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Julia Bornefeld
Originalbeilage Nr. 3

Taschentuch mit Tentakeln: In der Hochkonjunktur des papierenen Wegwerftempos gestaltet die Künstlerin Julia Bornefeld mit ihrer Quart-Originalbeilage eine Hommage an ein altes und traditionsreiches Wäschestück. Von Marion Piffer Damiani

Dem kleinen Stoffquadrat, das hier ein künstlerisches Comeback feiert, war einstmals eine glänzende Karriere auf dem gesellschaftlichen Parkett beschienen. Das war, bevor es nur noch dem Schneuzen diente und bevor es in den goldenen Zwanziger Jahren vom praktischen Sinn der Amerikaner durch das hygienischere Kleenex ersetzt wurde, um sich alsbald in den Ruhestand in die verschiedenen Museen der Volksund Alltagskultur zurückzuziehen.

Verschiedenen Quellen zufolge fand das Taschentuch in vorchristlicher Zeit als praktisches Schweißtuch Verwendung und diente dann in der kirchlichen Liturgie zum Säubern des Kelches. Den Höhepunkt seines gesellschaftlichen Erfolges aber feierte das „fazzoletto“ als begehrtes Luxus- oder Lustobjekt in den höfischen Kreisen seit der italienischen Renaissance. Gerne beschenkten sich die Verlobten gegenseitig mit Taschentüchern aus feinstem Gewebe. Der kostbare Fetisch und Liebesbeweis wurde angeblich in der Hand, am Hut oder im Ärmel getragen und dann und wann auch schon einmal zum fatalen Beweisstück: Als der vor Eifersucht rasende Othello sein Taschentuch bei dem vermeintlichen Nebenbuhler vorfindet, fasst er den festen Entschluss, seine Frau Desdemona zu töten. Erst nach getaner Tat erkennt er seinen Irrtum und jagt sich verzweifelt selbst den Dolch in die Brust. Das Shakespeare’sche Drama ist die wohl meist besungenste Geschichte, in der das alltägliche Modeaccessoir Taschentuch eine verschlüsselte Botschaft beinhaltet und zum verhängnisvollen Zeichen auf der Bühne gesellschaftlicher Symbolsysteme mutiert.

Die Künstlerin Julia Bornefeld reizen die Stofflichkeit, das Volumen und die Intimität körpernaher Tücher und Hüllen; dazu gehört auch das Taschentuch. Vor allem faszinieren sie aber Kleidungsstücke wie Strümpfe oder Büstenhalter, die im Farbton die Haut selbst imitieren, um mit dem Körper als möglichst kompakte Einheit zu erscheinen. Strümpfe und Unterwäsche bilden eine erste Schicht, die wir im Rahmen unserer körperlichen Kodierungsrituale überziehen, eine Art Interface im Wechsel von einem Zustand in einen anderen. Mit diesen Hüllen geht Julia Bornefeld auf künstlerische Tuchfühlung, mit Hüllen, die am Abend wieder abgestreift werden, die der Körper hinter sich lässt wie die Schlange ihre Haut oder die Raupe den Kokon. Häutungen abgelegter oder ausgestandener Emotionen bilden das konzeptuelle und stoffliche Rohmaterial für ihre Skulpturen und Objekte.

Menschliche Organe, geflügelte oder vielbeinige Insekten und Tiere, Anspielungen an Geschlechtliches wie Sexuelles bevölkern die Vorstellungswelt der Künstlerin. Natürliche Zeichen werden in ästhetische transformiert, Menschliches und Tierisches vernäht und verflochten. Die Schnittmuster stammen von diversen Kreuzungen – vorzugsweise zwischen Tieren mit Tentakeln (wie Spinnen, Quallen oder Tintenfische): Wahlverwandtschaften mit Symbolkraft, die nach Strich und Faden umgesetzt werden. Die Künstlerin spannt die Stoffhäute in Metallrahmen auf, stopft sie aus oder spinnt sie zu mandalaartigen Figurationen, wo selbst noch in den abstraktesten Bearbeitungen existentielle körperliche Befindlichkeiten mitschwingen. Der metallene Rahmen erinnert an eine Art Korsett oder Unterrock und hat neben seiner Funktion der Formgebung auch noch einen weiteren praktischen Aspekt: Er steift die Skulptur zum Kostüm aus, das sich die Künstlerin selbst überstreift, um es in schamanenhaften Performances zu animieren und die gestisch-theatralischen Sequenzen der eigenen Verwandlung später in Bilderserien zu demonstrieren: Die Künstlerin verschwindet im Tier, das Menschliche versinkt im rituellen Tanz einer archetypischen Figur.

Zurück zum Taschentuch: Das fremde Wesen, das auf Julia Bornefelds Edition für Quart auftaucht, ist eine eigenwillige Verschränkung der Gestalt von Spinne und Oktopus und damit zweier typischer Symbole für tierische Instinkte und animalische Verführungskunst. In der Welt der Traumdeutung steht die Spinne angeblich auch für das Künstlerische in der Träumenden und erhält eine selten positive Bedeutung – wohingegen in den Sprüchen der Alltagswelt ihr Bild meistens negativ besetzt ist („Intrigen spinnen“, „spinnefeind“). Schließlich handelt es sich da um ein Insekt, das seine Opfer auf grausame Weise ins Netz lockt, um sie zu vergiften und auszusaugen. In den Nachschlagewerken zur Tiersymbolik taucht die Spinne vor allem im Mittelalter als ein Symbol für das Triebhafte oder das Geizige (Avaritia) auf. Kaum besser in seinem Image schneidet da der Oktopus ab, seine tödlichen Tentakel assoziiert die christliche Bildsprache mit negativen Affekten der Trieb- und Instinktnatur des Menschen wie auch mit Lüge oder Verrat. Als Sexualsymbol erscheint der Tintenfisch hingegen im japanischen Kulturkreis, hier zeigen die Darstellungen den vielbeinigen Oktopus meistens dabei, wie er eine Frau umklammert und dabei ein Tentakel, das (wie in der Natur) als Geschlechtsglied fungiert, unter ihr Kleid führt.

Sucht man schließlich im Internet nach weiteren Informationen zur Symbolik der Spinne oder des Tintenfischs, taucht interessanterweise eine Vielzahl unterschiedlichster Anbieter von Tattoos auf: In diesem Metier gehören die beiden Tiersymbole zum Standardrepertoire …

Die Plastiken und Objekte von Julia Bornefeld – wie ihr „Spinnenoktopus“ (oder umgekehrt: ihre „Tintenfischspinne“) – verkörpern in der Tradition von Tierdarstellungen in Kunst, Kult, Religion und Mythologie das Zusammenspiel und den Widerstreit von Tierseele und Geistnatur im Menschen und die damit verbundenen Kräfte, Instinkte, Ängste. Die Skulpturen experimentieren mit den Bildern des Geschlechtlichen und Animalischen, evozieren sie in einem spannungsreichen Pas de Deux von Nähe und Distanz, Erfüllung und Frustration, Umarmung und Abtrennung, lustvoller Hingabe und beklemmender Fremdheit. Wie sich die Skulpturen der Künstlerin in Kostüme verwandeln lassen, so wird das vielbeinige Tier auf dem kleinen quadratischen Taschentuch lebendig, sofern man sich nur auf das illusionäre Spiel mit dem Gefährten einlässt.

Foto Originalbeilage: Markus Bstieler

 

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