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Bauplatz Vision

Der Architekt Bruno Taut träumte in der Zwischenkriegszeit von der Errichtung kristalliner Gebäude auf Alpengipfeln und der Verschmelzung von Natur und Architektur. Wolfgang Pöschl reist durch diese Gedankenwelt und verfertigt Notizen. Im Handgepäck: Tauts Schrift „Alpine Architektur“ (1919).

Seit einiger Zeit geistert eine neue Faszination für „Kristalle“ durch die Avantgarde-Architektur. Eine romantische Metapher, die auf die so benannten Gebäude nicht so recht passen will. Kristalle lösen die gerade noch angesagten Nebel und Wolken ab. Sind es die Ecken und Kanten, die ein Gebäude zum Kristall machen, ist es das Glas? Wenn die Aufmerksamkeit erst einmal auf den Kristall gelenkt ist, häufen sich die Zufälle und die Kristalle sind überall.

So begegnet mir im Internet unter dem Stichwort „Alpine Architektur“ ein alter Bekannter: Bruno Taut (1880–1938), der deutsche Architekt, der nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin tausende Wohnungen gebaut und damit ein menschliches Wohnumfeld realisiert hat, das visionär und zukunftsweisend war. Vor allem aber hat mich als Student Bruno Tauts frecher Einsatz von Farbe in der Architektur beeindruckt. Er gestand der Farbe eine eigenständige Rolle unabhängig von der architektonischen Form zu. Ein harter Schlag gegen die Angst der Architekten vor Farbe, der mich nachhaltig ermutigte und mir Anstoß für eine anhaltende Auseinandersetzung war. Die „Alpine Architektur“ Bruno Tauts aber war mir entgangen.

In einem Bildzyklus umkreiste er 1918–19 ein visionäres Projekt: Die erhabensten Gipfel der Alpen, ganze Gebirgszüge sollten durch gebaute Kristalle ersetzt werden; Gebäude, in denen sich die Sonne brechen und deren Schönheit die mit Luftschiffen anreisenden Besucher heilen sollte.

Am 24. April 1993 hält der Bundeskanzler von Europa eine Rede vor dem europäischen Parlament:
„(…) Es gab einmal eine Zeit (sie ist nicht allzu lange her), da schlief das alte Europa wirklich. Aber einen Schlaf mit den wildesten Träumen. Mord, Raub, Lüge, mit einem altertümlichen Wort gesagt: Krieg wütete, es konnte keine Wirklichkeit sein. Endlich erwachte das alte Europa aus seinem schrecklichen Traum, es erwachte, als es sich nicht mehr langweilte, als seine Arbeitermassen, seine Maschinen, seine Fabriken in eine andere Richtung gelenkt wurden als in die Herstellung von Gebrauchsgegenständen.

Messer und Gabeln, Brücken, Eisenbahnen, Kanonen, Klosetts als Endzweck von so viel Kraftaufwand! Oder gab es noch eine höhere Idee? Jeder wollte möglichst gut leben, die Arbeiter schufen ihre soziale Bewegung: Aber gab es irgendwo ein Ziel aller guten Bildung und alles guten Essens?

Meine Herren, heute langweilt sich Europa nicht mehr. Wir haben ein Ziel; und wir haben große Schwierigkeiten bis dahin zu überwinden, dass uns fast der Atem ausgeht. Aber wenn Europa vor einem Dreivierteljahrhundert Milliarden auf Milliarden für Millionen von Blutopfern ausgeben konnte, soll es heute verzagen, wo es von einem Ziel des Glanzes, der Schönheit, des Friedens beherrscht wird? Heute weiß jeder, wofür er lebt. Er fühlt sich als einen gütigen Gedanken der Erde, des Heimatsterns, der sich schmücken will. Dieses Ziel lässt keinen untätig beiseite stehen. In kürzester Zeit stellte sich unsere ganze Industrie darauf ein; ja, ihre Aufgaben sind gewachsen. Und heute weiß jeder Arbeiter, an welchem Werk er mittun darf. Er sieht das Werk aufblühen und empfindet dessen Schönheit. Das Sklaventum lässt sich nur in seinen Formen mildern; es wird aber erst dann überwunden, wenn allen die Begeisterung zu einer Idee eingepflanzt wird, vom gestaltenden Künstler bis zum Arbeiter an irgendeiner Maschine. (…)“

Neben dieser fiktiven Rede, die Bruno Taut 1920 geschrieben hat, und einigen anderen Texten finde ich den Bildzyklus „Die Alpine Architektur“ (mit japanischen Untertiteln) im Internet, in schlechter Qualität, aber immerhin; antiquarisch könnte ich außerdem einen Band der Originalausgabe um 2.300 Schweizer Franken bestellen.

