eines Buchs – Raum ist immer Konstruktion, ist immer nur ein Teil eines Raums, der beschränkt wird durch die Materialität des Mediums, das ihn darstellt – die Länge eines Filmstreifens, die Zahl der Bilder eines Fotofilms, das Format und die Zahl der Seiten eines Buchs. Das folgende Bild – ein Behälter für das Entwicklungsbad, darin ein paar Fotos – führt diese gedankliche Linie fort: Das im 3D-Druck-Verfahren hergestellte Objekt zeigt die Fotos nur noch als Objekte, als Flächen, auf denen etwas festgehalten werden kann, als Material, als Träger, der zwar wie ein Foto aussieht und eben doch keines ist. Wo das Material des Buchs Bilder abbilden kann, kann das Material des 3D-Druckers Objekte herstellen. Damit verweist Blackbox auf jene beiden Medien, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen, die sie möglich machen und sie zugleich beschränken.
Aus einem Bild kann in Form des Modells ein Raum werden. Aus einem Raum kann mittels der Fotografie ein Bild werden. Die Dunkelkammer – ein Bildraum – existiert an genau jener Schnittstelle dieser zwei Reproduktionsmedien als Raum, in dem Bilder hergestellt werden. Oppls Arbeit verweist auf diese doppelte Anwesenheit – des Bildes, der räumlichen Struktur –, die nie vollständig ineinander aufgehen kann. Die markanten Rot-Schwarz-Kontraste der Detailaufnahmen, die hohen Auflösungen der Bilder, die Körnung des Pulvermaterials der Gegenstände richten meinen Blick vor allem auf die Materialität der Dinge, erinnern mich daran, dass die Basis der Bildherstellung in der Dunkelkammer Körper und Materialien waren – Oberflächen, Körper und Strukturen, die im Kontakt miteinander Bilder produziert haben.

III. Den Körper in die Gleichung holen

Darkroom verweist in Form eines Buches auf jene zwei Dimensionen, die die Arbeiten Bernd Oppls umkreisen: Bilder und Räume. Wo ein großer Teil seines Werks sich in der Form von Modellen den Räumen zuwendet, in denen Bilder hergestellt, gesehen, konsumiert werden, lässt die Übersetzung dieses künstlerischen Interesses in das Medium des Buches den Kern seiner Modelle von Bildräumen und den Blick, der sich darin auf eine mehr und mehr virtuelle Gegenwart artikuliert, noch einmal anders hervortreten: Als drittes Medium gesellt sich das Buch zur Architektur / Skulptur und dem fotografischen Bild. In Darkroom sprechen die drei miteinander: von ihren jeweiligen Möglichkeiten und Beschränktheiten, von ihren Potenzialen und Verfehlungen, von sich (wenn man so möchte) und uns (die sich durch Buch, Skulptur, Bild Welt erschließen und herstellen). Das Buch führt dabei als Medium zwei entscheidende Faktoren in die Begegnung von Bildern und Räumen ein: den Körper und die Zeit. Erst indem ich das Buch berühre, es falte und durch seine Seiten blättere, füllen sich alle Auslassungen und Brüche des Raums in Bildern wieder auf, kitten sich die Leerstellen zwischen den zwei Wänden mit jenem, das zwischen Bildern und Räumen vermittelt – einer Zeit (die bei jeder und jedem individuell vergeht, zwischen dem Bild auf der Vorder- und Rückseite) und einem Körper, der den Raum durchschreiten muss, indem seine Finger die Buchseiten zu fassen bekommen, umblättern, glattstreichen.
Irgendwo dort, in diesem Moment – in den Brüchen /dem Dialog zwischen Bild, Skulptur und Buch – liegt die Ethik der Arbeit Bernd Oppls begründet: Technische Medien – von der Fotografie über Architektursoftware bis hin zu 3D-Druckern – ermöglichen es, Räume zu Bildern und Bilder zu Räumen werden zu lassen. Darin steckt ein scheinbar endloses kreatives Potenzial – zu erdenken, zu erschaffen, herzustellen. Die Akribie der Arbeit von Oppl aber zielt dabei nie auf eine perfekte Simulation, in der die Kopie in ihrer Ähnlichkeit zum Original verschwindet, sondern auf eine Genauigkeit, die die blinden Flecken der Simulation gegenwärtig hält, ohne ihr dabei die ihr eigene, singuläre Schönheit zu nehmen. Simulation ist hier nicht Größenwahn mit dem Blick auf lückenlose Erfüllung, sondern poetisches Spiel auf der Suche nach Möglichkeiten und Begrenzungen. Seite um Seite bis zur gegenüberliegenden Wand des Bildraums.

1 Siehe hierzu: Mary Anne Doane: The Emergence of Cinematic Time: Modernity, Contingency, the Archive, Harvard University Press 2002

 

im Heft weiterblättern


Email

registrieren

Ihre Email-Adresse wurde bei uns registriert und zur Liste der Newsletter-Abonnenten hinzugefügt.
Sie erhalten in Kürze ein Bestätigung per Email.