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Beständige Neuinterpretation

Rosemarie Trockel ist eine der weltweit bekannten Künstlerinnen der Gegenwart. Für die Jubiläumsausgabe von Quart hat sie das Cover und die folgende Bildstrecke gestaltet. Eine Werkeinführung von Carla Donauer

Seit den frühen 1980er Jahren gehört Trockel zu den vielseitigsten und wegweisendsten Künstlerinnen der zeitgenössischen Kunst. In ihrer facettenreichen Arbeit untersucht sie sowohl Fragen, die sich aus künstlerischen Prozessen ergeben, als auch solche gesellschaftlicher Art. Ihre Skulpturen, Collagen, Keramiken, Strick-
bilder, Zeichnungen und Fotografien sind bekannt für ihre subtile Gesellschaftskritik und die Bandbreite an subversiven ästhetischen Strategien – darunter die Diskussion um „weiblich“ konnotierte Techniken wie Textil- und Kunsthandwerk, die ironische Verschiebung kultureller Codes und die Freude am Paradoxen.

Das Jubiläumscover dieser Zeitschrift zeigt die Neubearbeitung eines Siebdruckes der Künstlerin aus dem Jahr 1995 mit dem Titel Art is Depression. Die ursprüngliche Komposition wurde in Farbe und Ausschnitt so verändert, dass aus der Vorlage eine neue Fassung für das Magazin entstand. Die ineinander verwobenen Wollknäuel verbindet ein Netz an Fäden und Strängen in unterschiedlich aufgerollter Größe, die sich über den Rand hinweg fortsetzen. Schematisch mögen diese an ein Neuronen-Netz erinnern. Der Titel Art is Depression, der im Werk Rosemarie Trockels für eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Arbeiten verwendet wird (und auch mit einer sprachlichen Umkehrung als Depression is Art als Titel existiert), vermittelt die Untrennbarkeit und Wechselwirkung von Kunst und Leben: Mit einem konstanten Schöpfen neuer Verbindungen im Werk befragt Trockel ihre eigene Praxis, die von Skepsis gegenüber gesellschaftlich etablierten Festschreibungen geprägt ist. So berührt ihre Arbeit gesellschaftspolitische Fragestellungen wie etwa geschlechtliche Gleichstellung, kulturelle Diversität, Machtverhältnisse ökonomischer wie politischer Natur – um nur einige Punkte zu nennen.

Das ausgewählte Covermotiv kann damit stellvertretend für die Herangehensweise der Künstlerin gesehen werden. Mit dem Material Wolle arbeitet die Künstlerin seit den frühen 1980er Jahren an Strickbildern und Skulpturen. Mit subtilem Humor kommentierte sie damals den männlich dominierten Kunstdiskurs der 1980er Jahre. Trockel wurde bekannt mit einer Reihe von computerdesignten und maschinengestrickten Wollbildern in der Ästhetik abstrakter Gemälde, in denen der Wollstoff die Rolle der Originalfarbe auf Leinwand spielt. Indem der „häusliche“ Aspekt des Strickens durch ein mechanisches Verfahren ersetzt wird, weisen ihre Arbeiten auf künstlerische Prozesse des Minimalismus der 1960er Jahre hin, wo häufig Materialien und Techniken der Massenproduktion verwendet wurden, um die damalige Automatisierung des Zusammenlebens zu spiegeln. Ausgehend von der Maschinenproduktion der 1980er und 1990er Jahre kreiert Trockel seit den frühen 2000er Jahren aber auch handgestrickte Arbeiten. Die monochromen Kompositionen lösen sich in der sichtbaren, offenen Struktur auf und zeigen Unregelmäßigkeiten im Strickbild – sie erinnern an Pinselstriche auf einer Leinwand. Auch diese Arbeiten stellen die grundlegende Logik und Struktur der Malerei in Frage: Die Wolle wird auf die Leinwand gespannt und präsentiert ihre Rückseite, während der Holzkeilrahmen sichtbar auf der Vorderseite montiert ist.

In einer Serie von Wollfadenbildern treibt Trockel die Verwendung von Wolle als Malmaterial auf eine neue Ebene. In dieser Werkgruppe werden lose Garnstränge vertikal und horizontal um die Leinwand gewickelt, um geometrische Kompositionen zu bilden, die mit Plexiglas bedeckt sind. Die kritische Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Diskurs um Malerei kollidiert mit der verführerischen abstrakten Ästhetik der Arbeiten. Die Natur der Kompositionen bezieht sich direkt auf Abstraktionsstrategien der historischen Avantgarde oder die Farbfeldmalerei des 20. Jahrhunderts. In der Bestätigung der historischen Relevanz dieser Bewegungen unternimmt Trockel gleichzeitig eine Neubewertung, indem sie die Werke von jeder Heroik befreit.