Zwei Fragen drängen sich auf: War Bruno Taut im Krieg? Und welche Beziehung hatte er zu den Alpen, zu Bergen überhaupt? Zu beidem finde ich wenig; mehrmals wird Bruno Taut als Pazifist bezeichnet. Ich kann mir Taut im Krieg nicht vorstellen; er hätte ihn nicht überlebt; er wäre bestimmt gefallen wie Boccioni, mein Lieblingsfuturist.

Millionen waren zu einem nicht unbeträchtlichen Teil begeistert (oder gar aus Langeweile?) in den Krieg gezogen. Allzu vielen erschien der Krieg als der einzige Ausweg aus festgefahrenen, perspektivlosen persönlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Für Millionen endete diese Hoffnung besonders auf der persönlichen Ebene fatal mit Tod auf dem Schlachtfeld, mit Verstümmelung oder einem lebenslangen Trauma. Vor diesem Hintergrund müsste ich Bruno Tauts Vision als zynisch oder zumindest als naiv abtun – wäre da nicht sein architektonisches Werk. Taut ersetzt Krieg und Rüstungsindustrie durch „Alpine Architektur“. Eine „große Idee“ sollte die menschliche Kreativität in friedliche Bahnen lenken: Architektur als kontinentale Arbeitstherapie für eine verrückte Menschheit?

Die Idee mit der großen Idee hatten andere auch; nur der Trick funktionierte, wie wir jetzt wissen, mit Krieg
einfach besser als mit Architektur.

Als Bruno Taut 1933 von einem Arbeitsaufenthalt in Moskau zurückkehrte, verlor er im Klima des erstarkenden Faschismus seine Professur in Berlin, floh nach Japan und später in die Türkei, wo er am 24. Dezember 1938 an einem Asthmaanfall starb.

„Wir müssen das Unerreichbare kennen und wollen, wenn das Erreichbare gelingen soll.“ (B. Taut)

An ihrem historischen Umfeld gemessen bleibt Tauts Vision unbegreiflich, aus seiner persönlichen Biografie heraus ist sie umso verständlicher. Die Trümmerfelder nach einem Weltkrieg vor Augen war die „Alpine Architektur“ ein Aufschrei gegen die Resignation, ein Scharren in den Startlöchern; sie war eine trotzige Ansage, jetzt erst recht nicht auf einen architektonischen Anspruch zu verzichten.

Jeder einzelne Architekt (auch heute unter auf den ersten Blick weniger dramatischen Umständen) muss seine Vision voranstellen, sich in aller (jugendlichen) Präpotenz die Latte legen und den Horizont erahnen.

In Bruno Tauts Vision einer „Alpinen Architektur“ steckt ein rührendes Moment. Er ersetzt verzweifelt das Unerträgliche („Krieg wütete, es konnte keine Wirklichkeit sein“) durch etwas Schönes, Erhabenes. Im Grunde ist das ein religiöser Akt, die reine Hingabe an eine übermächtige Aufgabe, deren Sinn im Metaphysischen liegt, ein Beschwörungs-Ritual.

