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Gefährdete, Gefährliche

In Innsbruck gibt es eine Eifersuchtsambulanz – was weltweit einzigartig ist. Erika Wimmer über einen unterschätzten Schmerz.

Achtundneunzig Prozent aller Personen haben mit ihr Bekanntschaft gemacht, und doch wirkt einer, der darunter leidet, wie von gestern. In der Ära der Lebensabschnittspartner ist es nicht eben zeitgemäß, toll vor Eifersucht zu sein. Duelle sind Vergangenheit. Für den krassen Fall gibt es heute eine Ambulanz.

Stehe da wie vor Jahren. Nur im Reden gewandter, im Ganzen gewiefter. Psychiatrie, 2. Stock links. Der Arzt von damals ähnelt dem heutigen. Selbstverständlich, daß da welche kommen und ein Problem haben. Die seltsamsten Dinge, sie kosten ihnen keine Irritation, nicht das kürzeste Augenflirren. Nicht einmal ein kleines Knistern. Der Boden ist immer gleich clean. Wenn eine was fallen läßt, Brösel oder Exkrement, wird es sofort weggewischt. Sie strahlen Wissen aus und geben den Hinweis, ein dominanter Vater sei das Problem.

Ich bin gekommen, um zu interviewen. Eine Ambulanz für so etwas, da müssen wir nachschauen. Wiewohl wir aus ganz verschiedenen Welten kommen, darf ich mich heute mit dem Arzt auf einer Ebene über Allzumenschliches unterhalten. Doch ich weiß von dem Gefälle hier. Ich wolle etwas in Erfahrung bringen. Er steht zur Verfügung. Nur zwei Stunden zwischen Anruf und Gespräch, noch nie habe ich so rasch einen Interviewtermin bekommen. Hier ist es merkwürdig fad, nichts riecht, nichts stinkt.

Es sind die Sterne. Von ihnen rührt Furcht her. Sie, die Unfaßbaren. Toll weiß. Erscheinen völlig kalt. Obwohl sie funkeln, leuchten sie mir nicht ein. Sie erhellen mich nicht, sondern ziehen sich dunkel vor meine Stirn. Während einer Attacke schnappe ich nach Luft. Wegen der Schweißausbrüche habe ich immer ein Deo dabei. Zugleich bedeutet es mir nichts, gut zu riechen. Ich. Keine Ahnung, wo ich im Verhältnis zu den Planeten bin. Weil ich nicht eigentlich bin. Sie schleifen mich hinter sich her. Sie treiben mich vor sich her. Sie türmen sich über mir auf, drücken mir auf die Brust.

Ich gebe vor, neugierig zu sein. Aber er wird mir nichts Neues sagen, allenfalls ein paar Begriffe liefern. Ich kenne mich hier aus. Und ich kenne seinen Artikel. Außerdem gehöre ich zu den achtundneunzig Prozent der Menschheit, die ihre Bekanntschaft gemacht haben. Doch ich bin normal. Eine Pathologie der Eifersucht ist nur graduell zu definieren.

Was kann man nur gegen Sterne und Planeten haben.

Was einen veranlaßt, die Ambulanz aufzusuchen. Man ist in Beziehung verstrickt. Die Eifersucht ist ein Problem der Partnerschaft, nicht unbedingt der Liebesbeziehung. Geschwister kennen sie oft, die Großen eifern auf die Kleinen. Freunde können in die Falle tappen, Mütter gehen ihr auf den Leim. Am häufigsten ist das Problem aber doch in sexuellen Beziehungen zu finden. Hat der andere den schwarzen Peter, so ertappt man sich womöglich dabei, Schutzbehauptungen aufzustellen. Nein, man sei nicht mit ihm unterwegs gewesen. Nein, man sei etwas länger im Büro geblieben. Ja, man habe angerufen, ihn aber nicht erreicht. Er sei der Einzige. Hat man selbst den Makel an sich, ruft man im Büro an, um zu sehen, ob sie noch da, ist oder durchwühlt Manteltaschen auf der Suche nach Indizien. Soweit, so bekannt.

Sie erinnern mich ans Ende. Aber geh, Sterben ist doch das letzte große Abenteuer, sagen die Väter. Im Fernsehen höre ich eine Frau behaupten, sie habe keine Angst vor dem Sterben. Sie sagt es zu schnell, zu geschliffen. Für derartiges habe ich ein Sensorium.

So clean. Welche Putzfrau, welche Schwester geht hier um. Was treibt sie an, einen derartig sauberen Ring um die krassen Fälle zu legen. Ein Schutzring vielleicht. Ein Komm-mir-nicht-zu-nahe-Ring eher. Er trägt einen frischen weißen Kittel. Braungebrannt. Hat wohl in diesem Sommer eine Frau über das Meer gesegelt. Eifersucht ist kein Thema, vermute ich. Ob er nach Dienstschluß ein Lokal aufsucht, möchte ich fragen. Immerhin gibt er etwas preis, was sich persönlich anhört. Anfangs sei er für seine Initiative belächelt worden. Eine Eifersuchtsambulanz, ausgerechnet bei uns, habe man ausgerufen. Man habe getuschelt, er wolle sich eine Nische suchen, einen Erstling schaffen. Da haben wir die erste interessante und überdies einschlägige Information.

