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Fließtext*
Von Theresia Enzensberger

Tab: Ein Mensch, ganz in Schwarz gekleidet, schiebt mit konzentrierter Energie eine Metallkonstruktion. Sein Gesicht wird von einem glänzenden, aus seinem Helm herauswachsenden Visier ummantelt. Die pinken Filter seiner Gasmaske greifen unter dem undurchdringlichen Glas aus. Seinen Körper hat er mit einer Motorradjacke geschützt, über der Schulter trägt er eine schwarze Hülle, in der vermutlich eine Waffe steckt. Im unscharfen Hintergrund der Fotografie verschwimmen Menschen mit gelben Westen und die Hochhäuser von Hong Kong. ¶ Tab: Vier Fotografien, vielleicht Polaroids. Links unten sieht man Pferde, zwei weiße, zwei braune. Sie stecken die Köpfe zusammen, konspirieren, verschließen die Augen vor der grellen, tief stehenden Sonne. Der Schatten des mittleren Schimmels fällt lang auf die Nase seines Nachbarn. Auf dem Polaroid daneben eine weite, bergige Landschaft, tiefer Horizont, hoher Himmel. Das Bild darüber zeigt wieder Pferde, diesmal im Galopp und als Malerei, auf einer Vase vielleicht oder einem Stein. Ihre Hälse und Schweife sind geschwungen, ihre Körper stehen in der Luft. Links von den gemalten Pferden zeigt eine Fotografie eine Menschenansammlung. In der Mitte ein signalrotes Plakat, in großen, gelben Lettern steht darauf: „DEFEND THE SACR“, ein Mensch mit Rucksack verdeckt den Rest der Buchstaben. Die Gesichter der das Plakat haltenden Menschen sind unscharf, ihre Gefühle nicht erkennbar. Ganz rechts im Bild ragt ein hellblaues Gebilde aus der Menschenmenge, eine Struktur in der Form eines geplätteten Ballons. ¶ Tab: Goldenes Gepräge auf dunklem Untergrund. Die Farbe ist schwer auszumachen; dunkelgrau, dunkelblau, ein bleiches Schwarz? Das Material hat Struktur, kleine Erhebungen machen sich durch hellere Punkte bemerkbar. Die grafische Abstraktion eines Menschen bildet durch Wiederholung einen perfekten Kreis. Im Kreis wird ein prächtiger Baum von goldenen Tieren umgeben: Der Kopf eines Hirsches schwebt über drei Vögeln, zwei befinden sich im Flug, einer pickt an den Ästen des Baumes. Eine Schildkröte schwimmt einem langen Aal vorweg. Auf der Spitze des Baumes sitzt ein Adler. Außerhalb des Kreises nur das hügelige Papier des Untergrunds, und ganz oben ein Schriftzug, auch in Gold: HAUDENOSAUNEE. ¶ Tab: Ein Portrait. Ein Mann steht mit verschränkten Armen vor der Kamera, sein starrer Blick geht durch sie hindurch. Er trägt ein glänzend schwarzes Hemd aus Polyester, der Kragen hat einen weiß gemusterten Rand, anstelle einer Brusttasche prangt auf dem Hemd ein goldenes Wappen und darunter steht in kursiver Schrift „Königreich Deutschland“. Das Alter des Mannes ist schwer auszumachen, er könnte etwa fünfzig sein, aber tiefe Linien um seinen Mund herum lassen ihn schlecht gelaunt und früh gealtert aussehen. Über seiner rechten Augenbraue hat er eine fast verheilte Wunde, seine Stirn reicht bis zu einem spärlichen Büschel Haupthaar. ¶ Tab: Dunkle, vom Regen verwischte Wolken stehen über der grünen Landschaft. Ein paar Berge im Hintergrund verschwinden im grauen Dunst, ein unscharfer Teppich aus Bäumen breitet sich über die Ebene. Im Vordergrund sitzt ein Mann auf einem Stuhl, ein Gewehr in der Hand. Er bewacht ein Stück Erde, das von einem Zaun begrenzt wird, direkt dahinter fällt die Böschung sanft ab. Auch hier Bäume, diesmal im Fokus, es sind tropische Pflanzen. Hinter dem Stuhl liegt eine leere Colaflasche und ein bisschen Müll. Der Mann blickt in die andere Richtung, sein Gesicht verrät Entschlossenheit. Er trägt hellblaue Jeans, ein rotes Hemd und über seinen grau melierten Koteletten einen Cowboyhut. ¶ Diese Bilder bevölkern meinen Browser, stehen inmitten von Buchstaben, Titeln wie Reuters Investigates: Inside the Hong Kong protesters’ anarchic campaign against China, On Native Grounds, Standing Rock’s new spirit of protest, My six nation Haudenosaunee passport is not a ‘fantasy document’, The King of Germany Will Accept Your Bank Deposits Now oder Losing Faith in the State, Some Mexican Towns Quietly Break Away. Darunter Textwüsten, die mit ihren Luftspiegelungen um Aufmerksamkeit ringen.

* Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u.Ä. gesetzt wird.
Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

 

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