Mit ihren Arbeiten setzt Rosemarie Trockel ein soziales und politisches Statement, in dem ihre Arbeiten die gesellschaftlich verkrusteten Logiken und – wie im Falle der Wollbilder – durch Verwendung eines alltäglichen und „weiblichen“ Handwerksmaterials die Leserichtung von Malerei untergraben. Art is Depression trägt zu dieser Diskussion in einer umfassenderen künstlerischen Form bei, wenn die Diskussion durch das Material der Wolle stellvertretend angedeutet wird. So wird deutlich, wie die Künstlerin ihre eigene künstlerische Praxis umkreist und über Sampling, Wiederverwendung, Abänderung, Überarbeitung einer beständigen Neuinterpretation unterzieht.

Daran anschließend entstanden auch die 2015 erstmals gezeigten großformatigen Bildkompositionen mit dem Titel Cluster. Aus bisher drei unterschiedlichen Einzel-Formaten gerahmter Digitaldrucke setzen sich wandfüllende Werke zusammen, deren Komposition ein unregelmäßiges Grid ergibt. Die digital entstandenen Einzelmotive, die jene Cluster zusammensetzen, umfassen mit dem iPhone geschossene Snapshots der Künstlerin, Fotomontagen von gefundenem Bildmaterial, inszenierte Szenen aus Fotoshootings oder Reproduktionen und Montagen aus dem Bildarchiv der Künstlerin. Die digitale Bearbeitung bedient sich der zeitgenössischen Techniken des 21. Jahrhunderts, schafft einen materialunabhängigen Zugang auf das Werk und holt Skulptur, Malerei, Zeichnung oder Installation auf die Ebene der Abbildung. In Grids, die den Kacheln von bildorientierten Medien wie Instagram ähneln mögen, entstehen Zusammenstellungen, deren Bildkompositionen retrospektiven Charakter haben.

Die digitale Veränderung von bestehendem Bildmaterial führt zu einer weiteren Dynamisierung des Werks, das in den späten 1970er Jahren seinen Ausgangspunkt nahm und sich über mehrere Jahrzehnte entfaltete. Die werkimmanente Bewegung konterkariert Ideen einer historischen Festschreibung. Mit der Zuwendung zum Digitalen verortet Trockel ihre Kunstproduktion überdies in prägnanten Diskursen der aktuellen Gegenwart, ist doch unser Leben ohne Zuhilfenahme digitaler Kommunikationsmedien oder bildgebender Apparate quasi undenkbar geworden. Im Sinne einer generationsüberspannenden Praxis legt Trockel den Finger auf die aktuellen Konflikte der Gegenwart und ermöglicht es gerade durch ihre humorvolle Sensibilität, reflektive Prozesse in Bewegung zu bringen. Die kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Fragen werden so immer auch in dem Kontext einer historischen Zeit gespiegelt, wodurch dem Werk eine große reflektorische Aktualität eigen ist.

Das bereits erwähnte Verhältnis von Bild und Sprache und dessen Rolle in Trockels Werk, welches sich in der Verwendung und dem Einsatz der Titel zeigt, wird im ersten Motiv der Bildstrecke für Quart bereits thematisiert: Hier setzt sich das Bild aus einem handschriftlich verfassten Text zusammen. Der dem Bild zugrunde liegende ambivalente, widerständige und selbstermächtigende Text ist ein Titel, der im Werk Rosemarie Trockels ebenfalls immer wieder verwendet wird: Yes, where others say no. Sowohl der Titel am Beginn der Bildstrecke als auch das letzte Motiv der Reihe, eine angeschnittene schwarze Herdplatte, sind Motive, die sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Werk etabliert haben und die die Bildstrecke einrahmen. Die Herdplatten-Arbeiten stellen neben den Wollbildern einen weiteren Werkkomplex dar, der zu den bekanntesten Arbeiten der Künstlerin gehört: In den späten 1980er Jahren verwendete Trockel Herdplatten als Material und Motiv für freistehende und an der Wand zu befestigende Objekte, meist weiß emaillierte abstrakte Stahlskulpturen mit unterschiedlichen Anordnungen und verschiedenen Größen und Formen. Formal lehnen sich diese Arbeiten an den im Hausgebrauch üblichen Elektroherd der damaligen Zeit an, welcher meist aus vier Platten und einem weißen Metallgehäuse bestand. Diese Anlehnung an den Bereich des Häuslichen, das meist der weiblichen Domäne zugeordnet wurde, verwendet die Künstlerin bis in jüngste Produktionen. Zwar entstand ein Großteil der emaillierten Arbeiten in den 1990er Jahren, allerdings existieren neben den Skulpturen auch Drucke, Filme, Zeichnungen und Objekte, in denen das Motiv Verwendung findet. Der hier abgebildete Ausschnitt stammt von der Fotografie einer Keramik von 2017 mit dem Titel Agoraphobia, womit die Künstlerin das Motiv einer Rekalibrierung unterzieht: Die wissenschaftliche Bezeichnung für die Phobie vor Menschenmengen ist auch als Kommentar über die Position des Individuums zu lesen, zugleich erhält der Titel im Kontext mit dem ikonischen Motiv der Herdplatte eine ironische Brechung.