„(…) Die Gedankenwelt liegt in Trümmern: Verherrlichung des Schlachtenruhms, Glorifizierung der Machtausbreitung, Persönlichkeitskultus, Geldanbetung und Materialismus und die dies erzeugenden höheren Ideen: Missachtung des Lebens, Glaube an ein Paradies über den Wolken, weil die Lebensmisere unverbesserlich und die einfache Lehre Christi ‚Töte nicht, führe nicht Krieg, sitze nicht zu Gericht!‘ für dieses traurige Leben unmöglich sei. Der Künstler ein Diener zum Genuss der Reichen, in traurigster Vereinsamung. Alle, die geistigen Dingen dienten, isoliert: der Philologe, der Philosoph, alle nahmen die schlimmsten Mittel, Lüge, Raub, Mord hin und konstruierten Zwecke dazu, lebensferne Zwecke. Ein totes, unrichtig dargestelltes Altertum wurde den Schulen als Ideal gegeben, zusammenhanglos mit der Einheit des Lebens. Kampf ums Dasein verfälschte Naturwissenschaft wie Geschichte. Es war ein geschlossenes Gebäude, das Kunst und Wissenschaft und Religion errichteten, nur ein innerlich zerstückeltes und äußerlich künstlich zusammengehaltenes Konglomerat. Das soll in Trümmer fallen. Aus seinem Staub soll ein neuer Phönix aufsteigen, ein Licht erstrahlen und ein fester Bau entstehen! Ein wahres Gedankengebäude! (…)“ (aus Bruno Taut: „An die sozialistische Regierung“, 1918)

Vieles an Bruno Tauts Texten ist brandaktuell. Befinden wir uns nicht wieder in einem scheinbar ausweglosen, geschlossenen System von Zwängen, fixen Ideen und Obsessionen? Nur die naiv idealistische Perspektive ist uns nach den Ereignissen des 20. Jahrhunderts endgültig verwehrt. Wir haben unsere Unschuld inzwischen schon zu oft verloren, um noch an große, einfache Lösungen glauben zu dürfen. Demonstrative Unwissenheit und Geschichtslosigkeit haben heute genauso ausgedient wie unschuldige Naivität und großspurige Ansagen; sie sind zum Ausdruck eines menschenverachtenden Zynismus geworden.

Das Starren auf eine Sprungschanze wie das Kaninchen auf die Schlange ist – bei allen unbestrittenen Qualitäten der Architektur – letztlich eine Verwechslung von Mittel und Zweck. Unsere Visionen kreisen um die Mittel und verdecken immer schlechter unsere Ratlosigkeit und Leere bei der Frage: Wozu das Ganze?

„Wir dürfen das Erreichbare nicht kennen und wollen, wenn das Unerreichbare gelingen soll.“ (Pragmatismus des Naiven/Zynikers)

Unser Problem mit den Visionen und Utopien besteht nicht länger darin, auf unbekanntes Gebiet vorzudringen und uns damit gegen den Strom der herrschenden Meinungen zu stellen. Unser Problem ist allmählich der immer weitere Bereiche erfassende „Bilbao-Effekt“, die gnadenlose Instrumentalisierung des Visionären und Utopischen; die Vision wird zur zwanghaften, verkaufsfördernden Pose. Oder, wie Josef Lackner es ausdrückte: „Der Frank Gehry könnte jetzt in jedem Dorf bauen, wenn er könnte.“

Das Andersartige und Fremde wird zum modischen Muss und gehört zum guten Ton (wenn es uns nicht gerade als Asylwerber begegnet). Zwischen der hoffnungslos abgestandenen, obwohl eben erst eröffneten Fiktion des Alpin-Rustikalen und der vermeintlich japanischen Zen-Idylle liegen nur wenige Autobahnkilometer. Das unsägliche Aquarium mit Goldfisch wird vom Haifischbecken abgelöst. In diesem Spiel hat die Architektur schlechte Karten. Sie wird zwangsläufig degradiert zur Kulisse und zunehmend zur zweidimensionalen oder dimensionslosen Projektionsfläche für die viel schnelleren und beweglicheren Bilder. Architektur wird so zugunsten einer allgegenwärtigen Illusion verschwinden. Und wie es sich bereits abzeichnet, werden es sich Architekten als Verdienst anrechnen, wenn sie viel gewollt und es nicht erreicht haben. Der Architekt wird in seiner Hilflosigkeit zum Hochspringer, der sich die Latte auf drei Meter legt, um dann mit einem jämmerlichen 1,50 m-Sprung wohlinszeniert und bravourös darunter durchzuspringen. Das ist genauso dumm, wie sich die Latte auf den Boden zu legen und dann noch darüberzustolpern.

