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„Bergsteigen sei gefährlich …“

Reinhold Messner über Hitze, Kälte, Sauerstoffmangel im Himalaja und warum die Errichtung des Museums Sigmundskron bei Bozen sein 15. Achttausender ist. Aufgezeichnet von Gustav Kuhn

Die Gletscherspalte ist eine Instinkt-Angelegenheit. Ich bin als Kind – mit sechs, mit sieben, mit zehn Jahren – einfach so als Halbwilder ins Gebirge gekommen und habe gerochen: Das kann man, das nicht, hier ist es gefährlich. Aber mit zehn oder zwölf, also ich zwar zwölf, mein Bruder war zehn, haben wir schon schwierige Wände geklettert. Wir hatten im Grunde keine Ahnung, wenn ich es vom heutigen Blickwinkel aus sehe. Wir hatten einen gut ausgebildeten Instinkt. Mit 20 bin ich in die Welt gekommen und habe die Lehrmeister getroffen, die berühmten Leute, die mich mitgenommen haben, die mich unterstützt haben. Sie waren besser als ich. Nur instinktmäßig waren sie mir unterlegen. Die haben gemeint: Probieren wir es da. Ich habe aber gleich gesehen: Das geht nicht, weil der Fels nicht gut ist. Wie willst denn du das wissen? Weil ich das sehe. Ich hatte anderen nur instinktmäßig etwas voraus. Was Fels und Wetter und Eis angeht. Ich war wie ein Tier. Nur deswegen bin ich bis heute am Leben geblieben.

Als Kind war ich nichts als ein naiver Kletterer. Da war noch niemand über diese Wand, jene Kante hinaufgeklettert. Also probieren wir es jetzt. Am Beginn mit wenig Know-how, dann mit dem Know-how der besten Leute alpenweit, am Ende alleine. Dann kam natürlich der Ehrgeiz, die Herausforderung, besser zu werden. Also gingen wir den nächsten Schritt. Es war immer der nächste Schritt, der mich forderte. Und am Schluss, nach den Alpen, kamen die Anden, kam der Himalaja. Und im Himalaja gab es viele Routen, die noch niemand geklettert hatte. Genau die wollte ich knacken. Da traten plötzlich Wissenschaftler und Mediziner auf den Plan und sagten: Der Everest, da kann der Messner nicht so einfach hingehen und hinaufsteigen, da wiegt allein die Sauerstoffausrüstung 50 Kilo. Wie will er denn 50 Kilo bis unter den Gipfel tragen? – Darauf hab’ ich gesagt: Dann gehe ich eben ohne hinauf. – Das ist nicht möglich, es ist rechnerisch bewiesen, hat es geheißen. – Meine Frage: Wer sagt, dass das nicht möglich ist? – Ja, das steht in allen Lehrbüchern. – Wer hat denn die Lehrbücher geschrieben? – Mediziner natürlich. – Darauf sage ich: Schauen wir mal. Ob es wirklich nicht möglich ist, wissen wir nur, wenn wir es versuchen. Und dann war es plötzlich möglich. In dieser Zeit habe ich ein Tabu nach dem anderen gebrochen. Everest ohne Maske, Everest im Alleingang, den ersten Alleingang auf einen Achttausender, Doppelüberschreitung von zwei Achttausendern. Vor zwanzig Jahren hat niemand gedacht, dass einer alle 14 Achttausender in einem einzigen Leben besteigen kann. Heute ist so was nicht an der Tagesordnung, aber gut machbar.

Und dann kam die Antarktis. Niemand hatte je die Antarktis zu Fuß durchquert. Als ich die Achttausender alle bestiegen hatte und immer noch zu jung war, um vor dem Fernseher auf die Rente zu warten, habe ich mich gefragt: Die Pole sind doch größer, weiter, kälter. Wie funktioniert das? Es ist mir nicht alles gelungen, ich wollte auch zu Fuß von Sibirien über den Pol nach Kanada gehen, ohne Unterstützung aus der Luft. Dabei bin ich gescheitert. Aber ich habe als Erster Grönland der Länge nach durchquert, als Erster den Osten von Tibet zu Fuß, Wüsten, Urwälder. Nächstes Jahr, wenn ich nicht mehr im EU-Parlament sitze, versuche ich wieder, 3000 km durch die Wüste zu gehen. Nach der Politik bin ich sofort in einer Wüste. Zuletzt hab ich diese Idee entwickelt, mit eigenen Mitteln, Energien ein Museum zu entwickeln. Das ist mein 15. Achttausender. Von Null bis zum Gesamtkunstwerk.