Diese beiden werkbezüglichen Referenzen in Text und Bild werden hier kombiniert mit einer weiteren Auswahl aus dem Bildarchiv der Künstlerin, welches vor allem das Genre des Porträts sowie spezifische männliche Stereotype umkreist: Da gibt es die ikonische Figur des Cowboys, die bereits in Sie kam und blieb verwendet wurde (einer Edition der Zeitschrift Texte zur Kunst aus dem Jahr 2001) – ein Siebdruck, der die junge, als Cowgirl verkleidete Galeristin Monika Sprüth zeigt. Oder aber in CLUSTER VI – Door Ajar (2021) die digital veränderte Montage eines Modellkopfes, anonymisiert durch digitale Markierungen mittels iPhone. Oder zwei weitere Porträts: Eine Seitenansicht zeigt abermals Monika Sprüth mit Zigarre in einer Fotografie von 1982, welche sich auf die in der Kölner Szene der 1980er Jahre prominente Künstlerfigur Jirˇí Georg Dokoupil bezieht. Ein digital verändertes Porträt Jack Nicholsons aus einem Filmstill von Chinatown ist einer Szene entnommen, die den Schauspieler nach von einer Schlägerei davongetragenen Verletzungen mit notdürftig verbundenem Kopf zeigt. Diese Aufzählungen mögen dazu beitragen, den Spuren zu folgen, die die Künstlerin legt – sie befragen die kategorischen Figuren, die in unseren Gesellschaften beispielsweise in Form eines starren und dominanten Männerbildes immer noch so anwesend sind.

Der silberne Schuh ist als Digitaldruck mit dem Titel I can, may and will not in etwas anderer Konfiguration ebenfalls in CLUSTER V – Subterranean Illumination (2019) integriert, ein Titel, der auf Walter Benjamins Aufsatz von 1929 über den Surrealismus hinweist. Das blaue Textmotiv auf weißem Untergrund, ein an ein Erpresserschreiben erinnerndes Motiv, entstand als Siebdruck 1989 das erste Mal und existiert seitdem auch als Digitaldruck in verschiedenen Ausführungen.
Diese Wiederverarbeitung bestehender Werke wechselt mit bisher unveröffentlichten Motiven – wie beispielsweise einer Waldszene, die als kompositorisches Element die Bildstrecke visuell gliedert.

Wie bereits erwähnt ist ein wiederkehrendes prominentes Motiv das Porträt: Trockel verwendete eine traditionelle Holzmaske aus dem Schwarzwald, die sie mit digitalen Zeichnungen übermalt und stark verändert. Die lange Pinocchio-artige Nase war bereits Gegenstand früherer Arbeiten und verweist sowohl auf die literarische Verhandlung der Lüge und des Schwindels als auch symbolisch auf die männliche Potenz.

Das Porträt einer jungen Frau mit Hut mag die Bedeutung von Sprache und Text im Werk der Künstlerin unterstreichen: Wie schon im ersten Motiv dieser Bildstrecke insbesondere die Sprache und deren Beziehung zum Bild verhandelt wurde, integriert der Bildaufbau Texte in Form der Bücher im Hintergrund, in dem das Bücherregal einen bedeutenden Teil der Komposition ausmacht. Texte und die entsprechenden Diskurse werden im Bild zitiert, es erscheinen bestimmte Künstlerpersönlichkeiten und bedeutende Werke der Kunstgeschichte und des Kunstdiskurses (Marcel Duchamp), der Philosophie (Roland Barthes), der Literatur (I love Dick von Chris Kraus) oder Dokumentationen eigener Ausstellungen (ein Ausstellungskatalog der Gruppenausstellung „Truth“ im Dallas Museum of Art, in der Trockel den Film Zum Beispiel – Balthasar, 6 Jahre von 1996 zeigte). Dies mag einen Ausschnitt aus dem Referenzspektrum darstellen, in dem das Werk Trockels navigiert und über (Bild-)Zitate bestimmte Diskurse ins Spiel bringt, die das kritische Denken als Notwendigkeit für gesellschaftlich relevante Prozesse der Verhandlung und Emanzipation im Werk immer wieder thematisierten. Denken ist keine mechanische Aktivität, sondern eine produktive.

 

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