„Überwunden“ sind die biederen Ideale der Moderne, die eine Übereinstimmung von Inhalt, Form und Konstruktion oder die Angemessenheit und größtmögliche Intelligenz der Mittel verlangten. Diese Ideale waren Bruno Taut noch ein zentrales Anliegen. In der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg begann die Kunst aus den Museen und Galerien auszuziehen, gegen ihre Isolation vom Leben zu rebellieren. Ist sie jetzt zurückgekehrt auf den Friedhof? Baut ihr die Architektur die Mausoleen und Sarkophage?

„(…) Inmitten der vielen heutigen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten darüber, ob das Gebaute schön ist oder hässlich, ob es den Anforderungen an die Wohnungsgüte genügt oder nicht, scheint es sehr notwendig zu sein, an der Klärung dieser Fragen, soweit es überhaupt geht, mitzuhelfen. Ein Haus und besonders das Massenwohnhaus, um das es sich vorwiegend handeln soll, ist nicht allein von einem einzigen Standpunkt aus zu verstehen. Der Standpunkt des Fotografen oder des ein Bild zeichnenden Architekten ist schon deshalb ungenügend, weil die Körperlichkeit des Hauses nur durch das Herumgehen begriffen werden kann, in der bildlichen Übertragung also am besten durch die Filmaufnahme mit dem sich um das Haus herum bewegenden Aufnahmeapparat. Doch auch damit allein kann man dem Gebauten nicht gerecht werden; man muss schon in das Haus hineingehen, die Anordnung der Räume und daraufhin den Wert der Wohnungen prüfen und kann erst danach ein Urteil über den Wert der äußeren Erscheinung fällen, die ja eine passende Hülle zu den inneren Vorgängen sein muss. Doch auch selbst das würde noch nicht genügen: Man müsste auch die konstruktive Durchbildung studieren, inwieweit das gewählte Material dem Streben nach größter Sparsamkeit und geringstem Aufwand entspricht, inwieweit wichtige technische Neuerungen verwendet worden sind, welche finanziellen Auswirkungen sie haben, schließlich inwieweit der Entwurf des Hauses überhaupt den sozialen und finanziellen Forderungen gerecht wird und all dgl. mehr. Man müsste auch untersuchen, ob die gewählte Hausform, Stockwerkshaus oder Flachbau, an dieser Stelle richtig ist, ob die Erweiterung der Ortschaften und Städte der Schichtung des gewerblichen Lebens angepasst ist, ja man müsste den Fragen der städtebaulichen Anordnung und der Verteilung der Wohnkomplexe ein ausführliches Studium widmen (…)“ (aus Bruno Taut „Bauen: Der neue Wohnbau”, 1927)

„Wir dürfen das Unerreichbare nicht kennen und wollen, wenn das Erreichbare gelingen soll.“ (Pragmatismus des Unsicheren/Technokraten)

Wie ist das mit Bruno Taut und den Alpen, den Bergen, dem Bauplatz seiner Vision?

Angeblich waren es englische Adelige und deutsche Poeten, die das Bergsteigen erfanden. Dafür spricht die Behauptung meines Großvaters als Schafhirt, dass nur die dümmsten Schafe auf den Berg hinauflaufen. Trotzdem ist zu bezweifeln, ob es wirklich diese Initialzündung von außen zum Entstehen des Bergsteigens gebraucht hat.

Es ist einfach schwierig, in Tirol die Berge zu ignorieren. Sie teilen ihre Bewohner seit jeher in zwei Gruppen: in jene, die den Bergen mit Respekt eher fern bleiben, sie von unten betrachten und ihnen zugleich fast mystische Größe verleihen; und jene, die ihren Respekt in einem Frontalangriff bearbeiten, den unmöglichen Ort zu ihrem Ort machen (und den Berg in immer schwierigeren Routen unter Lebensgefahr bezwingen). Dabei ist ihnen wie fernöstlichen Mönchen meist der Weg das Ziel; sind doch die Gipfel oft von der anderen Seite in einem Spaziergang oder zumindest wesentlich leichter und gefahrenloser zu erreichen. Beide Gruppen nehmen den Berg als Maßstab und werden somit an ihre eigene wahre Größe erinnert. Das war es wohl, was Lords und Poeten und die ersten Touristen faszinierte.