Am Beginn war da nur eine Idee: Ich wollte in Südtirol ein Bergmuseum aufbauen. Mit der Zeit – nach fünf, sechs Jahren – wurde die Idee zu einer Vision und mit Schloss Sigmundskron in Verbindung gebracht, was die Begeisterung einiger Politiker fand. Aber dann war „die Zeitung“ dagegen. Es wurde ein Spiel daraus, ein politisches Spiel mit den Medien. Es gab ein ewiges Hin und Her und ich habe gesagt: Gut, wenn ich in Südtirol nicht darf, gehe ich woanders hin. Jetzt habe ich den Monte Rite bei Cortina als Zwischenlager erfunden, als Ausweiche. Die Diskussion um Bozen und Sigmundskron ging fünf Jahre weiter: Möglich, nicht möglich. Ich hatte mich in der Zwischenzeit so in dieses Sigmundskron vertieft, ein Konzept entwickelt, dass es zur Voraussetzung für das Ganze wurde: Sigmundskron als Zentrum und vier Ableger dazu. Am Ende war klar: Das mache ich. In jedem Fall. Ich konnte nicht mehr anders. Ich habe viel Energie, Geld und viel zu viel Zeit investiert, um aufzugeben. Ich habe auch mit den Nordtirolern verhandelt, die geholfen hätten, wenn ich in Bozen nicht zurechtgekommen wäre. Dem Südtiroler Landeshauptmann hab’ ich gesagt: Ich kämpfe bis zuletzt, aber wenn’s nicht geht, bin ich weg. Meinen Werbewert nehme ich mit und mache für eine andere Region Werbung, wie ich es bisher für Südtirol umsonst getan habe. Es sind Hunderttausende von Touristen im Jahr, die allein ich bringe. Nein, ich habe nie einen Pfennig dafür gewollt, ich hielt Vorträge in Hamburg oder Berlin oder wo auch immer und Südtirol kam dabei immer vor. Die Trentiner haben angeboten: Wenn Bozen nicht klappt, bekommst du Beseno. Jedenfalls habe ich am Ende eine Ausschreibung zu Sigmundskron gewonnen. Damit wurde mein Konzept realisierbar. Jetzt ist mein Spiel gewonnen, ich habe ein Zentrum für mein Museumsprojekt, es gilt aber, das beste daraus zu machen.

Ich habe viel gesehen und viel erlebt, bin mit vielen Menschen zusammen gekommen, die in den Gebirgen der Erde daheim sind. Und natürlich habe ich auch viel darüber gelesen. Heute habe ich Erfahrung, ein breites Wissen und kann mir vorstellen, wie man die Berge vor Jahrtausenden gesehen hat. Deshalb muss ich nichts dazu erfinden. Ich muss nicht fragen: Was wird der Berg in 2000 Jahren für die Tibeter bedeuten oder was sagte er vor 500 Jahren den Inkas? Ich habe es im Hinterkopf. Dazu kann ich jemanden ansetzen mit der Bitte: Studier’ mir das genau. Hol mir die Unterlagen, genau zu diesem Punkt, weil ich weiß, da liegt der Schlüssel. Im Großen und Ganzen. Ich habe mir eine Art Überblick erarbeitet. Durch das Gehen, das Studieren und vor allem durch das Schreiben. Ich habe an die 40 Bücher geschrieben. Meine Basis heute ist nicht das Klettern, meine Basis ist die kulturelle Arbeit, die ich seit 30 Jahren leiste. Und deshalb will ich dieses Museum gestalten. Ich werde es auch über die Runden bringen.