Während er erzählt, erinnere ich mich und resümiere: Hier wird man so oder so dazu gebracht zu funktionieren. Das Verhalten in akzeptable Bahnen lenken. Gesprächsweise schürfen. Sich beruhigen. Den Zwang ablegen. Den Zwang unaufhörlich zu denken. Unaufhörlich Bestimmtes zu denken. Gedanken kleben an den Hirnwindungen, rotieren und rotieren. Man mag sie nicht mehr denken, man denkt, ein anderer rede einem im Inneren was vor. Man muß agieren, um nicht mehr bloß zu denken. Schriftrollen voller Behauptungen austricksen. Sich dabei erschöpfen. Die Denkmaschine wird zum Zwang, das oder jenes zu tun. Die Erinnerung dominiert, während ich mich frage, was er wirklich denkt. Ein Satz haftet an meinen Hirnwindungen: Es verbietet sich, den Gegenstand des Interesses von oben herab zu beleuchten.

Heute, nach fünf Jahren Versorgungsarbeit, hat er sich profiliert, von Rechtsanwälten oder außergerichtlichen Schiedsstellen werden Leute geschickt. Gefährdete, Gefährliche. Über die Mörder aus Eifersucht will er nicht reden. Wir wollen die Ambulanz nicht auf diese Weise bekannt machen. Das Wir kommt plötzlich hereingeschneit. Um die Hemmschwelle nicht zu vergrößern, fügt er hinzu. Denn sie sollen kommen und sich helfen lassen, auch wenn sie nicht gefährlich sind. Die Wenigsten sind es. Sie haben meist ein anderes Problem. Eins, das allgemein ernster genommen wird, sage ich mir. Alkoholismus, zum Beispiel. Oder Depression. Etwa 500 Patienten haben bisher von der Einrichtung Gebrauch gemacht.

Wenn man Sterne leibhaftig spürt, dann hat man ein Sensorium. Darauf darf man sich was einbilden. Man scheißt darauf. Diese Art der Selbstwahrnehmung kenne ich. Man entnimmt dem Beipackzettel, daß man eine schizophrene Seite, einen paranoiden Zug hat. Das sitzt, man fühlt sich beschmutzt. Ein solches Gefühl ist wahrscheinlich pathologisch. Ich nehme die Tabletten, damit ich kein Deo mehr brauche. Der eifersüchtige Mann bringt die Schublade, in der er gewühlt hat, wieder in Ordnung.

Was eine Ambulanz so leistet. Die Behandlung ist kombiniert: Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie und Medikamente. Als Arzt will er den Patienten die Segnungen einer medikamentösen Behandlung nicht
vorenthalten.

Endlich wieder schlafen.

Antidepressiva, zum Beispiel. Ja, die Chemie ist wichtig. Ja, Präparate sind oftmals nötig und hilfreich. Sie nehmen die Spitze, erst dann kann der Patient überhaupt auspacken. Er muß sich schälen, damit etwas sichtbar wird. Damit man ihm helfen kann, bis er sich selber hilft. Damit er den Ursprung erkennt. Heftige Eifersucht ist eine Sekundärstörung, eine Zwangserkrankung, die auf andere Zwänge und Süchte zurückgeht. Ja, und auf eine Selbstunsicherheit. Welches Selbst. Das eine oder das andere. Das, von dem man glaubt, daß man es ist, oder jenes, das man ist. Ich unterlasse jede Nachfrage und höre zu. Hier setzen wir an und vermitteln die Patienten gegebenenfalls weiter. Wir sind eine reine Versorgungssprechstunde. Ja, es gibt Forschungen, aber anderswo. Diplomarbeiten etwa. Eine ärztliche Dissertation ist dem Thema gewidmet.

Da frage ich mich was. Sind wir damals hier gesessen oder im Raum gleich gegenüber. Wahrscheinlich abwechselnd da oder dort. Früher war hier wenig Platz. Ich rechne die Jahre zurück. Das Gebäude wurde mittlerweile renoviert und erweitert, es entspricht heute dem Standard. Wir sitzen also – gerade hier. Heute sind wir wir, und damals war ich zu zweit allein.

Ich hasse mich, wie ich verkrampft dasitze und von Sternen rede, die mich bedrohen, wobei ich mich kaum gerade halten kann vor lauter innerem Zittern. Diese Art von Dramatik ist wahrscheinlich pathologisch. Habe ich doch festgestellt, daß das Zittern niemandem auffällt, daß ich noch als normal gelte. Sogar für den Arzt, kommt mir vor. Innerlich fühle ich mich schief, doch keiner merkt etwas. Ich habe mich unter Kontrolle, leide und funktioniere.