Die Idee, einen Berg durch ein Gebäude zu ersetzen oder auch nur mit einem Bauwerk ein Gegengewicht zu einem Berg zu schaffen, kann einem Bergmenschen kaum imponieren; es muss ihm schlicht lächerlich erscheinen. Nur die blindesten Technokraten und ihre schärfsten Kritiker können ernsthaft an die Allmacht des Menschen glauben.

Zwischen der Vision der „Alpinen Architektur“ Tauts und seiner Architekturpraxis klafft auf den ersten Blick ein Abgrund. Sehen wir die Berge aber als extremen, unzugänglichen, unmöglichen Bauplatz, dann können wir zwei Ermutigungen ableiten:

Die erste ist, uns mit der Architektur ins unwegsame Gelände zu begeben, uns in die architektonischen Wüsten vorzuwagen. Die architektonischen Wüsten sind dort, wo Architektur noch kaum ein Thema ist, im Industrie- und Gewerbebau, in der Landwirtschaft und ebenda, wo das Bauen oft schon zur seelenlosen Attrappe (mit traditionellem oder visionärem Anstrich) verkommen ist. Es gibt viele Wüsten, die wir noch gar nicht sehen; von den Wüsten rund um den Globus ganz abgesehen.

Wüsten sind für die Architektur der fruchtbarste Boden.

Wir müssen das Erreichbare kennen und wollen, wenn das Unerreichbare gelingen soll.“ (Pragmatismus des Grenzgängers)

Die zweite Herausforderung, die uns Bruno Taut vorgibt, ist: nicht auf das Träumen zu vergessen – trotz der in Wüsten und im Gebirge lebenswichtigen Bodenhaftung und Erdverbundenheit; stets zu bedenken, dass größte Zweckmäßigkeit und Rationalität immer auch eine irrationale, metaphysische Seite haben und dass wir auf dieses offene Ende nicht verzichten dürfen: Die Magie eines Gebäudes, eines Raumes (manche nennen das „architektonischen Mehrwert“) muss genauso Ziel sein wie seine Funktionalität und Wirtschaftlichkeit.

So ist in Tauts Gesamtwerk über dem Abgrund zwischen Vision und Realität eine Brücke zu erkennen. In schwierigem Gelände ist das Ziel der weite oder hohe Horizont. Der Weg dorthin ist beschwerlich; leicht ist nur der Weg nach unten. Der Absturz, der beim Bergsteigen oft tödlich endet, kann in der Architektur unmerklich sein. Eitelkeit und wirtschaftlicher Erfolg gaukeln uns einen Aufstieg vor, wo wir uns schon im freien Fall befinden. Der hohe Horizont, die Vision kann uns nur die Richtung zeigen, nicht aber vor dem Absturz bewahren.

Wie aber Halt finden? Meinen bisherigen Erfahrungen zufolge scheint die einzige Möglichkeit der sorgfältige zwischenmenschliche Umgang zu sein. Das bedeutet: die Menschen wahrzunehmen, für die man baut und mit denen man baut; und das heißt, möglichst jeden einzelnen als unergründliches Universum zu sehen oder wenigstens wie die Figur in einem Film, mit der man sich identifiziert. Dieser konkrete Blick auf den unmittelbar Nächsten bewahrt vor Überraschung und Verbitterung und macht aus dem grauen Alltag ein Abenteuer.

Wir müssen uns damit abfinden, auf diese Weise vielleicht Halt zu finden, aber keine wirkliche Sicherheit. Der Zweifel muss sowieso unser bester Freund werden, auch wenn er nur mit Humor (und manchmal mit Sarkasmus) zu ertragen ist; dafür bewahrt er uns am ehesten vor der Verzweiflung und davor, dass uns bei allen großen Visionen die Realität abhanden kommt – oder so verrottet wie zu Zeiten Bruno Tauts (und uns allzu früh den Atem raubt).

 

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