Natürlich möchte ich das beste Bergmuseum machen, das es weltweit gibt. Kein anderes darf ihm nur nahe kommen. Wieder einmal ist es der letzte Moment. Wenn ich’s nicht schaffe, wird es Berg-Disney-Land geben. Die Franzosen haben ein Projekt für Chamonix und 30 Millionen Euro, um ihr Bergmuseum zu machen. Noch haben sie nur ein Projekt und ein solches habe ich seit zehn Jahren. Sie haben nicht angefangen, ich schon. Wenn sie mir noch zwei Jahre Zeit geben, bis ich in Sigmundskron fertig bin, brauchen sie nicht mehr anzufangen. Dann haben sie wenig Chancen, die Nummer eins zu werden. Solange ich lebe und meinem Museum Arbeit und Leben gebe, haben sie keine Chance. Gilt es doch Inhalte zu finden, einen Menschen, der viel weiß. Es reicht nicht, die Mittel zu haben, die Kunstschätze zu finden, das wichtigste ist der geistige Inhalt. Dabei tun sich viele schwer. Nicht weil ich überall die Finger drin habe, weltweite Kontakte habe. Ohne Wissen ist meine Sache nicht zu machen. Ich ziehe die Fäden und habe im Moment eine Person im Hintergrund, die mir Arbeit für dieses Projekt abnimmt. Ich habe das ganze im Kopf. Nur, wenn ich umkomme, ist das Projekt nicht durchsetzbar. Fragt mich diese Person eines schönen Tages: Was ist denn, wenn du es nicht überlebst, ehe es fertig ist? Sage ich: Dann ist alles zu vergessen. Leider, im Moment kann es niemand sonst umsetzen. Aber ich komme schon nicht um. Bis 2006 komme ich nicht um. Dann aber – wenn das Museum fertig und gefüllt sein wird – läuft es ohne mich. Dann bin ich überflüssig und fange was Neues an.

Was ich tue, ist wirtschaftlich nicht rechenbar. Im Großen und Ganzen aber waren auch alle meine Expeditionen nicht machbar. Meine Kritiker haben oft gesagt: Das kann er doch nicht selber finanzieren. Trotzdem, ich habe seit 1975 alle meine Reisen selbst finanziert. Indem ich minimalistisch gearbeitet habe. Ich habe als Erster gelernt, wie man anstatt 500.000 Euro für eine Everest-Besteigung 30.000 Euro ausgibt (im heutigen Geldwert). Am Hidden Peak haben Peter Habeler – ein exzellenter Bergsteiger aus Nordtirol – und ich ein 50stel des Üblichen ausgegeben. Wie das gegangen ist? Indem wir nur zu zweit hinfuhren und nur 200 Kilo Gepäck hatten. Statt 10 Tonnen. Ganz simpel. Das heißt: Ich habe einen neuen, einen frechen Weg gesucht. Ich habe die erste leichte Expedition gemacht. 200 Kilogramm für einen Achttausender! Die kleinste vorher auf einen Achttausender hatte zwei Tonnen – zwei Tonnen! Und das war schon vorbildlichst! Wir hatten 200 Kilo und wir waren zu zweit. Wir hatten keine Hochträger, niemanden im Basislager und haben es trotzdem geschafft. Am Ende habe ich frech gesagt: Wir hatten mehr Erfolg als die anderen. Die haben von 20 Leuten oft nur zwei hinaufgebracht, wir waren alle, zu 100 Prozent oben.

Ich spiele heute mehr als früher. Was ich heute tue, hätte ich früher nie getan, alles auf eine Karte setzen, alles riskieren. Wenn mein Sigmundskron nicht funktioniert, gehe ich pleite. Dann ist das Land Südtirol der Gewinner, denn das Land übernimmt das Ganze. Aber Sigmundskron wird funktionieren. Ich habe da keine Bedenken. Vor 25 Jahren, beim Alleingang am Nanga Parbat, hatte ich mehr Bedenken. Ob ich’s überlebe? Um es auf einen Nenner zu bringen: Ich lebe zwischen der Selbstverschwendung und der möglichen Selbstzerstörung. Das heißt, ich gebe alles an Energie, an Mitteln und Zeit und kann dabei umkommen. Wobei bei den früheren Touren konkret die Selbstzerstörung, der Tod möglich gewesen wäre. Das ist nicht schizophren! Aber jeder sagt: Der muss einen Vogel haben. Alles hergeben, um umzukommen – das ist verrückt. Heute bedeutet die Selbstzerstörung eventuell die Pleite – natürlich auch die Demontage. Das heißt, ich verliere mit dem Scheitern mein Renommee. Aber ich setze nach wie vor alles ein, gehe genau dazwischen durch, zwischen Selbstverschwendung und Selbstzerstörung.