Man muß ein wenig eifersüchtig sein, das weiß jeder. Gar keine Eifersucht zu kennen, gilt nicht als gesund. Kalt, gefühllos oder gleichgültig. Verlogen jedenfalls. Es geht um das Halten der Waage. Die sprichwörtliche Mitte. Eifersucht, wie der Name schon sagt. Diese Gesellschaft will Sucht, aber bitte nicht zuviel davon. Wo käme das System da hin. Man wäre bald am Ende mit der Wirtschaft. Man wäre nicht mehr zu gängeln. Für ewig dein, das singt man uns von klein auf vor. Also: Dauerhaft ein wenig Besitz ergreifen. Gemäßigte Eifersucht funktioniert gut. Leiden sollte keiner müssen.

Aber Sterben ist nun mal Leiden, und die Geschichte vom Abenteuer ein Märchen. Unsere Position im Weltall, genau besehen, tatsächlich brutal. Er verläßt das Hotelzimmer und überlegt, was er ihr sagen wird. Sie wartet und schaut sich die Millionenshow an. Er ärgert sich: Schon wieder hat sie getrunken. Eine zeichnet immer die gleichen Dreiecke. Ein Messer wird blutig. Ameisen krabbeln auf seiner Bettdecke herum, keiner reagiert darauf. Es gibt Götter, die durchbohren einen mit ihren Strahlen. Er denkt, er kann den Arm nicht mehr heben. Sie schluckt den eigenen Speichel nicht mehr. Es gibt Tatsachen und Erfundenes.

Er ist in Ordnung. Ein freundlicher Mensch, ein engagierter Arzt. Die Nische hat Berechtigung. Das sagen auch andere Therapeuten, die ich zum Gegenstand befrage. Ja, eine Eifersuchtssprechstunde ist gut. Super sogar. Ich sitze da und stelle ihm, sozusagen auf gleicher Ebene, ein paar Fragen. Nicht einmal bitten hat er sich lassen. Unkompliziert, gar nicht von oben herab. Und außerdem geht er segeln, solange er will und mit wem er will. Ich fühle mich widersprüchlich und suche nach einer gerechten Einschätzung.

Was kann man gegen Sterne und Planeten haben, sind sie doch unsere romantische Kulisse. Was hat man gegen Eifersucht, widerlegt sie doch Gleichgültigkeit. Soweit die Normalität. Wo das Leiden beginnt, dämmert Wissen, daß man weder jene dort noch den Geliebten hier kontrollieren kann. Eine großartige Erkenntnis, nur leider selten durchdringend. Beides vermag zu provozieren: ein Plädoyer für den Haß auf das Universum und ein Lob des Besitzergreifens.

Daß er sich auf die Suche nach dem Ursprung des Übels macht, kann man wohl nur positiv bewerten. Da ist dann meist die Eifersucht kein Thema mehr. Die Leute, behandelt man sie einmal als Alkoholiker oder Depressive, hören bald auf, zwanghaft jemandes Manteltaschen nach Indizien zu durchsuchen. Sie brauchen das Symptom nicht mehr, das Signal versickert. Und: Ist es nicht eine Leistung, Blutbäder zu verhindern. Zumal oftmals Kinder dabei die Opfer sind. Und ist es nicht fein, daß es in Innsbruck endlich einmal etwas gibt, was man anderswo suchen muß. Wo wir doch hierzulande im allgemeinen hinterherhinken. Ich sitze da und suche mit Eifer nach dem Grund für meine Unbehaglichkeit.

Mich interessieren nicht die Fakten. Allenfalls die
Krankengeschichten aus Fleisch und Blut fände ich spannend. Wer wen wo und unter welchen Umständen geprügelt oder erpreßt hat. Ich interessiere mich für Sensationelles. Zumindest für Kurioses. Jedenfalls suche ich nach ein bißchen Saft in der ganzen Geschichte. Solch ein Drang ist wahrscheinlich pathologisch. Die Krankengeschichten sind verräumt. Ist doch logisch, es gibt ein Arztgeheimnis. Hier reden wir über eine Institution. Über Erkenntnisse. Der Begriff Wahn sei präzise formuliert. Krankhaft ist nicht der Inhalt, sondern die Unbeeinflußbarkeit durch Erfahrung und zwingende Schlüsse. So steht es in dem Artikel. Damit muß ich auskommen. Sich nicht zufrieden zu geben, mindert die Lebensqualität. Sich nicht zufrieden zu geben, paßt zum Thema Eifersucht.

Keine Ahnung, was ich da schreiben werde, so trocken und sauber kommt das Pilotprojekt Eifersuchtsambulanz daher. Da kann nur ein jeder den eigenen Film einschalten. Schon will ich gehen, doch etwas dreht mich noch einmal zum Arzt hin und läßt mich fragen. Warum gerade Eifersucht. Warum nicht eine andere Störung, um eine Ambulanz zu gründen. Er lacht und hebt die Hand wie zur Abwehr. Lieber nicht fragen. Lieber nicht nach tieferen Gründen forschen. Da werd ich ja grad verlegen, sagt er. Die Sprechstunde ist seine Erfindung. Gedanken gestalten sich so oder so.

 

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