Ich hatte auch wegen Sigmundskron viele schlaflose Nächte. Aber früher, vor den großen Touren, hatte ich mehr Angst als heute. Viel mehr. Dieses Aufwachen um drei Uhr früh! Ich kenne es seit vielen Jahren. Es kommt immer vor schwierigen Projekten. Weil ich weiß, dieses oder jenes könnte nicht klappen. Oder ich könnte Fehler machen und bin dann tot. Vor der Antarktis war es am schlimmsten. Du weißt genau, es ist die Hölle, dauert monatelang, du warst nie dort, es ist immer 40 Grad kalt und es gibt keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Wenn ich mir das alles vorstelle, sagt mir der Hausverstand: nicht überlebbar. Also darf ich es nicht machen. Und gehe doch! Hitze ist nicht so schwierig zu meistern wie Kälte. Also mehr Angst habe ich vor der Kälte. Kälte auf Dauer, über Monate – kann sich niemand vorstellen. Ich bin überzeugt davon, dass die allermeisten von uns, ob in Innsbruck, Bozen oder München, in einem minus 40 Grad kalten Kühlhaus nach zwei Stunden nicht mehr wissen, was zu tun ist. Unterkühlung macht wahnsinnig. In der Antarktis aber ist es drei Monate lang Tag und Nacht 40 Grad kalt. In ein Kühlhaus rein- und wieder rausgehen ist kein Problem. Aber nach zehn Minuten wird’s kalt und nach zwei Stunden bist du so unterkühlt, dass du nicht mehr weißt, was du tun könntest um zu überleben.

In der Antarktis kann ich gehen, in Bewegung bleiben. Du musst etwas tun, sonst ist es nicht zu überleben. In der Hitze, in der Sahara im letzten Sommer zum Beispiel … ich weiß nicht, wie heiß es da war! Der Äquator hat sich ja zu uns hin verschoben. Viel mehr als 40, 45 Grad hat’s dort auch nicht. Man geht in der Früh, mit dem ersten Licht, bis es heiß wird und schaut, sich irgendwo in einer Schlucht im Schatten zu verstecken. Bäume gibt’s keine, aber ab und zu Sträucher. Und am Abend geht man weiter. In der Nacht ist es zu anstrengend. Ich könnte natürlich mit einer Lampe durch die Gegend stolpern, aber auch die kostet zu viel Energie. Ich muss ja alles minimalistisch machen. Ich will ja nicht Batterien mitschleppen. Mein Wüstenprojekt: ein Paar Schuhe für drei Monate, drei Paar Socken, wenn’s gut geht, Zinktabletten, dass ich nicht irgendwelche Furunkel kriege. Man kann sich nicht immer waschen. Wenn ich wenig Wasser zum Trinken habe, wie soll ich mich waschen. Und so schlage ich mich durch, von einem Nomadencamp zum nächsten. Da kaufe ich mir Proviant, gedörrtes Schaffleisch, Tee, erhole mich und gehe weiter. Schon vor 20 Jahren habe ich mir eingebildet: ohne Ende zu Fuß durch eine Wüste! Gehen! Natürlich allein. Ich habe in jeder Sparte Alleingänge gemacht. Also diesmal will ich es durch die Wüste schaffen. 3000 km weit. Ich habe schon einmal eine Wüste allein versucht. Dabei bin ich nicht weit gekommen. Mein Problem, mit 60, ist natürlich das Verwöhntsein. Ja, ich bin verwöhnter als früher. Aber ich glaube, dass ich mich immer noch abkapseln kann. Auf und davon aus dieser Welt! Am Beginn ist alles schwierig. Du speckst ab. Nicht nur Übergewicht. Dann wird es besser. Nach einem Monat geht’s mir so gut, dass ich alles schaffe. Und wenn nicht, ist es nicht schlimm. Ich verliere ja nichts, wenn ich aufgebe.

Immer wenn ich mich überanstrenge, weil ich etwas tue, was ich nicht darf, weil ich nicht dementsprechend trainiert bin, regt sich der Körper auf, reagiert. Und dann krieg’ ich Krämpfe. Nicht in der Aktivität, aber nachher oder in der Nacht. Immer nachher. Was nicht ohne ist. 1968, wir waren in einer 300 Meter hohen Wand, gerieten wir in Todesgefahr, mein Bruder und ich. Heute schlägt man normalerweise alle drei Meter einen Haken. Wir haben früher alle 20 Meter einen Haken geschlagen. In diesem Fall habe ich eine ganze Seillänge lang keinen Haken geschlagen. Weil alles so gut lief. Und bevor das Seil ausging, kam ich nicht mehr weiter. Ende. Ich blieb zu lang an winzigen Griffen hängen. Sehr gefährlich. Weil du immer schwächer wirst, du krampfst und dann fällst du einfach aus der Wand. Ich wußte aber: Wenn ich falle, falle ich 40 Meter bis zu meinem Bruder und dann weitere 40 Meter. Sofern das ganze Zeug am Standplatz hält, an dem Günther hing. Sonst reißt’s uns beide aus der Wand. Die Angst und der Adrenalin-Ausstoß müssen so gewaltig gewesen sein, dass ich die letzte Passage frei runterklettern konnte. Um irgendwo stehen zu können. Beim Runterklettern aber hat sich meine rechte Hand verkrampft. Damit war ich am Ende, beim Wegfallen. Irgendwie aber habe ich in dieser Notsituation so viel Energie und Willenskraft mobilisieren können, noch einmal hinaufzuklettern und diese zwei Meter weiterzukommen, sodass ich mich hinstellen konnte. Was ich vorher nicht geschafft hatte, gelang in dieser Überreaktion. Trotz der Krämpfe. Sonst wäre ich runtergefallen, und was dabei passiert wäre, kann ich nicht ausmalen.

Die Geschichte mit dem Tod meines Bruders: Ich weiß ja die Hintergründe, aber die breite Öffentlichkeit kennt sie nicht. Deshalb kann jeder behaupten, was er will. Solange die Fakten stimmen. Aber, dieses Moralisieren der Lügner und Betrüger geht mir auf die Nerven. War es nicht immer schon so, dass jene, die moralisieren, die Verbrecher sind? Die Hintergründe sind leicht zu durchschauen. Jemand fälscht ein Tagebuch und ein anderer nutzt das Ganze, um dem Messner unter dem Deckmäntelchen der Kameradschaft zu sagen, er habe sich unmoralisch verhalten. Was heißt denn hier unmoralisch? Was ist moralisch richtig? Wenn ich zwischen Leben und Tod stehe. Habe ich nicht das Recht, den Bruder zu retten? Da oben waren nur mein Bruder und ich. Nicht die Anderen, die sich mit meiner Tragödie wichtig machen. Sie waren nicht dabei. Sie haben das, was Günther und mich betrifft, einfach erfunden. Und wenn ich den Journalisten sage, lasst euch das Tagebuch zeigen, ich sehe von weitem, dass es Lug und Trug ist, gefälscht, Kolportage! – das interessiert die in den Medien nicht. Als Skandalmensch bin ich besser verkäuflich, als wenn ich nochmals einen Achttausender besteigen würde. Es gibt Tausende solcher Fälle wie den meinen: Hermann Buhl ist verschwunden, Siegi Löw, Scott Fischer. Wie, weiß niemand genau. Außer diejenigen, die dabei waren.

Meine Mutter hat diese Hetze durchschaut. Nur am Ende meiner Achttausender-Zeit hatte sie ein Problem mit meiner Grenzgängerei. Sie hatte Angst. Es ist ja nicht nur mein Bruder Günther am Berg umgekommen, sondern auch ein anderer Sohn, Siegfried: Blitzschlag in den Dolomiten. Ich war nicht dabei. Die Mutter hatte jetzt irgendwie immer das Gefühl, Bergsteigen sei gefährlich für mich. Ich verstehe, hat sie gesagt, du musst alle Achttausender machen, aber wenn du es geschafft hast, muss das nicht mehr sein. Okay, hab’ ich gesagt. Und es galt. Solange sie gelebt hat. Nachher machte mein Gelübde keinen Sinn mehr. Ich habe es ihr zuliebe gemacht. Gut, die Achttausender sind abgeschlossen, habe ich ihr versprochen, jetzt gehe ich in die Antarktis. Gute Idee, hat sie gesagt, kannst dich gut dabei erholen.

 

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